von Ronnie Grob

Blendle: Schweizer Verlage zeigen wenig Interesse

Das niederländische Startup Blendle wird als «iTunes für Zeitungsartikel» gefeiert. Tatsächlich bringt das Portal dem Online-Leser endlich eine gute Usability, ein simples Bezahlsystem und eine Auswahl von potenten Medien. Den Printmedien bietet sich eine Chance, die sie nicht verpassen sollten. Während Blendle die Schweizer Verleger unbedingt mit im Boot haben möchte, ist deren Interesse an einer zusätzlichen Vertriebsplattform bisher bescheiden bis inexistent.

Was macht heutzutage jemand, wenn er von der Lust auf ein Medium überfallen wird? Er sucht eine bestimmte Website oder App auf, um dort eine möglichst uferlose Auswahl vorzufinden. Hat Melanie Lust auf Musik, so öffnet sie Spotify und sucht sich dort eine Band, einen Song, eine Playlist. Will Sandro fernsehen, so öffnet er Netflix und sucht dort eine Serie, eine Doku oder einen Film. Aber was macht Laura, wenn sie mal ein paar wirklich gute journalistische Texte lesen will, und es ist 22:30 Uhr, und der Kiosk ist zu? Für Laura gibt es nun Blendle. Auf dem Smartphone, auf dem Tablet, auf dem Laptop.

Klingt das wie ein Werbetext? Ja, genau. Ich bin zwar nicht bezahlt, Blendle gut zu finden. Aber ich finde Blendle gut. Die Software macht mir den Eindruck, als könnte sie eine Lösung bereit halten für all die Probleme, die Printmedien im Internet bisher hatten: Konkurrenzierende Zeitungskioske, katastrophale Usability, komplizierte Bezahlsysteme. Eine Flatrate wie bei Spotify oder Netflix gibt es bei Blendle zwar nicht, und trotzdem vergisst man das Bezahlen ziemlich schnell, was eindeutig für die Bequemlichkeit des Angebots spricht. Im Unterschied zu anderen Online-Kiosken wird Blendle Konsumenten zu bezahlenden Kunden machen, die bisher wenig bis gar nichts für Journalismus bezahlten.

Was macht nun Laura, die am Dienstagabend faul auf dem Sofa liegt, ihren Geist aber noch etwas beschäftigen will? Sie blättert auf Blendle durch die Seiten eines digitalen Mediums. Oder sie lässt sich Artikel vorschlagen, von Kontakten und Algorithmen. Die Titel und die Leads sind frei zugänglich. Will sie den ganzen Artikel lesen, dann klickt sie ihn an, und der vom Medienunternehmen dafür verlangte Betrag wird ihr vom Guthaben abgebucht. Liest sie den Text mit Gewinn, so ist die Transaktion abgeschlossen: Laura ist zufrieden, weil sie einen guten Text gelesen hat. Das Medienunternehmen ist zufrieden, weil es einen guten Text verkauft hat. War Laura hingegen unzufrieden mit dem Stück oder hat es nicht ihren Erwartungen entsprochen, so gibt sie es einfach wieder zurück und bezahlt nichts dafür.

Was ist Blendle überhaupt? Ein Startup aus Utrecht, das im April 2014 angefangen hat, seine Dienste in den Niederlanden anzubieten. Das man Blendel ausspricht, so wie Googel also. In das die New York Times und die Axel Springer Digital Ventures drei Millionen Euro investiert haben. Das zur Mehrheit den Co-Gründern Marten Blankesteijn und Alexander Klöpping gehört. Und das ganz offensichtlich DER eine Kiosk für journalistische Textmedien im Internet sein will.

Lohnt sich Blendle für Schweizer Medienkonsumenten? Nun ja, zur Auswahl stehen der Economist, das Wall Street Journal, die Washington Post. Der Spiegel, der Stern, Cicero. Die Zeit, die FAZ, die Süddeutsche, die Welt, die deutsche Bilanz. 11 Freunde und die Sport-Bild. Die Gala, die Brigitte und die Neon. Und einige Titel mehr.

Machen die Schweizer Medien mit? Bisher sind ihre Medien bei Blendle nicht zu finden. Immerhin fällt in der kleinen Gruppe der Blendle-Beta-Tester ein Name auf: Steven Neubauer, Geschäftsleitungsmitglied der NZZ. Auf Anfrage teilt er mit, er finde «das Angebot von Blendle sehr interessant». Mehr ist nicht zu erfahren: «Über die Existenz oder den Status von Verhandlungen geben wir grundsätzlich nie Auskunft.» Die anderen grossen Schweizer Zeitungsverlage scheinen derzeit wenig Interesse zu haben. Ringier-Mediensprecher Edi Estermann antwortet: «Der Online-Kiosk ist bislang kein Thema bei Ringier. Wir führen unseren eigenen, sehr gut frequentierten Online-Kiosk.» Tamedia-Sprecher Christoph Zimmer: «Wir verfolgen Blendle und andere Anbieter mit Interesse, planen derzeit aber keine Kooperation.» AZ-Medien-Sprecherin Nathalie Enseroth: «Mit dem Online-Kiosk Blendle gibt es aktuell keine Gespräche, und es sind momentan auch keine vorgesehen.»

Wann startet Blendle im deutschen Sprachraum? Bald. Blendle-Gründer und -CEO Marten Blankesteijn jedenfalls möchte die Schweizer Verleger unbedingt dabei haben, wie er auf Anfrage mitteilt:

«I’m very eager to have Swiss publishers on board. Blendle poses a huge opportunity, especially for publishers in smaller countries like Switzerland. On Blendle, Swiss publishers can grow their potential audience significantly.»

«Ich möchte die Schweizer Verleger unbedingt dabeihaben. Blendle bietet eine riesige Chance, vor allem für Verlage in kleineren Ländern wie der Schweiz. Auf Blendle können Schweizer Verleger ihr potenzielles Publikum deutlich erweitern.»

Blendle wolle den weltbesten Journalismus allen zugänglich machen, schreibt Blankesteijn, und dank Globallizenzen für alle Blendle-Zeitungen sei das auch möglich. In der Schweiz sei Blendle mit vielen Verlagshäusern in Kontakt, doch bis zur Unterschrift, also bis zum Vertragsabschluss, werde man diesbezüglich nichts mitteilen.

Sollten die Schweizer Verlage da mitmachen? Schliesslich behält Blendle von den erlösten Transaktionen satte 30 Prozent für sich, was man mit Recht unverschämt viel finden kann. Wiederum: Warum haben die Printverlage selbst so etwas bisher nicht hingekriegt? Wer bei Blendle mitmacht, gibt, genau wie auch im Apple-Store, Kontrolle und Rechte ab. Ob die bezahlte Verbreitung an zufriedene Kunden wichtiger ist oder die totale Kontrolle über die eigenen Medien – das muss am Ende jeder Verlag selbst entscheiden. Klar ist, dass je mehr von ihnen mitmachen, desto mehr es sich für den Kunden lohnt, sich bei Blendle zu registrieren und Geld auszugeben. Am Schweizer Medienkongress 2015 in Interlaken können sich die Medienmanager (am Freitagnachmittag, 11. September) mal in Ruhe (und auf Englisch) anhören, was Blankesteijn so zu sagen hat. Der Vortrag läuft unter dem ergebnisoffenen Titel «Kommt Blendle, der digitale Zeitungs-Kiosk, in die Schweiz?»

Was ändert sich für den Journalismus? Setzt sich Blendle durch, so wird dank Datenauswertungen sehr schnell klar, welche Inhalte von welchen Journalisten gelesen und gekauft werden und welche nicht. Anders als bei den simplen Klickmessungen, die oft nicht mehr sind als ein Ausweis niederer Triebe, wird die Blendle-Auswertung den gefragten Journalismus und die gefragten Journalisten herausschälen. Verlage werden sich in der Folge von nicht nachgefragten Journalisten trennen, nicht nachgefragte Texte einstellen. Ob diese Entwicklungen für den Journalismus positiv sind oder nicht, ist derzeit noch nicht abzuschätzen.

Übersetzungen: Ronnie Grob