von Nick Lüthi

Den Kommentarmüll versilbern?

Viele Online-Medien haben ein Problem mit der Qualität ihrer Leserreaktionen. Gleichzeitig zählen die Kommentarbereiche zu den beliebtesten Rubriken. Darauf verzichten, geht schlecht. Aber wieso nicht hinter eine Paywall verbannen und so den negativen Imagetransfer auf die Medienmarke minimieren? Der Tages-Anzeiger hat das Modell geprüft.

Beleidigungen, Rassismus und viel Ahnungslosigkeit: Leserkommentare zählen zu den grossen Ärgernissen und Enttäuschungen in Online-Medien. Vom erhofften Mehrwert für die Publizistik bleibt oft nur wenig übrig. Mit fatalen Folgen: Die Journalisten schauen weg, der Mob bleibt unter sich und der Rest des Publikums schaut angewidert auf die Kommentarunkultur von Qualitätsmedium X. Um die übelsten Auswüchse zu verhindern, kämpfen sich journalistische Hilfskräfte durch den Müllhaufen, um die irgendwie noch verwertbaren Ausscheidungen von den toxischen Abfällen zu trennen. Die durchaus vorhandenen Perlen drohen dabei unterzugehen.

Das Problem mit der zweifelhaften Qualität der Leserkommentare kennen längst nicht alle Online-Medien. Wer frühzeitig klare Spielregeln aufstellt und diese auch durchsetzt, hat gute Chancen nicht in den Schlamassel reinzurutschen. Wer aber die Zügel schleifen lässt, hat verloren. Kommentarbereiche ziehen Mitteilungsbedürftige aller Couleur an. Und wenn sie sich lange genug ungestört unter ihresgleichen austoben dürfen, wollen sie immer mehr davon.

Ein nicht unerheblicher Teil der Besucher von Nachrichtenseiten kommt in erster Linie der Kommentare wegen. Wie die Stammtischgäste in der Kneipe gehören sie zu den zwar lästigen, aber treuen Besuchern. Und man sollte sie trotz allem nur in Massen verärgern, schliesslich sind sie zahlende Kunden. In der Beiz mit Geld, im Netz mit Klicks und Aufmerksamkeit. Die Kommentarfunktion einfach abschalten, geht schlecht. Was aber geht: Stammtisch raus aus dem gepflegten Restaurant, rüber ins Fumoir und dafür noch Eintritt verlangen. Genau gleich könnte man auch mit den Kommentaren verfahren.

Der Tages-Anzeiger hat ein solches Modell (Codename «Darkroom») entwickelt, aber entschieden, es vorerst nicht weiterzuverfolgen. «Wir sind zum Schluss gekommen, dass der Darkroom nicht zur Marke Tages-Anzeiger passt», sagt Christian Lüscher, Teamleiter Social Media und Leserforum.

Im Kern geht es bei «Darkroom» um drei Stufen der Sichtbarkeit und Zugänglichkeit im Kommentarbereich:

  • Auf der obersten Ebene, dem frei zugänglichen Bereich der Webseite, gibt es keine freie Kommentarmöglichkeit. Gezeigt werden hier nur ausgewählte Leserreaktionen, die den kommentierten Artikel substanziell ergänzen.
  • Zur zweiten Ebene gelangt man mit einem kostenlosen Login. Zum Anmelden reicht eine gültige E-Mail-Adresse. Im angemeldeten Zustand kriegt man sämtliche von der Moderation freigegebenen Kommentare zu sehen und kann selber auch welche schreiben. Veröffentlicht wird jeder Beitrag erst nach redaktioneller Prüfung.
  • Zuunterst, auf der dritten Ebene, befindet sich der Darkroom. Hierhin gelang man nur nach Bezahlung eines Entgelts. Hinter der Paywall gibt es nur noch minimale Regeln und Vorschriften. Im Darkroom geht es dreckig zur Sache. So wie wir es heute von vielen Online-Medien aus den Kommentarbereichen kennen. Hier können sich alle ressentimentgeladenen Besserwisser austoben, wie ihnen beliebt, ohne dass sie die Qualität im für alle einsehbaren Bereich beeinträchtigen.

Als Skizze hat das Modell durchaus etwas Bestechendes. Es bietet eine Lösung für zwei Probleme: Kein Imageproblem mehr für renommierte Medienmarken wegen qualitätsminderen Kommentarspalten – und generiert dazu Mehreinnahmen. Doch der Teufel steckt auch hier im Detail. Bleiben die Vielkommentierer einer Marke treu, wenn man sie ins kostenpflichtige Séparée komplimentiert? Oder wechseln sie einfach zur nächsten Online-Plattform? Verlegt man so nicht einfach das Imageproblem hinter die Paywall, wo dann die kostenpflichtige Publizistik neben grenzwertigen Nutzerkommentaren steht?

Ein Allheilmittel bietet auch «Darkroom» nicht. Letztlich entscheiden auch hier die personellen Ressourcen über das Gelingen. Schliesslich soll im frei zugänglichen Bereich die Qualität der Kommentare erhöht werden. Das erfordert viel Handarbeit und lässt sich nicht an Hilfskräfte oder Algorithmen delegieren. Damit bleibt es ein verlegerischer und chefredaktioneller Entscheid, welcher Aufwand man zu betreiben bereit ist im Umgang mit seinem Publikum. Fortschritte lassen sich auch ohne radikalen Schnitt erzielen. Beim Tages-Anzeiger habe sich die Debattenkultur in den letzten vier Monaten qualitativ verbessert, beobachtet Christian Lüscher. «Wir sind strenger geworden und greifen auch ein.»

Leserbeiträge

Annabelle Huber 17. Januar 2014, 12:55

Also Nick Lüthi, Ihre Ausführungen sind voll lustig. Auf den meisten Online Portalen lese ich praktisch NUR die Leserkommentare und nicht die dazugehörigen Artikel. Warum.Ganz einfach, Müll ist in der Regel der Artikel, die Kommentare hingegen sind interessant, wenn sie nicht im Sinne des Artikels moderiert wurden. Es ist schon eine verkehrte Welt, dass eine Zeitung für den Müll bezahlt und das Interessante gratis hereinbekommt. Aber wenn dann auch noch für die interessanten Gratisinputs bezahlt werden muss, ich denke, da wird die Toleranz gegenüber dem infantilen Medienwesen überstrapaziert.

Ueli Custer 17. Januar 2014, 16:09

Also entweder waren Sie noch nie auf 20min.ch oder sie bezeichnen Kommentare im Stil von „Das sind sowieso alles die letzten Idioten“ als gehaltvoll. Genau solche hirnlosen Kommentare ohne jeglichen Inhalt und völlig selbstbezogen bilden den Inhalt von weit über 90% der Kommentare auf solchen Sites. So schlecht kann gar kein Artikel sein.

Frank H aus Z 17. Januar 2014, 14:43

Ich habe noch nie in einem gepflegten Restaurant Stammtischgehabe gesehen – um im Bild von Herrn Lüthi zu bleiben. Vielleicht liegt es einfach am falschen Selbstbild, wenn Anspruch an die Leserschaft und Kommentar-Reaktionen derselben nicht zusammenpassen.

Eine allfällige „Mülltrennung“ durch das Bewerten von Leserkommentaren durch die Leserschaft löst das Problem wohl weitgehend ohne personelle Ressourcen und ohne dass Hilfskräfte nach Kräften zensieren müssen.

Beat Gloor 17. Januar 2014, 15:50

Wenn die Kommentare kosten und der Artikel nicht, ist dies das Eingeständnis, dass die Leserzuschriften wertvoller sind als die publizistischen Leistungen. Wenn wir schon alles auf den Kopf stellen: Das Abgeben von Kommentaren müsste dann noch mehr kosten als das Lesen.

walter selle 17. Januar 2014, 16:38

da fällt mir nur ein vox populi, vox rindvieh

Knut Kuckel 18. Januar 2014, 12:41

Zu Kommentarmüll: Kürzlich habe ich mich mit dem Thema beschäftigt, deshalb freue ich mich, dass Sie es auch aufgreifen. Mit Kommentarmüll Geld zu verdienen hätte nur das zweifelhaft Gute, dass der „Mob“ sich an den Müllkosten beteiligt. Das Kommentarmüll-Problem wäre damit nicht gelöst. Ganz im Gegenteil, denn die Müll-Autoren würde neue Wege finden, vom dark- in einen lightroom. Medien sollten Ihrer Verantwortung gerecht werden und nur Kommentare zulassen, die gewissen Umgangsformen entsprechen, die wir auch gesellschaftlich befürworten können. Besucherzahlen mit Mobs zu manipulieren, ist nicht seriös. Ich erreiche lieber eine kleinere Anzahl BesucherInnnen, dafür ein Lesendes Publikum. Erfolgreiche Medien geben dieser Subkultur keine Chance. Vielleicht sind sie gerade deshalb erfolgreich? Haben wir in unseren Medien nicht auch so etwas wie Hausrecht? Ich meine schon, dass heißt, ich darf gefahrlos Unruhestifter vor die Türe setzen.

Frank Martini 10. Februar 2014, 08:17

Da gebe ich Ihnen völlig Recht – nur genau dort liegt das Problem der Verlage. Von den phantastischen Umsatzrenditen der Nachkriegszeit zunehmend entfernt, zerbrechen sich moderne Verlagsmanager vor allem die Köpfe über die Frage, wie man diese möglichst steigern kann.

Und nachdem man spätestens nach Platzen der ersten „dotcom-Blase“ unmittelbar nach der Jahrtausendwende nachgerade gleich Lemmingen scharenweise ins „neue Geschäftsfeld“ Internet gezogen ist – ohne freilich ein ausgegorenes Geschäftsmodell, weil sowas für ein hysteriegetriebenes „bloß nix verpassen, nicht zu spät kommen“ hinderlich ist – brachen neben den Abozahlen auch die Werbeeinnahmen ein. Weil auch die ins billigere Internet zog.

Dem durch Preisstabilisierung im Vertrieb entgegenzuwirken, braucht es indes freilich „Traffic“. Womit sich – siehe o. a. Renditeeinbußen – die Effizienzfrage stellte: Wie generiere ich möglichst billig möglichst viel „Content“ (sic! nicht „Inhalt“) für die Site? Und da bekanntlich der Teufel immer auf den gleichen Haufen schei…t, wuchs mit dem Traffic auch der Kommentarmüll.

Denn den auszufiltern kostet Manpower, wenn nicht gar Urteilskompetenz. Da aber schon „journalistische Hilfskräfte“ Geld kosten, schien dieser Aufwand wohl zu „effizienzhemmend“. Und nun haben wir eben den Salat…

Frank Raudszus 21. Januar 2014, 16:29

Ein hübscher Rechtschreibfehler in diesem ansonsten zutreffenden Artikel:
„….man sollte sie trotz allem nur in Massen verärgern…“.

Recht hat er, man muss nur den Mut dazu aufbringen…;-)

MfG

Frank Raudszus

peter brunner 21. Januar 2014, 17:23

wie immer ein sehr anregender text von herrn luethi.
nur noch eineergaenzende beobachtung. auch in sog. serioesenmedien wie dem tagesanzeiger gibt es immer wieder headlines, die muellkommentare geradezu provozieren, offensichtlich ganz bewusst um klicks zu generieren, egal auf welchem niveau. deshalb ist die position des verlags in dieser beziehung ziemlich scheinheilig.

Frank Hofmann 21. Januar 2014, 22:09

Zum Glück sind die Zeiten vorbei, als nicht genehme Leserbriefe einfach im Papierkorb endeten. Es wird zwar auch im Onlinezeitalter immer noch nach politischen Kriterien gefiltert – insbesondere im Newsnetz vom Tagi-Team -, aber konsequentes Löschen würde dann doch auffallen. Der „Blick“ fährt eine massive Kampagne gegen die Masseneinwanderungsinitiative der SVP, unter der Federführung des ehemaligen SP-Sprechers Käsermann, die Leserkommentare sind jedoch praktisch durchgehend gegen die PFZ. Nur gut, dass die linken Journalisten endlich die Deutungshoheit verlieren. Leicht fällt es ihnen nicht, täglich nachzulesen auf infosperber.ch, und insbesondere bei Ch.M. Da wird alles angeprangert, was nicht ins richtige Weltbild passt.

Samuel Bendicht 22. Januar 2014, 13:31

Der schlimmste Müllvermehrer wurde leider im Artikel nicht mal erwähnt. Es sind diese „Zähler“ mit Däumchen rauf und runter die dauernd manipuliert werden und eigentlich nur zeigen, was für antidemokratische Gesinnungen gewisse Kommentatoren haben und welche Partei diese Funktion ganz offensichtlich dazu benutzt, um einen auf Volkszorn zu machen. Wer da nicht das Gefühl bekommt, dass z.B. beim Blick oder auch Newsnetz, wo gewisse Kommentare mit einigen tausend Klicks Zustimmung gegen einige Duzend ablehnende, als „Beliebteste Kommentare“ erscheinen, manipuliert wird, dem ist nicht mehr zu helfen und wenn sich dann die Redaktion noch auf diese Zahlen abstützt und einen Artikel über die Kommentare macht, dann sieht man bestenfalls noch, auf welch tiefem Niveau sich gewisse Redaktionen bewegen. Bei SRF hingegen sieht man, dass die Qualität der Kommentare leicht gestiegen ist, seit diese Funktion ausgeschalten wurde und gerade bei den so genannten „Qualitätsmedien“ wäre es eine Überlegung wert, auf diese falschen, weil leicht zu fälschenden Zähler zu verzichten.

irgendeiner 24. Januar 2014, 17:48

Auch ich bin „angewidert über die Kommentarunkultur von Qualitätsmedium“ T bezw. N!

Zwar liessen die hohen Herren von T bezw. N vor nicht allzu langer verlauten, dass sie dank ausführlich beschriebenen und plausibel klingenden Regeln ganz gut über die Runden kämen.

„Wer frühzeitig klare Spielregeln aufstellt und diese auch durchsetzt, hat gute Chancen nicht in den Schlamassel reinzurutschen“ könnte auf demselben Mist gewachsen sein 😉

Tägliche Praxis dort ist aber, dass es vorwiegend auf den Gusto des gerade aktiven Zensors – ähmmm Mitarbeiters ankommt. Wenn diese mächtigen Damen und Herren wenigstens dem Verfasser des Kommentars mitteilen müssten, warum etwas zensuriert wurde, dann hätten sie zwar möglicherweise etwas mehr Umtriebe, aber die heutzutage echt nervende Parteilichkeit wäre etwas eingedämmt!

Yadgar 21. März 2014, 14:24

…bis eines hoffentlich nicht mehr allzu fernes Tages das Internet an sich derart diskreditiert ist als geistige Giftmüllkloake von und für Extremisten, Sektierer, Wirrköpfe und sonstige Psychopathen, dass kein auf Seriosität bedachter Mensch überhaupt noch mit dem Netz zu tun haben will! Ich werde seit Jahren den Verdacht nicht los, dass das Internet, insbesondere das WWW einer der großen zivilisatorischen Irrwege ist, ein außer Kontrolle geratenes kommunikationstheoretisches Experiment, das niemals auf die Öffentlichkeit hätte losgelassen werden dürfen…

Für eine Welt ohne Internet!