von Marco Schneiter

Zahlensalat (I): Heiratsschwindel mit der «Sonntagszeitung»

Mit aktuellen Daten meinte die «Sonntagszeitung» unlängst zeigen zu können, dass Mischehen früher geschieden werden als reine Schweizer Ehen. Allerdings interpretierten die Autoren ihre eigene Statistik falsch – zum Leidwesen von Kosovarinnen und anderer Minderheiten. Erster Teil einer Serie über den – nicht immer geglückten – Umgang von Medienschaffenden mit Zahlen und Statistiken.

Eigentlich haben wir es ja schon lange geahnt, aber ein Autorenteam der «Sonntagszeitung» lieferte es uns unlängst schwarz auf weiss: Geschiedene Mischehen zwischen Kosovarinnen und Schweizern hielten im Schnitt gerade mal vier Jahre. Andere Mischehen (massgebend ist die Nationalität bei der Heirat) schneiden nicht viel besser ab, verglichen mit den soliden 16 Jahren, die eine «reine» Schweizer Ehe bis zu ihrer Scheidung im Schnitt hält.

Der Artikel der «Sonntagszeitung» vom 7. Mai basiert auf aktuellen Zahlen des Bundesamtes für Statistik. Scheidungsanwälte kommentierten daraufhin die Gründe für die kurzlebigen Mischehen («Kulturunterschied», «konservatives Familienbild»). «20 Minuten» übernahm die Story und legte noch einen drauf: «Ehen mit Kosovarinnen am schnellsten zerrüttet», titelte die Gratiszeitung.

Vielleicht sind es tatsächlich kulturelle Differenzen, die Mischehen zusetzen. Vielleicht werden diese Ehen deshalb so schnell geschieden, weil die ausländischen Ehegattinnen nur den roten Pass wollen und dann abhauen, wie die Autoren der «Sonntagszeitung» insinuieren. Aber vielleicht haben wir es hier einfach auch mit einen sorglosen Umgang mit Zahlen zu tun.

Beim Blick auf die Tabelle im Artikel fallen zuerst die zum Teil tiefen Fallzahlen auf: Lediglich 104 Scheidungen von Ehen zwischen Kosovarinnen und Schweizern sind für die gesamte Beobachtungszeit 2011-2015 registriert. Werden nur wenige solcher Ehen geschlossen oder werden so wenige davon geschieden? Auf diese Frage gibt der Artikel keine Antwort.

Ein weiteres Problem ist Einteilung der geschiedenen Ehen in fünf grobe Klassen (z. B. «Ehe von 0-4 Jahren»). Die Autoren nehmen die Durchschnitte dieser Klassen, multiplizieren sie mit der Anzahl Scheidung der jeweiligen Mischehen und berechnen davon wiederum den Schnitt. Dieses Vorgehen ist im besten Falle unpräzis, im schlechteren Falle verzerrend: Was ist zum Beispiel der Durchschnitt der Klasse «20 Jahre und darüber»?

Doch wieso den Teufel im Detail suchen, wenn er einem auf der Nase herumtanzt!

Hier werden nämlich nur geschiedene Ehen betrachtet und somit Äpfel mit Birnen verglichen. Was ist nämlich der grosse Unterschied zwischen Schweizerinnen und Kosovarinnen? Nun, Schweizerinnen leben in den meisten Fällen schon lange in der Schweiz (und ehelichen meist Schweizer Männer), währenddem die meisten Kosovarinnen vor nicht allzu langer Zeit hier eingewandert sind. Das hat massiven Einfluss auf die Zahlen.

Verdeutlichen lässt sich dies anhand eines fiktiven Beispiels: Samira kam 1999 gegen Ende des Kosovokrieges als 10-Jährige in die Schweiz, ging hier fünf Jahre zur Schule und machte schliesslich eine KV-Ausbildung. Nach ihrer Lehre arbeitete sie auf der Gemeindeverwaltung, wo sie sich in einen Arbeitskollegen verliebte. Um es in die Scheidungsstatistik der «Sonntagszeitung» zu schaffen, musste sich Samira ordentlich sputen mit Heiraten und Scheiden.

Dies schlägt sich in der amtlichen Statistik nieder, die dem Artikel zugrunde liegt: In den ersten beiden Beobachtungsjahren 2007 und 2008 wurde keine einzige Ehe zwischen einer Kosovarin und einem Schweizer geschieden. Ab 2009 tauchen allmählich die ersten Scheidungen auf, vorerst vor allem in den untersten beiden Klassen («0-4» und «5-9» Jahre), später vermehrt auch in höheren Klassen. Auf Anfrage der MEDIENWOCHE gaben die beiden Autoren des Artikels zu, die verschiedene «Altersstruktur» von Schweizer Ehen einerseits und Mischehen andererseits zu vernachlässigen. Damit sind aber ihre Schlussfolgerungen hinfällig.

Fazit: Kosovarinnen erscheinen im Artikel der «Sonntagszeitung» deshalb als schlechte Partie, weil sie schlicht und ergreifend noch nicht lange genug im Land sein können, um in langjährigen Ehen mit Schweizern zu leben. Die Statistik ist somit völlig unfair gegenüber solchen Mischehen. Immerhin hat die «Sonntagszeitung» den Artikel nicht online gestellt. Jener von «20 Minuten» bleibt aber zugänglich und wird weiterhin kosovarische Frauen diffamieren.

Update 1. Juli 2017: Der Artikel von «20 Minuten» steht nicht mehr online. Die Gründe dafür werden nicht mitgeteilt.

Leserbeiträge

Andreas Müller 01. Juli 2017, 10:54

Gute Analyse! Hätten die SoZ-Autoren wahrscheinlich merken können, hätten sie die Statistiker gefragt. Der 20min-Artikel scheint aber nicht mehr online zu sein.

Nick Lüthi 01. Juli 2017, 11:39

Besten Dank für den Hinweis. Steht nun als Update unter unserem Artikel.