von Nick Lüthi

Integrationsauftrag nicht erfüllt

Seit Jahren erhält die SRG schlechte Noten für die Erfüllung ihres Programmauftrags. Insbesondere die Integrationsleistung lasse zu wünschen übrig, stellen Forscher regelmässig fest. Die SRG lässt das nicht gelten. Sie sieht ihre vielfältigen Bemühungen schlecht gespiegelt in der wissenschaftlichen Analyse, gesteht gleichzeitig aber auch programmliche Defizite ein.

Es ist ein Kreuz mit der Integration: Bereits 1998 stellte der Kommunikationswissenschaftler Andreas Wuerth der Integrationsleistung der SRG-Programme schlechte Noten aus. Wuerth sah eine «wachsende Diskrepanz zwischen politischem Wunsch und medialer Wirklichkeit». Heute, siebzehn Jahre später, beobachtet Forscher René Grossenbacher: «Wie die SRF-Radios zur Integration der Ausländer beitragen sollen, ohne über und mit diesen zu kommunizieren, ist schwer nachvollziehbar.» Überhaupt sei «der Beitrag der meisten SRG-Radios zum Zusammenhalt der Landesteile zum Austausch zwischen den Religionen, zur Integration der Ausländer und zum Kontakt mit den Auslandschweizern kaum erkennbar.»

Das ist starker Tobak: Die SRG versagt in ihrem Kernauftrag. Und das seit Jahren und systematisch. Artikel 2, Absatz 2 der geltenden Konzession besagt: «In ihren Programmen fördert sie [die SRG] das Verständnis, den Zusammenhalt und den Austausch unter den Landesteilen, Sprachgemeinschaften, Kulturen, Religionen und den gesellschaftlichen Gruppierungen. Sie fördert die Integration der Ausländerinnen und Ausländer in der Schweiz, den Kontakt der Auslandschweizerinnen und -schweizer zur Heimat sowie im Ausland die Präsenz der Schweiz und das Verständnis für deren Anliegen. Sie berücksichtigt die Eigenheiten des Landes und die Bedürfnisse der Kantone.»

Einen Grossteil ihrer Existenzberechtigung leitet die SRG von dieser Bestimmung ab; sie soll mit ihren Programmen für den gesellschaftlichen Zusammenhalt sorgen. Wo immer leitende Persönlichkeiten die Unverzichtbarkeit ihres Unternehmens preisen, steht der Integrationsauftrag zuvorderst, gleichsam als die noble Aufgabe eines Service-public-Veranstalters. So auch bei der Neujahrsansprache von SRG-Generaldirektor Roger de Weck vor drei Jahren im freiburgischen Bösingen. Das Lokalblatt berichtete: «Und so war er denn auch bei seinem Hauptargument angelangt: Die Integration halte die Schweiz zusammen, und sie sei der Grundgedanke der Eidgenossenschaft. In diesem Sinne überbrachte er den Anwesenden seine Neujahrswünsche.»

Die SRG selbst sieht ihren Auftrag in diesem Punkt weitgehend erfüllt an, «auch wenn eine einzelne Studie unseren Effort nicht spiegelt.» Mit einer «einzelnen Studie» meint SRG-Sprecher Daniel Steiner die jüngst veröffentlichte «Analyse der Radioprogramme der SRG SSR 2014» der Forschungsfirma Publicom. Den Auftrag dazu gab das Bundesamt für Kommunikation Bakom im Rahmen einer «systematischen Programmanalyse». Damit lässt die Behörde regelmässig überprüfen, ob und wie die SRG, die in der Konzession geforderten Leistungen, dabei insbesondere den Programmauftrag, erfüllt. Eine solche Untersuchung verfügt indes über eine beschränkte Aussagekraft, wie die Forscher selbst einräumen. Sie könnten «lediglich das empirische Datenmaterial und Interpretationsansätze liefern, nicht jedoch eine abschliessende Bewertung der erbrachten Programmleistungen.»

Trotz dieser Relativierung fällt auf, wie Publicom seit 2008 in Sachen Integrationsleitung zu immer ähnlichen Schlüssen kommt. Sowohl bei Austausch und Vermittlung zwischen den Sprachregionen als auch die Ausländerintegration betreffend, sieht die Wissenschaft unbefriedigende Leistungen. Wie bereits 2012, als die Integrationsleistung fokussiert betrachtet wurde, beobachten die Forscher auch im Untersuchungsjahr 2014 «uneinheitliche Leistungsniveaus hinsichtlich integrationsrelevanter Programminhalte» in den SRG-Programmen. Zum Beispiel die italienischsprachige Schweiz: Diese finde «in der Realität der SRF-Programme praktisch nicht statt», lautet der pauschale Befund – mit einer löblichen Ausnahme. Radio SRF 4 News verfügt über ein fixes Sendegefäss mit Berichten aus der Südschweiz. Das Positivbeispiel ist aber auch nur die sprichwörtlichen Ausnahme, welche die Regel bestätigt.

Lis Borner, Chefredaktorin Radio SRF, teilt die Einschätzung der Forscher nicht und verweist auf die vielfältigen Bemühungen des Deutschschweizer Radio, die lateinischen Sprachregionen ins Programm zu bringen. Ihre Liste ist lang: Im Durchschnitt jeden zweiten Tag werde ein anderer Landesteil thematisiert, weiss die Chefredaktorin. Und das allein nur in ihrem Zuständigkeitsbereich der Radioinformation. Dazu kämen eigene Sendungen mit Fokus auf die lateinische Schweiz auf Radio SRF 1 und 4. Des weiteren regelmässige Korrespondentenberichte aus der West- und Südschweiz. «Diese Beispiele sind meiner Meinung nach deutliche Zeichen dafür, dass wir unseren Auftrag und die anderen Sprachregionen wirklich ernst nehmen», findet Lis Borner. Die jüngeren Massnahmen sollten sich entsprechend positiv in der nächsten Untersuchung in zwei Jahren niederschlagen.

Diese Entwicklung beim sprachregionalen Austausch ist nicht zuletzt eine Folge der Motion Maissen. 2010 verlangte der damalige Bündner Ständerat Theo Maissen (CVP) von der SRG die Einrichtung eines TV-Kanals für Sendungen in den vier Landessprachen. Die Idee eines eigenständigen Programms fiel als unrealistisches Vorhaben schnell durch, aber National- und Ständerat forderten den Bundesrat stattdessen auf, für eine bessere Konzessionserfüllung der SRG zu sorgen. Darauf reagierte die SRG mit zahlreichen Massnahmen und schuf unter anderem Sendungen zum sprachregionalen Austausch.

Eindeutiger sieht das Bild um den Programmauftrag zur Integrationsförderung aus. Und es sieht düster aus. In ihrer Programmanalyse schreibt Publicom hierzu Klartext: «Wie die SRF-Radios zur Integration der Ausländer beitragen sollen, ohne über und mit diesen zu kommunizieren, ist schwer nachvollziehbar.» Betroffene bestätigen diese desaströse Diagnose. «Es wird viel mehr über uns als mit uns gesprochen in den Medien», weiss etwa Hamit Zeqiri. Der Präsident der Integrationsfachstellen-Konferenz stellt ausserdem fest, dass die Berichterstattung zufällig stattfinde und meist über negative Ereignisse ausgelöst. Solche Kritik kommt auch aus der SRG selbst. Erst kürzlich hat der Regionalrat der SRG Deutschschweiz dazu eine Tagung organisiert. Und in einem aktuellen Videobeitrag benennt Publikumsrätin Jasmina Causevic die – bekannten – Defizite:

Die Programmverantwortlichen der SRG sind sich des Mankos bewusst. Radio-Chefredaktorin Lis Borner bezeichnet die Umsetzung der Konzessionsvorgabe in diesem Punkt als «eine echte Herausforderung». Nicht dass Radio SRF untätig geblieben wäre. «Wir haben mit verschiedenen Formaten experimentiert, waren aber nie ganz zufrieden.» Das Defizit sei erkannt, man arbeite daran. Insgesamt sei die Sensibilität für das Thema gewachsen, «nicht zuletzt, weil wir etliche MitarbeiterInnen mit Migrationshintergrund in unseren Teams haben». Ein Weg, den auch Integrationsspezialist Zeqiri begrüsst. Andere Sender, etwa joiz, leisten hier ganz ohne amtlichen Programmauftrag verhältnismässig mehr mit wesentlich weniger Ressourcen als eine SRG.

Man könnte deshalb auch die Frage stellen: Ist die SRG überhaupt imstande, den Integrationsauftrag zu erfüllen? René Grossenbacher hat inzwischen berechtigte Zweifel: Er hält die Konzessionsvorgaben für «völlig unrealistisch». Man könne doch im Zeitalter des Internet und der sozialen Medien nicht im Ernst annehmen, dass die SRG einen wesentlichen Beitrag zur Ausländerintegration leisten könne, teilt Grossenbacher auf Anfrage mit. Das Bakom, in dessen Auftrag Grossenbacher mit seiner Publicom die Programme analysiert hat, sieht indes keinen Handlungsbedarf. Man pflege mit der SRG «einen regelmässigen Austausch zum Thema Integration».

Schon bald könnte alles ganz anders aussehen. Die Konzession der SRG läuft Ende 2017 aus. Bei der Diskussion um den Service public geht es auch um die Grundlagen des Programmauftrags. Je nachdem, ob und wie die grossen Linien neu gezeichnet werden, ändern sich auch die Vorgaben für das Programm. Wenn aber die Service-public-Leistung der SRG gestärkt werden soll, was eigentlich weit herum als Konsens gilt, dann dürfte der Programmauftrag sicher nicht gelockert werden, nur weil es Schweizer Radio und Fernsehen bisher nicht geschafft haben, die Ausländerintegration befriedigend und konzessionskonform umzusetzen. Was aber besser greifen müsste, wäre eine Aufsicht, die verbindlichere Auflagen machen und im gegebene Fall auch sanktionieren kann. Dafür bräuchte es aber eine unabhängigere Aufsicht als heute, unter anderem eine Forderung der Medienkommission.

Leserbeiträge

Heinz Bonfadelli 16. Dezember 2015, 07:09

Nick Lüthi sollte vielleicht einmal auch einen Blick in die Qualitätsbewertungen durch das Publikum werfen, welche wir für das Bakom seit einiger Zeit durchführen. Aber SRG-Bashing ist halt in.

Herbert Fischer 29. Dezember 2015, 10:41

Lieber Heinz Bonfadelli,

diese Qualitätsbewertungen interessieren mich sehr. Wo kann ich sie einsehen, ev. gar herunterladen?

Besten Dank für Ihre Antwort und ebensolche Grüsse

Herbert Fischer Redaktor http://www.lu-wahlen.ch

http://www.lu-wahlen.ch/kolumne-der-redaktion/news/2015/02/19/8400-dossier-die-revision-des-radio-und-fernsehgesetzes/

http://www.lu-wahlen.ch/die-redaktion-empfiehlt/news/2012/04/21/2318-dossier-medien-maerkte-maechte-macherinnen/