von Nick Lüthi

Online-Werbung ist kaputt

Wenn deutsche Zeitungsverlage ihre Leser ermahnen, im Netz doch bitte die Werbung anzuschauen und nicht auszublenden, kämpfen sie weitgehend gegen Windmühlen. Denn der Adblocker sitzt auch im Kopf. Wer die Werbung nicht technisch ausblendet, ignoriert sie einfach. Wenn sich die Geschichte im Mobile-Bereich nicht wiederholen soll, müssen sich die Medienunternehmen etwas einfallen lassen. Doch es gibt Hoffnung.

Die Erkenntnis ist fast so alt wie das Web selber. Bereits 1998 stellten die Forscher Benway und Lane fest, dass selbst die auffälligsten bunt blinkenden Werbeeinblendungen auf Webseiten kaum wahrgenommen werden. Das hat sich bis heute nicht geändert. Der durchschnittliche Banner, sagen Usability-Experten, werde von vielen Leuten nur noch als lückenfüllende Farbfläche wahrgenommen und mental ausgeblendet. Hinweise auf diese Ignoranz liefern auch Umfragen wie jene, die jüngst herausgefunden haben will, dass sich ein Grossteil der Netznutzer nicht mehr an den Inhalt der zuletzt gesehen Werbeeinblendung zu erinnern vermag. Auch wenn man entgegnen mag, dass das bei Aussenwerbung oder Zeitungsinseraten nicht anders sei, ändert dies an der schwachen Beachtung der Online-Werbung auch nicht besser.

Wer sich trotzdem gestört fühlt, weil der angeborene Filtermechanismus versagt oder die Werbung so aufdringlich ist, dass es kein Entkommen gibt, kann technisch für Abhilfe sorgen. Das wird auch massenhaft getan. Werbeausblender gehören zu den beliebtesten Browser-Erweiterungen. Allein das populäre Adblock Plus bringt es auf über 100 Millionen Installationen weltweit, 10 Millionen davon allein in Deutschland.

Bannerblindheit und die beliebten Adblocker zeichnen ein eher betrübliches Bild der Befindlichkeit von Online-Werbung; zumindest derjenigen Formen, auf die klassische Medienunternehmen bisher gesetzt haben. Vor diesem Hintergrund ist der Aufruf deutscher Verlage an ihre Leserschaft zu verstehen, sich doch bitte die Werbung anzuschauen und nicht wegzufiltern. Bei rund einem Viertel aller Seitenaufrufe würde die Auslieferung der Werbung verhindert. Nun wolle man die Leser dafür sensibilisieren, auf die Blocker-Software zu verzichten und so «eine Basis dafür zu schaffen, auch zukünftig möglichst umfassende Nachrichtenangebote im Internet anbieten zu können.»

Der moralische Appell von Spiegel, Zeit, FAZ und SZ wird in den Weiten des Web verhallen und die Quote derjenigen im Promillebereich versanden, die ihren Adblocker mit einem schlechten Gewissen deinstallieren. Im Gegenteil: Wie Adblock Plus, der populärste Blocker heute bekanntgab, haben die Downloads der Sperrsoftware seit Montag deutlich zugenommen, ebenso verzeichnete der Filteranbieter einen erhöhten Spendeneingang. Damit ist klar: Dieser Schuss ging nach hinten los.

Der millionenfache Einsatz von Adblockern zeigt zudem, auf welch tönernen Füssen der Deal steht, auf den sich Verlage bisher meinten abstützen zu können: Kostenlose Inhalte gegen Werbung entpuppt sich zunehmend als Schimäre. Wobei die Abstimmung mit dem Plug-in nicht missverstanden werden darf. Sie bedeutet nicht, dass Werbung im Netz partout nicht goutiert würde. Nur befindet sich die Toleranzschwelle ziemlich tief. Was nicht weiter erstaunt. Während rundum im Netz an smarten Werbeformaten gefeilt wird, treiben es die Medienanbieter besonders bunt. Das Spektrum nervtötender Werbeformen scheint noch längst nicht ausgeschöpft zu sein. Wobei sich vor allem Grossverlage mit besonderer «Kreativität» hervortun. Einzelne Fachmedien, wie etwas das IT-Magazin golem.de, das sich auch an der Kampagne beteiligen, beschränken sich bei der Wahl der Werbeformate selbst, im Bemühen darum, ihre Leser nicht unnötig zu belästigen.

Besonders heikel wird es bei der immer beliebteren Online-Nutzung mit dem Smartphone. Der kleine Bildschirm lässt sich noch viel leichter mit Werbung vollkleistern. Deshalb stehen auch hier die Adblocker zum Download bereit. Wenn die Medienunternehmen nicht bald schon erneut an die Moral des Publikums appellieren wollen, können sie es sich nicht leisten, die bisherigen Fehler zu wiederholen.

Dass man es besser machen kann, zeigt ein Beispiel aus dem norwegischen Medienkonzern Schibsted; nichts Revolutionäres, aber mit einem kleinen, feinen Unterschied zu bekannten Anzeigeformaten. Nach dem Öffnen der iPhone-App des Svenska Dagbladet präsentiert sich zwar auch der gesamte Smartphone-Bildschirm von Werbung überdeckt (siehe Bild rechts). Aber: Man muss kein Kreuzchen suchen und mit dem Daumen treffen, um die Anzeige wegzuklicken. Stattdessen lässt sich das Werbeelement mit dem Daumen nach oben schieben, mit der gleichen Bewegung, wie man sich sonst durch die App bewegt. Und mehr noch: Die Anzeige lässt sich wie ein Kubus drehen. Das schafft zusätzliche Werbefläche und regt den Spieltrieb an. Der Nutzer entschiedet selbst, wie viel Werbung er sehen möchte.

Wahrlich nichts Weltbewegendes, aber wesentlich nutzerfreundlicher als sonst übliche Mobilwerbung. Mit einer konsequenten Kundenorientierung könnte sich das Schicksal der massenweise geblockten Web-Anzeigen abwenden lassen. Es sind die Medien selbst, die aus dem Anti-Adblock-Appell Lehren ziehen sollten. Sie müssen den ersten Schritt machen.

Leserbeiträge

Thomas Bachmann 29. Mai 2013, 09:56

Online-Werbung funktioniert oder funktioniert nicht.

Grundsätzlich unterliegt Online-Werbung den gleichen Kriterien wie Werbung offline. Ist die geneigte Leserin oder der Leser am Produkt / der Dienstleistung interessiert, werden diese auch wahrgenommen. Wenn nicht, wird die Werbung unbewusst weggefiltert. Wann nimmt man Autowerbung bewusst wahr? Während der Evaluation für ein neues Auto und nach dem Kauf als Bestätigungswerbung.
Die einzige Chance, auch Nicht-Interessierte zu erreichen, geschieht über kreative, überraschende, einzigartige und alleinstellende Botschaften. Dafür werden Agenturen engagiert, die diese Parameter beherrschen.

Die Ad-Blogger-Kampagne der deutschen Verlage empfand ich schon sehr seltsam. Genauso gut könnte bei jedem redaktionellen Text jeweils noch ein Abbinder stehen „Bitte beachte auch die Werbung neben diesem Artikel – diese sichert unser täglich Brot“. Damit machen sich die Verlage lächerlich und zeigen, wie unbeholfen sie online immer noch sind und wie hilflos sie dem Gratiskonsum gegenüber stehen. Klar ist einzig, dass sie auf die Werbung angewiesen sind. Helfen würde nur gut gemachte Werbung – die sieht man sich nämlich auch gerne an.

Johann 02. Juli 2015, 14:49

An dem Werbungs-Desaster ist die Industrie selber Schuld, auf verschiedenen Ebenen (inhaltlich, technisch und, was die Privatsphäre betrifft). Bezeichnend, daß sie Adblock-Benutzer immer mehr verteufelt.

Für große Publisher sollte die Alternative zu Werbung nicht etwa Paywalls, sondern freiwillige Spenden sein. Meine Website media.io hatte ich ein Jahr mit Spenden monetarisiert und Benutzer spenden, wenn man es ihnen leicht macht und die Spendenrate selbst steigert. Basierend auf meiner Erfahrung habe ich daraus ein Produkt gemacht, das man unter http://eaio.com/de/ finden kann.