von Ronnie Grob

Vielfalt statt Frauenquote

Es braucht eine Förderung der vielen nicht in den Redaktionen vertretenen Gruppen. Quoten sind jedoch abzulehnen: Sie führen lediglich dazu, dass nicht in erster Linie die Leistung Grund für eine Beförderung ist. Eine Diversity-Charta könnte eine Lösung sein.

Markus Somm von der Basler Zeitung nennt das Ziel der Chefredaktion des Tages-Anzeigers, bis 2016 einen redaktionellen Frauenanteil von 30 Prozent zu erlangen («Stauffacher-Deklaration»), eine «schmerzfreie Symbolpolitik»:

Wäre es der Chefredaktion ernst, hätte sie ja längst den Tatbeweis erbringen können, indem einer der Kollegen einer Kollegin umgehend den Platz überlassen hätte. Man deklariert hochtrabend eine Quote für die Nachfolger, die einem nicht betrifft.

So reagieren sie leider immer, die Herren auf den Chefsesseln der Schweizer Medienlandschaft, wenn es darum geht, Neues zuzulassen:

Internet? Extrem wichtig und mit Sicherheit die Zukunft! Aber bis zu meiner Pension mache ich lieber weiter mit Gedrucktem.

Frauen? Junge? Alte? Secondos? Ausländer? Randregiönler? Hat es definitiv zu wenig in den Redaktionen, gerade in Führungspositionen! Nach meiner Pension müssen unverzüglich welche angestellt werden.

Nicht-Akademiker? Ja gut, aber können die überhaupt schreiben? Also wir brauchen dann schon gebildete Leute.

Es war auch früher nicht anders. Niklaus Meienberg schrieb in «Wer will unter die Journalisten – eine Berufsberatung 1972»:

Hat der Kandidat nicht «studiert», aber doch schon geschrieben, so wird ihm der abgeschlossene Akademiker vorgezogen, der noch nicht geschrieben hat. Eine normale Redaktion zieht den unbeschriebenen Akademling schon deshalb vor, weil er sich durch eigenes und eigensinniges Schreiben noch keine besondere Persönlichkeit schaffen konnte. Er ist unbeschränkt formbar und verwurstbar. Er hat auf der Uni gelernt, wie man den Mund hält und die Wut hinunterschluckt, wenn man dem Abschluss zustrebt. Er ist besser dressiert als einer, der sofort nach der Matura oder Lehre schreibt.

Unter die Journalisten kommen also in aller Regel Studierte aus Akademikerhaushalten, die sich unterordnen können. Wer lange Arbeitszeiten auf sich nimmt, auch gegen den Quatsch von oben uneingeschränkt loyal ist, Wochenendschichten schiebt und mehr Präsenz zeigt als die Konkurrenz, wird irgendwann zum Chef befördert. Und dort bleibt er dann, so lange er die Minimalanforderungen solide erfüllt, manchmal bis zur Pension. Macht er etwas, das sich konkret in Werbegelder ummünzen lässt, wird er in Ruhe gelassen, was auch immer er publizistisch leistet. Aus diesen Gründen ist der typische Chefredaktor der Schweiz oft ein weisser Mann um die 50 mit akademischer Bildung.

Frauen, in diesen Fragen vielleicht lebensklüger, haben oft kein Interesse an stumpfsinnigen, endlosen Arbeitszeiten, sie wünschen sich ein Leben mit Freizeit und sozialen Kontakten ausserhalb des Journalismus. Viele Menschen lehnen Führungsaufgaben ja deswegen ab, weil sie wissen, dass Lebensqualität nicht mit der Vergabe von Titeln oder der Gehaltsstufe zu tun hat. Sie sind eher interessiert daran, in Ruhe eine Arbeit zu leisten, die Sinn macht und sie erfüllt.

Dabei ist es ja nicht so, als hätte es im Schweizer Journalismus noch keine Frauen gegeben: Laure Wyss, Margrit Sprecher, Michèle Roten, um nur drei zu nennen, haben sich ohne Quote durchgesetzt. Und mal ehrlich: Eine Berufung aufgrund der Quote hat etwas unglaublich Peinliches. Sie ist schon deshalb abzulehnen, weil damit der Verdacht verknüpft ist, sie sei nicht aufgrund von Leistungen erfolgt.

Journalismus ist wie Film oder Tanz ein extrem wettbewerbsintensives Feld. Um irgendwie hineinzukommen, nehmen Journalisten tiefe (oder auch gar keine) Honorare in Kauf, fragwürdige Arbeitsbedingungen und setzen sich sogar (als Anwälte des freien Wortes) einen Maulkorb auf, was die wahren Probleme am Arbeitsplatz angeht. Dass bei dieser angespannten Wettbewerbssituation immer wieder die gleichen Typen auf dem Chefsessel landen, ist schon erstaunlich. Wer an der Macht ist, will keine Konkurrenz, schon gar nicht durch Leute, die seine Sichtweise in Frage stellen. Wie sagte es Patrik Müller 2009: «Bei Ringier habe ich erlebt, dass gewisse Chefs Angst haben, bessere Leute zu engagieren, weil ihnen diese gefährlich werden könnten.»

Die Forderung einer Frauenquote ist ein guter Diskussionsanstoss, doch es geht um mehr. Lesen wir weiter, warum Markus Somm «grundsätzlich gegen Quoten» ist, Vielfalt aber für wichtig hält. Es brauche «eine Art politische Diversity» in der Redaktion, aber auch Journalisten «aus unterschiedlichen Milieus» – nur so könne er möglichst viele seiner Leser ansprechen.

Aber Diversity beschränkt sich nicht bloss aufs Geschlecht. Genauso entscheidend ist eine gute Mischung zwischen alten und jungen Journalisten, Schweizern und Ausländern, Secondos und Einheimischen, Akademikern und Leuten, die dem Teufel vom Karren gefallen sind.

Der Frauenbeauftragten des Tages-Anzeigers, Simone Meier, ist es egal, wenn Männer durch eine Frauenquote benachteiligt werden, schliesslich seien Männer «in den letzten Jahren beim ‹Tagi› massiv bevorteilt worden». So eine Haltung kann man haben, auf eine erspriessliche Zusammenarbeit zwischen den Geschlechtern deuten solche Aussagen aber nicht hin. Besonders schwach von Meier ist es, sich den Fragen von Roger Schawinski nicht stellen zu wollen. Wem es egal ist, das andere Geschlecht zu diskriminieren, damit das eigene zum Zug kommt, sollte schon den Mut aufbringen, diese Argumentation zu verteidigen.

Dass das Anliegen bei der Tages-Anzeiger-Chefredaktion «auf total offene Türen» stösst, überrascht nicht, denn etwas anderes kann sich die politische Korrektheit anmahnende Redaktion gar nicht leisten. Aber man muss nicht reden, man muss handeln. So wie Andrea Bleicher, die nach ihrem Antritt beim «Blick» Frauen gleich scharenweise angestellt hat. Das Geplauder beim Tagi hält sie für verzichtbar:

Als wäre man mit einer Zeitmaschine in die 80er-Jahre zurückgereist, wurde auch eine «Frauenbeauftragte» ernannt.
Die soll sich der Frage annehmen, weshalb es beim «Tages-Anzeiger» so wenige Frauen gibt.
Ganz einfach. Weil man so wenige angestellt hat. Warum gibt es so wenige Ressortleiterinnen? Noch einfacher. Weil man lieber Männer befördert hat.
Nicht schwafeln! Machen! Tuts doch einfach, stellt Frauen an! Dafür braucht es keine «Deklaration».

Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass es sehr viele gute Männer gibt im Journalismus und dass sich oft gar nicht so viele Frauen bewerben. Der Tagi wird derzeit von einem Mann geführt, doch Tamedia hat Chefredaktorinnen: Sandra Jean (Le Matin), Ariane Dayer (Le Matin Dimanche) und Silvia Binggeli (Annabelle). Und auch Ringier setzt Frauen an die Spitze von Redaktionen, zuletzt wurde Christine Maier die Führung des Sonntagsblick anvertraut, und vielleicht ringt man sich auch noch dazu durch, Andrea Bleicher das «ad interim», das sie schon seit über fünf Monaten im Impressum zu führen gezwungen ist, wegzunehmen.

Es sind die Konservativen, die der Vielfalt im Wege stehen. Sie sind es, die Frauen, Secondos, Ausländern, Jungen, Alten, Randregiönlern und Nicht-Akademikern keine Meinungsmacht geben wollen. Weil es ihre eigene Meinungsmacht beschränken würde. Ein Blick in die SMD ist aufschlussreich: Kaum eine Zeitung hat die Diskussion über die Frauenquote in den Redaktionen aufgegriffen.

Leute, die andere Gene und eine andere Sozialisation haben, werden die Sache nicht immer besser machen, aber mit Sicherheit etwas anders. Manchmal reicht es, in einer Diskussionsrunde eine Frau, einen Ausländer oder einen Nicht-Studierten zu haben, um eine Gewissheit der Runde umzustürzen. Solche Leute sind fähig, einem Unternehmen echt neue Inputs zu geben und sie einem Teil der Leserschaft nahe zu bringen. Damit eine Gruppe klug ist, braucht sie Diversität, also unterschiedliche Teile, die sich voneinander unabhängig eine Meinung bilden. Ein gangbarer Weg wäre vielleicht eine Diversity-Charta, die ebenso verbindlich ist wie eine Quotenregelung, aber nicht starre Zahlen vorschreibt, sondern die Verpflichtung zu einer durchmischten Redaktion festhält.

In vielen Redaktionen melden sich immer wieder die gleichen Meinungsführer zu Wort – solange die anderen bei den Konferenzen schweigen und Interviewanfragen ablehnen, ängstlich sind und konfrontationsscheu, wird sich an der bestehenden Lage nichts ändern. Um von der Meinungsmacht ein grösseres Stück zu erhalten, müssen die Minderheiten (Ausländer, Junge, etc.) und Mehrheiten (Frauen) aufstehen, reden, schreiben, senden, bloggen. Nur so kann es zu Vielfalt und einem echten Wettbewerb kommen. Nur so können Kartelle und Monopole zum Einsturz gebracht werden.

Leserbeiträge

Philippe Wampfler 15. Juli 2013, 16:55

Dein Plädoyer für Vielfalt gefällt mir – aber ich sehe drei logische Fehler:
(1.) Wenn Minderheiten etwas tun sollen: Warum nicht auch politisch über die Einführung einer Quote?
(2.) Eine Quote ist unter der Prämisse ein Problem, dass heute Leistung entscheidend für Karrieren ist. Anhang der verschiedenen Benachteiligungen wird aber deutlich, dass das heute nicht so ist. Warum also nicht per Quote dafür sorgen, dass Leistung tatsächlich zum entscheidenden Kriterium wird? (Eine Quote sorgt nicht dafür, dass sich schwächere Kandidatinnen gegen stärkere durchsetzen, sondern dass schwächere Kandidaten nicht mehr stärkeren Kandidatinnen vorgezogen werden.)
(3.) Warum ist es Aufgabe der Minderheiten, etwas an ihrer Diskriminierung zu ändern – schließlich soll ja gute Arbeit geleistet werden… 

Dorian Gray 15. Juli 2013, 17:09

Vielleicht sollte man bei der ganzen Quotendiskussion mal ansprechen, dass der ganze Beziehungsklüngel in der Schweiz sowieso verhindert, dass sich die Besten durchsetzen. Das wäre auch mit Quote nicht anders. Es ist aber zu erwähnen, weil immer wieder – meist von Quotengegnern – ins Feld geführt wird, „dass wir bei Bewerbungen einfach die Besten nehmen“. Jeder Schweizer und jede Schweizerin weiss, wie hohl solche Sätze sind.