von Ronnie Grob

Blicke unter eine Decke

Gleich bei der Lektüre sehen, mit wem der Autor des Artikels Beziehungen hat: Zwei Studenten haben eine Browser-Erweiterung entwickelt, die Verbindungen von Journalisten zu Organisationen und Interessengruppen aufzeigt. Das Problem des Projekts ist die Datengrundlage, denn angezeigt werden können nur bekannte Verflechtungen.

Journalisten sind immer unvoreingenommen, haben weder Vorlieben noch Abneigungen und schreiben stets gottgleich objektiv. So weit die unhaltbare Theorie. Und jetzt die Realität: Journalisten sind Menschen wie Du und ich, sie lieben und hassen, bevorzugen und lehnen ab, sie haben Haltungen, Meinungen und einige von ihnen sind Teil von Interessengruppierungen. Da Menschen nicht schweben können und ihnen dadurch ein Standpunkt zugewiesen ist, sind sie per definitionem subjektiv und können sich um Objektivität, also um die angemessene Berücksichtigung aller Elemente einer Story, nur bemühen (vgl. «Das Märchen der Objektivität»).

Petar Marjanovic (Watson) und Angelo Zehr (Südostschweiz) sind im Vorstand der JungsozialistInnen des Kanton St. Gallen.* Peter Keller (Weltwoche) ist SVP-Nationalrat. Aaron Agnolazza (Basler Zeitung) sass bis vor Kurzem für die SVP im Einwohnerrat Riehen. Roger de Weck ist im Club Helvétique (Mitgliedschaft ruht). Markus Spillmann und Michael Ringier waren Teilnehmer der Bilderberg-Konferenz. Martin Spieler ist Verwaltungsrat im Club zum Rennweg. Ich schreibe mit an einem Blog pro Direkte Demokratie. Das ist alles bekannt und öffentlich. Doch möchte man das nicht am liebsten erfahren, noch während man einen Artikel liest, um einschätzen und bewerten zu können, wie der Journalist etwas einschätzt und bewertet?

Zwei Studenten des Master-Studiengangs «Interaction Design» der Hochschule Magdeburg-Stendal befriedigen diesen Wunsch mit einer konkreten Lösung. Ihr Produkt ist ein Browser-Add-On namens Cahoots, das aktuell für Firefox und Chrome installierbar ist. Die installierte Browser-Erweiterung zeigt Namen von Journalisten, für die Informationen zu ihren Verbindungen hinterlegt sind, markiert an. Es reicht, mit dem Mauszeiger über die Namen zu fahren, und schon erfährt man beispielsweise, dass zwischen «Zeit»-Herausgeber Josef Joffe und Organisationen Beziehungen bestehen oder bestanden haben. Von der Atlantik-Brücke über Goldman Sachs bis zur Münchner Sicherheitskonferenz führt Cahoots Verbindungen zu zehn verschiedenen Organisationen auf.

Die Macher der Erweiterung sind beide 1990 geboren und arbeiten nebenbei bei Agenturen als Designer: Jonas Bergmeier studierte bis 2012 Mediendesign an der MHMK Köln, Alexander Barnickel bis 2012 Wirtschaftspsychologie an der FH Erding. Entstanden ist das Projekt nach einer Ausgabe der Satiresendung «Die Anstalt», die unter anderem aufgrund von Forderungen zu Unterlassungserklärungen und einstweiligen Verfügungen von «Zeit»-Journalisten gegen das ZDF berühmt geworden ist. Der betreffende Ausschnitt nimmt Bezug auf die Dissertation «Meinungsmacht» des Medienwissenschaftlers Uwe Krüger, über die wir ausführlich berichtet hatten (vgl. «In und mit der Elite»):

Das Hauptprojekt der Studenten in diesem Semester war «Protest», und nach der «Anstalt» von Ende April war das zuvor lange gesuchte Thema gefunden. Als die beiden das Projekt erstmals bei Reddit der Öffentlichkeit vorstellten, waren sie überwältigt von positiven Feedback. «Letztendlich ist es auch für uns eine tolle Erfahrung, Studienprojekte nützlich zu machen. Es kommt ja leider selten vor, dass Studienprojekte Anklang finden und genutzt werden, das motiviert einen dann doch auch sehr», sagt Bergmeier. So lange sie das Projekt nicht auffresse, wollen sie es weiterverfolgen – und zählen dabei auch auf die Mitarbeit der Crowd.

Barnickel will von den Journalisten, dass sie für ihn Sachverhalte oder Informationen neutral einordnen. Er will ihnen gerne vertrauen, das fällt jedoch schwer, wenn sie Verbindungen zu bestimmten Interessenorganisationen haben: «Wenn die Neutralität nicht da ist, dann hat der Journalist verloren. Dann kann ich nicht mehr ernst nehmen, was der schreibt.» Medienkompetenz hält er für eine wichtige Eigenschaft, aber von derart detailierten Fragen ist auch er überfordert: «Ich kann die ‹Welt› inhaltlich natürlich von der ‹Taz› unterscheiden, aber ich kann nicht immer wissen, was einzelne Journalisten unterscheidet.» Bergmeier ergänzt: «Wir als Bürger können bestimmte Relationen einfach nicht einschätzen, da brauche ich Leute, die mir das erklären. Und dann möchte ich auch wissen, ob die irgendwelche Interessen vertreten.»

Die Add-Ons funktionieren soweit, und geplant ist, das Hinzufügen von Journalisten transparenter und demokratischer zu gestalten. Doch noch fehlt eine breite Datenbasis: Da bisher nur wenige Publizisten ihre Haltungen und Interessen öffentlich machen, braucht es, um an eine gesicherte Information heranzukommen, Recherche. Kurz: Zwei Studenten stellt sich die klassische journalistische Aufgabe, herauszufinden, welche Interessenbindungen Journalisten haben, weil diese Jäger und Anwälte im Interesse der Wahrheit offenbar wenig Interesse haben, solche Informationen mit der Öffentlichkeit zu teilen. «Es ist schwierig, Quellen zu Hintergrundinformationen über Journalisten zu finden», sagt Bergmeier.

Bisher hat die Erweiterung 530 Nutzer bei Firefox und 590 Nutzer bei Chrome. Hat man sich mal an die markierten Journalisten-Namen gewöhnt, will man bald nicht mehr ohne sie surfen. Auch wenn man sich die Verbindungen nicht jedes Mal anschaut – so schnell vergisst man nicht mehr, dass Journalisten in Wechselbeziehungen stehen. Die Achillesferse des Projekts wird die Glaubwürdigkeit der Datengrundlage sein – hier hätten die Studenten etwas Unterstützung verdient. Warum nicht von Journalisten?

Und übrigens: «to be in cahoots (with someone)» wird übersetzt mit «(mit jemandem) unter einer Decke stecken», «(mit jemandem) gemeinsame Sache machen», «(mit jemandem) paktieren».

* Nachtrag vom 10. September: Petar Marjanovic ist seit Ende August nicht mehr im Vorstand.

Leserbeiträge

Jürgen F. 15. September 2014, 10:50

Als Ergänzung zur Doktorarbeit von Uwe Krüger könnte den beiden Studenten das dieser Tage erschienene Buch des ehemaligen FAZ-Journalisten Udo Ulfkotte „Gekaufte Journalisten“ dienen.

H.U.Mayr 28. September 2014, 20:08

Genial! Dank im Namen der Transparenz!

Ralf Pytlik 29. September 2014, 09:10

Sehr geehrter Herr Grob,

ganz lieben Dank für den Hinweis auf dieses sehr nützliche Add-on!
Habe es gleich intensiv weiterverbreitet!

Die Kungelei im Hintergrund ist widerlich und alles, was hilft, diese aufzudecken ist prima.

Weiter so!
R.P.

Jürgen F. 29. September 2014, 10:59

Die Add-On ist wirklich toll. Noch besser wäre sie, wenn auch die Netzwerke von Schweizer Journalisten aufgelistet werden würde. Beispielsweise von Eric Gujer, der bei der NZZ einen auffällig pro-amerikanischen und pro-europäischen Kurs eingeschlagen hat.

Ronnie Grob 29. September 2014, 11:08

Das Vorschlagen von Verbindungen ist möglich, hier.

Amanda 01. Oktober 2014, 16:35

Endlich wird den Menschen die auf der Suche nach annähernder Realität sind, die Möglichkeit gegeben Informationen zusätzlich selbstständig zu hinterdenken. Ich hoffe, dass es noch mehr Menschen geben wird, die Ihre Denkpraxis erweitern, wenn Sie sich ein Bild von etwas machen möchten! Es lohnt sich!

Kilgore Trout 01. Oktober 2014, 23:20

Ich weiss ja nicht, woran es liegt, aber mit Firefox 32.0.3 und MacOSX 10.9.5 passiert da einfach nur gar NICHTS. Selbst wenn ich Herrn Josef Joffes Artikel bei Zeit-Online Aufrufe.

Welche Tracker muss ich bei Ghostery whitelisten, damit das geht?

Kilgore Trout 02. Oktober 2014, 19:08

So, inzwischen weiß ich, woran es lag: Ich hatte Firefox so eingestellt, dass ich immer im „privaten Modus“ surfe. Sobald das abewählt ist, funktioniert das Add-On.