von Ronnie Grob

Nicht öffentlich, sprachlos, namenlos

Vier Personen teilen sich eine Vollzeitstelle für die Redaktion des Literaturclubs. Wer dort was und in welchem Umfang tut, soll nach Ansicht des Schweizer Fernsehens nicht öffentlich werden. Tatsächlich kann die Redaktion ersatzlos gestrichen werden, denn sie produziert konkret nichts, sie ist verantwortlich für den Konflikt um ein Falschzitat, im schlechtesten Fall hält sie die Diskutanten vom Lesen der Bücher ab.

Ein seit längerem schwelender Konflikt zwischen dem bisherigen Literaturclub-Moderator Stefan Zweifel und dem Schweizer Fernsehen hat letzten Monat seinen Höhepunkt erreicht und eine Trennung herbeigeführt, seit der sich beide Seiten mit Anwälten bekriegen. Zum Bruch kam es, weil Stefan Zweifel, der in der Sendung vom 22. April 2014 ein Heidegger-Zitat, das Elke Heidenreich ausdrücklich als so gefallen verteidigte, anzweifelte und danach von der Redaktion keinerlei Rückhalt erhielt. Statt seine berechtigten, höflich und zum richtigen Zeitpunkt vorgetragenen Zweifel am Zitat (Video) zu verteidigen, wurde er dafür auch noch kritisiert; so von SRF-Kulturchefin Natalie Wappler, die ihm nachträglich vorwarf, nicht auch noch Rüdiger Safranski darauf angesprochen zu haben.

Die meisten Medien stellten den Konflikt dar als eine unüberbrückbare Differenz zwischen Heidenreich und Zweifel. Tatsächlich aber begehrte Zweifel gar keine Absetzung von Heidenreich. Er verlangte, dass Esther Schneider die operative Leitung des Literaturclubs abgibt, weil sie trotz seiner schriftlichen Bitte, das fragliche Zitat zu prüfen, untätig blieb. Weiter wollte er, dass SRF den Sachverhalt abklärt. Sind das ungebührliche Forderungen von Zweifel? Nein, es wäre die Funktion einer Redaktionsleitung, Klarheit zu schaffen und die Mitarbeiter zu schützen, und zwar in erster Linie jene, die korrekt arbeiten.

Auf Zweifels Forderungen wurde nicht eingegangen, die Öffentlichkeit wurde mit einem dürren Statement abgespeist, Falschzitate sind offenbar problemlos. Wer vom Schweizer Fernsehen wissen will, wer für diese Redaktion arbeitet, die sich mit Falschzitaten nicht beschäftigen will, erhält dazu ganz ernsthaft keine Antwort. SRF-Mediensprecherin Nadine Gliesche: «Aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes können wir dazu keine Angaben machen. Im Gegensatz zu Moderationspersonen sind Mitarbeitende der Redaktionen keine Personen des öffentlichen Interesses.» Auch auf ausdrückliche Anfrage will die SRF-Medienstelle keinerlei Informationen über diese Personen herausrücken, der Öffentlichkeit bekannt werden soll lediglich dies: «Der Literaturclub wird von vier Personen betreut, dies mit einem Aufwand von total einer Vollzeitstelle. Dies umfasst sowohl Sekretariat, Produktion, Redaktion, als auch die Betreuung der Kritiker und des Moderators. Das ist möglich, weil die Redaktion Literatur trimedial arbeitet, Synergien nutzt und ein sehr gut eingespieltes Team ist.»

In einer Redaktion beschäftigte Personen (Journalisten?) sind also nicht Personen des öffentlichen Interesses, auch wenn sie im Zentrum einer öffentlichen Debatte stehen? Die unverständliche Weigerung, transparent zu sein und Fakten richtigzustellen, blamiert das Schweizer Fernsehen, und das nicht etwa bei den boulevardesken, sondern bei den seriösen Medien: «Schweizer Fernsehen blamiert sich im Streit um den Literaturclub», schrieb die FAZ. «SRF macht sich zur Lachnummer» die NZZ. In der Süddeutschen Zeitung stand: «Unerfindlich bleiben die Gründe des SRF für die Degradierung Stefan Zweifels, der – was die Aufgabe eines Kritikers nun mal ist – ein falsches Zitat als solches kenntlich machte.»

Die Lösung des Problems ist simpel: Nicht ein Stefan Zweifel muss gehen, der mit seinen klugen Gedanken, seinem Urteil und seiner Fachkenntnis in Literaturfragen eine wahre Oase ist in der grossen Wüste des Durchschnitts. Sondern die namen- und sprachlos bleiben wollende Redaktion, die sich in der SRF-Bürokratie an überflüssigen Arbeiten festhält und ansonsten nutzlos ist, wie sie bewiesen hat: Als sie einmal gefordert war, hat sie versagt.

Es braucht schlicht keine vier Personen in einer Literaturclub-Redaktion, die konkret gar kein Produkt erschaffen. Die gesamte im Literaturclub zu leistende Arbeit wird von den vier Diskutanten verrichtet, in dem sie die zu besprechenden Bücher lesen und sich im Studio treffen, um über ihre Leseerlebnisse zu reden – dafür werden sie ja auch bezahlt. Die Auswahl der Bücher könnte problemlos online abgestimmt werden oder aber in einer kurzen Sitzung nach dem Aufzeichnungstag. «Betreut» werden müssen diese Menschen nicht, es handelt sich um vernünftige Erwachsene.

Das Zitatproblem von Elke Heidenreich geht direkt auf die Arbeit der Redaktion zurück. Das fragliche Wort «entbergen» fand Heidenreich nämlich «im Dossier, das uns die Redaktion für die Sendung zur Verfügung stellte», wie sie in einer ausladenden Verteidigungsschrift in eigener Sache im Tages-Anzeiger notierte. Wer braucht denn Dossiers über Bücher? Menschen, die keine Zeit haben, Bücher vollständig zu lesen. Doch genau das ist doch eigentlich das Konzept des Literaturclubs: Vier Personen lesen Bücher von der ersten bis zur letzten Seite, im Idealfall sogar mehrmals, und diskutieren danach ihre Leseerlebnisse.

Die Arbeit der Literaturclub-Redaktion, den Diskutanten Auszüge und Dossiers der besprochenen Bücher vorzulegen, führt im schlechtesten Fall dazu, dass diese die Bücher gar nicht mehr vollständig lesen. Und wenn die Diskutanten die Bücher nicht mehr vollständig lesen, kann die Sendung auch einfach abgesetzt werden. Es wäre nur noch ein Reden von Blinden über die Farbe, eine lausige PR-Veranstaltung der Buchbranche, ein Stammtisch der Pseudoelite. Angebliche Literaturspezialisten, die das Buch, das sie besprechen, gar nicht gelesen haben, sind obsolet. Sie sollten ihren Kritikersessel Leuten überlassen, welche die Bücher tatsächlich gelesen haben, dem Redaktionspraktikanten zum Beispiel oder Frau Moser aus Huttwil. Das wäre womöglich interessanter.

Ohne die Einmischung oder die Existenz der Redaktion hätte es wohl auch gar keinen Konflikt gegeben. Heidenreich und Zweifel hätten sich öffentlich gefetzt, die Öffentlichkeit hätte darüber diskutiert, und dann wäre es in der nächsten Sendung weitergegangen, mit anderen Büchern oder indem man die Debatte nochmals kurz angesprochen hätte. Wie das SRF verheimlicht und versucht, den Skandal auszusitzen, ist einfach nur peinlich. Es hört sich hart an, aber man setzt ganz offenbar darauf, dass der durchaus streitbare Stefan Zweifel nicht ausreichend öffentliche Solidarität erhält.

Ohne Stefan Zweifel wird die Diskussionsrunde auf jeden Fall ärmer. Holt ihn also zurück und entlässt stattdessen die Redaktion. Ohne sie wird der Literaturclub nicht nur kostengünstiger, er wird auch an Format und Substanz gewinnen.

Leserbeiträge

K Müller 10. Juni 2014, 13:02

Hintergrund ist, dass die Redaktionsleitung schnell realisierte, dass Z als Moderator ungeeignet ist. Er wurde immer wieder gebeten, die Moderation abzugeben. Er wollte nicht. Darum kams jetzt auf einem Nebenschauplatz zum Eklat.

Ronnie Grob 10. Juni 2014, 13:31

Ich finde nicht, dass Stefan Zweifel als Moderator eine Fehlbesetzung ist. Was gibt es denn an seiner Moderationsleistung zu kritisieren?

Fred David 10. Juni 2014, 13:53

Wenn ich das richtig im Kopf habe, gab es zum besagten „Literaturclub“ einen Zuschauerbrief. Einen einzigen. Jedenfalls berichtete das ras. in der NZZ.

Etwas arg viel Lärm im Insider-Zirkel um einen Ausraster, den es eben in einer TV-Talkrunde gibt. Da fällt halt auch mal ein falsches Zitat, das man entweder sofort oder in der nächsten Runde mit ein wenig Souveränität richtig stellt.

Diese Souveränität darf man von einem Moderater erwarten.

Ronnie Grob 10. Juni 2014, 14:00

Moment, der Moderator war doch souverän, das ist im Video sehr gut zu sehen. Und er wollte auch das Zitat richtigstellen.

Skandale in Zuschauerbriefen aufwägen zu wollen, halte ich für den falschen Ansatz. Ich zum Beispiel habe SRF noch nie einen Zuschauerbrief geschickt, obwohl ich schon mehrfach empört war. Und wie viele Zuschauerbriefe verschickst Du so? Überhaupt haben die Reaktionen gar nichts zu tun mit der Einschätzung, was ein Skandal ist und was nicht.

Fred David 10. Juni 2014, 17:19

Na komm, ein bisschen mit Relevanz haben Zuschauerreaktionen und Fernsehen schon zu tun. Und der Moderator wollte es richtig stellen, hat er aber nicht. Kommt halt vor, aber hinterher zu Trötzlen ist auch nicht das Wahre. Die meisten Zuschauer interessiert das Drumrum doch gar nicht. Mich übrigens auch nicht.

Ich will beim Fernsehen nicht wissen, wie etwas zustande kommt. Entweder es gefällt mir oder eben nicht. Damit müssen TV-Macher leben: Es ist ein flüchtiges Medium mit vielen Showelementen, selbst dann, wenn es um Literatur und das Seiende an sich geht.

Ich will übrigens auch nicht wissen, wie sich die Talker vorbereiten. Ich halte es für selbstverständlich, dass sich Kritiker mit dem Umfeld eines Autors bez. eines Buchs beschäftigen, ob sie das nun mit einem Dossier machen, durch Internetrecherche oder ob sie gar einen intimen Draht zu den Autoren haben (was ich eher nicht so positiv fände).

Und schliesslich: Dass Literaturkritiker alle Bücher, die sie besprechen, von vorn bis hinten und womöglich mehrere Male gelesen haben wollen, halte ich für ein liebenswürdiges Gerücht. Selbst hervorragende Bücher von herausragenden AutorInnen haben bisweilen ihre Längen und Langeweilen, die man überblättert.

Ich lese gerade Tim Wolfe. Er ist für mich noch immer ein Spitzenautor, obwohl ich hemmunsglos überblättere, wenn er sich allzu sehr ins Detail verliebt.

Fred David 10. Juni 2014, 17:20

…ich meine natürlich Tom…

Bauer Silvanus 16. November 2014, 17:50

„Überblättern“ – also NICHT lesen, dann viel TAMTAM und dabei nicht wissen, ob TIM oder TOM. Das spricht für sich.
Oberflächliche Menschen haben auch oberflächliche „Moderatoren“ verdient.

Ronnie Grob 10. Juni 2014, 19:47

„Und der Moderator wollte es richtig stellen, hat er aber nicht.“ Und warum? Weil die Redaktionsleitung auf seinen Antrag nicht reagiert hat offenbar. Ist eine etwas verquere Sicht, einen solchen Sachverhalt als „hinterher zu Trötzlen“ darzustellen.

Annabelle Huber 10. Juni 2014, 21:33

Frau Heidenreich hat es ja in der Presse bereits „richtig“ gestellt.
Zwei Worte aus dem ersten Teil des Zitates stammten aus dem vorgestellten Buch, mindestens eines nicht von Heidegger, -vielleicht auch beide nicht, ich habe die Uebersicht verloren, aber solche Spitzfindigkeiten sind ja auch egal.
Und dann der zweite Teil waren ihre ganz persönlichen Gedanken, was jeder geneigte Zuschauer ganz leicht erkennen konnte.
Sie hat nicht falsch zitiert.
Jeder, welcher anderes behauptet hat nicht richtig zugehört.
Ja, Zweifel und Ronnie un ich haben einfach nicht richtig zugehört.
Dort liegt der Fehler.
Zur Erinnerung, sie hat das Zitat eingeleitet mit den Worten, sie verstehe den Satz nicht richtig, schäme sich aber nicht dafür, weil Gescheitere als sie auch Schwiergkeiten damit hätten.
Frau Heidenreich suggeriert mit dieser Aussage, dass sie nicht im Entferntesten etwas mit dem von ihr frei erfundenen Zitat zu tun hat, und dass dieses von ihr frei erfundene Zitat auch in der Fachwelt bekannt ist.
Der ganzen Rede kurzer Sinn: Frau Heidenreich sollte sich mal auf ihren geistigen Zustand untersuchen lassen.
Oder: Wie durchgeknallt ist das geistig verwahrloste Literaturclubpublikum mittlerweile, dass es dieser Argumentation zu Folgen bereit ist, schlimmer noch, zu Folgen vermag.
Wenn Herr Zweifel sich gerne mit Frau Heidenreich fetzt, dann soll er das in einem Rahmen tun, für welchen ich nicht finanziell aufkommen muss.

S. B. 10. Juni 2014, 20:29

Persönlich glaube ich, dass Fehler auf der Führungsebene geschehen sind. Und leider daraus nicht die richtigen Konsequenzen gezogen wurden. Wieso hingegen die Namen der Redaktion wichtig sind, erschliesst sich mir nicht. Und dass eine Sendung auch ohne Redaktion funktionieren würde, ist mit Verlaub recht polemisch. (Interessenbindung: Ich bin SRF-Mitarbeiter)

Claudia Schultke 11. Juni 2014, 05:57

Sehr geehrte Herr Autor,

Der Abgang von S. Zweifel hat nichts mit dem Zitat von Frau Heidenreich tun… Das müsste mittlerweile auch zu Ihnen vorgedrungen sein. Nein? Ok, ein paar Infos:

Zweifel hat schon einmal, Anfang 2013, seine Überforderung als Moderator zum Ausdruck gebracht. Man half ihm: er bekam zunächst einen Knopf-im-Ohr, für diese Art von Sendung völlig unüblich. Damit sollte er ein wenig das Gefühl der Unsicherheit verlieren und eine ständigen Kontakt zu Helfern in der Redaktion haben, die ih. Beruhigen.
Half nichts. Also bekam er regelmäßig ein 2 Wochen Coaching , jeweils vor der Sendung. Half auch nichts. Also bekam er zusätzlich eine Tag vor den Sendungen bis zu der Sendung einen psychologisch geschulten 24-Stunden Coach.
(Etwas übertrieben um jemanden auf Teufel komm raus zum Moderater zu machen, der es nun einmal einfach nicht ist, oder?)

Auch das half nichts, trotz aller Kosten und Mühen. Also hat man ihm angeboten, sich ganz auf seine Kritiker-Rolle zu konzentrieren und wollte einen anderen Miderator suchen. Da ist Zweifel ausgetrickst und hat an diverse Redaktionen Falschmeldungen herausgegeben, nach denen sein Rausschmiss was mit Heidenreich zu tun habe. Hat es aber nicht.

Lg, eine Insiderin.

Ronnie Grob 11. Juni 2014, 07:45

Ob diese „paar Infos“ der Wahrheit entsprechen und ob sie mehr sind als haltlose Unterstellungen, kann ich nicht beurteilen. Ich hatte jedenfalls nie den Eindruck, als wäre Stefan Zweifel von seinem Job als Moderator überfordert – im Gegenteil. Alle Sendungen, die ich gesehen habe, waren gut geleitet.

Nellessen 11. Juni 2014, 14:50

Woher Fr. Schultke das hat? – Dies schrieb (s.u.) ein Leser zu
http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/literaturclub-streit-geht-weiter-das-heidegger-zitat-der-elke-heidenreich-12965190.html

Und jetzt googeln Sie mal, wer das ist!

Die Mission „Altwegg“
MARC-AUREL FLOROS (MAFLO) – 31.05.2014 19:54

Zweifel war von Anbeginn kein guter Moderator. Heidenreich hat das nie kommentiert im Übrigen. Zweifel hat daher vom Srf nach den ersten Sendungen einen Coach bekommen, der ihn 2 Wochen vor der Sendung auf die Moderation versucht hat vorzubereiten. Als das nichts brachte, hat man Zweifel eine „Knopf-im-Ohr“ spendiert, damit er nicht bei jeder Gelegenheit aus dem Konzept geriet. Auch das brachte nichts.

Niklaus Ramseyer 13. Juni 2014, 18:32

Super Beitrag! Danke Herr Grob. Warum die SF-Chefredaktion die unfähige Redaktionsleitung (die es wirklich nicht braucht!) nicht schon längst eingespart und ausgemistet hat, ist völlig unverständlich.
Da sind offenbar keine seriösen JournalistInnen am Werk. Diese nämlich müssten sich nicht verstecken, sondern stehen bei jeder anständigen Publikation mit Vornamen, Namen und genauer Funktion und Verantwortlichkeit im Impressum – was auch dem Medienrecht entspricht.
Ein seriöses und anständiges Publikationsorgan würde gemäs journalistischen Standards und Regeln zudem nach einem solchen Fehltritt so verfahren:
Zu Beginn der nächsten Sendung wird Heidenreichs peinlicher Fehler richtiggestellt und sie entschuldigt sich. Wenn sie dazu nicht die Grösse hat, hat sie auch in einer solchen Sendung nichts verloren.
Nichts von alledem ist passiert, was auch Peter Studer zu seiner grossen Verwunderung feststellen musste.
Mein Fazit daraus: Diese geheime „Redaktionsleitung“ ist nicht nur unfähig, sondern auch unseriös, unanständig und vollends unnötig. Interessant wäre evtl. nur noch zu erfahren, wie und nach welchen Kriterien solche Leute überhaupt dahin kommen.

N. Ramseyer, Bern (Journalist)