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Von Montag bis Freitag vier aktuelle Lektüretipps aus schweizerischen und internationalen Publikationen zum Medienwandel. Ausgewählt und kommentiert von Nick Lüthiredaktion@medienwoche.ch Jetzt auch als Newsletter abonnieren.

Mangelhafte Qualität: Tages-Anzeiger zieht grosses Lebrument-Porträt zurück

Philipp Loser, Inlandredaktor des Tages-Anzeigers, schrieb jüngst auf einer ganzen Zeitungsseite, was man in der Branche schon lange munkelt: Um das Bündner Medienhaus Somedia soll es nicht zum Besten stehen. Harte Belege für die Behauptung lieferte Loser allerdings nicht. Auch verzichtete er darauf, mit Somedia-Verleger Hanspeter Lebrument zu sprechen. Nun zeigt sich: Der Artikel hätte in dieser Form nicht erscheinen dürfen. Wie die «Weltwoche» berichtet, entschied sich Tamedia, den Text zurückzuziehen. Begründung: «Der Artikel entspricht nicht unseren Vorstellungen über Qualität im Journalismus, weil er weitgehend auf anonymen Quellen basiert, der Porträtierte nicht zu Wort kommt und verschiedene, negative Werturteile nicht belegt sind.»

Erfolgreicher Lokaljournalismus: keine Denkvorgaben und keine Vereinfachung

Benjamin Piel, künftiger Chefredaktor vom «Mindener Tageblatt», plädiert für einen Lokaljournalismus «mit weitem Blick». Darin sieht er eine Möglichkeit, um gegen den Vertrauensverlust anzugehen, der auch Folge eines bevormundenden Journalismus sei. «Wer Lügenpresse ruft, ruft ein dummes Wort, das womöglich aus dem nicht so dummen Eindruck berechtigt zu sein scheint, dass Journalisten statt Menschen zu qualifizierten Entscheidungen und einem erwachsenen Blick auf vielfältige Facetten zu befähigen, ihnen Entscheidungen abnehmen wollen.»

Damit gewinnt man einen Pulitzer-Preis

Am kommenden Montag wird an der Columnbia-Universität in New York die weltweit angesehenste Auszeichnung für exzellenten Journalismus vergeben, die Pulitzer-Preise. Roy Peter Clark blickt im Fachmagazin Poynter auf die Gewinner der prestigeträchtigsten Kategorie «Public Service» in den letzten hundert Jahren zurück und stellt für jedes Jahrzehnt einen Preisträger vor. Mit Blick auf künftige Gewinner hält Clark fest: Preiswürdiger Journalismus im Dienste der Öffentlichkeit leistet die Berichterstattung über grosse Fragen, wie Krieg und Frieden, politische Korruption, Naturkatastrophen oder Rassenkonflikte. Diese Themen seien universal und zeitungebunden. «Wir brauchen eine Berichterstattung über Chemiewaffen in Syrien im Jahr 2018, wie wir es 1918 aus dem Ersten Weltkrieg getan haben», so Clark.

Gelöschter Kommentar: Gericht pfeift Facebook zurück

Den folgenden Kommentar auf Facebook unter einem dort geposteten Artikel der «Basler Zeitung» liess das Unternehmen löschen: «Die Deutschen verblöden immer mehr. Kein Wunder, werden sie doch von linken Systemmedien mit Fake News über ‚Facharbeiter‘, sinkende Arbeitslosenzahlen oder Trump täglich zugemüllt.» Nun hat das Landgericht Berlin entschieden, dass Facebook den Kommentar stehen lassen muss. Der Anwalt des Schreibers argumentierte, Facebook könne die Daten des Mannes nutzen, im Gegenzug sei es ihm erlaubt, Inhalte abzusetzen, die nicht gegen geltendes Recht verstossen.

Weitere Beiträge dieser Woche

Wikipedia: erfolgreiche Selbstregulierung

Während sich die grossen kommerziellen Plattformen im Internet, wie Facebook oder Twitter, regelmässig mit mutmasslichen Rechtsverletzungen herumschlagen müssen, kennt Wikipedia dieses Problem nicht. Viele Rechtsverletzungen würden bereinigt, noch bevor eine Beschwerde eingeht, weiss John Weitzmann, Leiter Politik & Recht bei Wikimedia Deutschland. In ihrem Beitrag für das Medienmagazin MMM widmet sich Christiane Schulzki-Haddouti auch der Frage, «wie die Selbstregulierung durch die Community bei Wikipedia aus demokratischer Sicht zu bewerten ist.» In der Wissenschaft wird das kontrovers diskutiert.

Sportler werden Medienunternehmer

Ehemalige Basketball- und Baseball-Stars habe in den USA die Online-Plattform «The Players‘ Tribune» gegründet. «Auf der Webseite des Digital-Magazins schreiben Profisportler ihre eigenen Geschichten – ohne Journalisten», schreibt Martin Gardt. Das Projekt funktiontert auch kommerziell und fand problemlos potente Investoren. Nun kommt «The Players‘ Tribune» nach Europa. Botschafter für die Expansion ist Gerard Piqué, Verteidiger des FC Barcelona. Das erste Format mit ihm heisst Piqué+: «In kurzen Videos interviewt der Fußballer Kollegen wie Neymar oder Luis Suárez – wie erkenntnisreich Gespräche zwischen zwei Sport-Millionären sind, muss dann der Nutzer entscheiden.»

«Wir haben ganz viel Notfall-Filme und -Serien»

Aileen Marbacher ist Sendeleiterin beim Schweizer Fernsehen SRF. Sie sorgt dafür, dass immer etwas über den Bildschirm flimmert. Besonders bei Live-Sendungen kann das zu Problemen führen. Etwa dann, wenn kurzfristig ein Fussballspiel abgesagt. Für den Fall habe man «ganz viel Notfall-Filme und -Serien», sagt Marbacher im Gespräch mit Luca Passerini auf SRG-Insider. Besonders knifflig sind Tennis-Spiele. «Der Match kann so schnell vorbei sein. Nach jedem Satz, bei dem jemand gewinnen könnte, ist man bereit, mit dem Programm fortzufahren, sodass folgende Sendungen trotzdem pünktlich sind.»

Getötete Journalisten: unterschiedliche Massstäbe

Christoph Sydow fragt auf Spiegel Online: Wo bleibt der Aufschrei? Es geht um die (ausbleibenden) Reaktionen auf den Tod des palästinensischen Journalisten Yaser Murtaja. Trotz Schutzweste mit gut sichtbarer Aufschrift «Press» wurde der 30-Jährige von einem Scharfschützen der israelischen Armee tödlich verletzt, als er jüngst über die gewalttätigen Proteste im Gazastreifen berichtete. Murtaja arbeitete unter anderem für Al Jazeera, BBC und Vice. Weder internationale Solidaritätsbekundungen oder Hashtag-Kampagnen folgten auf den Tod des Journalisten. Man will sich offenbar nicht dem Verdacht aussetzen, mit Terroristen zu sympathisieren, denn wer weiss, ob das ein «richtiger» Journalist war. Das entspricht ganz der Sichtweise des israelischen Verteidigungsministers Avigdor Liebermann: «Man muss verstehen, dass es keine unschuldigen Menschen in Gaza gibt. Jeder ist mit der Hamas verbunden, die werden alle von der Hamas bezahlt.» So wird unabhängige Berichterstattung a priori delegitimiert.