von Ronnie Grob

Distanzlos mittendrin

Martin Lejeune steht nach einem Blogeintrag in der Kritik, Exekutionen in Gaza verharmlost zu haben, einzelne Journalisten wenden sich von ihm ab. Zu Recht oder zu Unrecht? Der freie Journalist sagt gegenüber der MEDIENWOCHE, dass er sich von nichts distanzieren will, das er geschrieben habe. Dass er Hinrichtungen rechtfertige oder verteidige, werde ihm zu Unrecht unterstellt.

Berlin Neukölln, 28. August 2014, 17:30 Uhr, im Kunst- und Projektraum der SAVVY Contemporary wird eine Pressekonferenz abgehalten zum bereits am 1. August verschickten Offenen Brief Kulturschaffender in Deutschland zum Krieg in Gaza (gazaopenletter.de). Es gibt ein Podiumsgespräch, und es wird diskutiert über die Auswirkungen des Briefs («so gut wie keine Reaktionen von Politikern») und die Kritik daran («Viele Künstler haben den Brief nicht unterschrieben, weil sie ihn einseitig fanden»). Gefordert wird im Brief unter anderem, «sich für die elementaren Rechte und den Schutz auch der palästinensischen Bevölkerung einzusetzen».

Danach spricht Martin Lejeune über seine Erfahrungen im Gazastreifen. Während der Militäroffensive der israelischen Armee diesen Sommer hielt er sich dort in den Wohnräumen einer palästinensischen Familie auf, hier einer seiner Erfahrungsberichte. Auf einer Leinwand läuft eine Diashow, die in Endlosschlaufe verwundete Palästinenser und Trümmer in Gaza zeigt. «Es gibt keinen sicheren Ort in Gaza. Das macht das Leben so gefährlich», sagt Lejeune und erzählt eindrücklich von der Lautstärke der omnipräsenten Drohnen in den Strassen, vom Verwesungsgeruch einer Fleischerei, deren Kühlsysteme ausgefallen sind und über einen Vater, der Gehirnmasse seines toten Kindes in eine Plastiktüte gepackt und ihm nachgetragen hatte. Als Lejeune detailiert berichtet über Verbrennungen und Deformationen von Kindern in den Krankenhäusern, bittet ihn eine Frau aus dem Publikum, doch etwas zurückhaltender zu sein, worauf Lejeune erwidert, es sei sein Job, die Wirklichkeit zu zeigen.

Seit 2007 schreibt Martin Lejeune für überregionale Zeitungen. Schaut man sich seine Veröffentlichungen an, finden sich viele Artikel für «Neues Deutschland», das ehemalige Zentralorgan der SED, sowie einige für die «Junge Welt», das ehemalige Zentralorgan der FDJ, für die taz, den «Standard» und die WOZ. 1980 in Hannover geboren und in Nürnberg und Bielefeld aufgewachsen, studiert er seit 2004 Politikwissenschaft am Otto-Suhr-Institut der FU Berlin, sein Abitur hat er auf dem 2. Bildungsweg gemacht.

Ein Beitrag in seinem Blog «The Days of Oil and Za’atar» letzte Woche über die Hinrichtung von 18 Menschen, die mutmasslich mit der israelischen Armee zusammengearbeitet hatten, löste vielseitige Kritik aus. Martin Niewendick schrieb dazu auf Ruhrbarone.de:

Die Erschießung von 18 Menschen durch eine Terrororganisation als «ganz legal» und die Versorgung der Ermordeten durch die Hamas als «sehr sozial» zu bewerten, dürfte ein Novum in der hiesigen Presselandschaft sein.

Nicht nur ist im Beitrag keinerlei Mitgefühl für die Hingerichteten zu erspüren, er spricht auch ohne Zweifel von ihnen als Kollaborateure und übernimmt so die Einschätzung seiner (diffus bleibenden) Quellen. Zuvor schon auf Kritik stiess die Veröffentlichung einer Umdichtung eines bekannten Gedichts von Paul Celan, das die Judenvernichtung durch die Nationalsozialisten thematisiert, der «Todesfuge». «Der Tod ist ein Meister aus Deutschland» wurde dabei umformuliert in «Der Tod ist ein Meister aus Israel».

Petra Sorge berichtete für Cicero.de zunächst positiv über Martin Lejeune. Wenig später distanzierte sie sich «entsetzt» und räumte ihr «Versagen» ein, «nicht noch prüfender hingeschaut zu haben. Ich hätte früher auf meine Kritiker hören sollen.» In seinem Blog liefert Lejeune Hintergründe zu seinem Kontakt mit Sorge und bittet «um Veröffentlichung meiner Sicht der Dinge, so wie es fairer Journalismus tun sollte». Es gibt auch Stimmen in deutschen Zeitungen, die seine Berichterstattung verdanken, so der syrische Journalist Aktham Suliman in der Samstagsausgabe der Süddeutschen Zeitung.

Für die WOZ verfasste Lejeune zwei Berichte aus Syrien und am 21. August einen einseitigen Artikel aus Gaza: Lejeune traf Unternehmer und Bauern, die aufgrund der Bombardierungen vor existenziellen Problemen stehen und ihre Mitarbeiter entlassen müssen. WOZ-Auslandredaktor Markus Spörndli sieht bei diesem Text, der «klare Quellen und plausible Informationen» aufweise, keine Probleme. Im Gegensatz zum in der Kritik stehenden Blogbeitrag: «Das ist ein journalistisch schlechter Blogeintrag, der so bei uns nie erscheinen würde. Als Journalist sollte man auch in seinem Blog journalistische Standards einhalten.» Bisher war man bei der WOZ zufrieden mit seiner Leistung: «Er hat viele Leute getroffen, die Positionen haben, die wir nicht teilen. Seine Stärke ist, dass er sehr nah dran ist und reine Reportagen ohne Meinungselemente liefert.»

Die Berichte von Lejeune und auch seine Vorwürfe an das israelische Militär sind an das Vertrauen gebunden, das wir dem Reporter entgegenbringen. Warum sollten wir Martin Lejeune glauben? Wiederum: Warum sollten wir ihm nicht glauben? Es hat ihn niemand darum gebeten, doch er riskiert sein Leben für die Berichte aus dem Bombenhagel, während wir uns zutrauen, die Lage vor Ort aus unseren sicheren Wohnungen beurteilen zu können, und viele der Korrespondenten aus dem vergleichsweise sicheren Tel Aviv. Auch wenn er nicht der einzige Reporter in Gaza war, so war er doch einer von wenigen, der aufzeigen konnte, was die Menschen in Gaza während der Angriffe erleiden. Denn nicht nur die Opferzahlen sind ungleich verteilt, sondern auch die Anzahl der Vor-Ort-Berichte aus Israel und Gaza. Haben wir uns nach so vielen Jahren Nahostkonflikt nicht auf eine beängstigende Art gewöhnt an das Leiden der 1,8 Millionen Menschen im Gazastreifen? Über 43 Prozent der Bevölkerung sind Kinder unter 14 Jahren, die UNICEF schätzt, dass 370 000 Kinder vor Ort psychosoziale erste Hilfe benötigen. Diese Menschen werden nicht nur von der eigenen Regierung missbraucht, sie stellen auch den Grossteil der Opfer der militärischen Auseinandersetzung. Während andere mit den Achseln zucken, dokumentiert Lejeune das Leid der Zivilbevölkerung – und attestiert ihr gleichzeitig eine «hohe Opferbereitschaft» und einen «ungebrochenen Widerstandswillen».

Als was siehst Du Dich: Journalist, Aktivist, Berichterstatter?
Als Journalist.

Dein Blogbeitrag «Kollaborateure gefährden das Leben vieler unschuldiger Menschen. Die Hinrichtung der Kollaborateure wird in Gaza begrüßt» hat heftige Reaktionen hervorgerufen. Auf mich wirkt sowohl der Titel wie auch der Inhalt dieses Beitrags etwas wie eine Hamas-Pressemitteilung. Wo bleibt die Distanz?
Ich habe noch nie eine Hamas-Pressemitteilung geschrieben. Dieser Text beruht auf Quellen, die ich telefonisch in Gaza erreicht habe. Meine Quellen haben die Vorgänge bestätigt, die ich darstelle. Eine meiner Quellen hat den Brief fotografiert, der vor den Hinrichtungen vorgelesen wurde von einem Sprecher des Widerstands, und Widerstand, das sind nicht nur die Brigaden einer Partei, sondern die Brigaden von fünf Parteien, daher hebe ich in dem kritisierten Text keine einzelne Partei hervor. Ich sehe mich in diesem Fall als Erzähler, der die wichtigsten Passagen dieses Briefes übersetzt und mache dies auch durch die mehrfache Nennung der Quelle Brief kenntlich. Es ist kein Text, den ich einer Redaktion angeboten habe, ich habe ihn zunächst nur für Facebook geschrieben – und ihn dann später in mein Blog übernommen. Das Konzept von einem Blog ist doch, dass man einfach reinschreibt, was man erfährt und erlebt, oder nicht? Auf meinem Blog gibt es viele verschiedene Textformen, so zum Beispiel einen Hilferuf, den ich in der Ich-Form verfasst habe.

Wie erklärst Du Dir die Empörung über diesen Text?
Ich glaube, dass man in Deutschland nicht vertraut ist mit solchen Situationen, wenn der Widerstand von den Besatzern wochenlang massiv aus der Luft, zu See und zu Boden angegriffen wird und der Widerstand Kollaborateure exekutiert. Es ist wohl sehr drastisch für Menschen in Deutschland, so etwas zu lesen. Der Konsens lautet, dass man gegen die Todesstrafe ist, auch ich bin übrigens gegen die Todesstrafe. Wenn man sich nicht ausdrücklich distanziert davon, so vermute ich, hat man ein Problem. Ich verstehe das nicht, denn es gibt ja auch viele, die über die Angriffe der israelischen Armee schreiben, ohne sich davon zu distanzieren.

Warum hast Du Dich nicht aktiv davon distanziert?
Ich bin ja ein Vorort-Korrespondent. Und wenn ich in Gaza bin, dann berichtete ich nur über Gaza aus Gaza. Die Frage nach den Hinrichtungen halte ich für einen innerpalästinensischen Vorgang. Die Palästinenser müssen selbst entscheiden, wie sie damit umgehen. Ich persönlich kann übrigens nachvollziehen, dass der Widerstand so gehandelt hat, denn die Kollaborateure gefährden Menschenleben dort. Aber weder verteidige ich die Exekutionen noch rechtfertige ich sie, wie mir beides zu Unrecht unterstellt wird.

Wieso lässt Du denn nicht die andere Seite auch zu Wort kommen?
Was ist denn die andere Seite, wenn ich über Exekutionen in Gaza berichte? Für mich sind die verschiedenen Parteien und Brigaden die verschiedenen Seiten, und mit deren Vertretern habe ich gesprochen – warum soll ich da in Israel anrufen?
Ich bin unabhängig, rede mit den den Führern aller Parteien, veröffentliche Kritik an allen Parteien und bin von keiner Seite bezahlt. Ich habe stets auch über die negativen Seiten berichtet, über Drogenhandel und Schmuggel, ich habe die Hamas für ihre Wirtschaftspolitik kritisiert. Vielleicht kann man das in Deutschland nicht verstehen, aber ich habe ich meiner ganzen Zeit in Gaza nicht einen Menschen getroffen, der nicht hinter der vereinigten Widerstandsfront steht. Viele Leute sind zum Beispiel gegen die Hamas, aber hinter dem Widerstand der Hamas-nahen al-Qassam-Brigaden stehen sie.

Vielleicht, weil sie von unfreien Medien beeinflusst sind?
Nach meiner Wahrnehmung besteht in Gaza keine Diktatur, sondern eine sehr lebhafte, meinungsfreudige Gesellschaft. Auch wenn die meisten Menschen [den von der Hamas betriebenen TV-Sender] al-Aqsa TV schauen, sind viele TV- und Radio-Sender empfangbar. Wenn wir in Gaza unterwegs waren, haben wir im Autoradio oft hebräische Sender gehört, hebräische Lieder gehört.

Wie ist Dein journalistisches Selbstverständnis?
Ich bin für die Freiheit, für die Selbstbestimmungsrecht der Völker, für die Emanzipation, für die Unabhängkeit, gegen die Unterdrückung, ich vertrete universelle humanitäre Werte. Ich gehe dorthin, wo es ans Eingemachte geht und berichte 1:1 über die Sache. Ich war auch schon bei NPD-Demos, bin da mitten in die Menge der Neonazis gegangen, und habe dokumentiert, was ich da erlebt habe. Wieso soll ich mich davon distanzieren? Was man dort erlebt, spricht für sich selbst. Ich gehe überall hin und schreibe auf, was ich sehe.
Ich war auch wochenlang als Couchsurfer in israelischen Siedlungen unterwegs, ich habe aus dem Wohnzimmer der Eltern eines erschossenen Siedlers berichtet, habe Interviews geführt mit Daniella Weiss, einer Führerin der Siedler, oder mit Yisrael Medad, einem Kolumnisten der Jerusalem Times. Arye Sharuz Shalicar, den Pressesprecher der israelischen Armee, habe ich bereits zwei mal interviewt. Ich war auch schon in der Knesset und habe dort israelische Politiker interviewt.
Weiter habe ich täglich von der Flotte der Free Gaza Bewegung berichtet, einem Verband von Aktivisten, welche die Seeblockade durchbrechen wollten. Die «Junge Welt» hat mich darauf verstossen, weil ich zu einseitig pro-israelisch berichtet habe, die «Jungle World» dagegen hat mich dafür gefeiert. Ich wurde damals ein «Sprachrohr der israelischen Armee» genannt, weil ich regelmäßig von Avital Leibovitz, einer Armeesprecheirn, Informationen bekam und diese zitierte.

Du warst im Gazastreifen eingebunden / eingebettet in eine Familie. Woher kennst Du diese Leute?
Ich hatte in Bethlehem eine Theatergruppe kennengelernt, die so ihre Schicksale verarbeiten und auf der Bühne nachstellen. Als ich vor einigen Jahren das erste Mal nach Gaza fuhr, habe ich diese Freunde nach Kontakten gefragt und erhalten. Als ich da angerufen habe, wurde ich gleich zum Essen eingeladen, so habe ich den Familienvater kennengelernt. Diesen Juli nun habe ihn gefragt, ob ich nicht bei ihm wohnen könne, und er hat eingewilligt, was für mich als freier Journalist ein Glücksfall ist, denn so war ich einerseits mitten im Geschehen und konnte andererseits Hotelkosten sparen. Mein Gastgeber unterstützt die Fatah, aber um ehrlich zu sein: ich hätte lieber bei einer Hamas-Familie gewohnt, da hätte ich wohl noch mehr mitgekriegt von den Verhältnissen. Doch Anhänger der Hamas sind kulturell konservativer, man achtet hier mehr auf die räumliche Trennung zwischen Männer und Frauen. Mit meinem Gastgeber habe ich mich stets auf englisch unterhalten, er selbst spricht neben arabisch perfekt hebräisch, hat mehrere Jahre in Israel gewohnt.

Was ist der Unterschied zwischen Journalismus und Propaganda?
Propaganda ist nicht wahrhaftig und manipuliert die Menschen, davon distanziere ich mich, das ist der letzte Dreck. Und Journalismus, wie ich ihn verstehe, ist dahin gehen, wo es wehtut, wo es stinkt. Um berichten zu können, was vor Ort abgeht, aus der Mitte der Menschen.

Deine Eltern haben mit Dir gebrochen, hast Du erzählt in Deinem Interview mit «Jung & Naiv». Warum?
Ja, das ist im Juli passiert, neben den Vorwürfen belastet mich das natürlich auch. Meine Eltern sind christlich-konservative CDU-Anhänger, mein Vater ist römisch-katholisch und arbeitet in einem Reisebüro, meine Mutter ist französisch-reformiert und arbeitet als Altenpflegerin. Sie stehen auf der Seite von Israel, glauben, dass die Palästinenser alle Terroristen sind und finden furchtbar, was ich mache. Ich glaube, mein Vater würde bekräftigen, dass ich sowas wie ein «Hamas-Pressesprecher» bin.
Jetzt bricht so viel über mich hinein – was auf Twitter und Facebook abgeht, ist der Wahnsinn. Ich hatte bisher auch kaum Zeit, mich um die Vorwürfe zu kümmern, denn ich bin dauernd unterwegs, ich spreche in Moscheen, auf Veranstaltungen, mit vielen verschiedenen Quellen, und jetzt will ich auch gleich damit anfangen, meine Eindrücke aus Gaza für ein Buch zu notieren, solange die Erinnerungen noch frisch sind. Für mich ist es schwierig, damit umzugehen, ich habe ja auch keinen Krisenmanager. Ich bin freier Journalist ohne konkrete Redaktionsanbindung, und deshalb auch finanziell abhängig von meinen Arbeitgebern.

Wie machst Du nun weiter?
Ich habe nicht vor, mich von dem, was ich geschrieben habe, zu distanzieren. Ich werde aber eine Stellungnahme abgeben zu den Vorwürfen an mich. Die Redaktionen, mit denen ich bisher gearbeitet habe, werden eine Reaktion von mir erhalten, ich werde die betreffenden Ressortleiter und Chefredakteure informieren.

Das Gespräch mit Martin Lejeune wurde am 28. August in Berlin geführt.

Die Arbeitsweise von Martin Lejeune ist es, Informationen aufzusaugen und ungefiltert weiterzugeben. Ungefiltert heisst dann aber oft auch unreflektiert, unwidersprochen und ohne Distanz zum Objekt der Berichterstattung. Die Arbeitsweise erinnert an Tilo Jung von «Jung & Naiv», der sein Mikrofon genauso unbekümmert zur Verfügung stellt und die Leute erst mal reden lässt und nicht immer gleich schon Einwände bereit hat. (Nach der Kritik an Lejeune distanzierte sich Jung von ihm unter dem Titel «Distanz als Lernprozess». Seinen eigenen «journalistischen Ertrag» allerdings wolle er «nicht kompromittieren».)

Abseits von den kritikwürdigen Beiträgen stellt sich die Frage: Ist die Lejeune-Herangehensweise denn nicht in Ordnung, wenn sie alle Seiten zu Wort kommen lässt, also beispielsweise radikale israelische Siedler genau so wie radikale palästinensische? Oder ist ein Berichten, das nicht jede Aussage sofort kontert, schlicht unjournalistisch? Lejeune muss sich jedenfalls eine fehlende Distanz zu den Akteuren ankreiden lassen. Auch engagierter Journalismus erfordert (Selbst)reflexion.

Leserbeiträge

Steve Kadisha 02. September 2014, 20:03

Hanns Joachim Friedrichs hatte Recht: „Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache, auch nicht mit einer guten Sache.“ In diesem Sinne ist Herr Lejeune einfach kein guter Journalist, weil er jede kritische Distanz in Sachen Gaza aufgeben hat, auch wenn er sich vor Ort persönlich in Gefahr begibt und bienenfleißig schreibt und schreibt und schreibt. (Wobei dahin stehen kann, ob die islamstischen Terrorgruppen in Gaza wirklich eine „gute Sache“ sind.) Schon, dass sich Lejeune die Diktion der Hamas-Propaganda vom „Widerstand“ bzw. „vereinigtem Widerstand“ zu eigen macht, disqualifiziert ihn aus der Gruppe guter Journalisten. Nun ja, es muß auch schlechte Journalisten geben, um die guten zu bemerken. Allerdings sollten sich Qulitätsmedien nicht mehr den fragwürdigen Luxus leisten, Beiträge schlechter Journalisten weiter abzudrucken.

Fritz Alt 03. September 2014, 18:49

Danke für den ausführlichen Artikel, Herr Grob.

Ich hatte Herrn Lejeunes Aufschrei aus Gaza inmitten des Krieges gehört und mich gesorgt, dass beispielsweise die öffentlich-rechtlichen Medien in Deutschland anfangs bis mittendrin (zeitlich) so wenig über das entsetzliche Leid der Menschen in Gaza berichteten, die wegen der dichtgemachten Grenzen wenig Fluchtmöglichkeiten hatten.
Die (TV-)Berichte über Angriffe auf Gaza waren allermeist aus der geografisch israelischen Perspektive und fast immer wurden sogleich Berichte über die Angriffe aus Gaza auf Israel gegenübergestellt. Auf mich wirkte es wie eine Legitimationsberichterstattung.
Dass Herr Lejeune eine unmittelbare Vorortberichterstattung machte, habe ich einerseits bewundert, andererseits, ob der Gefahr, mit Sorge zur Kenntnis genommen. Welcher vernunftbegabte Mensch begibt sich freiwillig in solche.

Die nicht als Kämpfer involvierten Menschen Gazas hatten die Auswahl nicht. Eingehegt, wie sie leben müssen, wurden viele Opfer eines Kriegsverbrechens, auch wenn viele es nicht wahrhaben wollen. Es ist ein Verbrechen der Verantwortlichen in Israel, das bewohnte Gaza zu bombardieren. Und selbstverständlich ist es umgekehrt ein Verbrechen der Verantwortlichen in Gaza, bewohnte Gebiete Israels mit Raketen zu beschießen.
Und es darf keines der Verbrechen gegeneinander aufgerechnet werden. Wer direkt oder indirekt Menschen verletzt oder tötet, oder deren Verletzung oder Tod durch sein Handeln in Kauf nimmt, macht sich schuldig. Die Verantwortlichen beider Seiten haben sich schuldig gemacht. Die israelischen Täter haben jedoch mehr von ihnen verursachtes Leid auf ihr Gewissen geladen als die palästinensischen.
An Herrn Lejeunes Bericht, im Artikel über die Ermordung der sog. Kollaborateure, hat mich gestört, dass ich schwer unterscheiden konnte zwischen dem, was verantwortliche Palästinenser mitteilten, und dem, was er selber hinzufügte. Das darf einem Journalisten, der möglichst objektiv berichten und nicht missverstanden werden will, nicht passieren.
Dem vielzitierten Hajo Friedrichs folge ich dabei nur bedingt. Das Originalzitat soll nach Wikipedia lauten: „Das hab’ ich in meinen fünf Jahren bei der BBC in London gelernt: Distanz halten, sich nicht gemein machen mit einer Sache, auch nicht mit einer guten, nicht in öffentliche Betroffenheit versinken, im Umgang mit Katastrophen cool bleiben, ohne kalt zu sein. Nur so schaffst du es, dass die Zuschauer dir vertrauen, dich zu einem Familienmitglied machen, dich jeden Abend einschalten und dir zuhören.“

So viele Ankermännchen und -Weibchen, auch in den öffentlich-rechtlichen Sendern, beziehen sich darauf. Dabei orientieren sie sich, um sich nicht „gemein“ machen zu wollen, an einem „Major Consensus Narrative“ und reproduzieren diesen täglich. Wer legt den fest? Der Klub der leitenden Redaktoren, Mohn, Springer, BMW, Gott? Aber genau damit machen sie sich gemein, indem sie die auch in ihnen herrschende Narration zum Maßstab der Dinge machen und sie täglich reproduzieren. Sie machen sich sozusagen im doppelten Sinn gemein, mit sich und ihren Peer Groups, aber sie thematisieren das nicht öffentlich. Es wäre existenzbedrohend. Vor der Tür steht eine Schlange von Mitbewerbern.

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Remo Maßat 29. Januar 2015, 12:27

Kein einziger Journalist auf der Welt berichtet wirklich objektiv. Selbst dann nicht, wenn er das selbst glaubt.

Denn auch in einem Bericht, der neutral sein soll, fließt immer auch in irgendeiner Form seine eigene Meinung ein.

Was wirklich schlimm ist, sind hingegen Journalisten, die absichtlich und bewußt Falsches schreiben. Und davon gibt es – nicht nur in der Schweiz – leider eine ganze Menge.

Nora Helene 29. Juli 2015, 22:41

Martin Lejeune verdient zunächst Respekt. Ob er ein guter oder schlechter Journalist ist, vermag ich nicht zu beurteilen.

Was ich unter schlechtem Journalismus verstehe, darauf gehe ich am Schluss noch ein.

Martin Lejeune ist auf alle Fälle ein hervorragender Reporter.
Ein Reporter darf Fakten durch eigene Eindrücke ergänzen, die er, oft bei Anwesenheit am Ort des Geschehens, gesammelt hat. Idealerweise erzählt er, ohne dabei zu werten oder zu kommentieren, auch nicht durch Weglassen.
Genau DAS hat Martin Lejeune getan. Er überlässt dem Leser oder Zuhörer selbst, das Gesehene/Gehörte zu bewerten.
Da ich intelligent genug bin, dies zu tun, empfinde ich seine Berichterstattung als sehr angenehm.

Unsere öffentlich-rechtlichen Medien verfallen ständig in den Fehler, alles einseitig zu kommentieren und Stellung zu beziehen. Das ist für mich schlechter Journalismus, vergleichbar mit Gehirnwäsche oder Propaganda. Dem Leser/Zuhörer wird das Denken abgenommen, er wird förmlich entmündigt.
Für mich ist diese Art der Berichterstattung UNERTRÄGLICH.

Ich wünsche mir, wir hätten mehr von Martin Lejeune’s Sorte.