von Oliver Classen

Good Night, and Good Luck, Mr. Honegger

Der Journalismus und andere demokratische Institutionen stehen unter Druck, während Rechtspopulismus und Konzernmacht immer üblere Blüten treiben: In solch unsicheren Zeiten brauchen wir vom News-Personal des Service public weniger Selbstinszenierung und mehr publizistisches Profil. Am besten in Form kritischer Kommentare. – Erste Folge der Kolumne von Oliver Classen.

Im gelobten Land des TV-Journalismus heisst der Verkünder der allabendlichen Hauptnachrichten nicht zufällig «Anchor». Ein Anker gibt Halt in der Informationsflut und garantiert eine klare, verlässliche Orientierung – auch und gerade bei rauher See. Dem legendärsten dieser Leuchttürme des öffentlich-rechtlichen Fernsehens hat George Clooney mit dem Film «Good Night, and Good Luck» einen grandiosen Grabstein gesetzt. Der Mann hiess Edward Murrow, war meinungsstarker Chefmoderator bei CBS und leitete dort «See it now», dessen investigative Recherchen unter anderem den früheren US-Senator und Kommunistenjäger Joseph McCarthy zu Fall brachten.

Moniert wurden dabei auch eitle Interview-Auftritte von Honeggers «10vor10»-Kollegin Susanne Wille.

Wenn ein Schweizer News-Moderator diesen Murrow kennt, dann «10vor10»-Moderator und Ex-US-Korrespondent Arthur Honegger. In seiner Doku-Serie von SRF und 3Sat «Mein unbekanntes Amerika», zeigt er jedoch nicht die dieses Land gerade zerreissenden Widersprüche, sondern präsentiert an exotischen Orten primär sich selbst als durchaus sympathischen Reiseführer. Was ihm die Zuschauerinnen und Kollegen zunächst noch durchgehen liessen, kam nach seiner das Sommerloch füllenden Glückssuche in Skandinavien als «journalistische Egozentrik» und «fragwürdige Selbstinszenierung» nun an den Social-Media-Pranger. Moniert wurden dabei auch eitle Interview-Auftritte von Honeggers «10vor10»-Kollegin Susanne Wille.

Ich teile diese Kritik, verstehe aber auch, dass die SRF-Führung möglichst viel Aufmerksamkeitskapital aus der Bekanntheit ihrer Top-Leute schlagen will. Prominenz ist schliesslich ein immer wichtigerer Nachrichtenfaktor. Deshalb ein Vorschlag zur Güte, der den peinlichen Personenkult flugs in publizistische Substanz und politische Relevanz ummünzen könnte: Lasst die TV-Chefredaktion ein Kommentargefäss für «10 vor 10» entwickeln, in dem – vielleicht nach Vorbild der ARD-«Tagesthemen» – die klügsten und couragiertesten Köpfe aus den News- und Fachmagazinen jeweils die brisanteste Tagesaktualität einordnen.

Dem immer noch unter dem «No Billag»-Trauma leidenden Schweizer Fernsehen würde mehr Mut zur Meinung gut tun.

Beim breiten Publikum wie auch in der Zivilgesellschaft und anderen interessierten Kreisen würde ein solch kleines, aber feines Meinungsformat auf grosse Resonanz stossen. In Deutschland lösen die pointierten Stellungnahmen von Georg Restle («Monitor») oder von Anja Reschke («Panorama») regelmässig Debatten aus und finden auch in Regierungskreisen Beachtung. Entsprechend dienen sie nicht nur der persönlichen Profilierung, sondern auch jener des Senders. Und des öffentlichen Rundfunks ganz allgemein. Dem immer noch unter dem «No Billag»-Trauma leidenden Schweizer Fernsehen würde mehr Mut zur Meinung nicht nur neues Selbstbewusstsein, sondern wohl auch (noch) bessere Quoten bringen.

Wieso sind politische Leitartikel hierzulande das Privileg privater Verlage? Das fragte Tagesschau-Sprecher Franz Fischlin letzten Winter an einer Journalismus-Tagung. Und plädierte unter dem Applaus der Anwesenden nachdrücklich für die Einführung redaktioneller Kommentare in seiner Sendung. Diese müssten kompetent, konzis und kristallklar von der Berichterstattung getrennt sein.

Die aktuelle doppelte Medienkrise – neben dem Geschäftsmodell bröckelt zunehmend auch die Legitimation – führt zu immer mehr kommerziellen oder ideologischen Beisshemmungen. Die Schweiz braucht eine wirklich unabhängige journalistische Instanz, welche die demokratischen Grundwerte und den Primat der Politik verteidigt und diesbezügliche Missstände aufdeckt und auch mal entschieden verurteilt.

Es war einer jener Momente, wo mir der «Anchor», der keiner sein darf, fast leid getan hat.

P.S.: Hier noch ein Beispiel aus Sicht eines Betroffenen, wieso sachbezogene Stellungnahmen im Service Public heute nötiger denn je sind. Letzten Oktober verlas Arthur Honegger die Gegendarstellung von Syngenta zu einer «10vor10»-Recherche über Pestizid-Tote in Indien – mit dünner Stimme und vor allem völlig kommentarlos. Nicht mal das in solchen Fällen übliche «die Redaktion hält an ihrer Darstellung fest» kam über seine Lippen. Dabei waren mindestens zweieinhalb der drei von Syngenta beanstandenden Punkte schlicht falsch.

Der Basler Agrochemiekonzern legte dann mit einer Beschwerde beim Ombudsmann sogar noch nach. Doch dieser wies im Januar Syngentas vernichtende Kritik an «10vor10» als «völlig haltlos» zurück. Das war einer jener Momente, wo mir der «Anchor», der keiner sein darf, fast leid getan hat. Und ich Honegger oder den Rechercheuren die Möglichkeit zu einer redaktionellen Replik auf die hanebüchenen Behauptungen von Syngenta gewünscht habe. Kritisch kommentiert gehören primär aber natürlich Tagesaktualitäten wie faule Parteiäpfel, Trumps Inselträume oder Gretas Segeltörn. Dann macht der Job am Moderatorenpult oder im Reporterteam auch sicher noch mehr Spass.

Leserbeiträge

Lahor Jakrlin 22. August 2019, 18:18

Lieber Herr Classen

Schön, wie sie Honeggers peinliche Selfitis auf eine freundschaftlihe Art abhandeln. Den Kern der Kritik kann jeder dennoch klar erkennen. Tip top.

Die unabhängige journalistische Instanz, welche die demokratischen Grundwerte und den Primat der Politik verteidigt und diesbezügliche Missstände aufdeckt und auch mal entschieden verurteilt, gibt es seit vielen vielen Jahrzehnten. Sie heisst Neue Zürcher Zeitung NZZ und ist der Hort für journalistische Qualität in der Schweiz und evtl. auch im gesamten D-sprachigen Raum.

Ein staatlicher Monopolbetrieb kann diese Rolle gar nicht ausfüllen – zu weit ist die GAV-gesicherte und überbezahlte Beamtenseele von der wahren Weltrealität entfernt.

SRF soll berichten, nicht kommentieren. ABER es kann ein Kommentatoren-Team aus verschiedenen Zeitungen oder Privatsendern bilden, und diesen Profis das Kommentieren überlassen. Oder, im höchsten Notfall, der eigenen Chefredaktion. Aber bitte: Sparsam.

M.Heller 22. August 2019, 21:20

Damit Sie etwas zur Ruhe kommen und ihre unzähligen Twitter-Hasstiraden gegen Herrn Honegger und die SRG etwas zurückfahren können, empfehle ich Ihnen eine Bewerbung als SRF Moderator/Kommentator.
Die Ü65 Zuschauer werden einen älteren „Anchor“ durchaus zu schätzen wissen. So wie anno dazumal Walter Eggenberger oder Erich Gysling.

Lahor Jakrlin 22. August 2019, 22:53

Meine Radiozeit vor fast 40 Jahren war kurz und intensiv, und sie befriedigte mich nicht: Ich war umgeben von Ex-SeninaristInnen/LehrerIinnen und „urbanen“ Weltverbesserern (Typ Honegger; alle links der SP, viele landeten später bei DRS).

Als Gwärbler und doppelter Zwangsteuerzahler wünsche ich mir einen neutralen Staatsfunk. Zuviel verlangt?

Echte Persönlichkeiten fehlen bei SRFTV, Ausnahmen sind/waren B. Bleisch, S. Hasler und K. Stauber. Doch intellektuelle Männer wie Hans O. Staub oder Heiner Gautschi sind einfach nicht in Sicht. Vermutlich hat das System. Oder wüssten Sie jemand?

Eben.

Bitte verzeihen Sie mir, dass ich Ihren Schwarm (als Journalisten, sonst ist er mir egal) nicht mag.

M.Heller 23. August 2019, 11:05

U.a. ein Jodok Hess, eine Annina Salis oder ein Joachim Salau. Auch ein Reto Brennwald und ein Franz Fischlin. Nicht zu vergessen die intelligenten und empathischen Gesprächsführer Hannes Hug und Dominic Dillier.

Dass Sie mit dem „Staatsfunk“ nie zufrieden sein werden, liegt wohl in der Natur ihres Charakters, den Sie online zur Schau stellen. Unanständig,  arrogant, rechthaberisch, und Andersdenkende beleidigend oder demütigend.

Das wiederum würden die älteren SRF Zuschauer nicht goutieren, kurze Lokalradio-Erfahrung hin oder her.

 

Peter Eberhard 23. August 2019, 09:51

Wieso braucht es bei SRF resp. 10v10 ein separates Kommentargefäss? Die jeweilige Mimik des Moderators/der Moderatorin ist doch bereits Kommentar genug . Jede Nachricht wird mit einem unsäglich bedeutungsschwangeren Gesichtsausdruck begleitet, damit auch der hinterletzte Zuschauer kapiert, wie er die Nachricht „einbetten“ soll. Schaut mal bei Ingo Zamperoni (ARD-Tagesthemen) rein. Das ist professionell!

chris weiss 28. August 2019, 13:30

Das Kommentargefäss könnte dazu beitragen, Peter Eberhard, dass alle Zuschauer verstehen, was gemeint ist. Sie müssten sich dann beim Interpretieren von Gesichtsausdrücken nicht mehr vor allem von der eigenen Meinung leiten lassen, was die ModeratorInnen angeblich meinen.