von Ronnie Grob

Schleichwerbe-Limbo

Die Grenzen zwischen Werbung und Inhalten vermischen sich bei einigen Schweizer Printmedien schon auf der Titelseite. Vergangenen Montag, am 24. März 2014, verloste Blick Tickets des hauseigenen Ticketcorners, 20 Minuten titelte mit einem Pressefoto von McDonald’s und Blick am Abend hatte die SBB gern.

Beispiel 1: Blick

Wir wollten wissen, welche journalistischen Gründe es hat, dass «Blick» seinen Lesern am Montag von allen Ereignissen, die sich in der Welt ereignet haben, ausgerechnet das Konzert der britischen Band Rolling Stones im Zürcher Letzigrund nahe bringen wollte. Schliesslich ist die Band schon viele Male in der Schweiz aufgetreten und das Konzert findet erst in einigen Monaten statt. Der stv. Chefredaktor Andreas Dietrich nimmt (in Abwesenheit von Chefredaktor Lüchinger) wie folgt Stellung:

Wenn die grösste Rock’n’Roll-Band aller Zeiten nach sieben Jahren wieder in die Schweiz kommt, ist das für die grösste Bezahlzeitung der Schweiz selbstverständlich ein grosses Thema. (Für andere Medien ja auch.) Dies noch mehr, als die Band nach dem Selbstmord von Jaggers Freundin – auch dies ein Thema, das Fans und Leser bewegt – anderswo Konzerte abgesagt hat. Wie die Erfahrungen der Vorverkäufe in andern europäischen Städten zeigen (innert Minuten ausverkauft), ist das Interesse an den Stones offensichtlich nicht ganz klein.

«Jede Journalistin und jeder Journalist» soll bei Ringier «ausschliesslich Weisungen erteilen und befolgen, die die Unabhängigkeit der Redaktion wahren», ist im Kapitel «Journalistische Unabhängigkeit» des «Code of Conduct» von Ringier zu lesen.

Wenn man den «Blick» liest, sollte man aber auch im Hinterkopf behalten, dass Ticketcorner zu 50 Prozent im Besitz von Ringier ist («Blick» zu 100 Prozent).

Am 24. März heisst es im «Blick»:

Der Vorverkauf startet am Mittwoch, 26. März, um 8.00 Uhr bei Ticketcorner. BLICK verschenkt schon heute exklusiv die ersten 20 Tickets (10 x 2)!

Und am 25. März fordert man seine Leser konkret dazu auf, am nächsten Tag «vor acht Uhr an den offiziellen Ticketcorner-Vorverkaufsstellen» zu sein:

Der offizielle Vorverkauf beginnt morgen Mittwoch um acht Uhr. Da die Mega-Show innert kürzester Zeit ausverkauft sein dürfte, verrät BLICK nun, wie Sie am besten zu den heiss begehrten Tickets kommen können:

Benutzen Sie mehrere Kanäle, um Tickets zu bekommen. Versuchen Sie es via Internet auf www.ticketcorner.ch oder an den offiziellen Vorverkaufsstellen (SBB, Die Post, Manor, Coop City und andere).

Falls Sie auf www.ticketcorner.ch nicht registriert sind, eröffnen Sie schon heute ein Konto. Damit Sie morgen früh gleich sofort einloggen können.

Seien Sie am Mittwoch vor acht Uhr an den offiziellen Ticketcorner-Vorverkaufsstellen.

Gehen Sie am besten an eine eher kleinere Vorverkaufsstelle auf dem Land (SBB, Post etc.). An den grossen Vorverkaufsstellen dürften sich lange Schlangen bilden.

Member von Ticketcorner können bereits heute Dienstag zwischen 8 und 16 Uhr am Priority Sale teilnehmen. Viel Vergnügen!

Um am Tag der Vorverkauf-Eröffnung, dem 26. März, Leute zu porträtieren, die im Ticketcorner am Hauptbahnhof in Zürich in der Schlange gestanden haben.

Beispiel 2: 20 Minuten

Auf Bildblog.de wurde der Fall bereits aufgearbeitet. Doch Stopp! Um ein bezahltes Inserat in redaktionellem Gewand, wie man vermuten könnte, handelt es sich keinesfalls. Tamedia-Unternehmenssprecher Christoph Zimmer schreibt auf Anfrage:

Die Themensetzung und Bildauswahl erfolgte ausschliesslich aus redaktionellen Überlegungen. Die Lancierung des neuen Burgers war eines der Themen des Tages und wurde unter Jugendlichen in der Schweiz intensiv diskutiert. 20 Minuten nahm das Thema deshalb auf, genauso wie die Redaktion beispielsweise auch über die Lancierung eine neuen iPhones berichtet.

McDonald’s-Unternehmenssprecherin Aglaë Strachwitz antwortet so:

Es handelte sich um eine redaktionelle Anfrage von 20 Minuten, die wir beantwortet haben und nicht um eine Medienschaltung. Unsere Freude, mit unseren neuen Produkten auf dem Titel zu sein, war aber verständlicherweise gross.

Während andere Firmen Inserate bezahlen müssen, schaufelt 20 Minuten ganz offenbar völlig uneigennützig die Titelseite frei, um aus rein journalistischen Gründen ein Pressefoto von McDonald’s abzudrucken. Und das kostenlos! Da ist die Freude verständlicherweise riesengross.

Beispiel 3: Blick am Abend

Wenn man den Kommunikationsverantwortlichen der Schweizerischen Bundesbahnen absolute freie Hand lassen würde bei der Wahl eines Titels in einem Bericht zu eigenen Unternehmen, wie würde er wohl lauten? Ich tippe mal auf «Die SBB zum Gernhaben». Überraschung, genau so steht das auf Seite 2 im Blick am Abend. Daneben auf Seite 3 etwas kleiner der Kontrapunkt «Die SBB zum Aufregen und Nerven». Die «Die Top Ten der schlimmsten SBB-Momente» versammeln knallhart kritische Punkte wie zum Beispiel:

Stinkende, aufdringliche, nervige Sitznachbarn landen auf Platz zwei.

Rang drei: Die Hektik am Bahnhof und das Gedränge zu den Stosszeiten.

Trifft man zum Beispiel auf eine Schulreise, ists mit der Stille im Zugabteil vorbei.

Auch in den Top Ten ist die schlechte Stimmung der Reisenden, wenn sie Liebeskummer haben, krank oder müde sind.

Platz neun für «Unterwegs ist grundsätzlich nicht wie zu Hause».

Die anderen fünf Punkte listen dann tatsächlich Probleme auf, die von der SBB gelöst werden könnten.

War die SBB in die Entstehung der Artikel im Blick am Abend involviert? SBB-Mediensprecher Christian Ginsig nimmt wie folgt Stellung:

Ja, selbstverständlich war die SBB involviert. Wir hatten schon mehrfach Themen, welche durch die Pendlerzeitungen aufgegriffen wurden. (Bsp Littering). Die Medienstelle erhielt das Interview zum Gegenlesen und dieses wurde durch uns freigegeben. Keinen Einfluss hatten wir auf den redaktionellen Teil des Textes (wie dies ja üblich ist).

Auf die Nachfrage, von wem denn die Initiative für die Berichterstattung ausging, schreibt Ginsig:

Die ging in diesem Fall von der SBB aus.

Eine Anfrage an Peter Röthlisberger, Chefredaktor des Blick am Abend, blieb unbeantwortet.

Fazit

Schleichwerbung? Nicht doch! Sowas würden Schweizer Printmedien also wirklich nicht tun. Festzustellen ist allerdings, dass Produkte, über die «redaktionell» geschrieben wird, vermehrt bereits auf den Titelseiten auftauchen. Die Eigeninteressen der Verlage scheinen oft stärker zu sein als journalistische Erfordernisse. Die Beziehung zu den Kommunikationsabteilungen von Firmen scheint nicht in einem kritischen und konkurrenzierenden, sondern eher in einem partnerschaftlichen Verhältnis zu sein. Der Weg zur journalismusfreien «Zeitung» ist wohl nur noch ein kurzer.

Von den Gratiszeitungen 20 Minuten und Blick am Abend ist nichts anderes zu erwarten, auf der Liste der Titel, die 2010 den Code of Conduct des Verbands Schweizer Medien unterschrieben haben, tauchen sie nicht auf. Der Blick dagegen hat sich verpflichtet, den Code of Conduct zu befolgen und hält dementsprechend Punkte wie diesen ein:

Im Umgang mit bezahlter Werbefläche in den Print- und Online-Medien gilt das Prinzip der Transparenz gegenüber dem Publikum. Für den Medienkonsumenten muss immer klar erkennbar sein, ob die Inhalte redaktionellen Ursprungs oder kommerziell als Werbefläche platziert und von den Dritten bezahlt sind. Redaktion und Verlag stellen gemeinsam sicher, dass diese Trennung gewahrt wird.

Dass der gelegentlich erwähnte Ticketcorner zur Hälfte Ringier gehört, hätte man ja auch erwähnen können.

Leserbeiträge

Matthias Stadler 27. März 2014, 11:21

Ich habe mich schon gefragt, ob die Medienwoche das Mc-Donald’s-Titelblatt nicht thematisiert. Zum Glück habt ihr’s gemacht, Daumen hoch.

Heinrich Gretler 01. April 2014, 14:06

Ich kann mich nicht mehr aufregen zu diesem Thema.
Denn es ist zu offensichtilich „eine Mache“ wenn es so prominent auf den vorderen Seiten erscheint.
Es bleibt: Einfach drüberlesen und selber nachdenken.
Übrigens ertönen auch beim SRG Radio die Interviews immer schön passend zu den Medienkonferenzen. Dahinter ist auch einiges an Organisation zu vermuten, damits zeitgleich auftaucht.
Nehmts locker und sucht die Qualitätsblätter im Wald, aber Vorsicht, Blätter fallen im Herbst !

Jürg Bissegger 02. April 2014, 18:47

Und hier ein Beispiel aus dem Ausland. Wie Suisse Tourisme eine französische Zeitschrift „kauft“:

http://www.rts.ch/la-1ere/programmes/forum/5715210-la-strategie-revelee-de-suisse-tourisme-avec-les-inrocks-31-03-2014.html?f=player/popup

Dazu die Nachforschungen des französischen Sites „arrêtsurimage“:

http://www.arretsurimages.net/articles/2014-04-01/Les-Inrocks-aiment-trop-la-Suisse-id6664