von Carmen Epp

Das eine tun und das andere nicht lassen

Ein voller Terminkalender ist Gift für den Lokaljournalismus. Medien die meinen, jede noch so kleine Veranstaltung besuchen und darüber berichten zu müssen, vernachlässigen den eigenständigen und kritischen Journalismus, lautet die gängige Kritik. Unsere Kolumnistin kennt das, sie weiss aber auch, wie man Vereinsversammlung und Eigenrecherche ins Blatt bringt.

Kürzlich verfasste Benjamin Piel in der «Zeit» ein flammendes Plädoyer für den Lokaljournalismus1, der seiner Meinung nach in der Krise steckt. Vieles, das der Co-Redaktionsleiter der «Elbe-Jeetzel-Zeitung» EJZ schildert, kann ich unterschreiben. Die Art und Weise, wie seine Zeitung die Leser einbindet, ist vorbildlich, genauso wie sein Anspruch, Kritik anzustossen. Und es ist erfrischend, zu lesen, mit welchem Enthusiasmus Piel über seine alltägliche Arbeit schreibt.

Trotzdem lässt mich der Text ein wichtiger Aspekt vermissen: die Rolle der freien Mitarbeiter. Piel schreibt über die Arbeit, die die zwölf Redakteure bei der EJZ verrichten und darüber, dass andernorts teilweise lediglich drei Menschen eine ganze Zeitung schmeissen müssen. Und auch wenn ich die EJZ nie in den Händen hielt, so gehe ich doch schwer davon aus, dass sich darin auch Texte von freien Mitarbeitern finden lässt. Deren Rolle, so finde ich, nicht unterschätzt werden darf – gerade beim letzten Problemfeld, das Piel in seinem Plädoyer erwähnt.

Mir kam noch nie ein Lokalblatt in die Hand, bei dem ich den Eindruck hatte, dass hier nur Kaninchenzüchter-GVs und Schützenfeste abgeklappert wurden.

Um seinen Berufsstand zu retten, ruft Piel Lokaljournalisten dazu auf, «Wege zu verlassen, die nie ans Ziel geführt haben», so zum Beispiel den so genannten Terminjournalismus. Manche Lokalredaktion würde in Terminen ersticken und keine Luft mehr für eigene Recherchen haben, so Piel. Termine sind für ihn deshalb «das Gift des Lokaljournalismus». Das mag bis zu einem gewissen Grad sicherlich zutreffen. Redaktionen, die – wie Piel es schildert – «von Termin zu Termin hetzen, hetzen von einer Mittelmässigkeit in die nächste».

Doch in diesem Punkt zeichnet Piel ein Klischee nach und bildet nicht die Realität ab. Mir jedenfalls kam noch nie ein Lokalblatt in die Hand, bei dem ich den Eindruck hatte, dass hier nur Kaninchenzüchter-GVs und Schützenfeste abgeklappert wurden. Zumindest nicht von denjenigen Personen, die im Impressum als Redaktoren aufgeführt sind.

Viele Termine sagen wir ab oder bitten die Veranstalter, uns einen eigenen Text dazu zu liefern.

Klar: Auch wir bei der «Urner Zeitung» werden teilweise regelrecht überschwemmt mit Einladungen zu Anlässen, über die zu berichten wir gebeten werden. Einige dieser Termine decken wir Redaktoren auch selber ab, etwa wenn es um Gerichtsverhandlungen geht, um Pressekonferenzen des Kantons zum Budget oder wenn Neuigkeiten zum Kantonsbahnhof vorgestellt werden. Hier stehen wir in der Pflicht, unserer Leserschaft aus erster Hand zu berichten – und: Nachfolgegeschichten zu recherchieren. Viele Termine sagen wir jedoch ab oder bitten die Veranstalter, uns einen eigenen Text dazu zu liefern. Oder aber – und das kommt schätzungsweise in 50 Prozent aller Fälle vor – wir fragen unsere freien Mitarbeiter an, ob sie uns den Anlass abdecken und darüber berichten können.

Nur so ist es uns möglich, beides abdecken zu können: Das, was für die Leser aufgrund ihrer schieren Anzahl relevant ist wie beispielsweise ein Schützenfest, das auch in Uri einen nicht unbeachtlichen Teil der Bevölkerung interessiert, und das, was aus journalistischer Sicht von Relevanz ist. Insofern wirken für uns die freien Mitarbeiter gewissermassen als «Gegengift» zu dem, was Piel Terminjournalismus nennt. Sie nehmen uns Termine ab und verschaffen uns so Luft für eigene Recherchen und Geschichten. Umso wichtiger ist es, die Leistung der freien Mitarbeiter anzuerkennen – eine Chance, die Piel in seinem Text leider verpasst hat.

Leserbeiträge

Benjamin Piel 18. Oktober 2017, 09:43

Die Elbe-Jeetzel-Zeitung arbeitet zwar mit freien Mitarbeitern, allerdings nur mit wenigen und in der Regel nur am Wochenende, an dem wir um Terminjournalismus weniger gut herumkommen als unter der Woche. Unser Pool an Freien ist sehr begrenzt. Nicht unbedingt weil wir das wollen, sondern weil in unserer dünn besiedelten Region freie Journalisten nicht annähernd so üppig zu finden sind wie zunehmend der Mais auf den Feldern. Deshalb haben die Redakteure den größten Teil der Arbeit allein zu stemmen. Zu den Terminen möchte ich auch noch etwas ergänzen. „Sola dosis facit venenum“, das gilt nicht nur für Gifte im Allgemeinen, sondern für das Lokalterminegift im Besonderen. Wenn ich Termin verdamme, dann meine ich jene Termine, die nichts sind als genau das, die nicht über das hinausreichen, was dort passiert. Hier ein Jubiläum, dort ein Konzert, da hinten ein Kinderfest. Wenn aus Terminen Themen werden, dann sind Termine nicht problematisch. Auf Stadtratssitzungen lassen sich auf einen Schlag zehn Themen finden, lässt sich erkennen, wo Streitpunkte sind. Sich das anzusehen und dann aufzuarbeiten, ist für mich kein Terminjournalismus, auch wenn ein Termin am Beginn des Prozesses gestanden hat. Wichtig ist, dass eine Stadtratssitzung und vieles Andere dann bloß nicht als Termin und ergo chronologisch geschrieben werden darf. „Am Beginn begrüßte der Bürgermeister die Ratsleute.“ DAS ist der Terminjournalismus, den ich für giftig und dessen Dosis ich für tödlich halte.