von Nick Lüthi

Jetzt wollen auch sie den Ton angeben: Schweizer Medienhäuser setzen auf Podcasts

Das Abwarten hat ein Ende. Reihum stürzen sich Redaktionen ins Podcast-Abenteuer. Eine Strategie dahinter, zumal eine kommerzielle, lässt sich erst in Konturen erkennen. Dennoch gibt es gute Gründe, jetzt den Schritt in die Audio-Welt zu wagen.

Vor weniger als einem Jahr war an dieser Stelle zu lesen: «In der Schweiz wagen sich Verlage wie Tamedia, Ringier oder die NZZ-Gruppe nur zögerlich in die Audio-Welt vor.» Unterdessen hat sich ihr Zögern ins Gegenteil verkehrt. Manche Medien preschen regelrecht vor, wenn es darum geht, in der Audio-Welt Fuss zu fassen.

Die Aufbruchstimmung lässt sich mit der Zeit vor zehn, fünfzehn Jahren vergleichen, als die grosse Blog-Euphorie ausgebrochen war.

Liessen sich 2018 die Podcasts aus heimischen Verlagshäusern noch an zwei Händen abzählen, so verliert man heute leicht den Überblick – und entdeckt immer wieder neue Projekte. Seit circa einem halben Jahr vergeht kaum eine Woche, ohne dass nicht irgendeine Redaktion einen neuen Podcast ins Netz bringt.

Die Aufbruchstimmung lässt sich mit der Zeit vor zehn, fünfzehn Jahren vergleichen, als die grosse Blog-Euphorie ausgebrochen war. Wie damals das Blog ein Gefäss schuf für eine thematisch enger fokussiertere Publikumsansprache und damit als Ergänzung zum Generalistenangebot der Website diente, so erfüllen heute die Podcasts dieses Bedürfnis nach Spezialinformation.

Für Fussballfreunde, Krimi-Liebhaberinnen, Zukunftsinteressierte oder für US-Wahl-Begeisterte bieten Journalistinnen und Redaktoren aus den grossen Medienhäusern regelmässig Tonbeiträge an. Das tun sie auf sehr unterschiedliche Art und Weise. Das Spektrum reicht von aufwändigen Projekten, die sich an den Besten der Branche orientieren bis hin zu sehr einfach produzierten Plauderstunden mit geringen formalen Ambitionen.

Dass es die NZZ ernst meint mit ihrem Vorstoss in die Audiowelt, zeigt das kommende Vorhaben eines täglichen Politik-Podcasts.

Mit der Podcast-Serie «Sihlquai» über unaufgeklärte Morde an Drogenprostituierten in Zürich setzte unlängst die «NZZ am Sonntag» einen Massstab, von dem andere bisher noch weit entfernt sind. Das überrascht nicht weiter. Die drei Figuren hinter dem Real-Crime-Fünfteiler sind auf ihrem jeweiligen Feld gestandene Profis: Christine Brand als langjährige Gerichtsreporterin und Krimi-Autorin, This Wachter als erfahrener Radiomacher und professioneller Podcast-Produzent sowie Simon Meyer als Sound-Designer mit Spezialgebiet Podcasts. Entsprechend perfekt klingt «Sihlquai». Ähnliches leistete auch die «Republik» mit ihrem Podcast «Zündstoff».

Dass es die NZZ ernst meint mit ihrem Vorstoss in die Audiowelt und dass sie es nicht bei sporadischen und abgeschlossenen Podcast-Serien bewenden lassen will, wie sie das in der Vergangenheit gemacht hat, zeigt das kommende Vorhaben eines täglichen Politikformats. Dafür baut die Zürcher Zeitung derzeit ein eigenes Redaktionsteam auf, das diesen Podcast verantworten wird. Der Start soll noch in diesem Jahr erfolgen.

Im Unterschied zur NZZ rühren Ringier und Tamedia mit der kleinen Kelle an.

Die beiden anderen grossen Schweizer Verlagshäuser, Tamedia und Ringier, markieren zwar auch vermehrt Präsenz in der Podcast-Sphäre. Im Unterschied zur NZZ rühren sie aber mit der kleinen Kelle an. Das zeigt sich zum einen darin, dass sie nicht eigens Personal rekrutierem für die neuen Audio-Formate. Zum anderen zeigt sich der bescheidenere Mitteleinsatz auch in der Qualität der Produktion.

Im besseren Fall klingt das erfrischend nach Do-it-yourself; wie etwa beim Tamedia-Fussballpodcast «Dritte Halbzeit». Vier Sportjournalisten von der «Berner Zeitung» und vom «Tages-Anzeiger» kommentieren seit Juli im Wochentakt in lockerem Ton und mit «dem nötigen Mangel an Ernsthaftigkeit» (Fussballmagazin «Zwölf») das Geschehen auf und neben dem heimischen Rasen. Die einzelnen Episoden dauern zwischen einer halben und einer dreiviertel Stunde. Ernsthafter und knapper, oft in weniger als zwei Minuten, kommentiert der «Blick»-Fussballchef in seinem «Ball-Briefing für unterwegs» die schönste Nebensache der Welt – wobei es sich bei diesem Podcast um die Tonspur einer Videokolumne handelt. Überhaupt scheint Sport ein Thema zu sein, mit dem Tamedia und Ringier ein Publikum zu finden hoffen. Insgesamt fünf Podcasts aus den beiden Häusern widmen sich Fussball oder Eishockey.

Andere Redaktionen nutzen Podcasts dafür, dem Publikum einen Blick hinter die Kulissen zu ermöglichen oder ihre Recherchen zu kommentieren. So stellt etwa die «Berner Zeitung» (Tamedia) in ihrem Podcast «Rede wi druckt» seit Juni in regelmässig-unregelmässigem Abstand die Köpfe hinter den Geschichten vor; Redaktionsmitglieder berichten über ihren Berufsalltag. Beim «Beobachter» (Ringier Axel Springer) wiederum kommentieren eine Redaktorin und ein Redaktor im Zweiwochentakt eine Recherche zu «Gaunern & Ganoven» aus dem aktuellen Heft.

Aber warum gerade jetzt? Was treibt Verlage an, verstärkt auf die Karte Audio zu setzen? Drei Faktoren stehen im Vordergrund:

Konkurrenz: Im deutschsprachigen Raum gibt es inzwischen eine ganze Reihe erfolgreicher Podcasts, die auch in der Schweiz ein Publikum finden. Um nur zwei zu nennen: «Fest & flauschig» von Jan Böhmermann und Olli Schulz oder «Paardiologie» von Charlotte Roche und ihrem Ehemann Martin Keß. Und natürlich sind da die Radios, die schon seit Jahren ihre Sendungen als Podcast anbieten und verstärkt auch eigenständige Audio-Formate ins Netz bringen. Das weckt bei den Verlagen die Begehrlichkeit, sich von diesem Erfolg auch eine Tranche abzuschneiden. Dass es möglich ist, in die Phalanx der Etablierten einzubrechen, zeigt «Sihlquai» der «NZZ am Sonntag» mit Top-Platzierungen auf den beiden beliebten Podcast-Plattformen von Apple und Spotify. Das bestätigt, was This Wachter, einer der «Sihlquai»-Macher, schon im letzten Herbst gesagt hatte: «Die Nachfrage nach hochwertigen Audio-Formaten besteht.»

Technologie: Seit dem Aufkommen interaktiver Lautsprecher, sogenannter Smart Speaker, muss sich jeder professionelle Inhalte-Anbieter überlegen, wie er auf dieser neuen Plattform präsent sein will. Podcasts bieten sich dafür besonders gut an, weil Google, Amazon, Apple und Co., die den neuen Verbreitungsweg kontrollieren, originäre und originelle Inhalte schätzen. Nur: Erfolgsgarantie gibt es keine, zumal das Angebot weiter wachsen und damit die Konkurrenz zunehmen wird.

Kosten: Anders als bei Video lässt sich ein passabler Podcast mit vergleichsweise wenig Geld realisieren. Entsprechend gering ist das geschäftliche Risiko. Sollte sich der Ausflug in die Audio-Welt als Flop erweisen, lässt sich die Übung ohne grosse Verluste abbrechen.

Trotz der Aufbruchstimmung stehen zwei grosse Fragen im Raum. Lohnt sich das Abenteuer Podcast irgendwann auch kommerziell? Und: Wer hört überhaupt Podcasts?

Jedes Medienunternehmen interessiert sich brennend dafür, wie es mit Online-Inhalten Geld verdienen kann. Aber funktioniert Werbung in Podcasts? Im Prinzip ja, aber nicht so, wie man das von anderen digitalen Medien her kennt. Bei der Podcast-Werbung steht nicht die Messbarkeit der Nutzung im Vordergrund. Es brauche vielmehr Sponsoren, die die Nähe zu schätzen wissen, die durch gute Podcasts entsteht, schrieb kürzlich der Journalist und Kommunikationswissenschaftler Dirk von Gehlen in seinem Blog. «Das ist eine andere Form der Werbung als das Direkt-Marketing in Google-Ads und die klassische Marken-Werbung in anderen Medien. Podcasts liegen genau dazwischen – und genau deshalb kann man so schwer Geld mit ihnen verdienen», so von Gehlen weiter.

Neben dieser strukturellen Hürde gibt es aber auch einen Faktor, der die Kommerzialisierung eigentlich erheblich erleichtern sollte. Die Umfrage eines deutschen Podcast-Vermarkters unter 1100 Podcast-Hörerinnen und -Hörern zeigte im vergangen Jahr, dass Podcast-Werbung besser akzeptiert wird als andere digitale Werbeformen. So gaben drei Viertel der Befragten an, sich die Werbung anzuhören und den Podcast deswegen nicht abzubrechen. Auch scheint das Verständnis vorhanden zu sein, dass die Produktion der Inhalte etwas kostet und darum Werbung eingespielt wird. Der Aussage «Ich akzeptiere Werbung, damit Podcasts kostenfrei angeboten werden können» stimmten 63 Prozent «voll und ganz» zu.

Von den aktuellen gut zwei Dutzend Podcasts aus den Häusern Tamedia, Ringier und NZZ sind heute noch alle werbefrei.

Entscheidend für den kommerziellen Erfolg wird indes sein, ob es die Medienunternehmen schaffen, die Eigenheiten des neuen Medienformats den potenziellen Werbekunden zu vermitteln. Das wird einiges an Aufbau- und Sensibilisierungsarbeit brauchen. Von den aktuellen gut zwei Dutzend Podcasts aus den Häusern Tamedia, Ringier und NZZ sind heute noch alle werbefrei. Wer auf den Websites der Vermarkter Admeira (Ringier), Goldbach (Tamedia) und NZZ Mediasolutions nach Werbemöglichkeiten in Podcasts sucht, findet wenig bis keine Informationen zum Thema.
[Nachtrag, 10. Oktober: Admeira bietet neu Sponsoring an für die Podcasts von blick.ch]

Die NZZ hat ihren Flaggschiff-Podcast «Sihlquai» immerhin so weit kommerzialisiert, als sie ihn als Köder für ein Probeabo der NZZ am Sonntag positionierte: Wer ein Probeabo zum Spezialpreis erwirbt, kann alle fünf Folgen auf einmal hören. Alle anderen müssen sich gedulden und können auf den gängigen Podcast-Plattformen nur Folge um Folge im Wochentakt hören.

Die Zurückhaltung bei der Kommerzialisierung mag einerseits daher rühren, dass die meisten Medienhäuser ihren Fokus im Netz vor allem auf die Vermarktung von Video-Inhalte richten. Andererseits fristet die Podcast-Nutzung weiterhin ein Nischendasein. Das stellte jüngst eine Untersuchung von Schweizer Radio und Fernsehen SRF fest. «Die Reichweite von Podcasts ist auch nach vielen Jahren im Markt weitaus kleiner als die des Radios», hält die Studie fest. Nur gerade 12 Prozent der Deutschschweizerinnen und Deutschschweizer würden mindestens einmal wöchentlich einen Podcast hören. 23 Prozent seien es, die monatlich mindestens einmal in einen Podcast reinhören. Wobei die Studie nichts zur Nutzungsdauer sagt. Gut möglich und sehr wahrscheinlich, dass in diesem Achtel, respektive Viertel, der Befragten auch solche mitgezählt sind, die nach wenigen Minuten Hördauer schon wegklicken. Die schwachen Werte aus der Schweiz korrespondieren mit aktuellen Zahlen aus Deutschland. Aus der ARD/ZDF-Onlinestudie 2018 wird deutlich, dass Podcasts im Vergleich mit anderen Online-Audio-Formaten, wie Musik- oder Radio-Streaming, die schwächsten Nutzungswerte aufweisen, unabhängig von Alter und Geschlecht.

Die bisherige Entwicklung zeigt, dass die besten Chancen auf Erfolg beim Publikum hat, wer auf Qualität setzt. Und mit dem Publikumserfolg kommt irgendwann auch der kommerzielle Durchbruch. «Doch den Markt muss man sich erst mal erschaffen», prophezeite der Podcast-Produzent This Wachter im letzten Herbst an dieser Stelle. Daran arbeiten die Verlag nun intensiver als auch schon.