von Nick Lüthi

SBB ziehen Glückslos mit Sonderbeilage

Wie die SBB den Tages-Anzeiger dazu bringen, eine Sonderbeilage zur Eröffnung ihrer neuen Durchmesserlinie in Zürich zu realisieren und dafür nichts zahlen. Einblicke in eine sonderbare Partnerschaft.

Dem Verlag war es offenbar ein Anliegen, die Fachwelt wissen zu lassen, was er da Tolles realisiert hatte. Es kommt schliesslich nicht alle Tage vor, dass man positive Nachrichten von der Werbefront zu vermelden hat. Nicht ohne Stolz schrieb das Anzeigenmarketing des Tages-Anzeigers am letzten Donnerstag: «Bereits zum zweiten Mal setzt der Tages-Anzeiger eine Print-Beilage und eine Long-Form-Story kommerziell um.»

Beim ersten Mal handelte es sich um ein Werbeformat für die Warenhauskette Globus, an dessen verkaufsfördernder Intention kaum Zweifel aufkommen konnten. Beim zweiten Mal, am letzten Freitag, liegen die Dinge ein bisschen komplizierter. Diesmal handelt es sich um eine Sonderbeilage zur Eröffnung der SBB-Durchmesserlinie und des neuen unterirdischen Bahnhofs Löwenstrasse unter den bestehenden Gleisanlagen des Zürcher Hauptbahnhofs. Wer in der Beilage blättert oder im Web die nach den Regeln des trendigen Scrollytelling aufbereiteten Artikel anschaut, versteht nicht, wieso es der Verlag war, der vorab informiert hat und nicht die Redaktion. Hier haben vor allem Journalisten ganze Arbeit geleistet und ein Jahrhundertbauwerk publizistisch umfassend gewürdigt. Die Artikel könnten genau so gut im Lokalteil der Zeitung stehen. Tun sie aber nicht und das aus gutem (oder je nach Sichtweise: schlechtem) Grund.

Bei der Sonderbeilage handelt es sich quasi um eine Auftragsarbeit für die Schweizerischen Bundesbahnen. Denn ohne die SBB gäbe es all die Artikel gar nicht in dieser Form. Es war ihre Idee, den Tages-Anzeiger für die publizistische Begleitung des Grossereignisses einzuspannen. «Wir sind mit der Idee für eine Sonderbeilage auf den Verlag zugegangen», sagt SBB-Sprecherin Lea Meyer.

Allein die Aussicht auf zusätzliche Werbefranken macht eine solche Anfrage heutzutage schier unwiderstehlich. Allerdings nur unter der Bedingung, dass die Redaktion unabhängig arbeiten könne. «Wäre dies nicht von Anfang an sichergestellt gewesen, hätte die Redaktion nicht mitgearbeitet», teilt Tamedia-Sprecher Christoph Zimmer auf Anfrage mit. Lokalredaktor und Verkehrsspezialist Ruedi Baumann, der den Grossteil der Texte zur Beilage beisteuerte, schreibt, er habe «absolut frei, ohne eine einzige Weisung der SBB» arbeiten können. Das bestätigen auch andere Journalisten, die Artikel für die SBB-Beilage geliefert haben. Die Kooperation mit den SBB habe sich in keiner Weise auf ihre Arbeit ausgewirkt.

Ganz ohne Einfluss auf den Inhalt der Beilage sind die SBB aber nicht geblieben. Schliesslich haben die Bahnen Interesse an einer angemessenen Darstellung ihres Bauvorhabens. «Zwei Kollegen unseres Kommunikationsteams haben sich mit der Redaktion getroffen und Themenvorschläge eingebracht», sagt Lea Meyer. Wie bereits Journalist Baumann hält auch die SBB-Sprecherin fest, dass «der Entscheid über die schliesslich publizierten Beiträge voll und ganz bei der Redaktion» gelegen habe. Die Medienstelle der Bundesbahnen verlangten jedoch, jene Texte gegenzulesen, in denen SBB-Personal vorkommt. Man habe sich bei der Autorisierung darauf beschränkt, Faktenfehler
zu korrigieren und nicht in die Wertung und inhaltliche Gewichtung der Journalisten einzugreifen, versichert Lea Meyer.

Auf den ersten Blick scheint die Rechnung für alle Beteiligten aufzugehen. Es sieht ganz nach einer Win-win-win-Situation aus:

  • die Bahnen erhalten eine prominente publizistische Plattform für ihren Neubau
  • der Verlag kann in der Beilage zusätzliche Werbefläche zur Verfügung stellen und kassiert
  • die Redaktion kriegt zusätzliche Ressourcen und kann umfassender über ein lokales Grossereignis berichten, als sie das mit eigenen Mitteln hätte tun können.

Auf den zweiten Blick gerät das Gleichgewicht aus der Balance. Den weitaus besten Deal machen die SBB: Es war ihre Idee, die der Tages-Anzeiger realisiert hat und sie müssen nicht einmal zahlen dafür. «Unser finanzieller Beitrag erfolgte indirekt über die Vermittlung von Inseraten unserer Baupartner», erklärt SBB-Sprecherin Meyer. Damit zogen die SBB das Glückslos. Sie zahlen nichts und kriegen die volle Aufmerksamkeit. Für die inserierenden Baufirmen ist es nicht die ideale Werbeplattform. Sie sind nicht im Endkundengeschäft tätig und erleiden mit Inseraten in einer Tageszeitung einen enormen Streuverlust.

Und was erfährt der Leser von dieser Partnerschaft? Zu wenig. Es ist davon auszugehen, dass er die Beilage als integralen Bestandteil des redaktionellen Angebots wahrnimmt, zumal sie sich im Layout nicht vom Rest der Zeitung unterscheidet, wie dies bei Publireportagen üblich ist. Zwar meint der Verlag, die Machart der Beilage sei ausreichend deklariert, wenn man sie nur mit «Sonderbeilage» kennzeichne. Im Web ist etwas ausführlicher von einer «Sonderpromotion in Zusammenarbeit mit der SBB» die Rede, was das Verständnis für die realen Abläufe aber auch nicht verbessern dürfte. Die so erfolgte Kennzeichnung mag den Grundsätzen der Lauterkeitskommission entsprechen. Für den Durchschnittsleser bleibt die zentrale Rolle unklar, welche die SBB spielten. Das liegt durchaus im Interesse beider Seiten: Die SBB sehen ihre Inhalte glaubwürdiger vermittelt, wenn nicht ein grosses Warnschild davor steht. Die Redaktion sähe ihre Arbeit herabgewürdigt, wenn ihre Artikel in die Nähe von Bahnwerbung gerückt würde.

Leserbeiträge

Monsieur Digital 12. Juni 2014, 17:34

Es ist schon erstaunlich, wie sich der Tagi dazu hinreissen lässt. Das ist bezahlte PR für die SBB ohne den Texthinweis: „Anzeige“ auf die der Chefredakture in den letzten 50 Jahren so wert gelegt hatte.
Die finanziell gebeutelte Presse hätte sich das ja bezahlen lassen können. Nun denn – es isch wi’s isch!

Lächelende Promis und eine lächelnde und Sympathie versprühende Landesmutter sind ein Garant für eine Sonderbeilage.

Ich stelle fest: „“Wo die Wühlmäuse sich durch den Untergrund durcharbeiten ist nicht unweit ein Verkehrs-Bundesrat jeder Couleur anzutrffen, der eine wichtige Rede hält, Handshakes überall verteilt und flott mit all den lächelnden lokalen Polit-Promis des jeweiligen Kantons – die sich mit orangenen Helmen – sich ablichten lässt. Wer feiert sich hier eigentlich? Ich habe mal den Fahrplan von Heute versus den zukünftigen Fahrplan gecheckt. Bis jetzt habe ich noch keine zeitliche Verbesserung entdecken können. Aber alles ist gut oder wird besser.

Das einzig beeindruckende daran ist, die Ingenieurs-Leistung der externen Firmen und den Tag- und Nacht arbeitenden Menschen die den Terminplan eingehalten haben.

Aber eines ist ganz sicher! Die SBB rüstet auf für neue Märkte: Die SBB Divisi9on Immobilien zieht mit der 365 Tage Shopping DML Mall gegenüber der vom Flughafen Zürich nach Jahrzehnten endlich gleich. Herr und Frau Schweizer können jetzt also sich ein Sonntags Shopping „Türchen“ nach Zürich kaufen und dort dann durch elegante unterirdische Einkaufsalleen wandeln. Das passt ins Konzept der SBB und den neuen strategischen Ausrichtungen der SBB. Herr Meier hatte ja bekanntlicherweise in Asien vor 3 Jahren seine Erleuchtung gehabt.
Denn in Japan, Taiwan und anderen asiatischen Staaten, wird dem klassischen Zugfahren kein Geld verdient und Gewinn gemacht. Aber mit den Immobilien und Hotels, Wellness Oasen und Service- Centren, da geht die Post ab. Der Umbau des Konzern hat schon längst begonnen, aber der Stimmbürger hat noch 6 Mrd. in die Geleise geblasen ob das effektiv dafür verwendet wird wage ich zu bezweifeln. Ein normales Unternehmen hätte sich solche Kredite am freien Markt beschaffen müssen. Warum eigentlich die SBB AG nicht auch?

Es lebe die Bähnler Nation Schweiz.

Ueli Custer 13. Juni 2014, 15:38

Das sind ja schon ziemlich wilde Verdächtigungen, die da einfach so bar jeder Grundlage abgesondert werden. Die Durchmesserlinie wurde auch nicht für den Fahrplan gebaut, der Mitte Juni in Kraft tritt sondern für denjenigen, der ab Dezember 2015 gilt. Die Auswirkung können deshalb erst dann wirklich beurteilt werden. Das wäre aus der Beilage zu erfahren gewesen, wenn man sie gelesen hätte.

Ratefuchs 12. Juni 2014, 19:23

Kann es sein, dass hier ein Missverständnis vorliegt? Die grosse Mehrheit aller redaktionellen Artikel entsteht doch so wie beschrieben. Nicht nur in Beilagen oder beim Thema SBB. Ganz etwas anderes sind Publireportagen.Das ist hier aber nicht der Fall.

Nick Lüthi 13. Juni 2014, 16:00

Wenn es dem Courant normal des Journalismus entspräche, warum müsste dann die Beilage als «Sonderbeilage» gekennzeichnet werden? Nach ihrer Argumentation wäre das ja eben gerade nicht nötig. Nein, es ist eine Grauzone, weil der Werbekunde SBB hier eine aktivere Rolle spielt als sonst üblich. Und genau diese Zusammenarbeit zwischen Verlag, Redaktion und Werbekunde habe ich dargestellt. Nicht mehr und nicht weniger.

Glückslos 12. Juni 2014, 22:52

Man kann wirklich auch alles schlecht reden. Mir hat die Beilage gefallen – informativ und spannend. Es ist doch üblich, dass eine Firma Tipps gibt für eine solche Beilage?! Bitte nicht dermassen übertreiben.

Leo Nauber 13. Juni 2014, 15:38

Genau, die Beilage ist super, auch informativ. Ob das nun für die SBB auch gerade noch Werbung macht!? Ich kann mir nicht vorstellen, dass auch nur ein einziger öfter einfach mal Bahn fahren geht, nur weil er diese Beilage gelesen hat. Und sonst, je mehr Billetverkäufe, desto weniger dürfte irgendwann der Steuerzahler, also doch eine Bedeutende Gruppe der Menschheit in der Schweiz davon profitieren.
Das wäre vielleicht etwas anderes, hätte eine Nestlé oder CocaCola oder sonst wer der üblichen Verdächtigen hier eine Sonderbeilage z.B. über ein neues Abfüllwerk publizieren lassen.

Ueli Custer 13. Juni 2014, 15:33

Im Prinzip ist diese Beilage nichts anderes als die gute alte Baubeilage, die in den goldenen Siebzigerjahren in allen Regional- und Lokalzeitungen bei jedem nur einigermassen bedeutenderen Bauwerk erschien. Mit dem grossen Unterschied, dass die redaktionellen Inhalte damals vom Bauherren organisiert wurden und für den redaktionellen Look zu sorgen hatten. Abgegrast wurden ebenfalls sämtliche am Bau beteiligte Firmen, die fast nicht anders konnten, als mitzumachen wenn sie vom gleichen Bauherren oder Architekten wieder Aufträge wollten.
Im Unterschied dazu hat die jetzt erschienene Beilage zur Durchmesserlinie viel redaktionellen Gehalt, den ich als Bahnfreak lückenlos gelesen habe weil er mich interessierte. Ich kann daran beim besten Willen nichts anrüchiges entdecken. Dass die am Bau Beteiligten diese redaktionell Leistung mit Anzeigen sponsern ist angesichts ihrer Millionenumsätze auch aus werblicher Perspektive durchaus vertretbar. Schliesslich ergibt sich für sie ein nicht zu verachtender Imagetransfer.

Othmar Buchs 13. Juni 2014, 15:41

Genau für so was würde ich auch im Internet für die Zeitung bezahlen. Aber sicher nicht, um zu erfahren, ob Brasilien nun gegen Kroatien gewonnen hat oder nicht, das rufen und schreiben 10’000ende gratis in die Welt hinaus.

Karl Lüönd 13. Juni 2014, 17:15

Lieber Nick Lüthi,
Es ist genau so wie Ueli Custer schreibt: Solche Baubeilagen sind früher zu hunderten erschienen. Sie waren für die am Bau beteiligten Auftragnehmer manchmal eine durchaus willkommene Gelegenheit, danke zu sagen für den Auftrag. Und dass die Texte von fachkundigen Leuten gegengelesen werden, kann der Qualität der Information nur gut tun. Mir missfällt einfach dieser selbstgerechte Jammerton in Deinem Beitrag – als ob jeder fachgerechte Input in einen journalistischen Text ein Angriff auf die Pressefreiheit wäre.

Nick Lüthi 13. Juni 2014, 17:42

Lieber Kari, es sei Dir unbenommen aus meinem Text einen «selbstgerechten Jammerton» herauszuhören. Aber vielleicht interpretierst du etwas hinein, das weder die Intention des Artikels war und so auch gar nicht drin steht. Das Argument, weil es schon früher Baubeilagen gab und es sie auch weiterhin gibt, braucht man die Grauzone zwischen Redaktion, Verlag und Werbekunde (als das wird die SBB vom Verlag bezeichnet in diesem Kontext), nicht auszuleuchten, lasse ich nicht gelten. Hinschauen und (be)schreiben, was ist, um Problemzonen kenntlich zu machen und Argumentationshilfen für aktuelle Diskussionen zum Thema (Stichwort: Native Advertising) bereitzustellen – so verstehe ich meine Rolle als Medienjournalist.

Ueli Custer 14. Juni 2014, 17:27

Sorry, lieber Nick, ich kann da nicht wirklich eine „Problemzone“ entdecken. Ich stimme Kari zu, dass du da ein Problem „konstruierst“ wo eigentlich keines ist. Ich bleib dabei: Als Leser fand ich die Beilage wunderbar. Alles andere ist mir in einem solchen Fall schlicht egal.

K Müller 17. Juni 2014, 15:17

Sorry Nic Lüthy. In welchem Jahrhundert lebst Du eigentlich? Solche Deals gibt es seit dem näheren Zusammenrücken zw redaktionen und Kommunikationsabteilungen. Ein Verlag muss am Ende auch Löhne bezahlen. Der Artikel liest sich gut… Aber hallo? Aufwachen bitte!

Nick Lüthi 17. Juni 2014, 21:47

Ich kann all meinen Kritikern auch noch diesen Artikel von Kollege Guggenbühl zum gleichen Thema empfehlen.