von Mathias Menzl

Über die Paywall hinaus

Viele Medienunternehmen reagieren heute ähnlich fantasielos auf den Medienwandel, wie einst die Musikindustrie. Sie versuchen, ihre alten Strukturen in die digitale Welt zu retten und gleichzeitig neue Geschäftsmodelle zu behindern; Abonnemente und Anzeigen sollen es auch in Zukunft richten. Nur: Weshalb sollte im Netz funktionieren, was auf Papier gerade grossflächig erodiert?

Elf Alternativen und Ergänzungen zum vermeintlich Altbewährten:

  1. Bezahlen mit einem Klick
  2. Der Journalist als Marke
  3. Sponsoren finanzieren Journalismus
  4. Treue Kunden als Community
  5. Spielend Anreize schaffen
  6. Erst der Mehrwert kostet
  7. Dialog anstatt Monolog
  8. Das Live-Erlebnis begleiten
  9. Von Online-Shops lernen
  10. Journalismus wie Software entwickeln
  11. Experimentieren und nicht endlos planen

Bezahlen mit einem Klick

Jede Zeitung, jedes Magazin braucht ein Bezahl-System, das so einfach ist wie PayPal funktioniert. Mit einem Klick könnten spezifische Inhalte und Leistungen bezogen und geteilt werden. Ein solches Modell existiert mit Flattr bereits. Wieso die Verlage noch nicht auf die Idee gekommen sind, selber ein Flattr-Modell anzubieten, das ihren Bedürfnissen entspricht, ist schleierhaft. Die Implementierung ist simpel. Das Hinzufügen eines Bezahl-Buttons zu bestimmten Inhalten ein Klacks. Woran es liegen könnte: Es bedeutete die Dekonstruktion des bisherigen Geschäftsmodells, das darauf beruht, ein Bündel von Inhalten als Abonnement zu verkaufen. Das Ein-Klick-Bezahlmodell wäre eine logische Reaktion auf das sich ändernde Leseverhalten in der digitalen Welt. Das Publikum löst sich von der Medienmarke und sucht sich einzelne Produkte und Autoren (siehe dazu auch unten «Der Journalist als Marke»).
Wichtige Bedingung für ein erfolgreiches One-Click-Modell: Die Bedienungen müssen einfach sein für den Konsumenten, aber auch für die Journalisten und Blattmacher. Denn diese müssen bereits im Entstehungsprozess der Artikel definieren können, welche Inhalte oder Mehrwerte zu einem Inhalt – zum Beispiel die Kommentarfunktion, ein Voting, eine Bildergalerie – kostenpflichtig angeboten werden und wie viel sie kosten könnten. Da kann der Verlag auch Rahmenbedingungen definieren, innerhalb derer sich die Journalisten und Produzenten bewegen können. Das alles bedingt aber auch, dass die Journalisten stärker wie Produktemanager denken müssen, die ihre Beiträge nicht nur herstellen, sondern auch vermarkten.

Der Journalist als Marke

Die Journalisten sind ein wichtiger, ja der wichtigste Aktivposten von Medienunternehmen. Viele Journalisten befinden sich schon auf dem Weg dazu, sich selber zu vermarkten. Die Verlage würden gut daran tun, dieses Potenzial stärker zu nutzen. Aus Eigeninteresse. Schüchterne Versuche mit der Bewerbung der Twitter- oder Linkedin-Accounts von Journalisten, die im Umfeld der Artikel erscheinen, sind erste Schritte dazu. Allerdings weisen diese Links auf eine externe Plattform, auf der die Verlage selber gar kein Geld verdienen können. Der konsequente Weiterzug dieser Idee würde bedeuten:

  • Leser sollten nicht bloss eine Zeitung oder ein Magazin abonnieren können, sondern auch einzelne Journalisten und ihre Beiträge. Ein Modell, das die holländische News-App DNP ausprobiert.
  • Eine andere Möglichkeit dieser Idee: Der Verlag könnte Artikel einzelner Journalisten nur noch gegen einen Aufpreis lesbar machen. Auf der Webseite sieht man lediglich geschickt gesetzte Teaser, zum Beispiel Zitate, Kernaussagen oder dergleichen. Möchte man aber den ganzen Artikel lesen, kostet das.
  • Wenn ich Mark Zuckerberg eine Nachricht schreiben möchte auf Facebook, muss ich dafür 100 US Dollar zahlen. Der Zugang zu Mark Zuckerberg, respektive die Möglichkeit direkt mit ihm zu kommunizieren, lässt sich Facebook also etwas kosten. Ein bekannter Journalist ist im Grunde nichts anderes als ein Mark Zuckerberg, eine öffentliche Person, die interessiert. Das sollte von den Verlagen monetarisiert werden. Die Bedingung dafür: Die Journalisten müssen ihr digitales Portfolio aufbauen, ihr Profil teilen wollen, müssen Experten sein wollen. Der Rest ist Vermarktung.

Sponsoren finanzieren Journalismus

Buzzfeed, quasi die Huffington Post für junge, internetaffine Mediennutzer, macht es schon länger vor. Twitter und Facebook auch: Sponsored Stories erzielen mehr Aufmerksamkeit als nicht versponserte Artikel. Sponsored Stories können sehr intelligent gemacht werden. Interessant sind witzige und sinnvolle Sponsored Stories wie dieses Beispiel oder aber das Beispiel über die 19 grössten SMS-Pannen, gesponsert von Virgin Mobile. Hiesige Medien drucken lieber Publireportagen, die niemand lies, anstatt Sponsoren für einzelne Artikel zu suchen.
Neue Formen von Storytelling, sei es Video/Bild-Mashup, Memes, GIFs aber auch aufwändige Reportagen wie «Snow Fall» von der New York Times oder die Fukushima-Reportage der NZZ, bieten sich als Umfeld für neue Finanzierungsformen an. Aber auch herkömmliche «Bild-Stories» lassen sich auf einfach Art und Weise monetarisieren: Wie viele Leute würden auf einen Bezahl-Button klicken, um die Galerie zum «Blick»-Seite-1-Girl durchzuklicken? Eben. Auch im Bewegbtbild-Bereich sind Sponsored Stories attraktiv, da Bewegtbild tendenziell höheres virales Potential hat als Textinhalte.
Ein weiteres Problem neuartige, versponserte Inhalte zu ermöglichen, ist das fehlende Vermarktungspotential. Solche neuartigen Platzierungen existieren aber noch nicht in den Excel-Tabellen der Vermarkter und Mediaplaner. Abseits von den gängigen Anzeigenformaten ist immer noch viel Unverständnis da und Aufklärungsarbeit nötig. Sponsored Content muss nicht nur inhaltlich erarbeitet werden, sondern benötigt zurzeit auch noch einen Sondereffort bei der Vermarktung. Da ist die Innovationsbereitschaft der Mediaagenturen gefragt.
Hauptargument gegen Sponsored Stories ist die Preisgabe der redaktionellen Unabhängigkeit. Auch Buzzfeed, die zu den Vorreitern dieser Sponsored Stories zählen, haben dieses Problem erkannt und darum eigene redaktionelle Kriterien. Dazu zählen vor allem Authentizität und Transparenz. Sponsored Stories müssen klar gekennzeichnet sein und in einem Disclaimer sollte wenn möglich auch darauf hingewiesen werden, welche Rolle der Sponsor bei der Herstellung gespielt hat. Die Hauptfrage, die sich Buzzfeed und das 12-köpfige Team, das sich täglich um Sponsored Stories kümmert, stellen: Würde ich diesen Inhalt auch veröffentlichen, wenn er nicht gesponsert wäre?

Treue Kunden als Community

Am Aufbau von eigenen Communities führt kein Weg mehr vorbei. Medienunternehmen müssen ihre Kundschaft an ihre Marke binden und sie zum Engagement ermuntern. Dafür muss man dem User aber auf Augenhöhe begegnen. Letztlich ist der Entscheid für eine eigene Community verbunden mit dem Entscheid, sein Publikum endlich ernst zu nehmen. Nicht mehr und nicht weniger. Der Aufwand dafür ist bescheiden, wenn man als Gegenleistung Kundenbindung und ein erhöhtes Engagement erhält. Man sollte sich aber darüber im Klaren sein, dass man die Community bei Laune halten muss. (Siehe unten: «Spielend Anreize schaffen».)
Für eine eigene Community spricht auch, dass ein Medienunternehmen damit wertvolle Daten gewinnen kann, die sowohl für die redaktionelle Arbeit als auch für den Verkauf interessant sind. Und der einzige Weg, Daten über User zu sammeln, ist der Aufbau einer eigenen Community mit sinnvollen und attraktiven Anreizen für das Publikum. Eine Community ohne Mehrwert und ohne Anreiz, korrekte und vollständige Daten anzugeben aufzubauen, bringt nichts. Denn «bad data» nützt niemandem etwas.

Spielend Anreize schaffen

Der Mensch will spielen. Auch im Medienumfeld können Gamification-Elemente die Interaktionsraten und die Bindung erhöhen. Ein Beispiel: Wer einen Kommentar unter einen Artikel schreibt, erhält zehn Punkte. Die Punkte wiederum kann man beispielsweise einlösen gegen Veranstaltungstickets. Wie könnte das konkret aussehen? Wer den am besten bewerteten Kommentar schreibt, kriegt fürs nächste Fussballspiel zwei Gratis-Tickets. Wer dazu noch votet, ob der Trainer in der ersten Jahreshälfte oder der zweiten Jahreshälfte gefeuert wird, nimmt an der Saisonkartenverlosung teil.
Das Ganze geht auch bei der Berichterstattung über Politik und Wirtschaft. Beispiel: Wer einen Kommentar schreibt oder den Artikel weiterverbreitet zum neuen Steuergesetz, nimmt automatisch am «Bundessteuer-Game» teil. Wer das Spiel gewinnt, also am meisten Artikel zu Steuer-Themen gelesen, geliket oder gesharet hat, dem werden die Bundessteuern vom Verlag bezahlt. So entsteht ein Spiel, aus dem der Verlag zahlende User schöpfen und bei Laune halten kann. Die Idee hierbei ist klar: Inhalte anbieten, Teilnahme ermöglichen, Anreize schaffen zum Bezahlen mit Aussicht auf eine Belohnung. Das wird von den Nutzern geschätzt und auch mit Aufmerksamkeit und Viralität belohnt. Und letzten Endes schafft es Aufmerksamkeit. Und Aufmerksamkeit ist die wichtigste Währung.

Erst der Mehrwert kostet

Es ist keine gewagte Prognose: Die Paywall wird nicht für jedes Medium funktionieren. Eine Paywall ist grundsätzlich eine psychologische Fehlkonstruktion. Sie bittet die treusten Kunden zur Kasse und vermittelt den Gelegenheitsnutzern den Eindruck der Bestrafung. Das Freemium-Modell macht es gerade umgekehrt: Es bietet eine Basisnutzung kostenlos an, oft durch Werbung finanziert, und verlangt Geld für Zusatznutzen oder redaktionelle Sonderleistungen. Nicht der Zugang an sich oder die Häufigkeit der Nutzung ist relevant, sondern der Feature-Umfang. Es ist ein Anreizmodell. Die metered Paywall, wie sie etwa die NZZ eingeführt hat, geht konzeptionell in eine ähnliche Richtung, allerdings basiert der Zusatznutzen lediglich auf einer schrankenlosen Nutzung des Basismodelles und nicht auf Zusatz-Features. Dabei wäre das Freemium-Modell basierend auf zusätzlichen Features simpel auf die Verlagswelt übertragbar. In der Schweiz will Ringier mit dem «Blick» in diese Richtung gehen und höherwertige Inhalte kostenpflichtig anbieten.

Fünf Modelle für die konkrete Ausgestaltung des Freemium-Modells:

  1. Branded Journalists: Zugang zu gewissen Journalisten kostenpflichtig machen (One-Click-Payment). Die Basis-Informationen bleiben gratis. Wer Kommentare von profilierten Journalisten lesen will oder auf deren Blogs interagieren möchte, der bezahlt.
  2. Analog zu Musik-Streaming-Diensten wie Spotify könnte gegen Bezahlung die Inhalte werbefrei angeboten werden.
  3. Kommentieren kostet: Wer an Diskussionen teilnehmen und Artikel kommentieren möchte, muss bezahlen. Dies sollte auf Story-Ebene definierte werden können. Inzwischen ist ziemlich gut absehbar, zu welchen Themen, die User diskutieren möchten und zu welchen nicht.
  4. Video-Content ist Premium-Content: Videos sind teuer in der Produktion – sofern sie gut gemacht sind. News-Seiten sollten Text-Nachrichten als Basisdienst gratis anbieten, für Bewegtbild dagegen Geld verlangen. Das ginge heute jedoch noch nicht, da der Inhalt meist mediokrer Natur ist. Für 30-Sekunden-Kamera-draufhalten bezahlt niemand. Die Bedingung wäre darum, hochwertige Videos zu produzieren, der sich auch monetarisieren lässt. «Die Tschutter», eine Mini-Serie von «20 Minuten online», war ein erster Schritt in diese Richtung. Dabei war die Produktion nicht einmal teuer – aber authentisch. Und ich bin mir sicher: Im Falle einer zweiten Staffel würden die User dafür bezahlen.
  5. Premium-Journalismus: Der Zugriff auf Premium-Artikel ist kostenpflichtig. Frei zugänglich sind nur Ausschnitte, ähnlich wie bei Google Books. Welche Teile gratis zu lesen sind und welche nicht, müssen Fachleute entscheiden, die einen Text-Beitrag dahingehend beurteilen können, welcher Umfang gratis angeboten werden und mit welchen man den User dazu bringen könnte, den Text auch zu kaufen. Hierbei kann sich das Verlagsgeschäft ein Beispiel nehmen an der Game-Industrie, die es perfekt versteht, im Sinne des Premium-Modells, die User anzufixen und sie somit dazu zu bringen, das Spiel in seiner Vollversion zu kaufen. Und es braucht Journalisten, die daran denken, wie ihr Produkt unter den Bedingungen von freemium funktioniert. Journalisten müssen wie Produkt Manager denken können. Das machen sie im Grunde schon: Sie schreiben eine Story so, dass sie gelesen werden möchte. Dann sollten sie auch wissen, welcher Teil ihrer Story Geld einbringen könnte. Denn letzten Endes müssen nicht die Verleger den Journalismus retten (wenn er denn gerettet werden will), sondern die Journalisten sich selber.

Dialog anstatt Monolog

Die Medien als Ein-Weg-Kommunikationssystem haben ausgedient. Das zeigt die Bedeutung von sozialen Netzwerken, die sich selbst ja auch als Medienunternehmen verstehen. Wer nicht in den Dialog mit seinen Kunden treten will, der wird bald niemandem mehr etwas zu sagen haben – respektive den letzten Leser an Facebook verlieren. Die Integration des Feedback-Kanals in den eigenen Produktlebenszyklus ist notwendig und etwas, das die Kunden schätzen und für das sie auch zu zahlen bereit sein könnten. Solange aber User-Beiträge als «kleine, selbstreferentielle Geschwüre» wahrgenommen werden, sind die Voraussetzungen für ein solches Modell natürlich nicht gegeben.

Die Möglichkeiten für Zweiweg-Kommunikationssystem sind vielfältig:

  • Der Leser kann über Video-Chat an der Redaktionssitzung teilnehmen (es kann eine separate für die Öffentlichkeit bestimmte Sitzung sein, damit heikle Diskussionen nicht nach aussen treten). Die Teilnahme dazu könnte kostenpflichtig gemacht werden. Anregungen des Publikums, welche die Redaktion aufnimmt, werden als solche gekennzeichnet. Ausserdem erhalten die User noch eine Gutschrift auf ihr Konto, mit dem sie dann wiederum weitere kostenpflichtige Artikel kaufen können.
  • Die Teilnahme an Diskussionen in Blogs sollte kostenpflichtig werden. Der Grund ist einfach: Inhalte, die mehr als 300 Kommentare erzielen, haben offenbar einen gewissen Wert.
  • Warum die User nicht mit einem Kommentar oder einem Tweet eine Story bezahlen lassen? Modelle dafür existieren. Twittere ein kontroverses Interview mit Christoph Blocher. Das bringt nicht nur Einnahmen, sondern der Tweet generiert auch Viralität.
  • Jeder Kommentarspalte ist auch ein Chat und umgekehrt. Wer als Journalist die Kommentare zu seinem Artikel nicht verfolgt und reagieren möchte, der kriegt entweder zu wenig Zeit dafür von seinen Chefs oder ist nicht am richtigen Ort (wahrscheinlich mehrheitlich das Erste). Wenn man allerdings den Wert dieser Kommunikation monetarisieren würde, dann würde einem der Chef auch Kapazitäten dafür geben.

Das Live-Erlebnis begleiten

Warum tickern Journalisten zu Live-Events, die gleichzeitig im TV oder als Live-Stream gezeigt werden? Warum tritt man stattdessen nicht in den Dialog mit den Usern. Jeder Live-Ticker sollte eigentlich ein Live-Chat sein. So könnten die User mit Journalisten direkt chatten, so könnten angeregte Diskussionen entstehen, gerade bei emotionelen Themen wie dem Sport. Die Voraussetzung dafür aber: Die Journalisten müssten vom Monolog zum Dialog wechseln. Das ist ein Kulturwandel. Die Live-Berichterstattung von Veranstaltungen und Events haben die meisten Medien bereits gut raus. Sie verwenden dafür bestehende Web-TV-Technologie (via Zattoo zum Beispiel) und ergänzen den Live-Stream noch mit Text. Doch daneben gibt es viel ungenutztes Potential bei der Begleitung dieser Events mit Second Screens und der Verknüpfung mit Feedback-Kanälen. Aber auch  bei der Kommerzielisierung bieten sich Möglichkeiten:

  • Tickets verlosen und an die Interaktion knüpfen (Stichwort Gamification).
  • Zugang zu Live-Events und Promis gewährleisten.
  • Jeder Kommentar zu einem Live-Event kostet etwas (wie es geht, zeigt American Express), dafür ist man Teil des Events. Dazu müssen die Tweets aber auch narrativ in den Event integriert werden. Das wäre alles möglich und ist in den USA bereits Standard.
  • Teilnahme an sponsored Votings zu einem Live-Event: Die Marketing-Abteilung handelt ja die Live-Berichterstattung aus, womöglich ist das Unternehmen Medienpartner, warum nicht gleich einen sinnvollen Preis an die Medienpartnerschaft knüpfen, mittels dessen man die User zur Registrierung bringt und zur Teilnahme an einem Voting? Die Sponsoren kriegen die Leads, das Medium einen netten Wettbewerbspreis.

Von Online-Shops lernen

Durch Event-Tracking und der Analyse von User-Profilen können Medienmarken in Zukunft ihren Kunden bessere Angebote machen. Besser heisst in hier: Personalisierte Angebote, Stories, die sie interessieren über den Kanal, den sie nutzen. Schon heute könnte die Frontpage von 20min.ch so aussehen wie der persönliche Facebook-Newsfeed, wenn die News-Stories mit den im Netz dokumentierten Interessen und Vorlieben des Nutzers abgeglichen würden. Klar ginge das nicht auf der ganzen Seite, denn redaktionelle Gewichtung sollte nach wie vor im Vordergrund stehen. Aber gewisse Seitenbereiche könnten personalisiert angeboten werden. Es wäre ein Zusatznutzen, der auch kostenpflichtig angeboten werden könnte: «Schaue jetzt, welche News deine Freunde interessieren». Weiter könnten auch die News anderer Medien miteinbezogen werden können: «Die Lieblings-Sendungen deiner Freunde». Dank offener Programmierschnittstellen lassen sich nahezu beliebige Webinhalte kombinieren und miteinander verknüpfen. Vieles liegt bereits da. Es müsste nur geschickt genutzt werden. Online-Shops wie Frontlineshop.de oder Zalando machen das schon lange. Wieso soll es für journalistische Produkte nicht auch funktionieren? Und: Wieso machen Verlage keine Werbung für ihre Inhalte auf fremden Plattformen? Wer beispielsweise mehr als fünf Artikel aus dem Mamablog gelesen hat, interessiert sich mit grosser Wahrscheinlichkeit für Familienthemen. Wieso diese Leser nicht von anderen Plattformen her, die von Familien bevorzugt werden, auf den Mamablog lotsen?

Journalismus wie Software entwickeln

Ein Blick über den Branchenrand bringt bisweilen erhellende Erkenntnisse. So könnten die Medien von der Software-Enwtwicklung lernen. GitHub ist eine Versionierungsverwaltungs-Plattform für Software-Projekte. Gegliedert ist sie in Repositories und Forks. Repositories sind Verzeichnisse, Forks sind Abspaltungen von Projekten. Was Medien von GitHub lernen könnten, ist die Idee der Versionierung. Der Herstellungs-Prozess eines Artikels oder einer Reportage ist mehrheitlich das Geheimnis des Journalisten. Wieso eigentlich? Warum macht man den Herstellungsprozess, die Recherchegespräche, die Sekundärquellen, die Literatur  nicht transparent und bietet den Artikel in verschiedenen Versionen an? Die Basis-Version ist gratis. Die Zusatzinformationen zum Herstellungsprozess kosten. Der Journalist bestimmt, wie viel das bei seinem Artikel Wert hat. Ausserdem könnte man die Idee noch ausdehnen und eine Art öffentlicher Recherchedesk anbieten – über das ganze Produkt hinweg. Journalisten stellen ein Recherche-Repository ein, die User können Forks erstellen, die anderen Journalisten zugespielt werden. Danach können die interessanten Forks (Recherchehinweise) als Added-Value angeboten werden (natürlich gegen Bezahlung). Alles Inhalte, die man also auch monetarisieren könnte. Inhalte, die zurzeit gar nicht zugänglich sind, aber eigentlich höchst interessant sind und quasi zum Produkt dazugehören. Es wird Zeit, diese versteckten Juwelen zu bergen und anzubieten.

Experimentieren und nicht endlos planen

Zeitungverlage sind historisch gesehen Druckereibetriebe, also im Grund genommen ein Technologie-Unternehmen. Sie müssen sich aber zu Technologie-Unternehmen des 21. Jahrhunderts entwickeln, Unternehmen, die digital denken. Da müssen alle Mitarbeiter mitziehen, nicht bloss jene, die in technischen Positionen arbeiten. Wie strukturell verkrustet Verlage und der Journalismus wirklich sind, hat sich erst in den letzten zehn Jahren gezeigt. Mit der Digitalisierung haben sie plötzliche eine Vielzahl von Konkurrenten bekommen, die aus anderen Branchen kommen, bei denen der Wandel eine Konstante ist. Namentlich handelt es sich dabei um Programmierer, Entwickler, Designer. Die sind von Haus aus agiler als Medienmanager und Journalisten. Dort herrscht eine Kultur des Trial and Error. Was wirklich funktioniert, weiss niemand so genau im Voraus. Darum: Ausprobieren und nicht endlos planen. Damit tun sich die Verlage schwer. Es muss gelten: «Release early, release often».

Leserbeiträge

Ernsts Huwyler 22. März 2013, 14:55

Bezahlschranken sollen für Leser aus dem Internet gelten, die nicht Abonnent der Printausgabe sind. Für Abonnenten der Printausgabe sollte es aber keine Bezahlschranke geben, weil die Internetausgabe ja nur eine Ergänzung zur morgendlichen Printausgabe ist.

Jeeves 25. März 2013, 10:47

Es waren ja genau diese Medien, die der Musikindustrie (bar jeder Kenntnis um deren Strukturen: man verwechselte z.B. regelmäßig die Begriffe) vor ein paar Jahren das vorwarfen, was ihnen nun selbst passiert. Ich seh’s mit Schadenfreude, weil ich mit Musik mein Geld verdiene.

Birgit Meister 25. März 2013, 10:49

Für Kommentare bezahlen, für bekannte Köpfe auch und für qualitativ gute Inhalte nochmal? Und alles unabhängig voneinander?
Das macht ja alles durchaus Sinn, ist finde ich in der Summe aber ein bisschen dick aufgetragen. Will das dann noch jemand lesen?
Mal abgesehen davon, dass es aus mehreren Gründen vielleicht nicht besonders gut ist, Interaktion, die man fördern will, kostenpflichtig zu machen.

Mathias Menzl 25. März 2013, 15:12

Dazu gibt es zwei mögliche Strategien: Mit einer Micro-Payment-Strategie wäre es doch durchaus vorstellbar die Kommentarfunktion nur bei brisanten Inhalten kostenpflichtig zu machen. Da kommentieren die User ja sowieso, weil sie dazu angetrieben werden von sich aus. Die Kommentarfunktion wahllos über alle Inhalte kostenpflichtig zu machen wäre bei einer Micro-Payment-Strategie wohl eher nicht sinnvoll. Möchte man bestimmte Interaktionen fördern, brauchts ein Anreizsystem. Da kann durchaus auch irgendwo auch eine „Bezahlschranke“ eingebaut sein in einem solchen System, an einem besitmmten Punkt. Da wäre man dann wieder beim Freemium-Ansatz.

Es geht nicht darum alles wahllos zu mischen und en bloc einzubauen. Die richtige Strategie brauchts und den richtigen Cocktail von Anreize schaffen und die User an den richtigen Stellen dazu zu bringen auch etwas zu zahlen. Sei dies Geld, oder seien dies Daten oder Aufmerksamkeit.

irgendeiner 25. März 2013, 21:38

Wenn dem Verlag über eine Anmeldung oder Zahlung meine Identität bekannt wird, kann (und wird) er ein Interesseprofil erstellen.

Das ist ein entscheidender Unterschied zum gedruckten Abo, wo die Interessen nicht offengelegt werden mussten!

Solange dieses Problem nicht gelöst ist werden imho viele weder anmelden noch bezahlen.

Mathias Menzl 25. März 2013, 23:16

Und wieso hat Facebook über 1 Miliarde Mitglieder (in der Schweiz haben 35% einen Facebook Account) mit einem Profil und Menschen, die kein Abo aber ein Profil haben und damit täglich ihre Interessen Preis geben und News teilen? Und Werbekunden, die täglich Millionen von Werbegeldern einbuchen. Na, klingelt da was? Klingt wie ein Medium.

irgendeiner 27. März 2013, 15:18

Kein Zweifel dass viele noch nicht auf die Vertraulichkeit ihrer Daten achten. In meinem Text war kein Zeichen welches zu Ihrer Frage „klingelt was“ berechtigte.

Konstruktiv wäre eine Antwort gewesen, welche darlegt wie auch die berechtigten Interessen von registrierten Benutzern zuverlässig gewährleistet werden!!!

Mathias Menzl 27. März 2013, 15:24

Jedes Angebot, das Daten von Usern aggregiert, hat Datenschutzbestimmungen. Die muss jeder User akzeptieren, sofern es sich um ein seriöses Angebot handelt. Wenn der User ein Problem damit hat, dann sollte er sich nicht registrieren. Wenn wir aber davon ausgehen, dass Schweizer Verlage ein solches Profil anbieten für ihre Leser, dann werden die Bestimmungen mit der Schweizerischen Rechtssprechung konform sein. Und dementsprechend werden ihre Daten Dritten ohne ihrer Zustimmung auch nicht weitergegeben. Darum sehe ich bei diesem Punkt keinerlei Probleme.

irgendeiner 30. März 2013, 11:05

Die Rechtslage ist allgemein bekannt und mein Argument betraf ja eben gerade den Punkt, dass sich der Konsument damit abfinden oder auf eine Registrierung verzichten muss.

Offenbar wollen Sie sich erst dann ernsthaft mit Alternativen dazu befassen, wenn genügend Viele verzichtet haben 😉

Hans Manser 25. März 2013, 23:45

Was mir am NZZ E-Paper noch mehr aufstösst als sein altbackenes Geschäftsmodell ist die inadäquate Umsetzung. Einen Scan der Papierzeitung als PDF-Datei zu verkaufen zeugt von enormer Rückständigkeit, und zwar von der Konzernspitze bis herunter zu all jenen welche ihr Mitwirken an diese Umsetzung verschwendet haben.
Liebe NZZ, eine elektronische Zeitung soll doch bitte die Vorteile (Links, Semantik, Links zu Themenbezogenen Artikeln aus dem Archiv, ein Medienoptimiertes Layout mit Interface) welche das neue Medium bietet nutzen. Anstatt dessen muss man mit dieser, entschuldigen Sie die Ausdrucksweise, lausigen Umsetzung die Nachteile der alten Welt mit jenen der elektronischen verheiraten.

Dabei hat das selbe Medienhaus eine, meiner Meinung nach, ausserordentlich gelungene Website abgesondert. Diejenigen die Fähig gewesen wären das E-Paper zeitgemäss und intelligent um zu setzen wären also eigentlich greifbar gewesen.

Schade!

irgendeiner 27. März 2013, 15:21

Aber auch das Webangebot der NZZ lässt öfters zu Wünschen übrig. Z.B. indem keine HTML-Druckversion eines einzelnen Artikels zur Verfügung steht. Und die Bestimmung, dass die Abspeicherung zum privaten Gebrauch verboten sein soll ist echt lachhaft.

Beat Schwab 27. März 2013, 11:32

Ich ziehe ein Abo für ein e-paper vor, welches mir z.B. 50, 100 oder 200 frei gewählte Artikel pro Monat gratis zu lesen erlaubt. Wenn ich mehr als die im kostenpflichtigen Abo vorgesehenen Artikel lese, kostet jeder Artikel zusätzlich, ähnlich wie ein Handy-Abo.

Loreen H. 29. März 2013, 14:36

Das schnelle Bezahlen ist sicher eine Sache, aber generell geht der Trend ja in Richtung bargeldlose Gesellschaft mit all den uns zur Verfügung stehenden Mitteln. Man kann online eben besser Preise vergleichen, sieht Neuheiten und hat mehr Angebot als offline. Dazu sollten aber gute und attraktive Möglichkeiten kommen, die auch sicher sind, ich mag eher die prepaid Variante, hab mit meiner yuna immer gute akzeptanz gehabt. Letztlich muss nicht alles rund um ein Konto verknüpft sein. Es sollte Varioationen geben, die aber auch Sicherheit anbieten.

Leo 02. November 2013, 08:50

Wieviele Leser sind nur noch 20minten und Blick Leser, also sehr einfach gestrickte Muster!
Die dürften grossmehrheitlich nur mit ganz ausserordentlich interessanten Artikeln und nur bei allereinfachster technischer Nutzun zu zahlen bereit sein.
Die Zeitungen/Zeitschriften müssen aufoassen, diese nicht fast vollständig an andere Kanäle, Social Plattformen und dergleichen zu verlieren.