von Nick Lüthi

«Kein Weg zurück zur alten, heilen Welt»

Veit Dengler (45) leitet seit letztem Oktober die NZZ-Mediengruppe. Seine bisher bekannte Strategie für das Unternehmen gleicht einer Flucht nach vorn. «Die Brücken hinter uns brennen», pflegt der NZZ-CEO seinen Leuten die Dramatik der Lage zu erklären. Als Reaktion auf die veränderten Voraussetzung auf dem Medienmarkt hat Dengler zahlreiche Baustellen eröffnet. Möglicherweise eine zu viel, wie er im Gespräch mit der MEDIENWOCHE sagt.

Die NZZ hat sehr schnell auf den Start von Watson reagiert und will nun nachziehen, wie der Nebelspalter berichtet. (siehe Link)
(Lacht schallend, als er das Bild sieht) Für eine gewisse Zielgruppe würde das sicher funktionieren. Schicken Sie mir das Bild?

Ernsthaft: Was ist Ihr erster Eindruck von Watson?
Der ist gut. Das belebt den Markt und was den Markt belebt, ist immer gut. Genau so, wie es im Print Gratiszeitungen gibt, wird es auch online Reichweitemodelle geben neben den kostenpflichtigen Angeboten. Und für ein Reichweitenmodell ist Watson sehr gut gemacht. Die stehen nun vor der grossen Aufgabe, die Marke aufzubauen. Das ist richtig teuer und richtig schwierig. Aber ich glaube, der Anfang ist ganz gut gelungen.

Was kann die NZZ von Watson lernen?
Wir müssen uns ganz allgemein schneller entwickeln, was Bildsprache, Design und Navigation betrifft. Da können wir noch dazulernen und schauen uns deshalb auch Watson genau an. Endloses Scrollen ist ein Trend. Wenn sich das durchsetzt, müssen wir uns überlegen, wie wir unsere Navigation anpassen. Heute ist sie bei uns noch sehr klassisch und ressortgebunden.

Die Stream-Ansicht von NZZ.ch geht ja ein bisschen in Richtung Watson mit grossen Bildern und endlosem Scrollen. Wozu dienen solche Experimente?
Wir wollen ein bisschen beobachten, wie das Angebot genutzt wird. Idealerweise fliessen die Erkenntnisse aus solchen Projekte in unsere Hauptangebote ein. Ab und zu sogar eins zu eins. In dem Sinn ist der Stream nicht eine Spielwiese, sondern ein Laboratorium.

Die aktuelle Webseite der NZZ ist sehr kleinteilig und reich befrachtet mit Inhalten. Ist es eine Frage der Zeit, bis die Bilder grösser werden?
Nicht eine Frage der Zeit, sondern eine Frage der Leser. Es gibt auch bei uns den Trend, dass die Webseite ruhiger wird, cleaner mit mehr Bildsprache. Aber wir sind anders als Watson oder 20 Minuten. Das sind für uns weder Vorbilder noch Konkurrenten.

Welche sind denn Ihre Vorbilder für die NZZ?
Es gibt verschiedene Elemente von vielen verschiedenen Medien. Bei der New York Times ist beispielsweise die Testkultur stark ausgeprägt. Das gefällt mir gut vom Prozess her und von der Organisation. Ich finde zudem Quartz sehr hübsch, abgesehen vom Native Advertising. Das würde bei uns nicht funktionieren.

Wieso nicht?
Das Wort «native» impliziert ja, dass die Werbung aussieht wie ein Artikel. Damit trickst man ja die Leser aus. Das machen wir nicht. Chefredaktor Markus Spillman hat klargestellt, dass wir nicht in diese Richtung gehen wollen. und ich unterstütze ihn da voll.

An einer internen Veranstaltung haben Sie gesagt: Die Brücken brennen, es gibt kein zurück mehr. Was meinten Sie damit?
Es gibt keinen Weg zurück zur alten, heilen Welt. Das ist vorbei. Das müssen wir ganz klar sehen. Die Printwerbung kommt nicht wieder. Es kursierte eine Zeitlang die Theorie, wonach sich die Printwerbung denn erhole, sobald die Gesamtwirtschaft wieder anzieht. Für die Zeit von 2008 bis 2013 haben wir gesehen, dass das nicht der Fall ist. Warum ich das betone: Es gibt immer noch Leute, die auf einen Aufschwung hoffen. Es ist aber vorbei.Dennoch können wir uns im Printbereich sicher noch verbessern, sowohl bei den Abos als auch bei der Werbung.

Sie haben eine Vorwärtsstrategie eingeschlagen und schaffen 15 neue Stellen, mehrheitlich in der NZZ-Redaktion.
Wir müssen einige Fähigkeiten ins Haus bringen, die wir noch nicht haben. Das gilt nicht nur für die Redaktion, sondern auch auf der Marketingseite. Da sind wir bisher relativ schlank aufgestellt. Nun müssen wir einige Expertise an Bord bringen, die wir bisher nicht hatten. Vor allem im Bereich Datenanalyse.

Was verstehen Sie unter Datenanalyse?
Die Datenanalyse dient dem Marketing, der Produktentwicklung und zur Kundengewinnung. Die Produktentwicklung ist für mich interessant. Gibt es eine signifikante Anzahl von Lesern, die immer nur dasselbe lesen in der NZZ? Und wenn ja, können wir für diese Leser ein neues Produkt entwickeln?

Eine weitere Baustelle, die Sie aufgemacht haben, ist die Verstärkung der Präsenz im Ausland. Was haben Sie da genau vor?
Wir sind ja schon auf diesen Märkten präsent mit der internationalen Ausgabe, die über 11’000 Abonnenten zählt, mehrheitlich in Deutschland und Österreich. Die NZZ ist eine Marke im deutschsprachigen Raum. Sie steht im Ausland für Unabhängigkeit und den Blick von aussen. Aber natürlich hat niemand auf uns gewartet. Wenn wir was machen, müssen wir clever sein, dann muss es ein Produkt sein, das nicht leicht kopierbar ist. Dann könnte es einen Markt für uns geben. Wenn Sie einen grossen Apparat haben, der Inhalte in deutscher Sprache produziert, dann sollte man die auch im ganzen Sprachraum verkaufen. Aber das müssen wir sehr vorsichtig angehen. Da kann man viel Geld verbrennen, wenn man es nicht richtig macht.

Man könnte den Eindruck gewinnen, dass Sie den Weg, den ihre Vorgänger eingeschlagen haben, als Sackgasse betrachten und deshalb nun wieder zurück auf Feld eins gehen. Kann sich die NZZ ein solches Hüst-und-Hott leisten?
Es gibt aus dem Jahr 2011 eine Mitteilung zur Digitalstrategie der NZZ. Wenn man die heute liest, ist unschwer auszumachen, dass 90 Prozent davon heute immer noch gelten.. Was ich mache, sehe ich als Weiterführung der Strategie meiner Vorgänger. Wir setzen sicher andere Akzente, bauen aber auf den Digitalabos auf, die wir schon haben. Da haben wir eine der höchsten Quoten im deutschen Sprachraum. Wir haben eine Paywall. Die brauchen Sie auf jeden Fall, egal was Sie machen. Gleichzeitig beschleunigt sich der Markt, was heisst, dass wir schneller und besser werden müssen. Das hat nichts mit meinen Vorgängern zu tun, sondern mit dem Markt.

Zu allen personellen, strukturellen und technischen Änderungen hin wollen Sie auch noch ein neues Redaktionssystem einführen. Ist das nicht des Guten zuviel?
Sie haben völlig Recht. Das geht an den Kern, von dem was wir machen. Man unterschätzt, wie stark Medienunternehmen heute schon Technologieunternehmen sind. Wenn das Redaktionssystem steht, dann steht der Laden. Wenn Sie mich fragen, weshalb ich manchmal nachts wach bleibe, dann ist das CMS sicher ganz weit oben.

Ist dieses Redaktionssystem nur für die NZZ oder auch für die Zeitungen in St. Gallen und Luzern?
Das werden wir schrittweise angehen. Vorerst fokussieren wir auf die NZZ. Dann sehen wir weiter. Es hätte natürlich einen gewissen Charme, wenn wir das gleiche System überall hätten.

Während Sie in die NZZ investieren, suchen Sie bei den Regionalmedien zuerst einmal nach Synergien, oft ein Synonym für Sparen und Abbau.
Das sehe ich nicht so. Von unseren Kapazitäten her gehen wir bewusst schrittweise vor und wenden uns zuerst dem Geschäftsbereich NZZ zu. Synergien suchen ist für mich kein Synonym für Sparen. Wenn wir zweimal für das Gleiche Geld ausgeben, dann kann man sparen, ohne dass der Kunde davon etwas merkt.

Ihre Ausbaupläne kosten. Wie viel?
Für 2014 und 2015 nehmen wir 10 Millionen Franken in die Hand. Darüber hinaus ist es nicht ausgeschlossen, dass wir weiter investieren. Diese Ausgaben werden das Ergebnis belasten. Seit 2011 fällt der Umsatz, weil die Printwerbung schnell zurückgeht und sich die Abos gerade so halten lassen. Bisher haben wir darauf mit Kostenreduktionen reagiert. Nun wollen wir neue Umsatzquellen aufbauen. Deshalb auch die Investition in die Publizistik.

Ein anderer Weg, die wegfallenden Inserateeinnahmen zu kompensieren, sind hohe Abopreise. Die NZZ verlangt heute 649 Franken für die Zeitung pro Jahr. Ist man damit beim Maximum angelangt?
Es gibt Limits, wie weit Sie Preise erhöhen können. Da müssen wir vorsichtig sein. Aber es gibt eine Nachfragekurve. Das ist simple Mikroökonomie: Es gibt Leute, die wären bereit für unsere Inhalte nahezu jeden beliebigen Preis zu bezahlen. Und es gibt auf der anderen Seite viele, die bereit wären die NZZ zu kaufen, aber nicht für diesen Preis. Wenn wir verschiedene Produkte entwickeln für verschiedene Kundengruppen, können wir mehr Kunden gewinnen und insgesamt mehr verdienen. Das ist die Chance, die wir haben. Dafür müssen wir aber die Technologie und die Marketingfähigkeiten aufbauen, um das machen zu können.

Im Kontrast zur Hochpreisstrategie gibt es im Web und auf den Apps die meisten NZZ-Inhalte weiterhin gratis. Wieso?
Es ist heute tatsächlich so, dass man die meisten Inhalte von uns gratis erhält. Wir müssen uns deshalb genau überlegen, was wir in Zukunft noch kostenlos anbieten. Das müssen wir aber vorsichtig machen, weil wir ja nicht an Reichweite verlieren wollen. Und wir müssen das aus einem Verständnis heraus machen, was Kunden konsumieren. Die Wetterprognosen kann ich kaum kostenpflichtig anbieten. Grundsätzlich wird es sicher in Richtung mehr Bezahlangebote gehen.

Wozu sie sich bisher noch nie öffentlich geäussert haben, sind die vier Lokalradio- und Regional-TV-Sender, die ja auch zur NZZ-Mediengruppe gehören. Inwiefern passen die in Ihre neue Unternehmensstrategie?
Wir sehen uns das an. Aber ich gebe Ihnen jetzt mal meinen persönlichen Eindruck: Radio und TV passen sehr gut zu uns. In der Zentralschweiz und Ostschweiz möchte ich auf allen Kanälen präsent sein. Aber auch da können wir noch viel besser werden.

Wie das?
Ich geben Ihnen ein Beispiel: Beim Absturz des F/A-18-Kampfjets im letzten Oktober hatte Tele 1, unser Fernsehen in der Zentralschweiz, die ersten Bewegtbilder von der Unfallstelle. Dennoch waren nicht sie nicht als erstes auf unseren Webseiten. Diese Zusammenarbeit funktioniert noch nicht gut. Aber das Potenzial ist enorm. Die Tatsache, dass wir Bewegbilder haben, finde ich super. Wir müssen sehen, wie wir das besser integrieren können.

Sie kennen von ihrer früheren Tätigkeit als Berater die Musikbranche. Wieso gibt es kein iTunes für journalistische Inhalte?
In mehrern Ländern Osteuropas gibt es ein solches Modell. Ich bin aber nicht sicher, ob man das wirklich braucht in der Publizistik. Bei der Musik gibt es ganz viele Songs, die zufälligerweise von verschiedenen Labels herausgegeben werden. Die meisten Leute kennen nur den Künstler, nicht aber das Label. Bei uns kennen die Leute die Marke. Sie wollen deshalb das Bündel oder zumindest die Selektion, wie sie die NZZ trifft.

Stimmt das?
Heute schon noch. Ob es in ein paar Jahren so sein wird, weiss ich nicht. Wenn das aber so wäre, hätte das dramatische Auswirkungen für uns, nicht unähnlich der Entwicklung in der Musikbranche. Ich glaube aber nicht, dass es so weit kommt. Aus zwei Gründen: Die NZZ hat einen eigenen Stil. Sie ist ein Kurator und nicht nur eine Sammlung von einzelnen Artikeln und Autoren. Ich überzeugt, dass es nie so weit kommen wird, wie in der Musikbranche. Bei der Musik gibt es ein ganz anderes Nutzungsverhalten. Man geht zu einer Medienmarke, weil sie eine Selektion für einen vornimmt. Das bleibt, glaube ich.

Sie kamen als Branchenfremder zur NZZ. Zuletzt waren sie beim Schnäppchenportal Groupon. Lässt man Sie das spüren im Unternehmen?
Ich arbeite sehr gerne mit der Redaktion zusammen.

Und sie mit ihnen?
Das müssen Sie die Redaktion fragen, aber mein erster Eindruck ist positiv. Ich war selber mal journalistisch tätig, das hilft ein bisschen fürs Verständnis. Ich habe einen grossen Respekt vor den Leuten, die hier arbeiten. Und ich habe eine echte Beziehung zum Produkt.

Leserbeiträge

Hans Moser 29. Januar 2014, 10:55

ich habe das Interview mit Interesse gelesen und verspüre dabei ein gewisses Unbehagen.
Seit mehr als fünfzig Jahren bin ich Abonnent der NZZ und auch ihr eifriger Leser. Sicher hat mir nie alles zugesagt, was ich las. Aber im Ganzen war ich von den journalistischen Leistungen meistens positiv beeindruckt.
Dass sich die Verhältnisse geändert haben, ist mir klar, ebenso, dass das Erscheinungsbild der NZZ davon nicht unbeeinflusst bleibt. Ich wäre aber dankbar, wenn das Image der NZZ mit ihrem hohen Qualitätsanspruch erhalten bliebe. Es wäre meines Erachtens fatal für die NZZ, wenn sie sich einfach dem zurzeit modischen Entwicklungsstrom anpassen würde. Das hätte meines Erachtens für das Niveau der NZZ verheerende Folgen.

Ottiger Andrea 06. Februar 2014, 16:01

Sicher sollte die NZZ die Qualität hochhalten. Es kann nicht sein das man sich auf ein Niveau begibt von 200 – 300 Wörter für eine Kommunikation oder sogar unter das der Bildzeitung zu gehen damit die Quote stimmt… Aber Umsatz und Wirtschaftlich diktieren ein gewisses Umfeld. Schade Wachstum über alles ist nicht nur das einzige…

Leo Nauber 31. Januar 2014, 17:32

Betreffend Preise: Inserate sind viel zu teuer, da könnte man mit 35% – 50% Preissenkung genügend Zusatzvolumen generieren um 25% – 35% mehr zu verdienen. Bei Stelleninseraten müssten die Preise 65%fallen. Mit Zusatzmasse wäre das kompensierbar. Testen Sie es 4 Monate lang.