von Nick Lüthi

Tamedia-Zeitungen: «Einheitsbrei» lässt sich kaum kaschieren

Noch befindet sich der Grossumbau der Tamedia-Zeitungen in vollem Gange. Doch die Folgen davon sind schon jetzt sichtbar: Es gibt mehr vom Gleichen in allen Blättern. Was aber nicht heisst, dass die einzelne Leserin eine schlechtere Zeitung erhält.

Es ist kein schöner Anblick. Doch das Bild scheint nur zu bestätigen, wovor manche gewarnt haben: Die grosse Redaktionsfusion aller Tamedia-Tageszeitungen schadet der Medienvielfalt. Und tatsächlich: Inzwischen kann es vorkommen, dass «Berner Zeitung», «Bund» und «Tages-Anzeiger», die drei grössten Deutschschweizer Tamedia-Titel, mit ein und derselben Titelgeschichte aufmachen. So auch am 16. Februar als auf den Frontseiten der drei Blätter stand: «Post liess heiklen Bereich gar nicht überprüfen». Und tags davor konnte man drei Mal das gleiche Tagesthema lesen in Form eines Porträts von Lehrplan-21-Gegner Alain Pichard.

Identische Frontaufmacher seien die Ausnahme, erklärt Tamedia-Sprecher Christoph Zimmer auf Anfrage. In der Regel platziere die «Berner Zeitung» lokale Themen auf Seite 1, «Der Bund» und der Tages-Anzeiger häufiger überregionale. Verhindern lassen sich Doubletten und Tripleten mit dieser Faustregel aber nicht, wie die beiden aktuellen Beispiele zeigen. Der Postauto-Skandal ist ein nationales Thema mit starker lokaler Verankerung in Bern als Sitz des Unternehmens. Pichard wiederum kommt aus Biel. Seine Herkunft ist für Berner Zeitungen genauso ein Kriterium für eine prominente Gewichtung, wie in Zürich Pichards nationales Engagement.

Der lokale Aspekt sei denn auch der Grund gewesen, so Peter Jost, Chefredaktor der «Berner Zeitung», warum Post und Pichard so prominent ins Blatt kamen. Dass man damit gleich entschieden habe wie die Schwesterblätter, lasse sich nicht immer verhindern. Ihm sei auf jeden Fall lieber, dass sich «per Zufall mal so eine Situation ergibt, als dass wir beginnen, uns abzusprechen.» Für ihn, teilt der BZ-Chef auf Anfrage mit, sei darum «sakrosankt», dass er sich nicht mit dem «Bund» über die Front-Gestaltung abspreche.

Was der Chefredaktor verteidigt, sieht man auf den Redaktionen kritischer. Sowohl bei «Bund» als auch «Berner Zeitung» halten Mitarbeitende eine identische Aufmachung wie die lokale Konkurrenz für «ein schlechtes Signal». Einer Koordination gegenüber wären sie nicht abgeneigt, respektive sie gingen davon aus, dass eine solche auf Ebene Chefredaktion bereits stattfindet, um sichtbaren «Einheitsbrei» zu vermeiden. Schliesslich soll der Schein der Unabhängigkeit so weit als möglich trotz Konzern-Korsett gewahrt bleiben. Bei allen Kontakten zur Konkurrenz hält Jost an der Maxime fest, die «Storys auch weiterhin so zu platzieren, wie wir Blattmacher das richtig finden.»

Eine einzelne Leserin, die nur eine dieser drei Zeitungen abonniert hat, wie dies die überwiegende Mehrheit der zahlenden Kunden tut, kriegt von Doubletten und «Einheitsbrei» nichts nichts mit. Sie erhält im Fall der «Berner Zeitung» sogar ein Blatt, das mit der Redaktionsfusion attraktiver geworden ist. Ein Effekt, den man bereits 2009 beobachten konnte, als Tamedia den «Der Bund» zur Berner Ausgabe des Tages-Anzeiger umgebaut hatte und fortan ein attraktiveres Blatt herausbrachte.

Auslandberichte in der neuen «Berner Zeitung» stammen aus dem Korrespondentennetz von Tages-Anzeiger und Süddeutscher Zeitung und sind um einiges besser als das Angebot, das die BZ zuvor allein gestemmt hatte. Das gilt für den gesamten Mantelteil. Auch Inland und Wirtschaft kommen heute breiter und vielfältiger daher. Das muss auch so sein. Denn über Wohl und Weh der Zeitungen entscheiden bald nur noch die zahlenden Abonnenten. Für sie spielt es keine Rolle, ob sie das Gleiche serviert erhalten wie ein Abonnent des Schwesterblatts. Hauptsache, sie kriegen ein Produkt, für das sie bereit sind, 500 und mehr Franken pro Jahr zu zahlen.

Sind also identische Titel und Themen in mehreren Zeitungen nur ein virtuelles Problem? Keineswegs. Hier zeigt sich die problematische Dimension des Abbaus, den die Konzernleitung so gerne zum Ausbau umdeutet. Für das Geschäft ist der Erhalt einer redaktionellen Vielfalt keine Notwendigkeit, vielmehr ein Hindernis. Doch Mehrfachleser, etwa Führungspersonen, Entscheidungsträgerinnen oder Politiker, erkennen sehr wohl den befürchteten «Einheitsbrei» und können ihre Meinungsbildung nicht mehr so breit abstützen wie zuvor. Unterschiedliche Perspektiven aus den Kantonen und Regionen auf die nationale Politik gehen verloren oder werden zumindest stark reduziert. Damit beraubt sich ein Medienunternehmen, nach eigener Bekundung den Journalismus weiterhin hochhält, eines politisch-publizistischen Gestaltungselements und schwächt so seine Rolle als Teil der Vierten Gewalt.

In Zukunft wird sich die Situation eher noch verschärfen. Wenn erst einmal der Soll-Personalbestand erreicht ist und Dutzende Redaktionsstellen verschwunden sind, gibt es noch weniger Auswahl aus dem Textpool für die einzelnen Blätter. Immerhin zeigt sich Online das Problem in einem geringeren Ausmass. Anders als bei der gedruckten Zeitung kann hier unmittelbar auf die Konkurrenz reagiert und ein Aufmacher ausgewechselt werden. So lässt sich immerhin Vielfalt simulieren und den Imageverlust qua Einheitsbreivorwurf etwas abmildern.

Leserbeiträge

Dieter Widmer 27. Februar 2018, 15:36

Der Aufmacher ist die eine Sache. Die andere: Die Mantelressorts unterscheiden sich inhaltlich nicht mehr, abgesehen von Kommentaren zu einzelnen Themen. Ich frage mich schon, wieso ich wegen nur noch unterschiedlichen Regionalnachrichten den „Bund“ und die „Berner Zeitung“ abonnieren soll. Ich weiss noch nicht, was ich unternehme, wenn die Aborechnungen eintreffen.

Christian Rentsch 27. Februar 2018, 16:33

Dass Tages-Anzeiger, Berner Zeitung und Bund mit Ausnahme der Regional-Berichterstattung weitgehend identischen Inhalte aufweist – egal ob auf der Frontseite oder sonstwo -, ist vermutlich noch das kleinste Problem, denn die wenigsten Leserinnen und Leser werden mehr als eine dieser Zeitungen gleichzeitig abonniert haben. (Klar macht es auf die Dauer keinen Sinn, Bund und BZ als zwei „unabhängige“ Titel zu führen, die Tamedia wird die beiden Blätter nach einer kleinen Karenzzeit ohnehin fusionieren. Bedenklicher ist, dass die die Tamedia damit die diversen kleinen Lokalblätter wie die Zürichsee-Zeitung, Zürcher Unterländer etc. noch weiter als bisher kannibalisiert. Wer abonniert schon neben Tagi, BZ oder Bund eine dieser Lokalzeitungen für über 300 Franken im Jahr, wenn er dafür ausser wöchentlich zwei, drei Lokalnachrichten seiner Gemeinde bloss eine Auswahl dessen bekommt, was ohnehin auch im Tagi, der BZ oder dem Bund steht. Wenn die Auflage dieser Lokalblätter sinkt, wird die Tamedia reagieren – und weg ist die für die Gemeinden wichtige Lokalberichterstattung