von Adrian Lobe

Journalismus aus der Vogelperspektive

Kamerabewehrte Drohnen spielen im Journalismus eine immer wichtigere Rolle, nicht nur für spektakuläre Bilder von Sportveranstaltungen, sondern auch zur Recherche und Verifizierung. Erschwert und eingeschränkt wird die Arbeit mit den fliegenden Kameras durch Sicherheitsvorschriften und Persönlichkeitsrechte.

Drohnen erleben einen Boom. Ob in der Landwirtschaft, wo Winzer Drohnen über ihre Weingüter aufsteigen lassen oder im Handel, wo Amazon Pakete bald mit Drohnen ausliefern will und Konkurrent Alibaba dies bereits tut – die unbemannten Flugobjekte erfreuen sich mannigfacher Verwendungsmöglichkeiten. Auch im Journalismus kommen Drohnen verstärkt zum Einsatz. Die britische BBC nutzt seit 2013 einen mit einer Kamera ausgestatten Hexacopter, um Videoaufnahmen in abgelegenen Gebieten zu machen. So ließ ein Filmteam der BBC für eine Dokumentation im Rahmen des Bahnprojekts High Speed 2 (HS2), bei dem eine Hochgeschwindigkeitsstrecke zwischen London, und Manchester gebaut wird, eine Drohne über einem leerstehenden Areal in London aufsteigen, wo ein neuer Bahnhof entsteht.

Game changer
Der Einsatz ferngesteuerter fliegender Kameras erlaubt ganz neue Einsichten und Perspektiven, die vorher kaum oder nur mit größerem Aufwand (etwa einem Helikopter oder Sportflugzeug) möglich waren. Die Fachzeitschrift «Columbia Journalism Review» schrieb 2014 in einem Artikel: «Für Medien können Drohnen ein game changer sein, mit einer Macht, die die Fähigkeit der Journalisten, Geschichten zu erzählen, fundamental ändern wird.» Der Zuschauer sieht die Schauplätze aus der Vogelperspektive. Spektakuläre Luft- und Landschaftsaufnahmen, aber auch Bilder, die Angst machen: Ein Drohnenvideo des russischen Senders «Russia Today News» zeigte im Februar das Ausmaß der Zerstörung in der syrischen Stadt Homs: zerbombte Häuser, Betongerippe, Trümmerlandschaften.

Die BBC hat im Dezember 2013 mithilfe einer Drohne eine Reportage über die Proteste in Thailand realisiert. Die Drohne überflog den Demonstrationszug, sodass sich der Journalist aus sicherer Entfernung ein Bild über das Ausmaß der Proteste verschaffen konnte. Das hat den Vorteil, dass sich Kameraleute nicht mehr an die Front in gefährliche Situationen begeben müssen und gleichzeitig unabhängige Informationen über das Ausmass der Kundgebungen gewinnen können – die Teilnehmerzahlen, von Polizei und Veranstaltern ,weichen meist erheblich voneinander ab. Datenjournalisten könnten eine Drohne in den Himmel aufsteigen lassen, um mit Sensoren die Feinstaubbelastung zu messen und so objektive Messwerte zu bekommen, die mit den offiziellen Zahlen verglichen werden können. Die kritische Hinterfragung amtlicher Angaben ist mithin eine genuine Aufgabe des Journalismus.

Bei der BBC gibt es ein eigenes Drohnenteam
Die BBC verfügt über ein eigenes Drohnenteam, das im Rahmen verschiedener Projekte Videoreportagen produziert. Die Ausbildung dauert sechs Monate – vorher dürfen die Journalisten nicht fliegen. Der Drohnenpilot muss überdies stets Sichtkontakt zum Flugobjekt haben, so schreibt es die britische Luftfahrtbehörde vor. Das gilt auch in der Schweiz, wo die Gesetzgebung im internationalen Vergleich jedoch recht liberal ist. Bis zu einem Gewicht von 30 Kilogramm dürfen Drohnen ohne Bewilligung aufsteigen.

Auch bei Tamedia denkt man über den Einsatz von Drohnen nach, wenn auch in geringerem Umfang. «Der Bedarf an Drohnen zur Unterstützung der journalistischen Arbeit ist bei den Tamedia-Medientiteln sehr klein», teilt Sprecherin Nicole Bänninger auf Anfrage mit. «Es kann gelegentlich vorkommen, dass solche Fluggeräte für aktuelle Luftaufnahmen, Straßen- oder Immobilienprojekte zum Einsatz kommen, wobei wir natürlich stets die gesetzlichen Vorgaben beachten.» Die «Tribune de Genève», die zur Tamedia-Gruppe gehört, hat mithilfe einer Drohne ein Video des reißenden Flusses Arve beim Hochwasser im Mai 2015 realisiert.

Mit Drohnen Skandale aufdecken
Drohnen könnten auch zu investigativen Zwecken eingesetzt werden, etwa um herauszufinden, was sich hinter den Fassaden eines Schlachthofs abspielt. Geht dort alles mit rechten Dinge zu? Kamerabewehrte Drohnen eröffnen Reportern ganz neue Spielräume für riskante Recherchen. Das Überfliegen abgeschirmter privater Grundstücksbereiche ist – anders als Drohnenaufnahmen, die auf öffentlichen Veranstaltungen angefertigt werden und keiner Einwilligungspflicht der abgebildeten Personen bedürfen – aber insofern problematisch, als hier das Recht auf Pressefreiheit mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht kollidiert.

Die zivile Nutzung von Drohnen wirft eine Reihe rechtlicher Fragen auf – Stichwort Privatsphäre – und führt nicht selten zu Konflikten. 2015 wurden beim WEF in Davos drei BBC-Journalisten von der Polizei vernommen, weil sie unerlaubt Aufnahmen in der No-Fly-Zone machten. Peter Vanham, Mediendirektor des WEF, entdeckte beim diesjährigen Gipfeltreffen eine Drohne und twitterte ein Foto. In der Schweiz dürfen Drohnen nicht über Menschenansammlungen oder in der Nähe von Flughäfen aufsteigen. Im vergangenen Jahr wurde der Al Jazeera-Journalist Tristan Redman zu einer Geldstrafe von 1000 Euro verurteilt, weil er ohne Lizenz eine Drohne über Paris flog. Frankreich will bei der anstehenden Fußball-Europameisterschaft aus Sicherheitsgründen unerlaubte Überflüge verhindern. Dazu sollen die Gebiete über den zehn Stadien und den Trainingslagern der 24 teilnehmenden Mannschaften zu Flugverbotszonen erklärt werden.

Die Jagd nach immer besseren Bildern
Ganz ungefährlich sind die Flugobjekte auch nicht. Beim Slalom von Madonna di Campiglio im Dezember 2015 stürzte eine Kameradrohne mit voller Wucht auf die Piste und verfehlte den österreichischen Skifahrer Marcel Hirscher haarscharf – der Ski-Star schrammte nur knapp an einem Unglück vorbei. Kaum vorstellbar, was passiert wäre, wenn er von dem Ungetüm erfasst worden wäre. Der Fall beschäftigte auch den Ski-Weltverband FIS.

Es ist ein schmaler Grat: Einerseits müssen Sicherheitsaspekte berücksichtigt werden, andererseits will auch die Kulisse etwa bei der Lauberhorn-Abfahrt vor dem Dreigestirns Eiger, Mönch und Jungfrau wirkmächtig in Szene gesetzt werden. Regisseure und Produzenten kämpfen um neue spektakuläre Bilder: Mit HiMotion-Kameras, die Bilder in Superzeitlupe liefern oder der ursprünglich für Spionagezwecke entwickelten Helikopter-Kamera Cineflex, die auch bei Tempo 300 wackelfreie Bilder macht. Auf die Drohne, die von 2012 an Hundschopf und Minschkante bei der Lauberhorn-Abfahrt gefilmt hat, wurde das letzte Mal jedoch verzichtet – die Rechtslage sei unklar, hieß es seitens der Veranstalter. Der Einsatz von Drohnen im Journalismus eröffnet neue Perspektiven, birgt aber auch zahlreiche Risiken.