von Nick Lüthi

Mut oder Verzweiflung?

Erstmals in ihrer 236-jährigen Geschichte verkauft die NZZ den prominentesten Platz ihrer Zeitung integral. Die Ausgabe vom Samstag, 8. Oktober startet nicht mit dem traditionellen samstäglichen Leitartikel, sondern mit einer ganzseitigen Autowerbung.

«Courage changes everything» prangt in fetten Lettern auf der Front der NZZ. Darunter etwas kleiner der Absender der Botschaft: «Der neue Panamera». Das ist ein Sportwagen des Herstellers Porsche. Der Mut, den die NZZ aufbrachte (oder war es doch eher Verzweiflung?), die Frontseite exklusiv für eine kommerzielle Botschaft herzugeben, ändert zwar nicht alles, aber doch vieles. Dass die Premiere der Werbeummantelung in der 236-jährigen Zeitungsgeschichte ausgerechnet auf einen Samstag fällt, macht die Sache umso pikanter: Anstatt der Chefredaktor mit seiner wöchentlichen Weltdeutung, begrüsst einen der neue Panamera mit einer belanglosen, weil austauschbaren Marketingphrase.

«Uns ist bewusst, dass Werbung auf der Front auffällig ist», erklärt NZZ-Sprecherin Myriam Käser auf Anfrage. Darum werde man diese Werbeform «nur sehr selektiv einsetzen». Was aber eben auch heisst: Sie kommt wieder. NZZ-Leserinnen und -Leser müssen sich an die gekaufte Front gewöhnen. Die Gründe für den radikalen Schritt überraschen wenig: «Es fliesst immer weniger Geld in Print-Werbung. Vor diesem Hintergrund sind auch neue Werbeformen gefragt.» Da ist dann auch die sonst traditionsbewusste NZZ bereit, Tabus zu brechen. Noch vor vier Jahren, schreibt der damalige Digitalchef Peter Hogenkamp auf Facebook, habe eine Frontummantelung «als absolutes Tabu» gegolten.

Der ehemalige NZZ-Chefredaktor Markus Spillmann präzisiert. Er sieht den Verzicht als «der logische Schluss einer nüchternen Analyse, was Sinn und Zweck einer Frontseite ist – und wie sich das mit einer Marke verträgt, die sich derart stark über publizistische Glaubwürdigkeit und Unabhängigkeit definiert.» Unter Spillmanns Ägide gab es indes eine Ausnahme in eigener Sache. Als 2012 neue Digitalangebote eingeführt wurden, erschien die Titelseite im Binärcode.

Was das Sonderformat einbringt, ist nicht bekannt. In der aktuellen Tarifdokumentation figuriert die Frontummantelung nicht als reguläres Angebot. Ausgehend von der dokumentierten Tarifstruktur darf von einem sechsstelligen Betrag ausgegangen werden. Geld, das ein Medienunternehmen gerne sieht, zumal die Alternative höhere Abopreise wären, die bei der NZZ schon heute rekordhoch sind. «Ohne solche Werbeeinnahmen würden die Abopreise kurzfristig steigen», bestätigt die Unternehmenssprecherin diesen Zusammenhang.

Stellt sich schliesslich noch die Frage nach der medienethischen Zulässigkeit einer Verhüllung der wichtigsten Seite einer Zeitung mit Werbung. Dieser Frage widmete sich der Presserat bereits vor zwölf Jahren. Er behandelte damals die Beschwerde des Tessiner Journalistenverbands ATG, der die Ummantelung von zwei Lokalzeitungen beanstandet hatte. Der Presserat kam zum Schluss, dass das Werbeformat nicht gegen das berufsethische Gebot der Trennung von redaktionellem Teil und Werbung verstosse und wies die Beschwerde ab. Allerdings gefährde solches Vorgehen das Renommee der Zeitung als redaktionelles Qualitätsprodukt, schrieb damals der Kleinreport. Die Leserschaft wisse zunächst nicht, «ob sie jetzt einen schreienden Billigprospekt oder ihr traditionelles – bloss aufdringlich umhülltes – Informationspaket aus dem Briefkasten zieht». Dieses Risiko nimmt nun auch die NZZ in Kauf.

Ausserdem könnte der Eindruck der Willfährigkeit gegenüber dem Inseratekunden entstehen. Das Modell Porsche Panamera war im letzten Jahr fünf Mal Gegenstand der NZZ-Berichterstattung. Das ebnet natürlich das Terrain für eine Inseratebuchung. Zwar versichert die NZZ, es bestehe «kein Zusammenhang zwischen unseren Testberichten und den Inseraten.» Das mag formal sogar stimmen. Entscheidend ist aber der Eindruck, den der Leser gewinnt. Und wenn der meint, die NZZ sei käuflich, dann ist das nicht gut für ein Qualitätsblatt.

Leserbeiträge

Frank Hofmann 07. Oktober 2016, 17:33

Diese Schlaumeierei dürfte etliche Abos kosten. Wie kann man bloss.

Bernd 08. Oktober 2016, 16:29

Die Zeitung muss sterben, damit die Nachrichten leben können!

heinzbu60 10. Oktober 2016, 18:31

ich habe mein missfallen über diese art der werbung der nzz mitgeteilt
und als antwort nichtssagende textbausteine erhalten

Lukas Fierz 11. Oktober 2016, 18:16

Der Panamera ist wohl eines der dümmsten Autos, welches jemals hergestellt wurde. Die Werbung auf der Frontseite passt zur systematisch vernebelnden Berichterstattung der gleichen NZZ zur Klimaerwärmung. Wer wissen will was wirklich passiert muss in anderen Medien wie z.B. im Guardian nachsehen.