von Ronnie Grob

Wie «man» Brandenburg sieht

NZZ-Redaktor Roman Bucheli führt vor, wie umständlich «man» schreiben muss, um nicht «Ich» zu sagen. Seine Spurensuche im schneedurchzogenen märkischen Sand folgt einer rituellen Tradition des NZZ-Feuilletons – mit ausführlich rapportierten Wanderungen durch deutsche Winterlandschaften stopft «man» seit Jahren das Januarloch.

Kürzlich veröffentlichte das NZZ-Feuilleton einen Reisebericht, eine zu einem Feuilleton-Aufmacher ausgeartete kleine Bloggerei von Roman Bucheli, in der das Wort «ich» versehentlich mit dem Wort «man» vertauscht wurde (zur Veranschaulichung habe ich die Begriffe hervorgehoben, sofern sie im Text vorkommen):

In Berlin Friedrichstrasse war man in den Zug ostwärts nach Frankfurt an der Oder gestiegen. Bloss einen kurzen Augenblick war man während der Fahrt hinaus aus der Stadt unaufmerksam gewesen: Schon säumten nicht mehr Häuser die Bahnlinie, man fuhr nur noch durch Wald. Kiefern, nichts als Kiefern, und gelegentlich ein paar Birken. Aber die Wälder waren ja auch das Ziel und natürlich die Spree. In Hangelsberg wollte man aussteigen, weil der Bahnhof nur ein paar hundert Meter von der Spree entfernt liegt. Und weil da Wege locken, die bis zum nächsten Bahnhof in Fürstenwalde, etwa auf halber Strecke zwischen Berlin und Frankfurt an der Oder, durch Wälder und den Mäandern der Spree entlangführen. Aber kaum war man ausgestiegen und der Zug in der Ferne dem Blick entschwunden, bereute man es schon fast wieder: Verlassen war die Kneipe beim Bahnhof, von Bahnhof konnte auch gar keine Rede sein, kein Mensch nirgends, es war kalt in diesen Wintertagen und schon um die Mittagszeit fast wieder dämmerig düster. Aber man war aus Berlin herausgefahren, um einmal den Flussauen entlangzugehen: Das hatte man sich in den Kopf gesetzt.

Vor elf Jahren war Ro-«man» Bucheli schon mal in Berlin und schrieb über den Lyriker Lutz Seiler und das Peter-Huchel-Haus in Wilhelmshorst. Der Beitrag vom 2. Februar 2004 startete damals so:

Vielleicht eine halbe Stunde fährt man mit der Regionalbahn vom Berliner Bahnhof Zoologischer Garten nach Wilhelmshorst, und dennoch fühlt man sich in eine andere Welt versetzt. Der Bahnhof, doch Bahnhof ist schon zu viel gesagt, liegt mitten in einem lichten Kiefernwald; da und dort ducken sich vereinzelte Häuser unter die mächtigen Bäume. Ein Dorf ahnt man allenfalls, sehen kann man es nicht. Die paar Leute, die aus dem Zug aussteigen, zerstreuen sich rascher, als man es für möglich hält. Die in dieser Jahreszeit früh hereinbrechende Dämmerung hat sie geschluckt, noch während man sich, etwas zaghaft, umschaut. Nur sporadisch fährt ein Auto vorüber, sonst liegt die Strasse still, fast fürchtet man, sie könnte sich unmerklich zwischen den Kiefern verlieren. Man geht auf dem ungepflästerten Gehsteig auf märkischem Sand – und möchte nicht wissen, wie schnell sich solche Wege bei Regenwetter in morastige Pfützen verwandeln. Die Zeit, so denkt man, ist hier – nein, nicht stillgestanden, aber irgendwie verlangsamt.

Die obsessive «Ich»-Vermeidung in persönlichen Beobachtungen scheint also fast eine «Man»-ie von Bucheli zu sein. Interessiert eigentlich den Leser der Neuen Zürcher Zeitung, was Männer erleben, wenn sie durch den Brandenburger Winter wandern, 700 Kilometer weit weg von Zürich? Es ist anzunehmen, denn es ist nun schon der dritte Januar in Folge, dass das NZZ-Feuilleton jemanden genau damit beauftragt.

30. Januar 2015: Roman Bucheli wandert in Fürstenwalde, 50 km südöstlich von Berlin: «Vor Hunden fürchtet sich der Wanderer ungleich mehr als vor bösen Buben.»

13. Januar 2014: Tom Schulz wandert in Neuruppin, 70 km nordwestlich von Berlin: «Eine Pizzeria sei auf dem Weg, den Wanderer zu stärken.»

5. Januar 2013: Norbert Hummelt wandert in der Schorfheide, 50 km nördlich von Berlin: «Eine gespannte Stille ist es nicht, die all die ergrauten Paare um sich verbreiten; man scheint in Jahren übereingekommen, dass nicht mehr viel zu sagen ist.»

Leider werden die Texte jedes Jahr schlechter. Gegen den genau beobachtenden und sprachlich überzeugenden Text von Hummelt fällt Buchelis Werk ab. Von Schüssen aus seiner Kontemplation gerissen, «gerät der Wanderer unvermeidbar und vollends ins Sinnieren» und driftet im zweiten Teil des Texts ab in die Geschichte. Etwas bemüht beschäftigt er sich über drei Absätze lang mit Clara Grunwald und listet deren biografische Details auf; ein eigener Artikel dazu wäre die wohl bessere Lösung gewesen.

Wie wär’s eigentlich, wenn die NZZ-Feuilletonisten mal mehr durch und rund um Zürich wandern würden? Tiefgreifende Emotionen, die in Worte gefasst werden wollen, befallen sie vielleicht ja auch in Hombrechtikon oder Schafisheim. Könnte statt Wanderer Botho Strauss in der Uckermark nicht auch Wanderer Robert Walser im Appenzell ein Vorbild sein? Walser, König aller Spaziergänger in der Schweizer Literatur, wird in den «Wanderungen mit Robert Walser» von Carl Seelig wie folgt zitiert: «Je weniger Handlung und einen je kleineren regionalen Umkreis ein Dichter braucht, umso bedeutender ist oft sein Talent. Gegen Schriftsteller, die in Handlungen exzellieren und gleich die ganze Welt für ihre Figuren brauchen, bin ich von vornherein misstrauisch. Die alltäglichen Dinge sind schön und reich genug, um aus ihnen dichterische Funken schlagen zu können.»

Leserbeiträge

M. Pestalozzi 02. Februar 2015, 15:33

Man fühlt sich von diesen scharfsinnigen Beobachtungen sehr unterhalten und ist beglückt. Empfehlen liesse sich im Umland von Zürich für solche Wanderungen auch der Pfannenstil. Dort begegneten sich immerhin Max Frisch und Albin Zollinger.

Annabelle Huber 02. Februar 2015, 15:46

Hahaha, sehr lustiger Text.
Das konnte ja nicht ohne Resonanz bleiben für den RoMAN,
das Schwelgen in seiner MANie in mysthischem Deutschen Walde.
Früher oder später musste das verschmähte RO aus der Dunkelheit treten und seinen Platz einfordern.
ROnnie gROb ist durch seine doppelte RO Besetzung wohl wie wenig andere dazu geeignet, dies zu bewerkstelligen.
So versteht sichs auch von selbst, dass mindestens zwei mans nicht betont wurden im Bucheli Text von 2004.
Der Text von Hummelt überzeugt vorallem inhaltlich, dicht und anklingend.
Also ich würde gerne im nächsten Januar einen Text von ROnnie lesen in der NZZ z.B. aus dem Brandenburger Wald, so als Ergänzung.

Ronnie Grob 02. Februar 2015, 16:53

Die zwei zuvor nicht hervorgehobenen «man»s sind nun auch markiert, danke für den Hinweis!

Für die NZZ würde ich jederzeit im Brandenburger Wald wandern. Doch leider sind die Honorare, welche die NZZ an Freie zu zahlen bereit ist, alles andere als zufriedenstellend und somit keine Option für Journalisten wie mich, die tatsächlich auf ein Einkommen angewiesen sind.

Christian Hilbrand 02. Februar 2015, 16:12

Na und? Ich habe diesen Artikel aus dem Brandenburgischen Winterwald mit Genuss gelesen und mich gefreut, dass das NZZ-Feuilleton seinem Namen gerecht wird. Und nun will mir die Medienwoche weismachen, dass ich einem Januar-Ritual aufgesessen bin.
Nun ja, vielleicht muss ich künftig wirklich weniger surfen und dafür öfters Gedrucktes lesen. Gelegenheit dafür gibt es neben dem NZZ-Feuilleton ja genug: „Reportagen“, „DU“,“Filmbulletin“, „Bulletin“ (der CS), „bulletin“ (der NIKE), „echt“ sind nur einige Beispiele dafür. Nebenbei erfährt man do so einiges über unsere Welt, unsere Gesellschaft und uns Menschen – jedenfalls mehr als in den hysterischen Schlagzeilen-Artikel der sogenannten Zeitungen. Und auch mehr als in „Medien-Sekundärliteratur“ wie der Medienwoche…

Marius Schären 02. Februar 2015, 16:22

Danke, Herr Grob, fürs Aufgreifen des Themas. Es fänden sich täglich Beispiele im Blätterwald, in denen die Schreibenden zu vertuschen versuchen, dass sie die Schreibenden sind … „Der Testesser“ in der „Bund“-Serie „Aufgetischt“ etwa ist ein Klassiker; wird auch mitunter munter im gleichen Text mit „wir“ gemixt.
Ich versteh dieses Gebaren nicht. Warum macht „man“ (bzw. „der Schreibende“, „die Journalistin“, etc.) das? Bitte nicht mit der Journalistenregel kommen, dass man objektiv zu sein hat. Gerade in Texten, in denen es hauptsächlich um die persönliche Wahrnehmung geht, ist das nur ein fertiger Witz. In allen anderen eigentlich auch.
(Und von wegen Wanderziele: Meine Rede, Herr Grob.)

Myriam Holzner 03. Februar 2015, 11:21

Tatsächlich: Beim Lesen wundere ich(!) mich(!), was man (Mann?) damit bezweckt…

Wobei es m.E. noch eine Steigerung dieser Unsitte gibt: WIR zu sagen, wenn man von sich redet/schreibt. Wird leider im Journalismus, noch mehr aber im Management, gehäuft verwendet.

Die Egozentrik hat sich stark ausgeweitet. Wer sich schämt, dauern «ich», «mir», «mich», «mein»… zu schreiben, sollte vielleicht die Basics guten Journalismus‘ mal wieder beachten. Das heisst: weg von der Selbstbefindlichkeit – hin zum fundierten Bericht mit mehreren Quellen.

Das gilt natürlich nicht Reportagen! Wohl aber für sehr viele journalistische Textsorten.