von Benjamin von Wyl

Ein Jahr izzy oder wenn man sich bloss noch selbstironisch «Journalistin» nennt

Seit einem Jahr treibt das izzy-Magazin nun schon seinen Schabernack in und mit den Schweizer Medien. Mit einer eigenwilligen Mischung aus grenzwertigen Stunts und ernsthaftem Journalismus erreicht das Ringier-Startup auf Social Media ein Massenpublikum. Vollen Einsatz leistet die Redaktion auch, wenn es ums Geschäft geht.

Das izzy-Magazine feiert seinen ersten Geburtstag. Sie kennen izzy nicht? Dann sind Sie wahrscheinlich auf Twitter oder gar nicht auf Social Media unterwegs. Auf Facebook und Instagram ist die Plattform penetranter als Tiervideos. Izzy hat innert kürzester Zeit eine beeindruckende Community aufgebaut, die liket, sharet und kommentiert. Auf Instagram erreicht das Ringier-Experiment 220’000 Menschen, auf Facebook haben es über 80’000 mit einem Like honoriert. Im aktuellsten Storyclash-Ranking liegt izzy auf Platz 4.

Das sind Zahlen, die in der izzy-Welt deshalb besonders bedeutend sind, weil Bernhard Brechbühl, der «Head of izzy», aus der Welt der Social Media-Performance kommt. Lange bevor Mark Zuckerberg dem US-Kongress Rede und Antwort stehen musste, gründete Brechbühl Storyfilter. Für eine Weile war das die reichweitenstärkste Schweizer «News»-Plattform, die keine journalistischen Eigenleistungen mehr bot, sondern den Beruf «Kurator*in»aus der verstaubten Museumswelt zerren wollte. Während Plattformen wie Piqd dabei qualitative Selektion in der Informationsflut zum Ziel haben, setzte Storyfilter auf Reichweitensteigerung.

Izzy hat scheinbar den heiligen Gral gefunden, wie man auf Social Media auch mit intelligenten und reflektierten Inhalten Reichweite bolzen kann.

Aber es sind nicht nur Reichweiten-Nerds, denen izzy im ersten Jahr aufgefallen ist. Zwar bringt izzy auch täglich Online-Kurzfutter, das mit fünf Minuten Copy-paste-Aufwand erstellt ist, und dann 20’000 Likes erzielt. Aber das Gros der izzy-Inhalte ist aufwändige publizistische Eigenleistung. Izzy hat scheinbar den heiligen Gral gefunden, wie man auf Social Media auch mit intelligenten und reflektierten Inhalten Reichweite bolzen kann. Ein Format zeigt das exemplarisch: In kurzen Videos sprechen Menschen direkt in die Kamera über etwas, das ihnen selbst widerfahren ist oder das sie selbst erlebt haben. Holocaust-Überlebende sprechen im izzy-Video über den Antisemitismus der deutschen Rapper Kollegah & Co, LGBT-Jugendliche thematisieren ihr Outing, Opfer von sexueller Gewalt erhalten eine Stimme. Sharing is caring: Die Gesprächspartner*innen öffnen sich, sind spürbar – und deshalb dem izzy-Publikum näher als die Beiträge vieler anderer Medien. Solche privat wirkende Beiträge teilt man gerne mit seinen privaten Freunden. Kommt dazu, dass der Zugang niederschwellig ist. Izzy publiziert direkt auf Facebook und Instagram und damit direkt in der Timeline der Leute. So hat sich die Plattform in den ersten Monaten eine Kern-Community geschaffen. Es waren genau die Inhalte, auf die Anina gewartet hat.

Wer ist Anina? Anina ist eine Persona, die prototypische Zielgruppenvertreterin, an der sich das izzy-Magazine messen will. Das Ringier-Mitarbeitermagazin «Domo», stellte Anina vor: «Sie wohnt in Zürich im trendigen Kreis 3 oder 4, hat Publizistik studiert, ist Kommunikationschefin bei einem Start-up, Single, glücklich, aber irgendwie auf der Suche nach der grossen Liebe, relativ offen, was Toleranz angeht – auch in Richtung LGBT, wo sie viele Freunde hat. Anina schaut kaum noch fern, sie liest lieber Bücher oder guckt, wenn schon, Serien auf Netflix. Übers klassische Fernsehen ist sie gar nicht mehr zu erreichen.» Soweit das Profil der imaginären Anina von «izzy». «Ringiers neustes Start-up ‹izzy› hat junge, anspruchsvolle Frauen im Visier», hielt «Domo» beim Start fest.

In den Zürcher Stadtkreisen 3 und 4 leben bloss etwa 80’000 Menschen und manche besitzen gar noch einen Fernseher. Um über 200’000 Follower auf Instagram zu erreichen, musste sich izzy öffnen. Von Anfang an produzierte izzy nicht nur die progressiven Bekenntnis-Videos, sondern auch fiktive Comedy-Sketches, in denen die izzy-Redaktion als Protagonist*innen auftraten. Während diese Sketches anfangs meist eine gesellschaftskritische Dimension aufwiesen, hat man ein Jahr nach dem Start das Gefühl, dass izzy als idealen Zuseher dieser Filmchen eher Aninas pubertierenden kleinen Bruder im Visier hat.

Manche dieser Videos operieren auf dem Niveau von «Verstehen Sie Spass» für Social Media.

Sowohl auf Anina als auch auf ihren 14-jährigen Bruder ausgerichtet sind die medialen Guerilla-Aktionen – das Markenzeichen von izzy-Redaktor Cédric «Supercedi» Schild. Manche dieser Videos operieren auf dem Niveau von «Verstehen Sie Spass» für Social Media. Eines tangierte aber auch Fragen der nationalen Sicherheit: Die Schweizer Armee befand die Sicherheit einer ganzen Einheit für gefährdet, als Supercedi Schild mit einem Spassanruf und einer erfundenen Email-Adresse einen Armeeangehörigen dazu brachte, ihm interne Dokumente zuzustellen. Knapp eine Million Mal wurde der Clip geschaut, die Armee behielt sich erst rechtliche Schritte vor und ein SVP-Nationalrat forderte gar ein Strafverfahren wegen Amtsanmassung. Supercedi brachte das unter anderem ein Porträt-Artikel bei der Konkurrenz von «20 Minuten» ein. (Ob sie ihn dort heute noch mögen, ist zu bezweifeln, denn zwischenzeitlich ist «20 Minuten» ebenfalls zur Zielscheibe von Supercedis Aktionen geworden.) Cédric «Supercedi» Schild mit seinen knapp 70’000 Followern auf Instagram ist innert eines Jahres selbst eine starke Marke geworden – sogar einen Preis konnte er in Empfang nehmen. Keinen Journalistenpreis, sondern einen Swiss Comedy Award.

Grosse Reichweite, eine Auszeichnung – und nach eigenen Angaben rentiert die Sache: Im vergangenen August schloss izzy erstmals einen Monat mit schwarzen Zahlen ab. Auf Anfrage der MEDIENWOCHE wollte das Unternehmen allerdings keine Auskunft zu Zahlen geben.

«Wir arbeiten mit Marken zusammen, deren Messages zu uns passen — zum Beispiel dem Möbelhaus Ikea, das sich für mehr Nachhaltigkeit einsetzt.»

Der Break-Even im ersten Jahr? Kommerzielle Grenzgänge haben ihn ermöglicht. In den ersten Monaten nach dem Start publizierte izzy noch gar keinen gesponserten Inhalte und nach dem ersten Video im Kundenauftrag, der Kopie eines britischen Clips über Geschlechtervorurteile, verschickte izzy eine Medienmitteilung und wies darauf hin, dass ihre Werbeangebote gar laborgeprüft seien: «Vor jeder Veröffentlichung teste Izzy im hauseigenen Neurolabor mit Hilfe von Eye-Tracking, Messung der Gehirnaktivität und Emotionsanalyse, ob das Branded Video auch wirklich den erwünschten Effekt erziele.» Das medienmitteilungswürdige Video verfügte auch über ein weiteres Surplus: Es unterlief die gängigen Rollenklischees in der Berufswahl, transportierte Werte, die Anina gefallen und konnte damit noch Geld verdienen. In einem Interview mit dem «Schweizer Journalist» sagte «Supercedi» zum Branded Content bei izzy: «Wir arbeiten mit Marken zusammen, deren Messages zu uns passen — zum Beispiel dem Möbelhaus Ikea, das sich für mehr Nachhaltigkeit einsetzt.»

Ikea als Beispiel für Nachhaltigkeit? Grossunternehmen betreiben Greenwashing und izzy nimmt es dankbar auf, denn es gibt Supercedi und Co. das (Marketing-)Vokabular, um für Verständnis für die Zusammenarbeiten zu werben. «Wie erreicht und begeistert man das junge Publikum? Mit izzy. Das haben bereits namhafte Marken wie Ikea, Coca-Cola, SBB und Axe erfolgreich unter Beweis gestellt», schreibt izzy diesen Herbst in der Bewerbung für einen Ringier-internen Award.

Branded Videos auf izzy funktionieren anders als Native Ads wie sie etwa Watson anbietet. Bei solchen Native Ads tritt der zahlende Kunde nur als Sponsor und Stichwortgeber auf, seine Produkte erscheinen aber nicht. Schliesslich soll das Publikum die Werbung mit der gleichen Aufmerksamkeit wahrnehmen wie die übrigen Beiträge. Die redaktionelle Unabhängigkeit sei deshalb gewährleistet, weil der Inhalt eben nicht direkt mit dem Auftraggeber zu tun habe. Izzy macht es anders.

War das erste Branded Video noch eine Native Ad gemäss der üblichen Definition und andere Branded-Inhalte in der Anlaufphase auch, publiziert das Magazin mittlerweile waschechte Werbeclips. Im Clip «Wie jedes Schulreisli früher war», den izzy im Auftrag des Snack-Herstellers Zweifel produziert hat, schlüpft die izzy-Redaktion in die Rolle von Schüler*innen, spielt ein paar lustige Szenen durch und stopft sich dabei mit Chips voll.

Auch beim Video im Auftrag der Migros sind Produkt und Marke zentral in der Dramaturgie; bei jenem für Ovomaltine spielt das Produkt im Storytelling zwar keine Rolle – aber ist als klassisches Product Placement trotzdem präsent.

Die Werbekooperation hat in einem Fall bereits die digitale Sphäre verlassen und den Charakter einer Agenturkampagne: izzy-Aushängeschild «Supercedi» war in diesem Herbst der Gastgeber eines Wettbewerbs des Temporärarbeits-Vermittlers Adia. Die Gewinnerin durfte schliesslich einen Abend lang als Kellnerin in einem Restaurant arbeiten und hatte dabei einen Knopf im Ohr, über den sie Anweisungen von «Supercedi» befolgen musste. Das Resultat: es ist lustig. Wenigstens ein bisschen. Ein izzy-Video halt, das einem izzy-Fan die Möglichkeit gab, im Zentrum zu stehen. Und nebenbei prekäre Arbeitsverhältnisse bewirbt.

Was hält die Ideal-Nutzerin Anina wohl davon? Wahrscheinlich ist es in Ordnung für sie, denn sie ist ja Kommunikationschefin bei einem Startup, also genau das Milieu, das kein Problem mit schamlosem Kommerz hat, solange er mit progressiven Werten verbunden ist.

Izzy nennt seine Redaktor*innen «Darsteller», sowohl in der Bewerbung für den Ringier-internen Award («Die Darstellerinnen und Darsteller in den izzy-Videos sind zu Idolen ihrer Generation geworden.»), wie auf Anfrage der MEDIENWOCHE: Manuel Bucher von der Ringier-Medienstelle schreibt, dass «in der Regel unsere Darsteller in den Hauptrollen» der Branded Videos sind. Versteht sich die izzy-Redaktion also als Darsteller*innen, die analog zu Schauspieler*innen «Hauptrollen» spielen?

Das Impressum der izzy-Website (die weit weniger wichtig ist, als die Social Media-Kanäle) hilft in der Beantwortung dieser Frage kaum. Die Berufsbezeichnungen der Redakteur*innen lauten etwa «Trash & Tacos» oder «Krawalle & Liebe». Journalist*in sucht man vergebens. Im Interview mit dem «Schweizer Journalist» sagte Cédric Schild, er sehe sich eher als Aktionskünstler, denn als Journalist. Bucher von der Ringier-Medienstelle beantwortet die MEDIENWOCHE-Frage, ob sich zumindest Teile der Redaktion als Journalist*innen verstehen mit «Wir verzichten auf starre Definitionen.» Wenn «Darsteller» auf einer reinen Satireplattform in «Hauptrollen» schlüpfen, ist es wohl egal, ob sie das im Rahmen von Werbung oder einem Comedy-Filmchen tun.

Aber bei izzy sind es dieselben Redakteur*innen, die Menschen zu intimen Themen befragen, also offensichtlich journalistische Arbeit leisten. «Offensichtlich journalistische Arbeit», so nennt es die Ringier-Medienstelle gegenüber der MEDIENWOCHE: «Zum Beispiel, wenn wir mit einer betroffenen Frau über Beschneidung bei Mädchen sprechen oder die Verschuldung bei jungen Menschen thematisieren.»

In seinen Videos windet sich izzy ironisch um die Selbstdefinition als journalistisches Medium. Beispielsweise in jenem Video, in dem sich Supercedi über «20 Minuten» lustig macht. «20 Minuten» stellte auf einer Berufsmesse den Job als «Influencer» vor. Schild stellte sich direkt daneben, warb lautstark für den Job des Journalisten und das Zwei-Quellen-Prinzip. Dazu enterte er kurzerhand den «20 Minuten»-Stand und liess sich nur unter «Presserat, Presserat!»-Rufen wegdrängen. Die Aktion leitete Supercedi im Video ein mit: «Dabei hat ‹20 Minuten› ja etwa so viel mit Influencern zu tun, wie das izzy-Magazine mit Journalismus.»

Genau. Die Mitglieder der izzy-Redaktion sind eher Influencer als das Personal von «20 Minuten».Schon nur, weil ihre Glaubwürdigkeit gegenüber ihrer Community viel höher ist. «Supercedi» ist ein Influencer, festangestellt bei einem der grössten Schweizer Medienunternehmen. Und trotzdem publiziert izzy weiterhin «offensichtlich journalistische Arbeit».

«Supercedi», der sich (auch auf seiner Website) bloss selbstironisch Journalist nennt, kann das egal sein. Alle izzy-Redaktor*innen, die sich als Journalist*innen sehen, müssen aber langfristig um ihren Ruf fürchten. Der Markt für Darsteller*innen von Werbeclips ist ähnlich prekär wie der Journalismus und von der Relevanz, also von «offensichtlich journalistischer Arbeit», muss man sich als Werbeträger definitiv verabschieden.

Leserbeiträge

Star Wars News 08. Januar 2019, 21:04

Ich gönne „Izzy“ den Erfolg wirklich von ganzem Herzen, aber ich kenne mich in dieser Szene (besonders auf YouTube) sehr gut aus. Das Magazine schaltet sowohl auf YouTube als auch auf Instagram sehr viel Werbung. So kommt es dazu, dass sie durch diese Finanzielle Unterstützung einen leichteren Start als andere Magazine hatten. Nichts desto trotz muss man einfach sagen, dass die Journalisten von „Izzy“ unglaublich einfallsreich sind und ich habe selten so guten und zugleich witzigen Content aus der Schweizerszene auf YouTube und Instagram gesehen!