von Stephanie Rebonati

Ohne Groll ausgestiegen

Jürg Federer arbeitete begeistert als Sportjournalist, bis er gemerkt hat, dass er den Protagonisten zu nahe steht. Deshalb stieg er aus und auf seinen erlernten Beruf um. Heute kocht Federer in New York.

Am 11. Juni 2012 sass ein Schweizer Sportjournalist im Mediensektor des Staples Centers in Downtown Los Angeles und sah zu, wie die L.A. Kings den Stanley Cup zum ersten Mal in die Luft stemmten. Es war ein schöner Abschluss. Vier Monate zuvor hatte sich der Schweizer NHL-Korrespondent gefragt, auf welcher Seite der Garderobe er stehe. Er entschied sich für die Seite der Spieler. Über die letzten acht Jahre wurden einige der Protagonisten seiner Geschichten gute Freunde und die journalistische Distanz wurde gefährdet. Dazu steht er offen.

In den Sportjournalismus zu kommen, ist einfach, sagt Jürg Federer. Er nennt ihn auch «Einsteigerjournalismus» – und meint das überhaupt nicht abwertend, sondern spricht aus eigener Erfahrung. Aus einer einzigen Quelle oder der Beobachtung eines Wettkampfs lässt sich ein ganzer Bericht aufbauen. Zudem sind viele Berichterstatter jung, die Protagonisten sowieso. Die Herausforderung als Sportjournalist? «Das Stadion ist deine Leserschaft. Von den Jugendlichen auf den Stehplätzen bis zu den Besitzern in den VIP-Lounges; du musst sie alle abholen», sagt Federer, der vor einigen Monaten entschied, dies künftig nicht mehr zu tun.

«Es ist kein Entscheid gegen den Journalismus», sagt der 39-Jährige und lehnt an die Backsteinwand mit den Wiegemessern und Bastkörben. Wir sitzen in der «Buvette», einem Stück Provence im New Yorker West Village. Die Tische sind kleine Quadrate, eng bestuhlt und auf weissen, ovalen Tellern werden knusprige Tartinettes mit Haselnuss-Organgen-Pesto serviert. Jürg Federer fährt fort: «Es ist ein Entscheid für neue Erfahrungen.» Der ehemalige Eishockeyjournalist spricht vom Privileg Schweizer zu sein, von der guten Ausbildung und dem dualen Bildungssystem: «In der Schweiz haben wir Optionen und kriegen Chancen», sagt er.

Das ist mitunter ein Grund, um Ende dreissig den Beruf zu wechseln. Der andere ist genauso wahr wie ehrlich: Als Sportjournalist kam Federer einigen Eishockeyspielern zu nahe, weil man sich so gut verstand und dadurch Freunde wurde. Das gefährdet die journalistische Distanz und hemmt die Kritik. Jürg Federer verliess deshalb die Gilde, was ihm hoch anzurechnen ist. Es ist ein ehrlicher und mutiger Entscheid, den viele andere Journalisten so nie treffen würden, obwohl auch sie zu nahe an den Akteuren dran sind. Das wird vor allem im Sport- und Lifestyle-Journalismus vorkommen.

Als 16-jähriger schmiss Federer das Gymnasium, absolvierte die kaufmännische Lehre in einer Büromöbelfirma, zog nach Elm, um die Lehre zum Koch zu durchlaufen und gewann am Genfersee einen Michelin-Stern, bevor er an Pazifik zog. Während drei Jahren managte er die Speisen und Getränke in einem Restaurant in San Francisco, studierte nebenbei Soziologie und kehrte mit 27 in die Schweiz zurück. Das war 2000. Dann baute er in Bern ein Catering-Unternehmen auf, verkaufte es und rutschte irgendwie in den Eishockeyjournalismus.

Martin Merk, CEO von hockeyfans.ch, rief an. «Federer, du verstehst doch etwas von Eishockey?», klang es etwa. In Rapperswil aufgewachsen, stand Federer in der Juniorenabteilung des NLA-Clubs Rapperswil-Jona-Lakers bis 17-jährig selbst auf dem Eis. Und so kam es, dass er das Wiegemesser zur Seite legte und stattdessen Notizblock und Mikrofon zur Hand nahm. 20-Minuten-Sportkolumnist Klaus Zaugg, aber auch der damalige BZ-Sportchef Werner Haller, unterstützten ihn dabei: «Während der gemeinsamem Zeit beim Hockeymagazin Slapshot lernte ich puncto Interviewtechnik, Themengestaltung und Interessengeneration viel von Chläus und Werner», sagt Federer heute.

In den folgenden acht Jahren schrieb Federer für diverse Sporttitel, Tages- und Wochenzeitungen, wurde NHL-Korrespondent für das Schweizer Fernsehen und produzierte im Fixumsvertrag Hintergrundgeschichten aus der amerikanischen Eishockeywelt für «20 Minuten Online». Unzählige Male flog er nach Nordamerika und wieder zurück – vor allem nach New York, weil NHL-Schweizer wie Mark Streit, Luca Sbisa, Martin Gerber und Jonas Hiller regelmässig mit oder gegen einen der drei Clubs im Grossraum New York spielten.

Es war eine rationale und nicht emotionale Entscheidung, definitiv nach New York auszuwandern», sagt Federer. Es machte strategisch Sinn. 2010 packte er seine Koffer und lebt seither in Brooklyn, nimmt die Fähre nach Manhattan und nennt die Stadt seine. In dieser Stadt, so weit vom heimischen Rapperswil, fand er wieder nach Hause – «nach Hause in die Gastronomie». Federer baute eine Kochschule auf, wo er zwei Mal wöchentlich unterrichtet, schreibt an einem Kochbuch und feilt an einem Restaurantkonzept.

Am 11. Juni 2012 sass Jürg Federer im Staples Center in Downtown Los Angeles und sah zu wie die L.A. Kings die New Jersey Devils besiegten und zum ersten Mal in ihrer Clubgeschichte die Meisterschaft gewannen. Der Schweizer Journalist wusste damals bereits, dass er die Fronten wechseln würde. Über die letzten acht Jahre wurden einige seiner Protagonisten gute Freunde und es lockte ihn sowieso wieder in die Küche. Den Journalismus verliess Federer bewusst und ohne Groll.

Nur: «Ich stehe an einem Point of no return – es gibt kein Zurück», sagt der 39-jährige Patchworker. Sein Lebenslauf ist derart unkonventionell, kein Unternehmen wird ihn anstellen. Denn, was ist er genau? New Yorker. Und das heisst multidisziplinär und selbstständig. «New York ist die beste Ausbildung, die ich je geniessen durfte», sagt er grinsend. Er bestellt die Rechnung, schwingt seine Tasche über die Schulter und verschwindet in den Strassen New Yorks.

Leserbeiträge

Karl Odermatt 29. Oktober 2012, 15:19

Hut ab, daran kann man sich ein Beispiel nehmen. Danke für einen schönen Bericht.

mark 07. November 2012, 13:29

Schade, wird die Zeit ausgeblendet, in der er ein eigenes Hockeymagazin zu erschaffen versuchte, Abos verkaufte und das Magazin nach einigen Ausgaben einstellte. Das Geld fürs Abo sahen viele nie wieder.

Karl Kern 22. November 2012, 12:01

An Mark:
Ich erinnere mich an diesen Fall, war selber Abonnent. Ihre Darstellung stimmt nicht, nach dem Verkauf der Verlagsrechte wurden alle Abonnenten restlos befriedigt.

Sebastian 16. Dezember 2013, 16:23

Einige Protagonisten wurden Freunde….hmmmm….eventuell vorallem einer von ihnen? Und vielleicht lebt der nicht sooo weit weg von NY? Ich denke, an dieser Geschichte fehlt ein entscheidender Teil.