von Gastbeitrag

Für eine aktive Medienlandschaftspflege

Eine im Januar veröffentliche Studie der TA-SWISS erinnerte Medien und Politik mit konkreten Vorschlägen daran, wie sie die Gestaltungsmöglichkeiten der Medienpolitik aktiver nutzen könnten. Zwei der Herausgeber der Studie, Brigitte Hofstetter und Manuel Puppis, kommentieren in einem Gastbeitrag die Rezeption ihrer Arbeit und erinnern an Forderungen, die in der Berichterstattung zu kurz kamen.

So weit sind sich alle einig: Unabhängige Medien, die umfassend über gesellschaftspolitische Themen berichten, diese entsprechend ihrer Relevanz auswählen und einordnen, leisten einen wichtigen Beitrag zur Meinungsbildung der Bürgerinnen und Bürger. Wie und ob dem hehren Anspruch – noch – nachgelebt werden kann, steht indes auf einem anderen Blatt. Die Medienlandschaft befindet sich in einem tief greifenden Wandel.

Die Mediennutzung findet zunehmend online und mobile statt und mit den sozialen Netzwerken verändert sich das Zusammenspiel von Medien, Politik und Bevölkerung. Nicht nur die Nutzer, auch die Werbung ist ins Internet abgewandert. Während die Nettowerbeumsätze der Kaufpresse in den letzten 20 Jahren in der Schweiz um fast 60 Prozent eingebrochen sind, nehmen die mit Onlinewerbung generierten Umsätze stetig zu. Davon profitieren aber insbesondere Suchmaschinen, Kleinanzeigenportale und «Soziale» Medien, nicht die Produzenten von Journalismus.

Netto-Werbeumsätze 1995–2015 in Mio. CHF (grössere Grafik –> Klick auf Bild)

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Quelle: eigene Berechnungen auf Basis Stiftung Werbestatistik Schweiz und Media Focus
Presse ab 1997 nicht mit den Vorjahren vergleichbar (Umgruppierungen einzelner Titel); TV ab 2002 nicht mit den Vorjahren vergleichbar (zuvor Beraterkommissionen bei SRG nicht enthalten); Online ohne Verzeichnisse

Die traditionellen Medienunternehmen haben bislang kein tragfähiges Geschäftsmodell gefunden, mit dem sich Journalismus weiterhin finanzieren lässt. Jüngstes Beispiel dieser Entwicklung ist die Einstellung des Magazins «L’Hebdo» in der Westschweiz. Diese Krise der Medienfinanzierung sowie fortschreitende Konzentrationsprozesse lösen Befürchtungen hinsichtlich der Konsequenzen für die schweizerische Demokratie aus.

Deshalb hat die schweizerische Stiftung für Technologiefolgen-Abschätzung (TA-SWISS) die Studie «Medien und Meinungsmacht» initiiert. Die zentralen Befunde, der im Januar vorgestellten Arbeit, lauten:

  • In traditionellen Medien (Zeitungen, Radio, Fernsehen) und auf Social Media kommen zwar die gleichen Themen vor, doch werden diese unterschiedlich gewichtet.
  • Die Kommunikation über politische Themen kann auf Social Media einseitig verlaufen. Trotz neuer Artikulationsmöglichkeiten für die Zivilgesellschaft dominieren etablierte und ressourcenstarke Akteure. Die journalistische Berichterstattung zeichnet sich im Vergleich dazu durch eine gewisse Ausgewogenheit aus.
  • Suchmaschinen, News Apps und soziale Netzwerke werden für die Informationsnutzung neben Gratiszeitungen und kostenlosen Websites immer wichtiger. Zahlungspflichtige Zeitungen werden in der jungen Zielgruppe dagegen kaum noch genutzt, weder auf Papier, noch online.

Informationsquellen politischer Themen der 16- bis 25-Jährigen in Prozent im Zeitverlauf (grössere Grafik –> Klick auf Bild)

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*bis 2014: News-Apps auf Smartphone; **bis 2014: Internet soziale Netzwerke
Quelle: gfs.bern

  • Die Digitalisierung bietet Chancen für den Journalismus. Doch Journalismus ist teuer und die künftige Finanzierung ungewiss. Aufgrund wegbrechender Einnahmen bleibt der Spardruck im Journalismus hoch. Zudem besteht durch neue Werbeformen und Diversifikation die Gefahr kommerzieller Einflüsse auf journalistische Inhalte.

Die zentralen Ergebnisse der Studie und die daraus abgeleiteten Handlungsempfehlungen fanden ein grosses Echo. Der Medienwandel und die Forschung dazu werden offensichtlich wahr- und ernstgenommen. Das liegt auch daran, dass in den kommenden Monaten und Jahren zentrale Weichenstellungen anstehen. Die Rolle der SRG SSR in der digitalen Gesellschaft wird verhandelt und mit der No-Billag-Initiative steht eine Abstimmung an, deren Annahme das Ende des Service public bedeuten würde. Und die Arbeiten an einem neuen Mediengesetz haben begonnen. Entsprechend lösen die aus den Ergebnissen entwickelten Handlungsempfehlungen Diskussionen aus: Je nach Unternehmen und politischem Lager gefallen und missfallen andere Empfehlungen.

Ein Blick auf die Medienreaktionen zeigt, dass die Berichterstattung vor allem auf die Empfehlung zur Einführung einer direkten Medienförderung fokussierte. Nicht umstritten ist, dass der Einnahmerückgang im Anzeigen- und Lesermarkt «seit der Jahrtausendwende schwer auf den Verlegern lastet» (Südostschweiz & Aargauer Zeitung, 10.01.2017). Unterschiedlich hingegen fällt die Beurteilung der vorgeschlagenen Fördermassnahmen für Journalismus aus. Kritische Stimmen sprechen von einer «voreiligen Medienhilfe», die zu einer Abhängigkeit der Medien vom Staat führe, an dessen finanziellen Tropf Innovationen und flexible Anpassungen an Marktbedingungen erschwert würden (Le Temps, 19.01.2017). Die Schliessung des Magazins «L’Hebdo» hat der Diskussion über eine «aide publique à la presse» (Le Matin Dimanche, 29.01.2017) vor allem in der Westschweiz Aufwind gegeben.

Die in der Studie gemachten Empfehlungen beschränken sich aber nicht auf die direkte Medienförderung. Das skizzierte «Infrastrukturprogramm für Journalismus» geht weit über das hinaus und will «die Medienschweiz neu denken». Dazu zählt etwa eine Stärkung der Selbstregulierung in der Medienbranche. Wirtschaftliche Abhängigkeiten und die Vermischung publizistischer und kommerzieller Interessen dürften angesichts der anhaltenden Erlösschwäche weiter zunehmen. Angesichts neuer Werbeformen («Native Advertising») und einer Diversifizierung in lukrativere Transaktionsgeschäfte empfiehlt die Studie der Branche, sich gegen eine Vermischung publizistischer und kommerzieller Interessen einzusetzen, Transparenz über Eigentumsverhältnisse und die Verwendung von Nutzerdaten zu schaffen.

Dass die TA-SWISS Studie ein umfangreiches Audio- und Videoangebot der SRG im Internet für sinnvoll hält, aber im Gegenzug «kein Tabu in einem Werbeverbot für die SRG» sieht, blieb ebenfalls weitgehend unbeachtet. Dies gilt auch für die Forderung, dass die SRG privaten Medienunternehmen im technologischen Bereich Kooperationen anbieten soll. Die Studie zeigt, dass kleine und mittlere Medienhäuser kaum in der Lage sein werden, die notwendigen Investitionen in die Digitalisierung des Mediengeschäfts alleine zu stemmen. Insbesondere die Verwertung von Nutzerdaten erzwingt Kooperationen und schafft neue Abhängigkeiten. Deshalb sollen auch private Plattformbetreiber und grosse Medienunternehmen, die verstärkt als Anbieter technologischer Basisinfrastruktur auftreten, anderen Medienunternehmen einen chancengleichen Zugang gewähren.

Neben den Finanzierungsproblemen adressiert die Studie auch die Nutzerinnen und Nutzer. Die Inhaltsselektion durch globale Plattformen wie Google, Facebook, Twitter und Co. aufgrund von Algorithmen ist völlig intransparent. Deshalb wird eine Förderung der Medienkompetenz auf breiter Front vorgeschlagen. Diese soll die Bürgerinnen und Bürger dazu befähigen, die Qualität und den Wert von Medienangeboten zu beurteilen und den Unterschied zwischen journalistischen Inhalten und anderen Formen von Content zu erkennen. Der «Lehrplan 21» etwa sieht eine Vermittlung von Medienkompetenz in der Schule vor.

Die Digitalisierung bietet zweifellos zahlreiche Chancen für den Journalismus und die Demokratie. Doch Journalismus kostet – und die neuen Darstellungs- und Erzählformen, die das Internet bietet, machen Investitionen notwendig. Es ist Zeit, dass die Medienpolitik ihre Gestaltungsmöglichkeiten aktiv wahrnimmt. Gleichzeitig sind aber auch die Medienbranche selbst sowie die Nutzerinnen und Nutzer gefordert. Letztlich geht es darum, eine Medienlandschaft zu erhalten, die unserer Demokratie gerecht wird.

Die Studie: Erarbeitet wurde die Studie «Medien und Meinungsmacht» im Auftrag von TA-SWISS (Stiftung für Technologiefolgen-Abschätzung) von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Universitäten Freiburg, Lausanne und Zürich unter der Leitung von Manuel Puppis und Michael Schenk. Die Studie «Medien und Meinungsmacht» ist als kostenloses eBook erhältlich. Zudem ist eine journalistisch aufbereitete Kurzfassung der Studie verfügbar.

Die Autoren: Brigitte Hofstetter ist Doktorandin, Manuel Puppis Professor am Departement für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung DCM der Universität Freiburg-Fribourg.