von Gerhard Lob

Bildbetrachtung: Jeder gegen jeden

Wir sehen einen mit Dutzenden von Journalisten vollgestopften Eisenbahnwagen anlässlich einer spontanen Medienkonferenz von Bundesrätin Doris Leuthard und ihrem italienischen Amtskollegen. Gerhard Lob, der die Szene festgehalten hat, über das Verhältnis von Wort und Bild im Journalismus.

(zum Vergrössern Bild anklicken)

Oft wird im Journalismus über die Macht der Bilder debattiert. Egal ob unbewegte Bilder, sprich Fotografien, oder bewegte Bilder, also Filme: Sie ziehen unsere Aufmerksamkeit automatisch an. Wir kennen es vom Durchblättern der Zeitungen oder Zeitschriften: Oft gleiten unsere Blicke zuerst über die Bilder, dann über Titel und Bildlegenden. Wann lesen wir einen längeren Artikel schon mal zu Ende, insbesondere im Zeitalter von Kurznachrichten und Twitter? Bei Filmen funktioniert es ähnlich. Sie erheischen unsere Aufmerksamkeit. Und sie sollen heute kurz sein. Ganz selbstverständlich klicken wir heute Mini-Clips und Videos im Internet über unseren Computer oder das Smartphone an.

Zunehmend werden auch die Folgen zum Thema, welche die Bilderdominanz für den Journalismus mit sich bringt. Wo Bilder gezeigt werden sollen, müssen Bilder geliefert werden. Kollegen der Online-Branche, aber zunehmend auch Printjournalisten, kennen das nur zu gut. Sie müssen nicht nur schnell einen Text liefern, sondern möglich auch noch ein Filmchen oder ein Video-Interview. Radio- und TV-Journalisten müssen nicht nur Radio- und TV-Beiträge liefern, sondern auch Fotos liefern, mit denen man ihre Beiträge den Webseiten illustrieren kann.

Man spürt förmlich die Angst der Kollegen, das entscheidende Bild, vielleicht den entscheidenden O-Ton zu verpassen.

Als traditioneller Print-Journalist erlebe ich diese Entwicklung im Alltag in häufig bizarren Erscheinungen. Denn der Journalismus über Bild und Ton asphaltiert zusehends den wortgebunden Journalismus. Man spürt förmlich die Angst der Kollegen, das entscheidende Bild, vielleicht den entscheidenden O-Ton zu verpassen. Die Folge: Das Klima im journalistischen Alltag ist rauer geworden.

Im Grenzgebiet zwischen Italien und der Schweiz gibt es eine mediale Verdoppelung, wenn ein Ereignis von Bedeutung für beide Länder ansteht. Als vor Weihnachten die Bahnlinie Mendrisio-Varese eröffnet wurde, konnte ich dieses Phänomen in seiner Extremform erleben (siehe Bild).

Wer seine Ellenbogen nicht ausfuhr, blieb angesichts der bescheidenen Platzverhältnisse aussen vor. Hier kämpfte jeder gegen jeden.

Zwei Verkehrsminister, Doris Leuthard für die Schweiz und Graziano Delrio für Italien, sowie der Präsident der Region Lombardei waren auf der Jungfernfahrt in der S-Bahn unterwegs, in der dann spontan eine Medienkonferenz stattfand. Fotografen, Kameraleute, TV- und Radioreporter stürzten sich auf das Trio, um ja nichts zu verpassen, um nahe an den Politikern zu sein. Wer seine Ellenbogen nicht ausfuhr, blieb angesichts der bescheidenen Platzverhältnisse aussen vor. Hier kämpfte jeder gegen jeden.

Interessanterweise wirkt sich die Entwicklung umgekehrt auch auf klassische Medienkonferenzen aus. Ich besuche zwar nur noch wenige, doch stelle ich zunehmend fest, bald der letzte Journalist zu sein, der noch öffentlich Fragen stellt. Der Sinn einer Medienkonferenz, der auch die Konfrontation und Diskussion mit den Medienschaffenden beinhaltet, geht zusehends verloren. Medienkonferenzen werden zu reinen Präsentationen. Die Kollegen von Radio, TV und Online warten scheinbar nur auf ein möglichst schnelles Ende einer Medienkonferenz, um dann das jeweilige Statement im Einzelinterview einzufangen.

Geht es um die Dokumentation über ein Thema, beobachte ich die Kollegen allerdings immer wieder dabei, wie sie eben doch auf das geschriebene Wort zurückgreifen. Die Suche nach Texten, sei es mit Google oder in der Schweizerischen Mediendatenbank, scheint jedenfalls unerlässlich für die Ausübung des Berufs. Das Bild setzt zwar das geschriebene Wort unter Druck, aber am Ende hat der geschriebene Journalismus doch das letzte Wort.

Leserbeiträge

Kurt Metz 12. Januar 2018, 09:17

Gerhard, Du bringst es auf den Punkt!