von Ronnie Grob

Unser aller Darth Vader

Am 2. Mai 2012 würde Axel Springer 100 Jahre alt. Der umstrittene deutsche Verleger hinterlässt nicht nur die «Bild»-Zeitung und einer der grössten Zeitungsverlage in Europa. Er kämpfte für die deutsche Wiedervereinigung und für die Aussöhnung zwischen Deutschen und Juden. Die Stasi bespitzelte den Mann in seinem eigenen Büro, das DDR-Fernsehen widmete ihm einen monumentalen Propagandafilm. Seiner fünften Ehefrau gemäss war er «eine eigenartige Mischung aus tiefer Ernsthaftigkeit und fröhlicher Leichtigkeit».

«Axel Springer war der Darth Vader meiner Kindheit», schreibt «Zeit»-Redaktorin Mariam Lau und Peter Glotz hält fest, dass Springer zwischen 1968 und 1972 «die kontroverseste Figur» Deutschlands war. Wenn Christian Kracht an Springer denkt, sieht er auch Jay Gatsby. Und Frank Schirrmacher schreibt: «Er besass, was der Traum jedes Intellektuellen ist: die Reproduktionsmittel der Bewusstseinsindustrie.»

«Frauenheld der allerextremsten Form»

Das steht in «Axel Springer – Neue Blicke auf den Verleger», 2005 herausgegeben vom Konzernchef Mathias Döpfner. In der Mitte des Buchs sind Fotos von Axel Springer zu sehen. Wie er die Hand der Hörzu-Werbefigur Mecki schüttelt. Wie er die Hand von Königin Elisabeth II. schüttelt. Wie er die Hand von Papst Paul VI. schüttelt. Oft dabei, daneben: Friede Springer, seine fünfte Ehefrau, seit seinem Tod die starke Frau im Verlag. Im Buch ist nur ein Text von ihr zu finden. Sie schreibt:

Axel Springer war eine eigenartige Mischung
aus tiefer Ernsthaftigkeit und fröhlicher Leichtigkeit.
Ich habe die letzten 20 Jahre, die ich für die bedeutendsten
in seinem Leben halte, an seiner Seite verbracht.
Ich war seine beste Freundin, seine Ehefrau, Mitarbeiterin, zuweilen
Köchin, Fahrerin und zum Schluss auch seine Krankenschwester.
Auch wenn es komisch klingt, ich habe nicht mein,
sondern sein Leben geführt und möchte keine Minute missen.
Mehr als 30 Jahre jünger, habe ich viel gelernt.
Es war eine erfüllte Zeit – nicht nur für mich.
Es war die große Liebe für uns beide.

Als 23-Jährige antwortete die damalige Friede Riewerts im Sommer 1965 auf eine Anzeige in der «Welt am Sonntag»: «Villenhaushalt sucht Kindermädchen». Sie wurde im Hause Axel Springer angestellt, wenig später waren Axel und Friede ein Paar, 1978 heirateten die beiden. Wie in der im Propyläen-Verlag (gehörte zur Axel Springer AG*) erschienenen Biografie zu lesen ist, war sie für Axel von beruhigender Wirkung:

Die Aussenwelt bestaunte die gut gestylte Fassade des jungen Presselords, in der Redaktion diskutierte er hemdsärmlig als Journalist unter Journalisten, was aber heftige Szenen nicht ausschloss, im Gespräch oder in der Korrespondenz mit guten Freunden gab er sich spöttisch und selbstironisch, dem Mütterchen schrieb er liebe, fürsorgliche Briefe, bei Auseinandersetzungen im kleinen und kleinsten Kreis erschreckte er nicht selten mit schlimmen Wutanfällen. Irgendwie stand er immer unter Dampf. Wenn er sich erregte, wurden Telefone oder Mappen voller Akten zu Boden geworfen, Vorhänge heruntergerissen und Türen zugeknallt. Lange Jahre irritierte das seine nächste Umgebung. Einmal vergass er sich so sehr, dass er seinen Chauffeur ohrfeigte. Als sein Zorn verraucht war, schämte er sich dessen und kaufte dem Betreffenden einen roten Sportwagen. Erst viel später, als sein Schilddrüsenerkrankung erfolgreich therapiert wurde und zugleich die ruhige Friede Springer in sein Leben trat, wurde es mit seinen Wutanfällen besser.

Fünfmal war Axel Springer verheiratet, aber Frauen hatte er noch viel mehr (siehe dazu den Film «Axel Springer – Ein deutscher Verleger» ab Minute 9). «Ein Frauenheld der allerextremsten Form», nennt ihn Mathias Döpfner, «ein unglaublicher Schwerenöter». Friede Springer glaubt, dass er für jeden Lebensabschnitt die passende Frau gefunden hat.

Die 68er

Für viele (Journalisten) ist Springer und sein Verlag auch heute noch ein Hassobjekt, ein Feindbild, was mit den Ereignissen um 1968, dem Eintreten für den Kapitalismus und der Solidarität von Springer mit Israel zu tun hat, die von vielen als bedingungslos eingestuft wird. Der Axel-Springer-Verlag arbeitete in den letzten Jahren daran, die Sichtweise auf die Zeit um 1968 zu verändern, die «neuen Blicke auf den Verleger» sind nur ein Beispiel. So lud der Verlag 2009 zu einer Neuauflage des «Springer-Tribunals» von 1968 ein, das aufgrund von Absagen von 68ern wie Peter Schneider und Daniel Cohn-Bendit nicht zustande kam.

Zuletzt machte es gar den Anschein, als würde sich der Verlag bemühen um eine Aufarbeitung der Beziehung zu Günter Wallraff, der sich unter dem Pseudonym Hans Esser bei «Bild» anstellen liess und danach über die Arbeitsmethoden berichtete (Bedauern von Mathias Döpfner / Kommentar von Stefan Niggemeier). Demgegenüber wird Wallraff in der «Welt am Sonntag» vom 22. April unter dem Titel «Kam Ali aus Ost-Berlin?» über fünf Seiten kritisch mit seiner Vergangenheit konfrontiert. Es werden bereits 2003 und 1987 im «Spiegel» ausgebreitete Vorwürfe noch einmal aufbereitet, genauer analysiert wird eine Mitarbeit von «IM Fischer» alias Frank Berger am Bestseller «Ganz unten». Wallraff sagt dazu, er selbst habe nie «wissentlich und willentlich» mit der Stasi zusammengearbeitet.

Mit der Website Medienarchiv68.de wurde auch die immer wieder geäusserte Kritik an den damals von Springer-Zeitungen zu den Studentenprotesten erschienen Artikel offensiv angegangen. Konzernchef Döpfner zieht das Fazit, dass wenn man genauer hinschaue, sich ein differenziertes Bild ergebe:

Die These, das Haus Axel Springer sei eine zentral gelenkte Meinungsmaschine gewesen, welche die Studentenbewegung verhindern wollte, bestätigt sich jedenfalls nicht.

Weitere Stimmen aus den Medien dazu sammelte Meedia.de.

Die aufgeheizte Stimmung damals führte zu Opfern. Der Student Benno Ohnesorg stirbt am 2. Juni 1967, durch einen Schuss des Berliner Polizisten Karl-Heinz Kurras, einem Waffennarr, der inoffizieller Mitarbeiter der Stasi sowie gleichzeitig SPD- und SED-Mitglied ist. Verantwortlich gemacht für die Tat wird die Berichterstattung der Springer-Zeitungen. Fünf Jahre später, am 19. Mai 1972, werden im Hamburger Axel-Springer-Haus 17 Mitarbeiter bei einem RAF-Anschlag verletzt. Axel Springer ist bis zu seinem Lebensende Tag und Nacht von Leibwächtern umgeben. Für ihn ein Tabuthema, wie in seiner Biographie nachzulesen ist:

Über seine psychische Belastung durch die Bedrohung hat sich öffentlich nicht geäussert. Auch in seinen Briefen kam er künftig kaum darauf zu sprechen. Doch wenn ein sensibler Mensch jahrelang im Schatten eines jähen Anschlags auf ihn selbst oder seine nächsten Angehörigen steht, verändert ihn das. Am meisten fürchtete er sich vor einer Entführung mit anschliessender Folter. Nach der Entführung des Arbeitgeber-Präsidenten Hanns Martin Schleyer trug er zeitweilig eine Kapsel mit Zyankali um den Hals, «weil ich Schmerzen schlecht ertrage».

Axel Springer verabscheute Extremismus: die Ablehnung jeglicher Art von politischem Totalitarismus hatte er bereits 1967 in die nach wie vor aktuellen, später von vier auf fünf Punkte erweiterten Unternehmensgrundsätze geschrieben. Ebenso wichtig war ihm die Aussöhnung zwischen Deutschen und Juden, die Verteidigung der Sozialen Marktwirtschaft und das Eintreten für die Wiedervereinigung Deutschlands, für die er kämpfte und die er um vier Jahre verpasste. Sein Berliner Verlagshaus baute er direkt an die damalige Grenze zum sowjetischen Sektor, von Ostberlin aus waren die auf dem Dach des Gebäudes in einer Laufschrift angezeigten, aktuellen Nachrichten von Weitem zu sehen. Die Grundsteinlegung fand am 25. Mai 1959 statt, zu einem Zeitpunkt, als Springer einer der wenigen war, der an die deutsche Wiedervereinigung glaubte.

Die DDR

Wie verhasst und gefürchtet Axel Springer in der DDR-Führung war, zeigt der sehr sehenswerte WDR-Film „Bespitzelt Springer! Wie die Stasi einen Medienkonzern ausspähte“ von Tilman Jens (2009):

Das Ministerium für Staatssicherheit platzierte nicht nur eine Sekretärin in sein Büro (als «IM Grunewald» eine von drei Chefsekretärinnen Springers), die dem Geheimdienst brühwarm Interna rückmeldete, der Sender Adlershof produzierte auch mit grossem Aufwand den Fünfteiler «Ich, Axel Cäsar Springer». 600 Sendeminuten des DDR-Fernsehens, die 10 Millionen Ostmark gekostet hatten und von 1968 bis 1970 ausgestrahlt wurden (siehe dazu das Video oben ab Minute 14:30). In diesem Film wird er als Witzfigur dargestellt, die angeblich alkoholkrank, impotent und homosexuell ist (ab Minute 19:30).

Das Willy-Brandt-Zitat, wonach die DDR «weder deutsch noch demokratisch, noch eine Republik» sei, nahm Axel Springer freudig auf, in seinen Zeitungen wurde die «DDR» stets in Anführungsstrichen geschrieben. «An diese Tatsache sollen uns die Anführungsstriche ständig gemahnen», schrieb er als Antwort auf einen Leserbrief eines «Welt»-Lesers. Der «Spiegel» notierte im Januar 1989: «Die Praxis der orthographischen Nichtanerkennung wird in Bild, Welt, Hörzu und allen anderen Titeln mit eiserner Konsequenz durchgehalten.»

Die Bild-Zeitung

Unter dem nicht sehr originellen Namen «Neue Bild Zeitung» kopierte die DDR ab 1959 auch «Bild», allerdings ohne Erfolg, weil ohne Inspiration und nur in kleiner Auflage. Auf die Idee von «Bild» kam Springer in der Fleet Street in London, als er die dortigen Tabloids studierte. Zu Beginn bestand die Zeitung tatsächlich fast nur aus Bildern, das Produkt war damals so revolutionär, dass Springer die Lancierung gegen grossen Druck aus dem eigenen Haus durchsetzte. In einem Interview 1982 erzählte er (ab Minute 13):

Meine Direktoren besuchten mich draussen in Blankenese, wo ich damals wohnte, und als ich ihnen davon erzählte, hielt sie nur die Tatsache, dass ich der Chef war, zurück, laut zu lachen. Aber als sie mich dann fragten, ob ich denn schon einen Titel hätte, und ich sagte «Bild», dann prusteten sie also los. Trotzdem wurde die Zeitung gemacht und nach einigem Hin und Her ist sie dann ganz schnell in die Millionenhöhe gekrabbelt und wurde ein ausserordentlicher Erfolg.

Gerade dieses Blatt bringt Ihnen ja immer wieder heftige Angriffe ein. Wie kontern sie das eigentlich?

Wenn das eine flott linke Zeitung wäre, eine richtig linke Zeitung, dann würde überhaupt gar keine Opposition da sein. (…)

Das stimmt natürlich nur teilweise. «Bild» wird auch heute noch aus vielfältigen Gründen verabscheut, und das oft völlig zurecht. Ein aktueller Ausschnitt dieser Gründe ist in den Beiträgen von Bildblog.de nachzulesen.

Verleger geworden, Verleger geblieben

Es wäre wohl vielen recht gewesen, wenn Springer seinen ursprünglichen Berufswunsch, Sänger zu werden, verwirklicht hätte. Doch er ist Verleger geworden und gegen alle Opposition Verleger geblieben. Wie wäre wohl der Konflikt zwischen den 68ern und Axel Springer ohne die Aktivitäten der Stasi abgelaufen? Wäre die Situation eskaliert, wenn nicht Stasi-IM Kurras Benno Ohnesorg erschossen hätte? Wäre die Stasi ohne Spion in Springers Büro jemals so gut informiert gewesen? Die Losung der rebellierenden Studenten, «Enteignet Springer», stammt übrigens ursprünglich von Walter Ulbricht, dem SED-Generalsekretär und DDR-Staatsratsvorsitzenden höchstpersönlich (ein Zitat aus einer Rede von 1966) – sie wurde von Doppelagent Walter Barthel der studentischen, westdeutschen Linken eingeimpft (siehe Video oben ab Minute 20:30). Die Springer-Biographie von Hans-Peter Schwarz hält fest:

Dank der detaillierten Studie von Hubertus Knabe über die Stasi im Westen ist ein Sachverhalt unbestreitbar: die Steuerungsgremien der Berliner Studentenbewegung – der SDS, der AStA der Freien Universität, die «November-Gesellschaft» oder der Republikanische Club in der Wielandstrasse – waren fast durchweg von Stasi-Spitzeln und von Einflussagenten durchsetzt. Dasselbe gilt für bundesweit operierende Organisationen wie «Die Falken» und den Arbeitsausschuss der «Kampagne für Abrüstung», bei denen die Forderung nach der Enteignung Springers schon im Juli 1967 zum Hauptthema wurde.

Es bleibt, zu fragen, ob der Springer-Verlag das Vermächtnis von Axel Springer in seinem Sinne verwaltet. Die Unternehmensgrundsätze sind, wenn auch verändert, nach wie vor in Kraft und werden auch umgesetzt: Auf das Grass-Gedicht reagierte die «Welt am Sonntag», in dem sie drei Redakteure zu Benjamin Netanjahu nach Israel schickte und ihn für eine Doppelseite interviewte, darauf folgend ein ganzseitiger Bericht über Israelis in Berlin (Ausgabe vom 22. April). Eine markt- und pressefreiheitsfeindliche, protektionistische Kungelei mit der Regierung, wie das von Christoph Keese im Auftrag des Verlags propagierte Leistungsschutzrecht für Presseverleger hätte Axel Springer selbst aber wohl kaum je vertreten.

«Axel Springer, Verleger – Feindbild – Privatmann» (am 1. Mai, 20.15 Uhr auf arte und am 2. Mai, 22.55 Uhr auf SF1)
«Axel Springer – Ein deutscher Verleger» (am 1. Mai, 21.45 Uhr auf BR und am 2. Mai, 21 Uhr auf Phoenix)
«Bespitzelt Springer! Wie die Stasi einen Medienkonzern ausspähte» (2009)
Axel Springer im Gespräch mit Gerhard Löwenthal (1982)

Offenlegung: Ronnie Grob arbeitet regelmässig für Bildblog.de.

* Nachtrag / Korrektur, 2. Mai 2012, 12 Uhr: Der Propyläen Verlag gehört nicht (wie wir behaupteten) zur Axel Springer AG, sondern seit 2003 zur Ullstein Buchverlage GmbH und somit zum Bonnier-Konzern. Danke für den Hinweis an das „Altpapier“.

Leserbeiträge

rauskucker 04. Mai 2012, 22:28

Zu fragen bleibt z.B. auch, von welchem Geheimdienst der Springerverlag durchsetzt war und ist.