von Nick Lüthi

SRG lockert Social-Media-Regeln: jetzt wird zurückgetwittert

Aussergewöhnliche Situationen erfordern aussergewöhnliche Massnahmen: Im Abstimmungskampf um die «No Billag»-Initiative lockert die SRG die bisher restriktiven Bestimmungen für den Umgang mit Social Media. Die Radio- und TV-Mitarbeitenden dürfen sich fortan freier äussern – was sie zum Teil jetzt schon tun.

Der Entscheid ist einigermassen Delikat. In einem Papier, das die MEDIENWOCHE kennt, hat die Geschäftsleitung der SRG jüngst die Bestimmungen für die Social-Media-Kommunikation der Mitarbeitenden gelockert, oder «präzisiert» wie es das Unternehmen formuliert. So können die Medienschaffenden fortan aus freien Stücken die Leistungen der SRG thematisieren. Bisher galt bei Schweizer Radio und Fernsehen SRF die restriktive Regel, wonach es «in jedem Fall mit den Vorgesetzten abzusprechen» sei, wenn «SRF-Mitarbeitende ihre Arbeit, das Unternehmen oder das Programm auf privaten Websites oder in sozialen Netzwerken explizit zum Thema machen». Ebenfalls erlaubt es die Geschäftsleitung den Programmschaffenden auf Beiträge Dritter reagieren zu dürfen und die gravierenden Konsequenzen für die SRG zu thematisieren für den Fall einer Annahme der Initiative.

Auch sonst setzen die neuen Bestimmungen klare Grenzen. So wird grundsätzlich zu Zurückhaltung gemahnt.

Ein Freipass für private Social-Kampagnen gegen «No Billig» sind die neuen Spielregeln indes nicht. So bleibt etwa eine explizite Abstimmungsempfehlung untersagt. Konsequenterweise müsste der Hashtag #NeinzuNoBillag, wie ihn heute vereinzelt SRG-Mitarbeitende verwenden, künftig unterbleiben. Auch sonst setzen die neuen Bestimmungen klare Grenzen. So wird grundsätzlich zu Zurückhaltung gemahnt. Das Personal aus den Informationssendungen wird zudem weiterhin dazu angehalten, sich mit den Vorgesetzten abzusprechen vor einer Intervention mit Social Media.

Die offizielle Begründung für diesen Schritt ist zwar verständlich, macht ihn aber deshalb nicht weniger heikel. SRG-Mediensprecher Daniel Steiner schreibt: «Viele Mitarbeitende der SRG, deren Arbeitsplätze durch die No-Billag-Initiative bedroht sind, wollen nicht schweigen angesichts der Fragen, mit denen sie sowohl im privaten als auch im beruflichen Umfeld konfrontiert sind.»

Zudem zeigt die tägliche Praxis bereits vor Inkrafttreten der neuen Regeln, dass sich die aktive Beteiligung von SRG-Mitarbeitenden durchaus positiv auf die Diskussionskultur auswirkt.

Verständlich darum, weil es nur allzu menschlich ist, auf eine dermassen existenzielle Herausforderung mit den Mitteln der modernen Kommunikation zu reagieren. Ein Verbot liesse sich mit vertretbaren Mitteln nicht durchsetzen. Zudem zeigt die tägliche Praxis bereits vor Inkrafttreten der neuen Regeln, dass sich die aktive Beteiligung von SRG-Mitarbeitenden durchaus positiv auf die Diskussionskultur auswirkt. Unter den bisherigen strengen Regeln wäre dies nicht möglich gewesen oder nur mit angezogener Handbremse.

Heikel ist die Lockerung aus zwei Gründen: Zum einen erfolgt sie ausgerechnet während einer ersten heissen Phase im Abstimmungskampf um die No-Billag-Initiative. Nun könnte man den Schritt auch so verstehen, als wolle die SRG mit der Lockerung die Schleusen öffnen und eine Twitter-Armada losschicken. Zum anderen scheint das Vorgehen problematisch zu sein, weil die SRG ihre Angriffsfläche freiwillig vergrössert. Das muss sie aushalten können.

Leserbeiträge

Lahor Jakrlin 26. Oktober 2017, 16:11

Na ja – weniger wäre mehr

Mit 5000 unterbeschäftigten Mitarbeitenden hat SRF ein grosses Twitterer-Potenzial. Doch die Tweets von Honegger, Brotz, Periz & Co. zeigen vor allem eines: Eine ungeheure Ignoranz gegenüber wirtschaftlichen Zusammenhängen und dem eigentlichen SRF-Auftrag (u.a. Neutralität in der Berichterstattung). Man suhlt sich im linksliberalen Mainstream und gibt gegenüber jenen, die das alles finanzieren müssen,  den Oberlehrer.

SRF täte gut daran, sich 1. zurückzuhalten und 2. den KritikerInnen mehr Raum in der Sendezeit zu bieten. Denn ein entschlacktes SRF (1 R-/TV-Sender pro Sprache plus 1 für Sonderübertragungen) mit Verzicht auf Werbung fände auch längerfristig eine Mehrheit.

Vorbehältlich, dass die Generation 18-38 überhaupt noch zum Fernsehen und Staatsradio zurückfindet …

 

Karl Lüönd 26. Oktober 2017, 16:28

Diese internen Richtlinien kontrastieren in ihrer Differenziertheit auffällig zu der unverschämten, seit Wochen dauernden Vorkampagne der SRG gegen die No Billig-Initiative, die hohe Kosten (vermutlich aus Zuschauergebühren) und Millionen von Gegenwert für Sendezeit verschlingt. Damit verstösst die SRG wenn nicht gegen den Buchstaben, dann sicher gegen den Geist aller Regeln, die bisher im Vorfeld eidgenössischer Volksabstimmungen gegolten haben. Ich bin kein Anhänger der No Billig-Initiative, aber ich plädiere für ein Minimum von Fairness und Gegenrecht für dieses Meinungsspektrum.

Kurt Baltisberger 27. Oktober 2017, 10:52

Fairness ist in dieser Debatte aber nicht gegeben: Die privaten Medien berichten aus Eigeninteresse hauptsächlich SRG-kritisch, eine Aufklärung mit Daten und Fakten findet nirgendwo statt. Deshalb ist es vollkommend richtig, dass sich die Direktbetroffenen im Abstimmungskampf einmischen. Erst so können wir Bürgerinnen uns eine eigene Meinung schaffen. Schade, dass Sie Herr Lüönd, den ich als klugen Kopf schätze, so undifferenziert sind!

Mark Balsiger 27. Oktober 2017, 16:10

Apropos „ein Minimum von Fairness“, Herr Lüönd: Wie war das mit Ihrer Kolumne im „Landboten“? Die SRG-Mitarbeitenden als Befehlsempfänger einer Partei zu bezeichnen ist faktenfrei. Hören und sehen sich doch wieder ab und an einmal die Informations- und Hintergrundssendungen bei den SRG-Sendern. Bilden Sie sich so ein Urteil. Das wäre ein Minimum an Fairness, die es in der Debatte um die Medienzerschlagungsinitiative, wie sie korrekterweise genannt werden sollte, bräuchte.

Lahor Jakrlin 31. Oktober 2017, 11:27

Am schlimmsten ist die Mär, ohne Billag gehe SRF unter. Das Gegenteil ist wahr: Der Beamtenbetrieb erhielte den weltweit grössten Startvorteil der Medien-Geschichte: Die SRG kann alles behalten, was ihr bisher von uns unfreiwilligen Zwangsabonnenten finanziert wurde – alles.

1.Die beste Infrastruktur weit und breit: Kein Privatsender der Schweiz hat auch nur annähernd 5 Prozent der Liegenschaften, Studios, Apparaturen, Sende- und Transportfahrzeugen und sonstigen Maschinerien von SRF.
2.Ein nationales perfekt ausgerüstetes Filialennetz für alle Landessprachen
3. Ein Stammpublikum als Supervalue: Schätzungsweise 30 oder mehr Prozent der SchweizerInnen, meist finanzstarken älteren Semesters (zw. 16 und 40 wird kaum mehr SRF konsumiert) sowie etatistische Kerngruppen von SP, Grünen und CVP schwören dem Staatssender ewige Treue.

Eine freiwillige Billaggebühr ist deshalb äusserst aussichtsreich. Umso mehr als die Abo-Gebühr nach einer Verschlankung von SRF auf je 1 Radio- und TV-Sender pro Sprache kaum mehr als 52 Franken (1 Franken pro Woche) kosten würde.

Natürlich, SRF würde auf die zu grosszügigen Gehälter ihrer Angestellten (heute Beamte) verzichten und sich aufs normale Niveau begeben – weder Wille noch Honegger oder Brotz würden deshalb SRF verlassen.

Und natürlich müsste SRF in Themenselektion und Berichterstattung seine bislang mit Zwangssteuern finanzierte Linkslastigkeit mässigen. Sie ist einer der Mitgründe, weshalb Liberale, bürgerliche Jugend und KMU von „RotGrün Leutschenbach“ genug haben.

Giuseppe Scaglione 26. Oktober 2017, 17:29

Absolut kein Problem. Logisch, dass sich SRG-Mitarbeiter äussern wollen und sollen. Ich hatte bereits mehrere Diskussionen mit ihnen (auch mit Mitarbeitern von Info-Sendungen). Das verlief alles sehr professionell und sachlich. Mit einer Ausnahme, wo jemand behauptete, mit der Annahme der Inititiave würden alle Privatradios (also auch Radio 24, Energy, Argovia etc.) verschwinden, was natürlich Blödsinn ist.

Peter Schibli 27. Oktober 2017, 05:27

Der Titel irritiert. Er lehnt sich an das berühmte Hitlerzitat an: „Seit 5 Uhr 45 wird zurückgeschossen!“, mit welchem 1939 der Überfall auf Polen begann. Ich persönlich betrachte die No-Billag-Debatte nicht als einen Krieg, sondern als einen Diskurs über die Zukunft der Schweizer Medienlandschaft. Ich hoffe, dass sich neben No-Billag-Befürwortern auch viele SRG-Angestellte ebenso sachlich wie engagiert auf privater Basis an den Online-Diskussionen beteiligen werden. Auch wir sind Staatsbürger und haben ein Recht, uns zu No-Billag zu äussern. Man soll uns lesen und spüren – in den Kommentarspalten.

 
Nicht nur bei Blick und Tagi, sogar bei der NZZ werden seit geraumer Zeit unter jeder Kanone tendentiöse Kommentare gegen die SRG freigeschaltet. Gelesen werden sie von vielen Leuten, auch von Nicht-Trolls und Nicht-Wutbürgern. Das hinterlässt Spuren. #NeinzuNoBillag #Medienzerschlagungsinitiative . Peter Schibli, Direktor Swissinfo, Nationaler Koordinator Multimedia. Dies ist eine private Meinungsäusserung. Ich schreibe nicht im Namen des Unternehmens.

Frank Hofmann 27. Oktober 2017, 09:03

Aber klar, Herr Schibli, Kritik gegen die SRG ist „tendentiös“ (sic!) und „unter jeder Kanone“. Sie wollen doch die Zensur, nichts anderes. Zahlen und Maul halten. Denn „unsere SRG“ macht doch alles richtig. Erklären Sie uns doch mal, warum es 7 SRG-TV- und 18 -Radiokanäle braucht. Und warum Ihr Swissinfo, das auch zur SRG gehört, Nachrichten in 7 Sprachen inkl. Arabisch verbreiten muss. Gibt es Studien, die belegen, dass die überhaupt gelesen werden irgendwo in der Welt? Wieso macht das die SRG eigentlich? Weil es Regierungspropaganda ist? Es gibt doch viele andere Kanäle, über die man sich informieren kann.

Es ist gut, dass die Leute die hohe Zwangsgebühr, die in Wirklichkeit eine Steuer ist (auch für Unternehmen, wo sie mehrere tausend Franken betragen kann), in Relation setzen, zum Produkt, das sie dafür erhalten. Da können auch 365 Fr. viel zu hoch sein. Dies insbesondere in Zeiten, in denen man gegen immer höhere KK-Prämien machtlos ist. Das Zeitungsabo haben viele längst gekündigt, auch wegen der unanständig hohen Billag. Auch Zeitungen/Zeitschriften sind Service public, und die meisten sind der SRG bezüglich Qualität weit überlegen. Und kommen Sie nicht mit der Unabhängigkeit der SRG – sie ist ein Staatssender, der das Land flächendeckend mit Mitte-links-Propaganda beschallt. Sämtliche Gremien sind von CVP und SP dominiert. In den Redaktionen ist die Einseitigkeit noch viel ausgeprägter.

Spannend auch für Deutschland! 29. Oktober 2017, 07:22

Viele Menschen in Deutschland verfolgen die Entwicklung „no-billag“ mit höchstem Interesse! Auch hier steht der gebührenfinanzierte öffentlich-rechtliche Rundfunk im Fokus. Machen wir uns nichts vor: ein – wie auch immer gestaltetes – „Pay“- oder „Abo“-Modell würde dennoch das sofortige „Aus“ des gebührenfinazierten Rundfunks zur Folge haben, so ließe sich das weltweite Korrespondenten-Netz niemals finanzieren! Ebenso wären aufwändige Dokus, Randgruppen-Themen und viele Sportereignisse sofort tot!

Andreas Volkart 28. Oktober 2017, 19:18

Mich würde interessieren, warum die Schweiz ausgerechnet ein Bezahlungsmodell installieren will, dass in Deutschland durch die Amerikaner nach dem zweiten Weltkrieg etabliert wurde und ursprünglich mit Umerziehung und überhaupt nichts mit Demokratie zu tun hat… Man müsste unterscheiden zwischen einer Mediensteuer für Geräte die Empfangsmöglichkeiten bieten und ein echter Bezahlbetrag, wo wirklich gemessen wird, ob jemand eine Sendung schaut und diese dann auch nur dann sehen kann, wenn er bezahlt.

In diesem Vortrag geht Olaf Kretschmann darauf ein, wie eigentlich das Geldmonster „GEZ“ in Deutschland entstanden ist und warum in Deutschland sich Widerstand kund tut, der auch auf die Schweiz schwappen wird:

https://www.youtube.com/watch?v=kcA64hvMNiM