von Nick Lüthi

«Der Idealzustand wäre natürlich ein funktionierender Markt.»

Die Qualität der Schweizer Medien ist weiterhin gut. Aber die Vielfalt nimmt ab und immer mehr Menschen nutzen kaum noch Informationsmedien. Der Zürcher Professor Mark Eisenegger kommentiert im Gespräch mit der MEDIENWOCHE die Befunde des aktuellen Jahrbuchs «Qualität der Medien» und erklärt, was gegen die Dominanz der Social-Media-Plattformen unternommen werden sollte.

MEDIENWOCHE:

Das «Jahrbuch Qualität der Medien» erscheint in diesem Jahr zum neunten Mal. Worin unterscheidet sich die Schweizer Medienlandschaft 2018 von jener von 2010 mit Blick auf die Qualitätsentwicklung?

Mark Eisenegger:

Über alles gesehen hat die Medienqualität Einbussen erlitten. Es ist aber nicht ein linearer Prozess. Da gibt es immer wieder Schwankungen. So konnten wir zum Beispiel im letzten Jahr einen Qualitätszuwachs bei den News-Sites feststellen, der bis heute allerdings schon wieder weggeschmolzen ist und sich gesamthaft auf dem Niveau von 2015 eingependelt hat. Anders als noch vor neun Jahren sehen wir heute eindeutig, wie sich die Ressourcenlage der Medienunternehmen auf die Qualität des Journalismus durchschlägt. Besonders deutlich zeigt sich das in einer abnehmenden Vielfalt und sekundär auch bei der Einordnungsleistung der Medien.

MEDIENWOCHE:

Gleichzeitig hält das Jahrbuch 2018 fest: Die Qualität der Schweizer Medien ist weiterhin gut. Was gilt jetzt?

Mark Eisenegger:

Im Vergleich mit anderen Ländern ist die Medienqualität und -vielfalt in der Schweiz immer noch überdurchschnittlich gross. Da stehen wir heute – noch – an einem relativ guten Punkt. Aber die Vielfalt nimmt ab. Gleichzeitig ist es auch der sensibelste Bereich, wo wir die grössten Einbussen feststellen. Auch gut ist die Medienqualität, wenn man schaut, wie das Publikum die Medien bewertet. Die Generaleinschätzung des Publikums ist überwiegend auf einer positiven Seite. Und schliesslich ist auch das Vertrauen in die Schweizer Informationsmedien im internationalen Vergleich hoch. Das zeigen unsere Daten.

MEDIENWOCHE:

In dieses Bild passen auch die Ergebnisse des Qualitätsscorings im aktuellen Jahrbuch. Wie eh und je belegen Informationssendungen der SRG die Spitzenplätze. Doch wie aussagekräftig ist eine solche Rangliste, wenn einzelne Sendungen von Radio und TV mit integralen Zeitungsangeboten verglichen werden?

Mark Eisenegger:

Wir haben klare Kriterien. Es muss sich um ein General-Interest-Medium handeln, also Medien, die ein breites Themenspektrum abbilden, sowohl Politik, Wirtschaft, Kultur, Human Interest etcetera. Wir reden durchgehend von einem Medientitel, wo das gegeben ist. Wenn man das Publikum entlang von Qualitätskriterien befragt, würde man nie auf die Idee kommen, SRF als Ganzes zu bewerten, sondern eben Sendungen wie «10 vor 10» oder «Echo der Zeit». Die von uns ausgewählten Medien spiegeln die Art und Weise einer Medieneinheit wieder, wie sie auch im öffentlichen Diskurs, bei Beschwerdestellen und in den Köpfen der Nutzerinnen und Nutzer verankert ist.

MEDIENWOCHE:

Dennoch: Der «Blick», aktuell auf dem drittletzten Platz, würde wesentlich besser abschneiden, wenn man nur seine Politikberichterstattung beurteilen würde.

Mark Eisenegger:

Das ist so. Ich finde, der «Blick» leistet teilweise sehr gute Arbeit. Wie zuletzt mit seiner Berichterstattung zur Problematik der Waffenexporte in Krisenregionen. Er ist dann nicht nur relevant, sondern verbindet Relevanz mit Einordnung und mit Popularität…

MEDIENWOCHE:

…und schneidet trotzdem so schlecht ab. Die genannten Leistungen sind in der Platzierung schlicht nicht mehr zu erkennen.

Mark Eisenegger:

Da zeigt sich tatsächlich auch eine Herausforderung für die Qualitätsforschung. In Zukunft müssen wir verstärkt dazu übergehen, nicht mehr die Qualität einzelner Medien zu messen, sondern quasi das, was bei den Nutzerinnen und Nutzern auf den Bildschirm kommt. Aber beim «Blick» muss man schon auch sehen, dass ein Übergewicht an Softnews, Sex & Crime, People-Geschichten das Ergebnis stark nach unten zieht. Natürlich macht das den Boulevard aus und soll auch weiterhin eine starke Rolle spielen. Aber der «Blick» war auch schon politischer.

«Die ‹Wochenzeitung› überzeugt in allen vier Qualitätsdimensionen. Sie betreibt einen vielfältigen, entschleunigten Journalismus.»

MEDIENWOCHE:

Ein anderer Punkt, der am diesjährigen Qualitätsscoring auffällt: Die Wochenzeitung WOZ, die ihr erstmalig erfasst habt, steigt gleich als beste Zeitung auf Rang vier ein, direkt hinter den topplatzierten SRF-Sendungen und noch vor der NZZ. Wie kommt das?

Mark Eisenegger:

Die «Wochenzeitung» überzeugt in allen vier Qualitätsdimensionen. Sie betreibt einen vielfältigen, entschleunigten Journalismus. Überzeugt mit einer vielfältigen Berichterstattung auch zu überraschenden Themen. Ich vermute den Recherchefonds und die publizistische Kultur in der Redaktion als Gründe für das positive Abschneiden.

MEDIENWOCHE:

Warum habt ihr die WOZ erst jetzt erfasst? Und dauert es nun auch neun Jahre, bis ihr die «Republik» untersucht?

Mark Eisenegger:

Wir haben jetzt fast 70 Medientitel im Sample. Das ist eine stattliche Anzahl an Medien, deren Forschung jedes Jahr aufs Neue wieder finanziert sein will. Die Aufnahme der «Wochenzeitung» rechtfertigte ihre Reichweite, der Ausgleich zur Weltwoche und dass sie in der Medienarena eine wichtige Themensetzungs-Funktion übernimmt. Es ist unser Plan, die «Republik» ins nächste Jahrbuch zu integrieren, – finanzielle Mittel vorausgesetzt. Ich bin zuversichtlich, dass wir das hinkriegen.

MEDIENWOCHE:

Kommen wir zum Gesamtbild der schweizerischen Medienbranche. Kürzlich verkündete das Fachmagazin «Schweizer Journalist» eine «Wende» im krisengebeutelten Journalismus. Die Zeiten von Abbau und Konzentration seien vorbei mit den vollzogenen Umbau- und Fusionsschritten bei Tamedia und CH Media. Ist an der These was dran?

Mark Eisenegger:

Das sehe ich überhaupt nicht so. Wenn das so wäre, müsste man begründen können, dass die grundsätzliche Ressourcenproblematik gelöst ist. Das ist ja der Treiber hinter allem. Werbeerträge fliessen weiter ab und die Verlage sehen sich mit einer tiefen Zahlungsbereitschaft konfrontiert. Gleichzeitig wachsen jene Nutzungsgruppen am stärksten, die am wenigsten bereit sind zu zahlen für Informationsjournalismus. Wenn man davon ausgeht, dass sich Medienqualität in Abhängigkeit der Ressourcen entwickelt, dann ist die These einer Trendwende überhaupt nicht plausibel.

«Im Bereich der meinungsbetonten Formate, wie Kommentare oder Leitartikel, lässt sich gut aufzeigen, wie zunehmend mehr identische Beiträge ausgespielt werden.»

MEDIENWOCHE:

Mantel-Lösungen, wie sie nun Tamedia und CH Media sparbedingt eingeführt haben, führten zu einem «markanten Vielfaltverlust», kritisiert das Jahrbuch. Doch die Leserinnen und Leser der einzelnen Medien kriegen unter dem Strich ein besseres Produkt als zuvor. Wo ist das Problem?

Mark Eisenegger:

Die Debatte wird verkürzt geführt. Wenn man heute die «Berner Zeitung» oder «Der Bund» isoliert anschaut, kann man tatsächlich zum Schluss kommen, dass man es mit guten Zeitungen zu tun hat. Man muss aber die Auswirkung solcher Verbundsysteme auch auf der gesellschaftlichen Ebene anschauen. Dort beobachten wir dann einen dramatischen Vielfaltverlust, der sich auf lange Sicht auf die Qualität durchschlägt. Die Idee der Aufklärung ist es ja, dass sich Qualität daraus ergibt, wenn unterschiedliche Positionen aufeinandertreffen. Das ist hier nicht mehr der Fall. Im Bereich der meinungsbetonten Formate, wie Kommentare oder Leitartikel, lässt sich gut aufzeigen, wie zunehmend mehr identische Beiträge ausgespielt werden. Wir haben es mit einer sehr einseitigen Debatte zu tun. Ich finde es dann schon problematisch, wenn die Verlage die Verbundsysteme so darstellen, als würden sie damit die Qualität stärken. Das ist einfach nicht glaubwürdig.

MEDIENWOCHE:

Ein grosser Teil der Mediennutzer kriegt davon gar nichts mehr mit, weil ihre Mediennutzung fast ausschliesslich auf Social-Media-Plattformen stattfindet und sie dort kaum mit Informationsjournalismus konfrontiert sind. Das Jahrbuch empfiehlt, diese «News-Deprivierten» vermehrt dort aufzusuchen, so sie sich aufhalten. Geht das so einfach?

Mark Eisenegger:

Das ist nicht die Lösung allein. Aber die Schweizer Informationsmedien müssen sich vermehrt dorthin begeben, so die Nutzer sind. Snapchat und Instagram spielen gerade in der Mediennutzung der News-Deprivierten eine wachsende Bedeutung. Auf diesen beiden Plattformen sind Schweizer News-Medien praktisch abwesend. Allerdings muss es ganz klar auch die Strategie sein, dass man die Nutzerinnen und Nutzer – und das ist das Schwierige daran – von diesen Plattformen zurück bringt zum eigenen Angebot.

MEDIENWOCHE:

Aber die Leute sind ja genau deshalb auf Youtube, Facebook oder Instagram, weil sie dort in Fülle das finden, was sie interessiert und darum keinen Grund haben, zu einem News-Medium zu wechseln mit einem viel schmaleren Angebot.

Mark Eisenegger:

Ich bin überzeugt, dass es ein Grundbedürfnis nach Orientierung gibt. Wenn mich ein Thema interessiert und ich realisiere, das ist ein Beitrag, der mir eine Einordnung bietet, die ich sonst nicht finde und das vermittelt mir ein Teaser auf Instagram, bin ich überzeugt, dass man den Klick zur Plattform eines Medienanbieters macht.

«Je mehr sich die Leute auf den Social-Media-Plattformen aufhalten, desto geringer ist die Bindung an die herkömmliche Medienmarke.»

MEDIENWOCHE:

Das Jahrbuch kritisiert die dominante Stellung von Plattformen wie Facebook und Google im schweizerischen Mediensystem. Und nun fordert ihr, dass Informationsmedien auf genau diesen Plattformen stärker präsent sein sollen.

Mark Eisenegger:

Das ist bis zu einem gewissen Grad ein Zielkonflikt. Deshalb muss es die Strategie sein, zwar auf diesen Plattformen präsent zu sein, aber nicht mit den Perlen. Man muss quasi den Teaser setzen und die Nutzerinnen und Nutzer für den Beitrag anfixen, aber die Konsumation sollte dann auf dem originären Medium stattfinden. Ein Problem, das es zu lösen gilt, ist jenes der Markenbindung, die stark erodiert. Das sieht man ja in der Forschung, je mehr sich die Leute auf den Social-Media-Plattformen aufhalten, desto geringer ist die Bindung an die herkömmliche Medienmarke. Deshalb muss die Leimrute zurückführen zu den herkömmlichen Informationsmedien.

MEDIENWOCHE:

Und wenn das nicht funktioniert?

Mark Eisenegger:

Wir müssen in den Bildungsinstitutionen mehr machen. Das Hauptproblem ist die Entwöhnung vom Informationsjournalismus durch den zeitlichen Verdrängungseffekt. Die Leute machen auf sozialen Plattformen alle möglichen Dinge, aber investieren wenig in Newskonsum. Also muss man das Zeitbudget für Information wieder ausdehnen, die Leuten wieder an professionellen Informationsjournalismus gewöhnen und auch an Qualitätskriterien, die damit verbunden sind. Das ist eine Aufgabe, wo ich vor allem Schulen und Bildungsinstitutionen in der Pflicht sehe.

MEDIENWOCHE:

Bildung ist ein Ansatz, der andere wäre die Medienpolitik. Aktuell liegt ein Vorentwurf zu einem neuen Gesetz über elektronische Medien vor. Das Jahrbuch beschreibt den Vorschlag als «mutlos». Was wäre – vor den genannten Hintergründen – eine mutige Medienpolitik?

Mark Eisenegger:

Mutiger wäre es, bei der direkten Medienförderung einen Schritt weiterzugehen. Die Einschränkung auf Online-Informationsmedien, die im Wesentlichen audio-visuelle Inhalte anbieten, genügt nicht. Es muss auch möglich sein, textbasierten Journalismus zu fördern. Und dann reichen die sechs Prozent der Medienabgabe schlicht und einfach nicht aus, um neue Angebote zu finanzieren. Das ist gleichviel Geld, wie heute für die Förderung von Privatradio und -fernsehen zur Verfügung steht. Damit sollten einerseits diese Sender weiterhin unterstützt werden, aber auch noch neue Online-Angebote. Das reicht nicht. Es muss mehr Geld vorgesehen werden, um die Privaten zu fördern. Das heisst auch, dass die Medienabgabe nicht reduziert werden darf.

«Der Idealzustand wäre natürlich ein funktionierender Markt für professionelle Informationspublizistik. Dann müsste man all diese Debatten gar nicht führen.»

MEDIENWOCHE:

Der Gesetzgebungsprozess ist erst gerade angelaufen. Bis zu einer Inkraftsetzung wird es noch Jahre dauern. Kann man mit Medienpolitik in der bisherigen Form die heutige Situation überhaupt noch sinnvoll regulieren?

Mark Eisenegger:

Der Idealzustand wäre natürlich ein funktionierender Markt für professionelle Informationspublizistik. Dann müsste man all diese Debatten gar nicht führen. Das wäre mit Abstand das beste Modell. Aber es gibt ein wachsendes Marktversagen. Daher wüsste ich nicht, wie anders, als über die Medienpolitik da etwas zu erreichen wäre, wenn man davon überzeugt ist, dass es Qualitätsmedien weiterhin braucht.

MEDIENWOCHE:

Zum Schluss zurück zum eben veröffentlichten Jahrbuch. Neu ist die Publikation frei zugänglich im Web, bis jetzt war es nur gedruckt für teures Geld erhältlich. Warum dieser Schritt?

Mark Eisenegger:

Bisher waren wir immer der Ansicht, dass wir nicht die Gratiskultur der Medien kritisieren können und gleichzeitig das Jahrbuch gratis ins Netz stellen. Jetzt machen wir es trotzdem. Das Jahrbuch ist auch über öffentliche Gelder mitfinanziert. Wir finden, dass wir einen Dienst an der Gesellschaft leisten und darum müssen wir die Forschung auch breit zur Verfügung stellen. Schliesslich wollen wir etwas bewirken mit unserer Forschung.

Leserbeiträge

Laura Kühni 25. Oktober 2018, 06:27

Ein irrelevantes linksideologisches Blättchen vor einem renommierten Weltblatt zu placieren, darauf muss man erst noch kommen. Nicht ernst zu nehmen.