von Ralf Turtschi

Es steht schlecht um das Geschlecht

Kürzlich feierte die WOZ das 30-jährige Bestehen des Binnen-I: LehrerInnen, PolizistInnen, MörderInnen usw. «Typografischer Unsinn!» finden die einen, «politisches Statement!» entgegnen die anderen. Das Thema erhitzt die Gemüter schon lange nicht mehr, und die WOZ-Hausregeln haben sich kaum über die eigene Gartenmauer hinweg verbreitet. Ein aktueller Blick auf geschlechtergerechte Schreibweisen.

Radikale Ziele finden in der Schweiz keine Mehrheit. Man gewöhnt sich zwar an Schreibweisen wie iTunes oder McDonald’s – was aber mit Markenführung zusammenhängt. Das Binnen-I bei «MitarbeiterIn» sieht dem kleinen L zum Verwechseln ähnlich, und wird somit zum Augenstolperer. Es liest sich nicht flüssig. Ich schreibe abwechselnd einmal in der männlichen, einmal in der weiblichen Form, um die schwerfällige Doppelform wie «Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen» zu umgehen.

Die Vollversion der Genderfrage verfolgt uns auch beim Jahreswechsel. «Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger» werden wir von mitfühlenden Politikerinnen (beziehungsweise deren Schreiber) angesprochen. Im Gegensatz zum schriftlichen Ausdruck, wo die Bequemschreibweise vorherrscht, werden immer beide Formen gesprochen.

Die politisch korrekte Bezeichnung beider Geschlechter treibt zuweilen seltsame Auswuchtungen in die pflegliche Sprache. Aus Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern werden per Dekret Mitarbeitende. Aus Zuhörerinnen und Zuhörern Zuhörende, aus Zuschauern Zuschauende und aus Leserinnen Lesende. Fahrende. Zu-Fuss-Gehende. Besuchende, Arbeitende. E n d e. Denken Sie schon an Stimmbürgende, Mitgliedende, Abonnierende und Kundende? Denkt das alles mal zu E n d e.

Höchst aktuell ist die sprachliche Not in Stellenanzeigen. Dort ist frau bemüht, der Gleichstellung mit allerlei sprachlichen Tricks gerecht zu werden. Bei «Hebamme» allerdings versagt die sprachliche Findung. «Hebamme» (m/w) oder (w/m) ist keine echte Lösung. Der (die) Feuerwehmann (-frau) tönt auch etwas holprig.

Im Ernst. Die weibliche Form vieler Berufsbezeichnungen endet auf -in. In diesem Fall heisst es: Autor/-in, Schreiber/-in, Texter/-in.

Auch mit Klammer ist ein sprachlich korrekter Ausdruck möglich: Disponenten (-in), Journalist (-in). Vor der Klammer steht ein Leerschlag. Ohne Bindestrich und Leerschlag steht der Begriff, wenn das Wort samt Ergänzung in der Klammer durchgelesen werden kann: Per sofort gesucht ein(e) engagierte(r) Assistent(in).

Sprachlich falsch sind folgende Kombinationen, die nur mit Schrägstrich oder nur mit Bindestrich auskommen: Projektleiter-in, Leiter-in Rechnungswesen, Autor/innen. Die WOZ-Variante mit Grossschreibung ist ebenfalls nicht richtig: LeiterIn, GrafikerIn, wissenschftlicheR MitarbeiterIn.

Englisch geschriebene Berufsbezeichnungen kennen keine weibliche Endung. So ungefähr wie beim Gentleman. Sales Account Manager-/in ist also falsch. Richtig heisst es Sales Account Manager (w/m). Der falsche Ausdruck Project Manager/-in wird eingedeutscht zu Projektmanager/-in. Manager gilt als deutsch: Manager/-in ist richtig. Die Leaderin oder die Readerin, die gibt’s (noch) nicht. Und die CEOin auch nicht.

Mehr zum Thema:
www.zeichen-setzen.ch
Dr.Pingelig auf Facebook
Gratis-App «Zeichen setzen» für iOS/Android

Leserbeiträge

Annabelle Huber 29. Januar 2014, 14:34

Wem gehört die Sprache . Zitat Ende.
Und wer hat`s gesagt ?
Wem gehört die Sprache. Offensichtlich den Männern.
Und sie wollen soviel davon behalten, wie nur irgend möglich.
Und warum das ?

Ralf Turtschi 29. Januar 2014, 15:25

Sprache ist etwas sehr Lebendiges, sie gehört niemandem, weil sie kein Sachwert ist. Als Autor des Buches «Zeichen setzen!» habe ich auf 248 Seiten die Usanzen zusammengetragen, welche sich auf Duden und Heuer stützen. Das Thema sind übrigens die Sonderzeichen, und damit verbunden die schnellere Erkennbarkeit von Texten. Das Buch wurde durch mehrere Frauen lektoriert und Korrektur gelesen, die ein Interesse an gemeinsamen Regeln haben. Mit «Behalten der Sprache in Männerhand» hat das wenig zu tun. Man kann es locker angehen. Es kann heute jede so schreiben wie sie möchte, ohne dass Rückschlüsse auf ihre Bildung zu ziehen wären. Es gibt auch unterschiedliche Sprachen, in Mails, in SMS oder in der Zeitung. Und es gibt Vorzugsvarianten. Wenn jemand Konventionen und Regeln folgen möchte, dann hat er nun die Möglichkeit, in einem Werk nachzuschlagen. Und höchst wahrscheinlich werden sich auch die Usanzen neuen Gepflogenheiten anpassen. Das ist übrigens auch im Duden so.

Frank Hofmann 29. Januar 2014, 15:40

@Annabelle Huber: Genau, wir wollen das StGB nur für uns: Täterin? Diebin? Räuberin? Fehlanzeige. Dafür Arzt/Ärztin. Imnerhin gibts nur Richter, muss aber kein Vorteil sein.

Ruth Hauser 30. Januar 2014, 08:50

Lieber Herr Turtschi

Alles schön und recht und vor allem sehr treffend beobachtet. Kompliment soweit… Nur: Wie weiter…? Was würden Sie vorschlagen, um sich diskriminiert fühlende jeden Geschlechts und klassische Schreibende endlich auf eine Linie zu bringen, damit nicht jede Publikation je nach Klientel ein eigenes Deutsch erfinden muss und sich dann bei einem Teil der Abonnentenden in Ungnade bringt?

Immerhin bestätigen Sie, was schon immer mein dringender Verdacht war, nämlich dass die ghostwriter von Politikerinnen Männer sind. Oder waren Frauen im Wort „Schreiber“ mitgemeint? Als Frau hätte ich auch lieber einen Mann als Schreibkraft.

A propos: Die „Lehrpersonen“ wären auch noch eine Erwähnung wert gewesen.

Was meinen Sie übrigens zu folgender These aus einer Männerselbsthilfegruppe: Die klassische Schreibweise diskriminiert Männer, nicht Frauen, weil die sogenannt männliche Form gar nicht männlich, sondern geschlechtsneutral ist. Denn damit seien ja beide Geschlechter gemeint. Die Männer haben gemäss dieser Sichtweise gar keine eigene Form. Die Frauen hingegen sind privilegiert sind, weil sie eine eigene Form haben. Das ist nicht ganz abwegig: Freuen Sie sich bei einer „Einladung an alle meine Freundinnen“ auf den Kaffee? Ich hingegen denke bei einer „Einladung an alle meine Freunde“ schon freudig ans passende Kleid. Wer ist diskriminiert? Wäre es statt einer Einladung ein Marschbefehl auf einem Gemeindeanschlagsbrett, würde ich mich allerdings doch vornehm nicht mitgemeint fühlen. Das hat kein Ende…

Mein Vorschlag: Konzentrieren wir uns lieber auf Wesentliches.

Annabelle Huber 30. Januar 2014, 13:28

„Die klassische Schreibweise diskriminiert Männer, nicht Frauen, weil die sogenannt männliche Form gar nicht männlich, sondern geschlechtsneutral ist. “ Diese Männerselbshilfegruppenthese musste ja kommen, und natürlich von einer Fr-AU. AU(a).
Schreib-ER, Druck-ER, Grafik-ER etc.etc., alles geschlechtsneutral.
Und dann erst kriegen all diese Worte ein Geschlecht, wenn sie weiblich werden, wenn ein -in angehängt wird, ein echter Mehrwert.
Ich bin überzeugt, irgendwo wird es zu dieser Männerselbsthilfegruppe auch eine analog funktionierende Frauenselbsthilfegruppe geben, welche davon ausgeht, dass zuerst die Schreiberin, Malerin, Jägerin da war.
Mit dem Untergang des Materiarchates wurden diese ganzheitlichen Worte dann aber amputiert, das -in abgehackt und der Mann trat in die Welt, das geschlechtsneutrale, ehemals weibliche Wesen.:-)

Ralf Turtschi 30. Januar 2014, 15:34

Liebe Frau Hauser
Ich gerate da zwischen die Fronten. Ich bin kein Gleichstellungsfachmann sondern greife nur sprachliche und typografische Feinheiten auf, die im Duden oder Heuer sprachlich definiert sind. Das Genderproblem ist historisch gewachsen, alle möglichen Lösungen haben ihre Nachteile. Bei der Ausformulierung beider Geschlechter leidet die die sprachliche Eleganz, bei der abgekürzten Variante, ob mit Schrägstrich, Bindestrich oder mit Klammern, leidet die Leserlichkeit oder dann die Gleichstellung. Ich kenne keine Lösung, die allen Bedürfnissen gerecht wird. Ein bisschen Verständnis für das vielschichtige Problem, mit Gelassenheit in der Formulierung kombiniert, würde uns gut anstehen. Denn Verbissenheit, gepaart mit latentem Unterstellen einer absichtlichen oder gleichgültigenVerletzung der Gleichstellung löst das Problem nicht. Die Sprache lässt sich nicht in jedem Detail regeln. Es koexistieren heute «falsch», «richtig», «Vorzugsvariante», «richtig, aber nicht empfehlenswert» und «wird toleriert». Ob sich so etwas auch gesellschaftlich durchsetzen könnte?

Lahor Jakrlin 31. Januar 2014, 15:42

Wir unterstützen das Gutmenschentum dabei, die elt zu retten! Siehe Post auf https://www.facebook.com/fruitcakeworb

Infwiss 14. Mai 2014, 09:48

Danke für den Hinweis auf die sprachlich falschen Autor/innen. Den sollten Sie der Bildungsdirektion des Kantons Zürich zukommen lassen, die seit Jahren systematisch so schreibt: Lehrer/innen, Rektor/innen, Schüler/innen, Putzfrau/innen (nein, das letzte natürlich nicht). Leider ist diese Amtsstelle diesbezüglich äusserst resistent, auch wenn ich Ihrem Buch eine weite Verbreitung im Walcheturm gönnte.

Venty 09. September 2014, 11:47

Mindestens fuer den Firefox Webbrowser gibt’s ein prima Plug-In namens Binnen-I be gone. Einmal draufgeklickt und dieser ganze femidummdeutsche Chabis ist weg.