von René Zeyer

Die blinden Flecken der «Panama Papers»

Wer ist die Quelle? Wie ist sie an die Informationen gelangt? Woher weiss ich, dass das alles echt ist? Und vor allem: cui bono? Essenzielle Recherchefragen, welche die Hundertschaften von Journalisten im Fall der «Panama Papers» bisher nur ungenügend oder gar nicht beantwortet haben.

Lincoln Steffens (1866 – 1936) gilt neben Upton Sinclair als der Urvater des investigativen Journalismus. Als «Muckraker» (Nestbeschmutzer) verleumdet, deckte der US-Journalist Bestechung und Korruption in Politik, Wirtschaft und in staatlichen Organen auf. Der Sammelband mit Steffens Recherchen «Skandalbericht. Hintergründe der Korruption in den USA.» ist längst vergriffen, sein Name vergessen.

Früher bestand investigativer Journalismus aus zeit- und kostenintensiven Recherchen, dem Zusammenpuzzeln von Dokumenten, Aussagen und Schlussfolgerungen. Zentral wichtig dabei war, dass jede noch so skandalträchtige Information erst dann publiziert werden kann, wenn sie von einer unabhängigen zweiten Quelle bestätigt wurde. Denn nur so konnte man sicher sein, als Journalist nicht angefüttert oder instrumentalisiert zu werden.

Heute läuft das vielfach ganz anders. Der Journalist sitzt in seiner Verrichtungsbox im Grossraumbüro, googelt und telefoniert so vor sich hin, durchforstet die Weiten des Internet, ob es irgendwo eine Meldung gibt, die er per copy/paste der eigenen Leserschaft als brandneu servieren kann. Da trudelt plötzlich eine Nachricht ein: «Interessiert an Daten? Ich teile gerne.» Und hoppla, das Angebot wächst sich zu 2,6 Terabyte Daten aus mit 11,5 Millionen Dateien. Ein modernes Märchen? Keineswegs, so soll es einem Redaktor der «Süddeutschen Zeitung» widerfahren sein.

Früher hätte sich der investigative Journalist, nach oberflächlicher Sichtung des Materials, ein paar Fragen gestellt. Wer ist diese Quelle? Wie ist sie an diese Informationen gelangt? Woher weiss ich, dass das alles echt ist? Und vor allem: cui bono? Wem nutzt das, werde ich instrumentalisiert, soll ich der Lautsprecher für Absichten werden, deren Motive und Hintergründe ich nicht kenne? Auch nicht unwichtig: Welche Implikationen hat die Tatsache, dass die mir zugespielten Unterlagen offensichtlich durch eine Straftat erlangt wurden? Mache ich mich bei einer allfälligen Veröffentlichung zum Komplizen eines Verbrechers; sollte ich das Diebesgut nicht besser den zuständigen Strafbehörden übergeben?

Heute stellt sich der moderne Journalist nur eine einzige Frage: Wie kann ich diesen Datenberg bewirtschaften? 11,5 Millionen Dateien sprengen meine Möglichkeiten und die Ressourcen meines Mediums. Aber schön, dass es das «International Consortium of Investigative Journalists» (ICIJ) gibt. Diese spendenfinanzierte US-NGO bietet jeweils ein Netzwerk von Medienorganen aus der ganzen Welt auf und stellt die Software zur Verfügung, mit der solche gigantischen Informationshaufen katalogisiert werden können. In der Schweiz gehören ihm unter anderen die «SonntagsZeitung» und der «Tages-Anzeiger» an.

Früher hätte sich ein investigativer Journalist überlegt, mit welchen Hilfstruppen er sich einlässt. Eine Recherche der Finanzquellen des ICIJ, darunter die Ford Foundation, eine Stiftung der Kellog-Familie oder der Milliardär George Soros, hätte ihm zu denken gegeben. Auch die Tradition des ICIJ hätte ihn befremdet, mit den «Offshore Leaks» oder den «Swiss Leaks» jeweils skandalträchtige Einblicke in die Abgründe von Steueroasen, Offshore-Paradiesen, asozialen Superreichen, gar kriminellen Geldwaschmaschinen von Drogen-, Waffen- und Menschenhändlern sowie die Finanzströme von Terrororganisationen zu versprechen – und nichts strafrechtlich Relevantes zu liefern. Er hätte auch darüber nachgedacht, ob die mit einer Publikation verbundene Verletzung der Privatsphäre oder der ruinierte Ruf von Tausenden von Menschen durch die Aufdeckung eines angeblichen Skandals gerechtfertigt ist.

Heute weiss der moderne Journalist, dass die Verwendung der Begriffe Briefkastenfirma, Steueroase, reiche Steuerhinterzieher und kriminelle Machenschaften genügt, um die Unschuldsvermutung oder die Tatsache, dass die völlig legale Errichtung eines Trusts oder vieler anderer Finanzvehikel jedem problemlos erlaubt ist, zu überstrahlen. Wozu da den kleinen Rechercheaufwand betreiben, der erweisen würde, dass im angelsächsischen Recht ein Trust einfach ein Rechtsinstitut ist, dessen Geschichte in der Feudalzeit Englands beginnt, und Briefkastengesellschaften völlig legal überall auf der Welt existieren, auch in der Schweiz.

Früher wäre es einem investigativen Journalisten aufgefallen, dass in allen bisherigen «Leaks» wie auch in den «Panama Papieren» alle üblichen Verdächtigen auftauchen: kleine Inseln in der Karibik und im Pazifik, Panama natürlich, solche Konstrukte verwendende Banken, darunter Schweizer natürlich – aber die grösste Steueroase der Welt, die USA, nicht. Genauso wenig wie England, der weltweit grösste Verkäufer von Briefkastenfirmen und ähnlichen Vehikeln. Ihm wäre auch aufgefallen, dass sich unter den bösen Buben, Geschäftsleuten und PEPs (political exposed persons) – also staatliche Amtsträger – kein einziger US-Parlamentarier oder Geschäftsmann befindet.

Heute genügt es dem modernen Journalisten, dass die «Umgebung» des bösen Buben Putin, ein saudischer Kronprinz, der Ex-Geheimdienstchef von Ruanda und viele «Verwandte und Vertraute von Politikern und hohen Beamten» in den gestohlenen Unterlagen auftauchen. Haben die sich dadurch strafbar gemacht, Dreck am Stecken? Das ist dem modernen Journalisten egal, der sich zum Ankläger und Richter in einer Person aufschwingt.

Früher hätte sich ein investigativer Journalist vertieft mit der Firma beschäftigt, der dieses Datenmeer gestohlen wurde. Die panamaische Kanzlei Mossack Fonseca existiert seit über 40 Jahren und hat sich laut eigenen Angaben darauf spezialisiert, Finanzvehikel herzustellen und sie an Zwischenhändler weiterzuverkaufen, also unabhängige Vermögensverwalter, Finanzinstitute und Banken. Mit der Endverwendung dieser Produkte habe man nichts zu tun, sagt Ramón Fonseca Mora, einer der beiden Gründer, deshalb sei es in der jahrzehntelangen Geschichte der Kanzlei noch nie zu einer einzigen Anklage oder gar Verurteilung gekommen. Es handle sich bei diesem Verbrechen offensichtlich um einen Angriff auf den Finanzplatz Panama.

Heute nimmt das der moderne Journalist nicht wirklich zur Kenntnis, denn Fonseca machte diese Aussagen auf Spanisch, und wer beherrscht schon diese Sprache. Stattdessen wird das «unauffällige Bürogebäude» in Panama-Stadt von aussen beschrieben, «nichts weist hier auf die illustre Klientel hin, die mithilfe von Mossack Fonseca offenbar Milliardensummen am Fiskus vorbeischleuste». Man beachte das Wort «offenbar», ein Platzhalter für «völlig beweisfreie Behauptung». Der moderne Journalist stellt lieber genealogische Forschungen an. Der zweite Besitzer heisst Jürgen Mossack, offenbar mit deutschen Wurzeln. Laut ICIJ war dessen Vater «Nationalsozialist und Angehöriger der Waffen-SS». Aha, alles klar: wie der Vater, so der Sohn.

Niemand will behaupten, dass Finanzkonstrukte wie Briefkastenfirmen nicht für alle möglichen Schweinereien, von Steuerhinterziehung bis zu schwerstkriminellen Machenschaften, verwendet werden. Es muss aber festgehalten werden, dass das ICIJ und alle seine Hilfstruppen im Journalismus dem Ruf und der Bedeutung der Vierten Gewalt einen Bärendienst erweisen. Wenn auch die «Panama Papers», wie ihre Vorgänger, nach kurzzeitiger Erregungsbewirtschaftung nicht zu Strafuntersuchungen, Anklagen und Verurteilungen führen, sollte man den Begriff «investigativer Journalismus» dafür nicht mehr verwenden dürfen. Schon alleine aus Respekt vor Lincoln Steffens.

Leserbeiträge

Fabian Baumann 05. April 2016, 11:08

Wenn auch die tatsächliche Bedeutung der „Panama Papers“ noch schwer abzuschätzen ist, sind im Artikel doch einige fragwürdige Unterstellungen dabei – etwa, dass keine Daten mit anderen Quellen abgeglichen worden seien, dass die legale Verwendung von Briefkastenfirmen nicht thematisiert würde, dass keine Beteiligung Englands aufgezeigt würde. Stimmt so alles nicht ganz.

René Zeyer 05. April 2016, 12:21

Auch Sie hätten wenigstens ein «offenbar» vor Ihre beweisfreien Behauptungen stellen sollen. «Stimmt so alles nicht ganz» ist nicht nur sprachlich, sondern auch inhaltlich verunglückt. Sie wollen einfach um eine klare Tatsache herumrudern: Bislang besteht das einzige nachweisbare Verbrechen aus dem Datenklau. Ergänzt um den Generalverdacht, dass im Prinzip jeder, der etwas mit Offshore oder Briefkasten zu tun hat, ein potenzieller Verbrecher ist. Vielleicht sollten Sie sich den verlinkten Fall Gunter Sachs nochmal anschauen, da stimmte nämlich wirklich überhaupt nichts.

Fabian Baumann 05. April 2016, 12:53

Ich will um gar nichts herumrudern. Ich bin keineswegs Experte für Briefkastenfirmen und behaupte auch gar nicht, dass die Journalisten bei der Aufarbeitung der „Panama Papers“ alles richtig gemacht haben. Ich bin nur etwas irritiert davon, wie Sie diese Journalisten pauschal beschuldigen, schlechte Arbeit zu leisten, aber nicht einmal die Erklärungen zum Datenleck in der SZ zur Kenntnis nehmen.

Peter Herzog 05. April 2016, 12:31

Durchaus Fragen, die man aufwerfen kann. Zum Kontakt mit der Quelle und zum Factchecking gibt es von der SZ einen Artikel. Dass kein Amerikaner und wenig Europäer drunter sind, ist einfach zu ekläre : Diese nutzen amerikanische und britische Oasen. Nur sind diese in den jetzt geleakten Papers nicht dabei. Es gibt noch andere grosse Briefkasten-Firmen-Dienstleister, nur is von diesen offenbar (noch…) nichts geleakt.

Simon Zaugg 05. April 2016, 13:28

Meiner Ansicht nach bringt der Artikel wichtige und richtige Kritikpunkte zum Vorschein. Er klingt mir aber zu sehr nach „früher war alles besser“. Man darf nicht vergessen, dass wir in einer Zeit des Wandels sind, des digitalen Wandels. Es gibt neue Geschäftsmodelle, neue journalistische Herangehensweisen, neue Möglichkeiten der Datenauswertung etc. Neue Regeln oder die Neuinterpretation alter Regeln für den Journalismus der Zukunft werden sich dabei auch etablieren, da bin ich mir sicher.

Klaus Bonanomi 06. April 2016, 10:09

Es geht nicht um Erregungsbewirtschaftung. Es geht auch nicht darum, jemandem strafbares Verhalten nachzuweisen. Der Skandal ist es ja gerade, dass vieles von dem, was hier aufgedeckt wird, völlig legal ist und dass anderseits vieles in einer legalen Grauzone stattfindet. Und das grosse Verdienst der „Panama Papers“ ist es, dass sie aufzeigen, wie diese weltweiten Netzwerke operieren. Weshalb sollte jemand mit viel Aufwand eine Scheinfirma in der Karibik gründen, wenn er ganz sauber geschäftet, ordentlich alles versteuert und nichts zu befürchten hat? Die Investition in die teuren Anwälte muss sich doch lohnen.

Moritz Kaufmann 08. April 2016, 14:34

Ein peinlicher, verklärter Rant gespickt mit Verschwörungstheorien. Dann hätte der Autor zu seiner Zeit also die Füsse hochgelegt oder die Daten dem Absender zurückgeschickt und womöglich auch noch das Porto selbst bezahlt? Sehr fragwürdiges Berufsverständnis. Die Panama-Papiere haben ein paar wirkliche Skandale aufgedeckt. Beispiel? Der isländische Premierminister versteckt Geld in einer ausländischen Firma, während die eigenen Leute pro Monat maximal 2500 Franken in Fremdwährungen umtauschen dürfen. Das alles wurde akribisch und akkurat aufgearbeitet. Alle Protagonisten hatten mehrmals zu Möglichkeit, Stellung zu beziehen oder Gegenbeweise vorzulegen. Meine Hochachtung vor den beteiligten Journalisten.

Tom Schott 04. Mai 2016, 01:30

Vielen Dank, Herr Bonanomi und Herr Kaufmann, für Ihre wichtigen und richtigen Stellungnahmen! Die Meinung, legale Sauereien seien des investigativen Journalismus nicht würdig, und der Vorwurf der unsorgfältigen Arbeitsweise ohne unabhängige Zweitquellen sind geradezu hahnebüchen. Ist der Autor so dumm wie sein Gschreibe, oder schreibt er wider insgeheim besseres Wissen nur um der Aufmerksamkeit willen oder gar um sich bei den schmierigen Geschäftemachern anzubiedern?