von Mark Eisenegger

Qualitätsdebatte: weniger ist weniger

Alles halb so schlimm, behauptet Markus Schär in seiner Kritik an den Befunden des Jahrbuchs «Qualität der Medien». Die Medienwissenschaften würden die wahren publizistischen Leistungen von Forumszeitungen und Blogs verkennen, ja verachten. Für Mark Eisenegger, Co-Autor des Jahrbuchs, zeugt diese Sichtweise von einem verengten und unvollständigen Blick auf die Folgen der Medienkonzentration.

Für Markus Schär ist klar: Medienkonzentration muss nichts Schlechtes sein. Im Gegenteil: Medienkonzentration sei sogar ein Mittel zur Steigerung der publizistischen Vielfalt. Das versucht er am Beispiel der Thurgauer Zeitung zu exemplifizieren. Was hier anklingt, ist auch die von Verlegerseite immer wieder bemühte These, wonach eine reduzierte Titelvielfalt durch grössere Vielfalt innerhalb der verbliebenen Medien mehr als kompensiert werden könne.

Reduzierter Aussenpluralismus werde also einfach durch vergrösserten Binnenpluralismus aufgewogen, d.h. auch in den wenigen verbliebenen Medientiteln erhielten alle Akteure, die das wollten, eine Plattform. Aus der Tatsache, dass die Forschung dieser Sicht widerspricht, leitet Schär dann seinen spitzigen Titel ab, wonach Medienforscher die Vergangenheit verklären und die Gegenwart verachten.

Nun denn, wir nehmen das gerne auf und formulieren ebenso zugespitzt zurück: Herr Schär verklärt die Gegenwart und verachtet die Vergangenheit. Denn in der Kommunikationswissenschaft ist unbestritten, dass Medienkonzentration zwar nicht einfach monokausal, aber doch in der Grundtendenz die publizistische Vielfalt reduziert. Erstens ist Medienkonzentration mit dem Ausrollen von Kopfblatt- und Mantelsystemen verbunden. Wird dadurch publizistische Vielfalt reduziert? Ja, das lässt sich an vielen Beispielen zeigen, so auch an der Thurgauer Zeitung, die Herr Schär als strahlendes Gegenbeispiel beizieht. 2005 ging die Thurgauer Zeitung an das Verlagshaus Tamedia und wurde in der Folge in den Zeitungsverbund Nordostschweiz eingebunden. Der Mantel, also der überregionale und internationale Teil, kam hinfort vom Landboten. 2011 wurde die Thurgauer Zeitung im bekannten Zeitungstausch an die NZZ-Gruppe verkauft und die St. Galler Tagblatt-Gruppe integriert, zu der auch die Appenzeller Zeitung, das Toggenburger Tagblatt und der Rheintaler gehören. Der Mantel der Thurgauer Zeitung kommt seither aus St. Gallen. In Frauenfeld wird der Lokalteil produziert.

Was bedeutet dies? Das Ausrollen von Kopfblatt- und Mantelsystemen reduziert die publizistische Vielfalt insbesondere im Bereich der überregionalen und der internationalen Berichterstattung massiv. Interessant ist auch das Beispiel des Winterthurer Landboten, der nun dem Zürcher Verlagshaus Tamedia einverleibt wird. Nationale und internationale Berichterstattungsinhalte werden zentral von der Berner Zeitung beigesteuert, wie auch für die anderen drei Tamedia-Regionalzeitungen im Kanton Zürich. Pikantes Detail. Die Auslandberichterstattung der Berner Zeitung wiederum stammt nahezu ausschliesslich von der Schweizer Nachrichtenagentur sda. An diesem Beispiel lässt sich sehr eindrücklich aufzeigen, wie die Medienkonzentration negativ auf die publizistische Vielfalt innerhalb der betroffenen Medientitel durchschlägt. Gleichzeitig hat diese Medienkonzentration – und das ignoriert Markus Schär komplett – zu einem massiven Abbau an Personal in den Redaktionen und damit verbunden zu einem Know-how-Verlust geführt.

Zweitens reduziert Medienkonzentration auch die Anbietervielfalt. In der Schweiz ist das sehr eindrücklich. In der Deutschschweiz sind zwischen 2001 und 2012 allein zwölf Verlage komplett verschwunden. In der Suisse romande im gleichen Zeitraum sechs. Warum ist das problematisch? Schlicht deshalb, weil Verlagshäuser interessenorientiert handeln. Themen- und Meinungsvielfalt wird dabei umso stärker eingeschränkt, je mehr Interessen beim Anbieter tangiert sind. Das lässt sich an der aktuellen Mediendebatte zur Qualität der Medien in der Schweiz einfach zeigen, aber nicht nur hier. Wenn das Zürcher Verlagshaus Tamedia entscheidet, einem bestimmten Thema oder einer bestimmten Meinung öffentliche Geltung zu verschaffen, erreicht es sofort ein Millionenpublikum. Das ist eine besorgniserregende Entwicklung. Drittens haben wir eine höchst unglückliche Melange von Medienkonzentration, Ressourcenverlust und Beschleunigung im Medienwesen. Je stärker das Mediensystem konzentriert ist, je weniger Ressourcen u.a. in Form von Werbeeinkünften zur Verfügung stehen und höher der Aktualitätsdruck, desto grösser wird die Gefahr für eine gleichförmige Berichterstattung. Honoriert werden dann vor allem jene Themen und Meinungen, die zugespitzt und plakativ Aufmerksamkeit erheischen, und die sich mit wenig Aufwand in verschiedene Kanäle einspeisen lassen.

Wird mit dem Netz alles besser? Markus Schär preist in seinem Beitrag die neuen Möglichkeiten im www und nennt als Beleg verschiedene Blogs, u.a. jenes von Paul Krugman. Zunächst ist interessant, dass Schär derart stark die Alternativen im Netz preist. Daraus lässt sich ableiten, dass er die Qualität der etablierten Informationsmedien nicht allzu hoch einstuft, wenn er offensichtlich die Notwendigkeit eines solches Korrektivs sieht. Jedes Aufkommen einer neuen Medientechnologie ist immer mit überschiessenden Erwartungen verbunden. Das gilt ganz besonders für das Internet und in jüngster Zeit auch für Social Media. Die Hoffnung war und ist, dass das Netz neue demokratische Potentiale freisetzt, dass jeder eine Stimme erhält, dass die Themen- und Meinungsvielfalt wächst, dass relevante Themen früher das Licht der Öffentlichkeit erreichen oder dass die Mächtigen der Welt effektiver kontrolliert werden als zuvor. Diese Erwartungen haben sich nicht erfüllt. Die Hoffnung war, dass das Internet die Kanäle multipliziert und dass dadurch das Sterben im Blätterwald kompensiert wird. Das Gegenteil ist eingetreten. Nur gerade die grössten drei Verlagshäuser in der Schweiz sind bisher – neben der SRG SSR – in der Lage, einigermassen reichweitenstarke Newssites zu betreiben. Nicht nur die Anbietervielfalt ist online aber eingeschränkt, sondern auch die Titelvielfalt. Im Bereich der nutzungsstärksten Informationsangebote ist die Titelvielfalt um nicht weniger als 40% geringer als im Printbereich.

Nun würde Markus Schär an dieser Stelle auf die Bedeutung von Blogs und Social media in Ergänzung zu den genannten Internet-Posaunen wie dem Newsnet verweisen. Das Problem ist, dass die meisten dieser Online-Angebote in ihrer Reichweite stark limitiert sind. Deshalb vermögen Blogs & Co. die Schwäche der etablierten, reichweitenstarken Informationsmedien keinesfalls zu kompensieren. Sie können den öffentlichen Diskurs bestenfalls situativ bereichern, aber nur im Wechselspiel mit den etablierten Informationsmedien, welche die partikulären Kommunikationsflüsse im Netz bewerten, sie zusammenführen und ihnen unter Umständen gesellschaftsweite Resonanz verschaffen. Genau dies findet aber nur sehr selten statt. Auch dazu liefert das neue Jahrbuch Beispiele. Wir haben untersucht, wie Journalisten Twitter nutzen. Es zeigte sich, dass auf Twitter zwar ein Diskursraum für medienkritische Fragen besteht. Aber diese Medienkritik diffundiert nicht in die etablierte Medienarena und bleibt dadurch dem breiten Publikum verborgen. Exakt dies ist das Problem der meisten Online-Communities im Social Web: Die kommunizierenden Gruppen bleiben in den meisten Fällen unter sich.

Zum Abschluss noch diese Bemerkungen. Selbstverständlich ist es legitim, dass Medien dem Publikum auch «leichte Kost» (Softnews) präsentieren. Die Frage allerdings ist, in welchem Ausmass das geschieht. Wenn sich durch die Gratis- und die Boulevardmedien on- und offline sowie durch die meisten übrigen Newssites im Internet allein im Zeitraum 2001-2012 der Anteil reichweitenstarker, boulevardesker Softnewsangebote verdoppelt, sind kritische Schwellenwerte erreicht. Es steckt dann bei Informationsmedien (und nur diese untersuchen wir!) nicht mehr das drin, was draufsteht.

Dann noch dies: Selbstverständlich ist der Fall Carlos ein Thema. Und es ist auch ok, wenn das Thema im Themenranking noch vor der Gripen-Debatte erscheint. Aber es kann nicht sein, dass die Carlos-Debatte zu rund 90% rein episodisch geführt wird, indem man sich auf die Person Carlos, seinen Thaibox-Lehrer, sein Parfüm, die angeblich fehlbaren Strafvollzugsbehörden, vor allem aber die CHF 29‘000 einschiesst, die der jugendliche Straftäter monatlich kostet. Es ist die Aufgabe der Medien, solche Ereignisse einzuordnen. Dies hätte vorausgesetzt, vom konkreten Fall zu abstrahieren und sich z.B. mit den Kosten im offenen und geschlossenen Strafvollzug generell auseinanderzusetzen. Solches konnten wir nur gerade in 10% der untersuchten Berichterstattung feststellen. Das ist dann tatsächlich als «qualitätsniedrig» einzustufen.

Und schliesslich: Der Qualitätsunterschied von NZZ und NZZ Online, respektive NZZ.ch, lässt sich einfach erklären. Zum einen wurde das gesamte Jahr 2012 untersucht, also auch die Zeitspanne vor der Einführung der Paywall, wo sich die beiden Titel noch deutlich unterschieden. Aber auch nach der Einführung der Paywall sind die NZZ und NZZ Online keineswegs deckungsgleich, weder auf der Frontpage noch in den tiefer liegenden Schichten bzw. hinteren Teilen. Das verrät ein Blick in die Medienstatistik im letzten Teil des Jahrbuchs. Eine lohnenswerte Lektüre.

Leserbeiträge

Charlotte Heer Grau 01. Oktober 2013, 19:02

Dem ist nichts hinzuzufügen. Ausser vielleicht, dass man von einem Bundeshaus Journalisten mindesten etwas mehr sozial-politisches und medienkritisches Hintergrundwissen erwartet hätte, nicht diesen populistischen, unbedarftem und trotzigen Hieb gegen Imhof/ Eisenegger und Co.

Annabelle Huber 02. Oktober 2013, 14:31

Online werden immer mal wieder GUT recherchierte Artikel aufgeschaltet, diese interessieren den Grossteil der Leserschaft aber nicht.
An den Kommentaren lässt sich erkennen, dass etliche Leser schon bei krass vereinfachten Darlegungen von Sachverhalten überfordert sind.

Was ist Qualität im Endeffekt, wenn diese als solche nicht wahrgenommen werden kann.
Schall und Rauch.
Qualität ist letzten Endes eine rein subjektive Empfindung, beeinflusst durch die kulturelle Sozialisierung.
Auch wenn der universitäre Rahmen, in welchem Kriterien für Qualität geschaffen werden, etwas anderes zu suggerieren sucht.
Qualitätsterrorismus betreibt.

Fred David 03. Oktober 2013, 13:16

@Annabelle Huber (bei medienspiegel.ch brauchts übrigens keine Tarnnamen): „An den Kommentaren lässt sich erkennen, dass etliche Leser schon bei krass vereinfachten Darlegungen von Sachverhalten überfordert sind.“

Daraus spricht eine Arroganz, die ich nicht akzeptieren kann. Redaktionen sind selber schuld, wenn sie zu bequem sind oder angeblich keine Zeit dazu haben, Kommentar-Teile zu moderieren, damit sie nicht aus dem Ruder laufen. (Es gibt auch Meinungen ausserhalb der SVP…). In jeder Live-Diskussion ist das selbstverständlich. Hier wird ein Potential nicht erkannt und unzureichend genutzt.

Journalisten müssen auf seiten der Leser/User stehen. Tatsächlich fürchten sie aber die Nähe von Leser/Usern.

Sie sollen ihnen nicht nach dem Mund reden. Aber vor allem sollen sie nicht auf seite der Mächtigen stehen, was sie viel zu oft tun, sondern Macht und Mächtige aus Distanz scharf und kritisch beobachten. Das ist ihr Job.

Und dabei können Leser/User sehr wohl helfen, weil sie oft in Bereichen drin sind, wo Journalisten nicht hineinkommen.

Aber dazu muss man mit Lesern/Usern auf Augenhöhe kommunizieren. Nicht von oben herab , versteckt hinter Pay-Walls oder eingepackt in sterilen Newsrooms.

Fred David 03. Oktober 2013, 13:39

…sorry,wir sind hier ja bei der „medienwoche.ch“ nicht bei „medienspiegel.ch“…Vielleicht sollten die beiden ihr Potential zusammenlegen, dann passieren solche Fehler nicht mehr…..

Annabelle Huber 04. Oktober 2013, 14:00

Fred David,

Sie haben mit FAST allem Recht, was Sie mir schreiben, nur in dem bei mir beanstandeten Punkt nicht.

Ausser wenn schmerzliche Erkenntnis gleichbedeutend wäre mit Arroganz.

Ich kann Ihnen soweit entgegenkommen: Mir ist auch aufgefallen, dass einige Journalisten sich zu gut dünken für ihre Leserschaft. Witziger weise sind es oftmals genau diejenigen, welche augenfällig weniger von der bearbeiteten Materie verstehen als ihre geschmähten Kommentatoren.

Wie kommen Sie darauf, dass Annabelle Huber ein Pseudonym ist ?

Fred David 04. Oktober 2013, 16:40

…ist ein ziemlich deutliches Bauchgefühl. Falls ich mich irren sollte (was ich nicht glaube), löffle ich mich voller Zerknirschung…

Markus Schär 03. Oktober 2013, 07:05

Nur noch einige Anmerkungen als Duplik, zwangsläufig aber auch diesmal länglich. (Ich nutze gerne die Möglichkeiten, die mir dieses Medium bietet: nicht ein Viereck mit 3800 Zeichen abzufüllen, sondern auf die Argumente so einzugehen, wie es diese Debatte verdient.)

Kulturpessimismus: Der Vorwurf, die Vergangenheit zu verachten, berührt einen Historiker etwas eigenartig. Ich entschloss mich zum Geschichtsstudium zwar gerade wegen der Frage, ob es einst glücklichere Zeiten gab, und ich erkannte schnell, welches Glück wir gehabt hatten, nach dem Zweiten Weltkrieg in der Schweiz auf die Welt zu kommen. Aber das verleitet mich nicht zu (ahistorischen) Wertungen, sondern verpflichtet mich einfach zu Dankbarkeit. Ich kann es den Jüngeren nachfühlen, falls sie unsere Zeiten nicht mehr ganz so optimistisch sehen. Einer der renommiertesten Kollegen, Thomas Friedman, sagte kürzlich in Bern: „We, the babyboomers, are the grasshopper generation: We ate it all.“ Aber auch die Jüngeren, denen wir Älteren die Resten und die Schulden überlassen, zählen zu jenem Promille, das in der Menschheitsgeschichte am besten lebt: Sie sollten, dankbar für ihre Privilegien, die Chancen sehen und nutzen. (Thomas Friedman sagte allerdings auch: „The middle class was built on average-skills, high-salary jobs. There is no such thing anymore. Average is over.“ Das gilt halt gerade auch für Journalisten.)

Medienkonzentration: Ich würde nie behaupten, wie es mir Mark Eisenegger unterstellt, Medienkonzentration müsse nichts Schlechtes sein. (Müssen Medienprofessoren eigentlich nicht lesen können?) Denn ich sehe gar keine Konzentration der Medien, nicht einmal der Printmedien, sondern nur eine der Tageszeitungen. Während wir sonst eine Explosion der Medien auf allen Kanälen erlebten, am Sonntag und bei den Gratisblättern sogar auf Papier, sind tatsächlich in den letzten zwanzig Jahren die Kopfblattsysteme mit Gebietsmonopolen entstanden, die Eisenegger und Imhof beklagen. Aber ich halte an meiner These fest. Einerseits ist die Vielfalt kaum geschwunden, weil früher – bei einem Mehrfachen von Einzeltiteln – das Gros der Redaktoren einfach die Meldungen, Artikel und sogar Kommentare der Depeschenagentur (staatsnah) oder der Schweizerischen Politischen Korrespondenz (wirtschaftsabhängig) vom Ticker abriss und dem Setzer übergab. Und die Debatten von früher zwischen liberalen, katholischen und linken Blättern (bei denen die meisten Leser nur die eine Seite mitbekamen) finden jetzt in Forumszeitungen oder auch auf dem Newsnet mit Beiträgen von TA, Bund, BZ und BaZ statt. Anderseits ist die Qualität gestiegen; immerhin sind die Journalisten so gut ausgebildet wie nie, wozu hoffentlich auch Eisenegger und Imhof beitragen. (Ich habe aber auch schon von manchem Publizistik-Professor den Spruch gehört, wenn er frage, wer von den Studierenden eine Qualitäts-Tageszeitung lese, strecke kaum mehr jemand auf. Warum wollen denn die Publizistik-Professoren dieses aussterbende Medium fördern wie die englischen Gewerkschaften die Heizer auf den Eisenbahnen?) Ich preise nicht die Thurgauer Zeitung als „strahlendes Beispiel“ (das ist sie nicht), aber ich stelle fest: Sie ist eine gute Zeitung (und für viele Leser eben zu gut), weil das St. Galler Tagblatt als Mantel so gut ist wie noch nie. Dasselbe gilt nach meiner bescheidenen Meinung für die NZZ oder die BaZ, und irgendwann wird auch der TA, der eine gute Zeit lang mit viel weniger Quantität weit mehr Qualität bot, seine Probleme mit der Konvergenz in den Griff bekommen.

Strukturwandel: Ich bedaure wie Eisenegger und Imhof, dass immer weniger Werbegeld in die Printmedien fliesst, aber ich beklage es nicht: Die Millionen und Abermillionen, die sich etwa dank dem jetzt eingestellten Stellenanzeiger über den TA ergossen, waren ja gar nicht mit Journalismus verdient – mit reinem Journalismus liess sich kaum je Geld verdienen. Und ich kann nicht einmal bedauern, dass es immer weniger Redaktorenstellen bei Tageszeitungen gibt, denn insgesamt sind die Kommunikatoren nicht nur so gut ausgebildet, sondern auch so zahlreich wie noch nie. Das ist eben der neuerliche Strukturwandel der Öffentlichkeit, den ich zu sehen glaube und über den ich gerne von Publizistik-Professoren ohne Scheuklappen etwas lesen würde. Zeigen lässt er sich an einem Beispiel, bei dem ich mitmachen konnte: beim Think-Tank Avenir Suisse. Noch vor zehn Jahren musste sich Thomas Held als glänzender Redner und Schreiber, wie alle Leute, die etwas zu sagen hatten, den Journalisten ausliefern, die die Aussagen vermittelten und oft verstümmelten. Jetzt kann Gerhard Schwarz, zuvor ein renommierter Journalist, mit seinen Experten und ein bisschen Hilfe von Kommunikatoren die Inhalte auf der Website unverfälscht rüberbringen; die Interessierten können sie in Artikeln, Kommentaren oder ganzen Studien nachlesen und sich eine eigene Meinung bilden. Daneben (und auch deswegen) läuft die Vermittlung in den Medien viel besser als früher. Es kommt kaum mehr darauf an, ob der TA eine Studie auf der Front abfeiert (wenn sie seiner Ideologie entspricht) oder totschweigt (wenn nicht). Denn es gibt eine Vielzahl von anderen Medienkanälen, auch im selben Haus – dass die immer mächtigeren Verlage Einheitsmeinungen durchsetzen, ist schlicht Unsinn. So lösen Interviews von Avenir-Suisse-Leuten zu kontroversen Themen wie Mietkosten oder Zugfahren auf dem Newsnet Hunderte von Kommentaren aus. Das ergibt, bei allen Vorbehalten betreffend Qualität, einen so angeregten öffentlichen Diskurs über die relevanten Themen von Altersvorsorge bis Zivilgesellschaft wie noch nie.

Forum: Mark Eisenegger kann allerdings diese Vielzahl von Stimmen, wie es sie noch nie gab, nicht anerkennen. Denn nach seiner (wie auch immer begründeten) Meinung können nur die etablierten Informationsmedien „die partikulären Kommunikationsflüsse im Netz bewerten, sie zusammenführen und ihnen unter Umständen gesellschaftsweite Resonanz verschaffen“. Da liegen eben nach meiner Meinung Eisenegger und Imhof am weitesten daneben, verklären die Vergangenheit und verachten die Gegenwart. Thomas Friedman sagte in Bern auch: „Als ich Kommentator in Washington war, schrieb ich für die sieben anderen wichtigen Kommentatoren. Wenn ich heute über Chengdu schreibe, in der New York Times auf Chinesisch, dann wissen es sieben Millionen Menschen besser – ich muss also viel härter arbeiten.“ Eisenegger und Imhof überschätzen die Öffentlichkeit der guten alten Zeit völlig: Sie bestand vorwiegend aus bürgerlichen Männern, die sich im Militär, in Vereinen, Verbänden und Verbindungen oder am Stammtisch austauschten. Und spätestens seit dem Aufkommen des Fernsehens las niemand mehr die Tageszeitung als Medium, das „die partikulären Kommunikationsflüsse zusammenführte“, sondern jeder las, was seinen partikulären Interessen entsprach. Die Medienkritik beispielsweise interessierte immer nur die Medienleute selber. Deshalb findet sie in den Tageszeitungen kaum mehr statt. Dafür blüht sie, für die Interessierten, in Foren wie diesem, in einer Breite und auch Tiefe wie noch nie.

bugsierer 03. Oktober 2013, 16:19

zum strukturwandel – ihr beispiel von avenir suisse, die heute via ihre eigene website kampas fahren kann und weniger auf die medien angewiesen ist – gibts eine neue studie von nielsen. gefragt wurde nach dem vertrauen in die werbung und da stehen markenwebsites heute auf dem erstaunlichen vierten platz. noch vor den werbespots im tv und anzeigen in zeitungen. siehe hier:
http://www.werbewoche.ch/schweiz-skepsis-gegenueber-werbung-nimmt-ab

Mark Eisenegger 04. Oktober 2013, 12:09

Auch von mir nun noch ein paar Anmerkungen zur Duplik von Markus Schär, die ich verdanke.

Medienkonzentration: Wenn Markus Schär in seinem ersten Beitrag am Beispiel der Thurgauer Zeitung ausführlich zu plausibilisieren versucht, dass reduzierte Titelvielfalt nichts Schlechtes ist, sondern im Gegenteil Vorteile bringt, muss man annehmen, dass für ihn Medienkonzentration nichts Schlechtes sei. Nun denn, ich nehme die Differenzierung zur Kenntnis, dass Markus Schär lediglich bei den Tageszeitungen eine Medienkonzentration erkennt. Allerdings eben nicht nur hier. Wir haben – wie ausgeführt – auch eine massive Konzentration im Bereich der reichweitenstarken Online-Newssites. Nur der Markt der Sonntagszeitungen konnte in den letzten Jahren aufgrund der Abwesenheit von sonntäglich erscheinenden Gratisangeboten ausgebaut werden. Exakt diesen negativen Effekt der Gratiszeitungen als wesentliche (aber nicht alleinige) Ursache der Medienkonzentration kehrt Dr. Markus Schär komplett unter den Tisch. Die vier äusserst reichweitenstarken Gratisblätter (20 Minuten, 20 minutes, 20 minuti, Blick am Abend) schöpfen nicht weniger als einen Drittel des Werbevolumens (Bruttowerbeerlös) aller einigermassen reichweitenstarken Kaufzeitungen ab. Dadurch wird die Pressekonzentration befeuert. Und entgegen dem, was Herr Schär behauptet, gibt es ein Problem mit der Binnenvielfalt und der Qualität. Verantwortlich dafür sind unter anderem die Ertragsschwäche – und im Onlinebereich zusätzlich – der hohe Aktualitätsdruck. So kann man zeigen, dass die Berichterstattung zu wesentlichen Anteilen aus Agenturberichten besteht, die darüber hinaus zu einem nicht geringen Teil nicht als solche transparent gemacht werden. Dieser Effekt zeigt sich bei den Pendlerzeitungen am stärksten (vgl. Jahrbuch 2011). Ebenfalls können wir zeigen, dass die Unternehmensberichterstattung wesentlich aus PR-Inputs der Unternehmen besteht, die ebenfalls in vielen Fällen nicht als solche kenntlich gemacht werden (vgl. ebenfalls Jahrbuch 2011).

Forum und Strukturwandel: Blogs und nun auch die Website von Avenir Suisse sind für Markus Schär Beispiele der blühenden Vielfalt im Netz. Das Beispiel der Website von Avenir Suisse ist nun allerdings irritierend, handelt es sich doch hier um partikuläre und interessenorientierte Kommunikation, die journalistische Leistung von Informationsmedien niemals ersetzen kann. Warum? Nur die Informationsmedien können eine öffentliche Plattform bilden, bei der einigermassen gesichert (aber selbstverständlich immer unvollständig) davon ausgegangen werden kann, dass die Bürgerinnen und Bürger über unabhängigen Journalismus ihre Gesellschaft beobachten können. Nur so ist es möglich, dass die wechselseitig anonymen Bürgerinnen und Bürger Koorientierung herstellen können, die für den Zusammenhalt einer Gesellschaft unerlässlich ist. Medienöffentlichkeiten, die neben vielen anderen Funktionen der Integration der Gesellschaft dienen sollen, funktionieren nicht nach dem Prinzip „viele viele bunte Smarties“.Wir dementieren überhaupt nicht die neuen Möglichkeiten und Potentiale im Netz. Aber diese können nur Wirkung entfalten im Wechselspiel mit den traditionellen Informationsmedien. Ich bin mir sicher, dass Thomas Friedman dieser Aussage auf seiner Kommentarspalte in der NYT beipflichten würde.

Markus Schär 04. Oktober 2013, 14:24

Nur noch mal nachhaken, bevor sich diese Debatte in Harmonie auflöst. (Ich gehe davon aus, dass mir Mark Eisenegger zustimmt, wo er nicht widerspricht.)

Das „irritierende“ Beispiel von Avenir Suisse kam mir erst nachträglich in den Sinn, aber ich finde es eben interessant: Als wir – mit Manfred Messmer – über die Onlinestrategie und darüber hinaus über das gesamte Kommunikationskonzept nachdachten, sprachen wir viel über den Strukturwandel der Öffentlichkeit. Deren Grundsatz heisst neu: Wer immer etwas zu sagen hat, braucht keine Journalisten als Medium mehr, sondern kann sich direkt ans Publikum wenden.

Natürlich war der Einwand zu erwarten, diese Kommunikation sei interessenorientiert. Nach meiner Meinung ist er bedingt relevant. Als ich für SonntagsZeitung und Avenir Suisse arbeitete (beide Jobs strikt getrennt), schrieb ich genau gleich journalistisch etwa über die Hintergrundgespräche bei Avenir Suisse. Die prominenten Referenten änderten eher weniger an meiner Berichterstattung als bei der Zeitung; der Einzige, der einen Artikel eigenhändig völlig umschrieb (er war nachher, auch für Print, doppelt so lang), war Roger de Weck.

Ich sehe die Interessenorientierung nicht als Problem, weil 1. die Interessenlage völlig klar ist, was im Fall von Avenir Suisse bei vielen Leuten zu einer übertriebenen Abwehrhaltung führt, selbst wenn es um Fakten geht, weil 2. weil inzwischen in der öffentlichen Arena eine Vielzahl von solchen interessenorientierten Stimmen aufeinandertrifft (siehe zB was auf der Gegenseite die Erklärung von Bern macht), und weil 3. die Interessenorientierung der Journalisten, die eigentlich als Mediatoren und Integratoren wirken sollten, völlig intransparent, bzw nur allzu klar ist.

Das heisst: Statt einem Vermittler, der vieles vermauschelt oder gar nicht versteht, hört das Publikum lieber die Originalstimme. Ich meine immer noch, dieser Wandel wäre ein super Forschungsthema.

Fred David 07. Oktober 2013, 10:55

Sorry @)Markus Schär, aber das ist nun wirklich Quatsch. Avenir Suisse wird doch nicht mit sehr viel Geld alimentiert, damit dort unabhängige Debatten und Informationen ohne Interessenbindung laufen.

…aber im übrigen freut es mich, wie engagiert du dich in die Debatte einbringst. Es ist wichtig, diese am Laufen zu halten, damit sich Journalisten ,Verlagsleuteu d Eigentümer (von letzteren wird viel zu wenig gesprochen) nicht wieder zu bequem in ihrer Welt einrichten, in der nur sie wissen und bestimmen, was „der Leser/User“ wollen soll.

Markus Schär 07. Oktober 2013, 11:32

@Fred, du findest das nur Quatsch, weil du mich nicht verstehen willst: Selbstverständlich betreibt Avenir Suisse („unabhängig, aber nicht neutral“) interessenorientierte Kommunikation – immerhin mit vielen, vielen Fakten und Argumenten, die für alle von Interesse sind. Erst durch die Vielzahl solcher Stimmen entsteht die neue Öffentlichkeit, von der ich spreche.

Was ich meine, hat die liebe Kollegin Alexandra Stark gestern auf ihrem Blog gut ausgedrückt:

„Wir Journalisten verstehen uns noch immer als Gatekeeper, die entscheiden, was die Leute da draussen brauchen und was nicht. Wir überlegen uns, was wichtig ist, suchen uns Experten, die uns etwas dazu sagen, verpacken das in einen Artikel, publizieren ihn, schreiben eventuell noch einen Kommentar dazu. Die Leute da draussen lesen das und sind informiert und in der Lage, Entscheidungen zu treffen, die unser gesellschaftliches Zusammenleben angehen. Wir Journalisten glauben also noch immer, dass die Medien darüber entscheiden, was die Gesellschaft bewegt und was nicht: Was bei uns nicht vorkommt, das bekommt keine Plattform und kann damit keine Rolle spielen.“ (Dabei können die Leute jetzt selber die Experten nachlesen und beurteilen – ohne dass wir Journalisten unsere eigenen (Vor-)Urteile reinmischen.)

Der ganze sehr lesenswerte Artikel ist hier:

http://www.journalism-reloaded.ch/blog/jedes-medium-hat-die-kommentare-die-es-verdient/

Charlotte Heer Grau 07. Oktober 2013, 22:42

Habe ich das richtig verstanden, Herr Schär, dieses folgende Zitat?

Natürlich war der Einwand zu erwarten, diese Kommunikation sei interessenorientiert. Nach meiner Meinung ist er bedingt relevant. Als ich für SonntagsZeitung und Avenir Suisse arbeitete (beide Jobs strikt getrennt), schrieb ich genau gleich journalistisch etwa über die Hintergrundgespräche bei Avenir Suisse. Die prominenten Referenten änderten eher weniger an meiner Berichterstattung als bei der Zeitung; der Einzige, der einen Artikel eigenhändig völlig umschrieb (er war nachher, auch für Print, doppelt so lang), war Roger de Weck.

Die prominenten Referenten änderten eher weniger an Ihrer Berichterstattung als bei der Zeitung? Sie rühmen diesen Zustand gar? Welcher gute Journalist lässt sich seine Artikel überarbeiten? Wenn ich Sie richtig verstanden habe, Herr Dr. Schär, sollten Sie sich entscheiden, ob Sie PR machen wollen, oder ein Journalist sind.

Aus der Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten:
„Sie weisen dabei insbesondere jede Einmischung einer staatlichen oder irgendeiner anderen Stelle zurück.“
Dabei ist es hier total egal, ob Print oder Online, ob Radio oder TV, ob Private oder Öffentlich-rechtliche: Hier geht es um die Haltung des Journalisten, der Journalistin, die kritisch ist und hinterfrägt. Nicht mehr und nicht weniger!

Markus Schär 08. Oktober 2013, 06:03

Nein, Sie haben (auch diesmal) nicht richtig verstanden.

Annabelle Huber 04. Oktober 2013, 14:17

Bei der Qualitätsdebatte um den Zustand der Schweizer Medienlandschaft darf nicht nicht der Blick auf die Qualität der Schweizerischen Institute für Medienwissenschaften vergessen werden.
In einem aktuellen Interview auf Schweizer Radio sagte Frank A. Meyer, einer der ganz grossen Medienschaffenden der Schweiz etwas sehr Besorgniserregendes.
Er hatte sich persönlich dafür eingesetzt, dass der Deutsche Ralph Grosse-Bley Chefredaktor vom Blick wurde.
Sein Fazit aus diesem Experiment: Das SCHWEIZERISCHE ist NICHT lernbar.
Im Zürcher Institut soll auch noch der letzte Lehrstuhl an einen Deutschen vergeben werden. Dabei ist auch eine Kandidatin in der engeren Wahl, welche noch nie etwas in und über die Schweiz gemacht hat.
Das SCHWEIZERISCHE ist NICHT lernbar.
Mit dieser empirisch gewonnen Erkenntnis im Hintergrund stellt sich schon die Frage, wie relevante und interessante Impulse für die Schweizerische Medienlandschaft aus einer solchen Konstellation erwachsen soll.

Philipp Landmark 04. Oktober 2013, 16:13

Forscher sollten Zeitungen lesen statt ihre Vorurteile zu vermessen
Es wäre tatsächlich eine hübsche Forschungsaufgabe, Ausgaben der Thurgauer Zeitung z.B. aus den Jahren 1990, 2000, 2010 (Tamedia/Landbote) und heute (NZZ/Tagblatt) zu vergleichen. Dabei müsste die Wissenschaft aber auch einen Forschungsgegenstand berücksichtigen, den sie systematisch vernachlässigt: Leserinnen und Leser und deren Verhalten.

Gerade im Thurgau, wo es vor wenigen Jahrzehnten noch eine ausserordentliche Titelvielfalt gab, dürfte man feststellen, dass die Leute früher kaum besser informiert waren. Sie haben nämlich diejenige Zeitung konsumiert, die ihren Lebensraum abdeckte: Die Thurgauer Blätter gliederten sich in benachbarte geographische Räume. Von einem Pluralismus kam beim geneigten Leser kaum etwas an. (Das selbe gilt übrigens für Städte, in denen früher mehrere Zeitungen erschienen: Das Publikum konsumierte die dem eigenen Millieu nahestehende Publikation, und damit hatte es sich.)

Mit der heutigen Thurgauer Zeitung, enstanden aus der ursprünglichen Thurgauer Zeitung im Westen plus dem Tagblat für den Kanton Thurgau im Osten, deckt erstmals eine Zeitung den ganzen Kanton ab. Nach der angekündigten Schliessung des Büros in Kreuzlingen werden an den Standorten Frauenfeld, Weinfelden und Arbon 35 (!) Personen die lokalen und regionalen Teile der TZ gestalten. Auch im Mantel hat der Thurgau grosses Gewicht: Drei von drei Inlandredaktoren in St.Gallen kommen aus dem Thurgau, auch in anderen Mantelressorts ist der Anteil an Thurgauer-Connections hoch.

Ist zu viel verlangt, wenn die Wissenschaft – statt eigene Vorurteile zu bedienen – die Zeitungen, die sie schlecht redet, einfach mal liest? Markus Schär, der die TZ als Beispiel in diese Debatte eingeführt hat, tut es. Mit seinen Urteilen über die TZ bin ich längst nicht immer einverstanden, aber immerhin weiss der Mann jeweils, wovon er spricht.

Philipp Landmark ist Chefredaktor des St.Galler Tagblatts und der Thurgauer Zeitung

Kurt Imhof 04. Oktober 2013, 17:59

Warum immer so bissig Philipp Landmark? Und uninformiert: Wir haben tatsächlich über 100 Jahre Zeitungsjahrgänge intensiv gelesen. Ab dem Jahrgang 1910 verfügen wir über ein Archiv, das die wichtigsten Kommunikationsereignisse in vier deutschschweizerischen Zeitungen (also deren Agenda) für jedes Jahr enthält und ab den 1990er Jahren noch von sehr vielmehr Medientiteln. Wir wissen auf dieser Basis sehr gut wie der Aussenpluralismus früher funktionierte (und wie Binnenpluralismus heute funktioniert). Lassen Sie es sich bezüglich Aussenpluralismus sagen: Er funktionierte nicht so wie Sie ihn beschreiben. Weil die Zeitungen in politische Parteien eingebettet waren orientierten sie sich stark an den Auseinandersetzungen in den Räten und übertrugen deren Debatten in den öffentlichen Raum. Die Redaktoren bildeten die intellektuellen Speerspitzen der Parteien, nahmen sich wechselseitig als zentrale Gegner im Kampf um die öffentliche Meinung wahr und widersprachen sich wechselseitig direkt. Mit anderen Worten: der Leser der einen Zeitungen erfuhr sehr viel über die (völlig falschen) Positionen der anderen Zeitungen.

Mark Eisenegger 04. Oktober 2013, 18:05

@Markus Schär: Ich glaube nicht, dass sich unsere Debatte in Harmonie auflöst. Es bleiben wesentliche Differenzen bestehen. Das zeigt auch Ihr jüngster Input. Natürlich teile ich Ihre Sicht nicht, dass die Plattform der traditionellen Informationsmedien einfach durch den Chor der interessengebundenen Kanäle à la Avenir Suisse oder Erklärung von Bern ersetzt werden kann, wie vielgestaltig, antagonistisch und wie transparent bezüglich ihrer Interessenlage diese Kanäle in der Summe auch immer sein mögen. Dass dem nicht so sein kann, widersprechen Sie oben ja eigentlich auch selber, wenn Sie Informationsmedien wie Bund, BZ, TA oder BaZ als notwendige Plattformen für gesellschaftliche Debatten anführen. Neben der Integrationsfunktion haben wir hier eine weitere zentrale Leistung, die Informationsmedien erbringen und die Websites wie jene von Avenir Suisse oder EvB eben nicht erbringen können: Die so genannte Forumsfunktion. Das bedeutet, dass auf Informationsmedien für ein breites Publikum vernehmbar Meinungen gegen Meinungen getauscht werden in der Hoffnung, dass sich am Schluss das bessere Argument durchsetzt (das ist durchaus nicht immer der Fall). Diese Funktion versagt ihren Dienst total, wenn ich nur von einer Website zur nächsten surfe, wo Meinungen inklusive ihre Urheber eben gerade nicht gegeneinander antreten müssen. Und es sei an dieser Stelle nochmals ausdrücklich betont: Diesem Ziel des gepflegten Meinungsstreits könnten Blogs & Co. zwar grundsätzlich dienen und Plattformen wie Medienwoche.ch und Medienspigel.ch dienen ja auch diesem ehrenwerten Zweck. Aber das Problem ist, dass diese Debatten unter Ausschluss des breiten Publikums stattfinden. Und dann ist es eben sehr wohl ein Problem, wenn medienkritische Seiten in Tageszeitungen mit wenigen Ausnahmen wie jener von Rainer Stadler in der NZZ wegsterben.
@Philipp Landmark: Wir blenden die Leserinnen und Leser keineswegs aus. Im Gegenteil zeichnen wir sehr genau nach, wie sich die Publikumsflüsse und Nutzungsgewohnheiten entwickeln. Ich weiss auch nicht, wie Sie darauf kommen, dass wir die TZ oder das St. Galler Tagblatt schlecht reden würden. Wir haben die Qualität der beiden Blätter bislang nicht qualitätsvalidiert, werden das aber noch tun. Ich persönlich finde es handelt sich bei beiden durchaus um qualitativ gute Titel. Das St. Galler Tagblatt hat denn auch sehr Gepflegtes zur Debatte der Qualität der Medien beigesteuert. Meine Aussagen bezogen sich ausschliesslich auf die reduzierte Binnenvielfalt im Inland- und Auslandteil als Folge der gemeinsamen Mantelproduktion. Schliesslich: Es gehört zu einem der vielen Privilegien eines Medienwissenschaftlers, täglich Zeitungen und andere Medien konsumieren zu können. Die durch uns untersuchten Informationsmedien (und viele weitere mehr) liegen im fög für alle Forscherinnen und Forscher auf.

Annabelle Huber 07. Oktober 2013, 16:22

Interessanterweise ist die Qualitätszeitung schlechthin die NZZ. Eine Zeitung, deren Aktien AUSSCHLIESSLICH von Anhängern der FDP erworben werden können. Um die Meinungsfreiheit sicher zu stellen, oder so. Besonders bei den Berichterstattungen über den heimischen Platz kommt eine ganz besondere Qualität zum Tragen: Diejenige der Auslassung und Beschönigung der Missetaten von einflussreichen Ansässigen. Dies tut aber dem Ansehen dieser Zeitung keinen Abbruch, im Gegenteil. Und dass sie ausschliesslich von der Elite gelesen wird- ich habe im Verlauf meines Lebens keinen Einzigen Nicht-Akademiker getroffen, der diese Zeitung abonniert hätte, auch das wirft keine Fragen auf bezüglich der Qualität, im Gegenteil.