von Ronnie Grob

Mörgeli, Sünneli, Herrliberg

Seit 2007 spricht «Persönlich»-Chefredaktor Matthias Ackeret einmal wöchentlich für rund 20 Minuten mit dem Unternehmer und SVP-Strategiechef Christoph Blocher. Das Ergebnis wird am «Schaffhauser Fernsehen» ausgestrahlt und geht auf teleblocher.ch online. Ein Besuch bei der Aufzeichnung der Folge 197 von «Tele Blocher» in Herrliberg.

10. Juni 2011, 6:39 Uhr. Ich steige an der Bushaltestelle am Zürcher Bellevue in den Saab von Matthias Ackeret. Wir fahren der Goldküste entlang, noch ist es kühl an diesem Tag vor Pfingsten. Irgendwann geht es den Berg hoch, wir passieren einige Kreisel, und erreichen ein gigantisches grünes Tor. Dahinter steht ein gigantischer schwarzer Stier. Kaum hat das Auto gehalten, schon kommt der ehemalige Bauernknecht mit seinem einzigartig dynamisch-schlurfenden Gang aus seiner Residenz und begrüsst die Gäste. Für einen Milliardär doch eher bescheiden, so der erste Gedanke. Aber dann erinnert man sich an die vielen Bilder von Anker und Hodler, die im Keller an den Wänden hängen.

Wintergarten, Kaffee. Blocher notiert sich die nächsten Aufnahmetermine in ein offenbar eigens für «Tele Blocher» geschaffenes Notizbuch. Dann lenkt er das Gespräch auf die Themen der Sendung. Ackeret schlägt den Atomausstieg vor, Blocher will über Europa reden. «Europa ist ganz wichtig. Weil …», beginnt Blocher, und Ackeret sagt in die Kunstpause: «Also nicht er gibt die Themen vor …». Wir lachen alle. Man einigt sich auf die beiden Themen, Ackeret will zudem über die Kritik von Martin Wagner und die Bilderberg-Konferenz reden (Später, kaum ist die Aufnahme der Folge vorbei, kommt Blocher erneut auf Europa zu sprechen. Das sei jetzt doch nur sehr kurz angeschnitten worden, nächstes Mal dürfe man dieses Thema keinesfalls vergessen.)

Das Gespräch dreht auf Ex-FDP-Präsident Franz Steinegger, mit dem Blocher bis 1969 in Zürich Rechtswissenschaften studierte (Ackeret: «En kernige, gmögige Typ, en Charismatiker.» Blocher: «Jaja, das händs immer geseit, ich weiss es nöd. So charismatisch isch eine nöd, wo so viel Wähler verlüürt.») Während Blocher mit Interviewpartner und Kameramann per Du ist, wird das Hauspersonal gesiezt. Zur Auswahl sind Gottlieber Hüppen und Guetzli von Hug. «Hämmer kei [Basler] Läckerli mee eigentlich, hämmer nur no sonigi do?» – «Nei, ich dörf nöd gäh, aber ich gib scho.» – «Jo, gänt Sie mol e chli Läckerli do. Wenn ichs säge, dörfed Sie.»

Unterer Garten, die Geschäftsführerin des Läckerli Huus, Miriam Blocher, ist im Pool am Schwimmen. Wir treten auf einen sauber geschnittenen Rasen in sattem Grün mit einem herrlichen Blick über den Zürichsee, von links scheint die aufgehende Sonne auf das Grundstück – hier muss das SVP-Logo mit dem etwas penetrant strahlenden Sünneli entstanden sein, an genau so einem Morgen oder Mörgeli. Wenn man sich irgendwo eine «sichere Zukunft in Freiheit» vorstellen kann, dann auf dieser Wiese.

Die Kamera steht, doch die Sonnenstrahlen werden in wenigen Minuten auf die bereitgestellten Stühle drehen und die Lichtverhältnisse total durcheinanderbringen. Es steht ein Umzug in den Schatten an, also vor den Pool: Dann aber würde Miriam Blocher im Hintergrund der Kamera ihre Längen schwimmen. Da das niemand der Anwesenden, zuletzt Frau Blocher, möchte, suggeriert der Vater der Tochter, dass sie doch sowieso bald aufhören wollte: «Wie viele Stunden schwimmst Du noch?» – «Ich kann jederzeit aufhören.» – «Gut, also, lass uns einrichten …»

Blocher ist aber weder Rüpel noch Raubein – er zeichnet sich im Gegenteil als neugieriger, aufmerksamer, fast schon fürsorglicher Gastgeber aus, der sich auch nicht zu schade ist, seinen Gästen Milch einzuschenken, Kissen zu organisieren, Läckerli anzubieten, Ackeret auf einen offenen Schuhbändel hinzuweisen oder das beim Pool vergessene Telefon selbst zu holen, wo er es deponiert hat, weil er auf Anhieb den Knopf zum Stummschalten nicht gefunden hat.

Ich frage Blocher, ob er immer noch keinen Computer besitze. Er verneint: «Keinen Fernseher, keinen Computer, ich kann nicht mal ein Rechnungsmaschineli bedienen.» E-Mails werden ihm von der Sekretärin ausgedruckt, er besitzt ein Faxgerät. «Das ist kein Vorbild, aber ich habe einfach zu viel! Ich habe ein Zuviel an Informationen.» Wenn er mal im Hotel fernsehe, merke er, wie er sich verzettle, denn, so ruft er aus: «Mich interessiert alles!» Die Kunst sei es, sich zu konzentrieren. Man brauche gar nicht so viele Informationen, um das Grundsätzliche zu behandeln. Die Nachrichtenselektion der Zeitungen, er liest die Weltwoche, die NZZ und den Tages-Anzeiger, komme ihm deshalb entgegen – so könne er die Schwergewichte besser bilden. Oft ärgere es ihn, aufgrund einer vielversprechenden Überschrift einen Artikel ohne Substanz gelesen zu haben. Und besonders ärgerlich machen ihn die Nachrichten auf dem Handy; als würde es nicht reichen, den Rücktritt eines Ministers auch noch am nächsten Tag zu erfahren.

Die Aufnahmen für «Tele Blocher» werden in der Regel Freitagmorgen um 7 Uhr gemacht. Wenn nicht im Blocher-Erstwohnsitz in Herrliberg, dann im Zweitwohnsitz Rhäzüns, auch schon wurde am Flughafen, beim Landesmuseum und im Restaurant Blüemlisalp gedreht. Der Termin um 7 Uhr morgens passe halt allen drei sehr gut, sagt Ackeret, die Frühe sei in diesem Fall kein Spleen von Blocher. «Tele Blocher» hält er für die transparenteste Sendung der Welt: «Wir haben noch nie etwas geschnitten.» Bald steht die 200. Folge an, zum Jubiläum sind Gäste eingeladen.

Die technischen Möglichkeiten der Website sind nach wie vor völlig unausgenutzt. Die Videos spielen recht zuverlässig ab, aber das ist wohl auch schon das Beste, was man über sie sagen kann. Rückblickend gibt es einige schwache Folgen, viele Wiederholungen, aber auch Highlights. In der 10. Folge erklärt Blocher, wie er einen Elektroschock nur dank starkem Schwitzen überlebte (ab Minute 10), die 14. Folge widmet sich seiner Abwahl aus dem Bundesrat, die 39. Folge bespricht seinen Gesundheitszustand, in der 52. Folge erzählt er von seinem Zusammentreffen mit Neu-Videoblogger Frank A. Meyer (ab 16:30 Minuten), in der 112. Folge von seinen Wanderferien in Nordkorea und in der 121. und der 122. Folge geht es um den «Geheimdarm der Nation». Für Medieninteressierte sehenswert sind die 22. Folge, in der Schweizer Medien behandelt werden und die 181. Folge, in der Blocher erstmals an einem Abstimmungssonntag von 14 bis 23 Uhr die Berichterstattung des Schweizer Fernsehens verfolgt.

Auch heute nicht so ganz nachzuvollziehen sind die hysterischen Reaktionen auf den Start des Formats 2007, auf rhetorik.ch sind einige nachzulesen. Matthias Ackeret sagt: «Die Aufregung war ausserordentlich. Es gab eine Bundesratssitzung dazu, eine Untersuchung des Bakom, im Westschweizer Fernsehen war vom ‹Ende des politischen Systems› die Rede und fast alle Publizisten setzten sich mit der Sendung auseinander, auch wenn sie sie gar nicht gesehen hatten. Dabei ist es doch nichts mehr als ein wöchentliches Videointerview.»

Den Reaktionen steht er inzwischen gelassen gegenüber: «Wenn Du mit Blocher etwas machst, dann kriegst Du viel Prügel – aber auch viel Aufmerksamkeit.» Hätten sie das Gleiche mit einem linken oder bürgerlichen Politiker gemacht, zum Beispiel mit Moritz Leuenberger, dann wäre die Beachtung viel geringer ausgefallen – dafür hätten sie x Journalisten- und Webpreise gewonnen, glaubt Ackeret. «Dann hätten alle gesagt: ‹Das ist mal eine radikal umgesetzte Idee, das ist mal ein gelebtes Medium.›» Die Kritik, seine Fragetechnik in den Interviews sei zu harmlos und zu gefällig, hält er für verfehlt: «Ich glaube, wenn man etwas aus seinem Gegenüber rauskriegen möchte, kann man das auf lange Distanz nur so führen.»

Wir verlassen das Grundstück, Blocher winkt. Und leert auch schon gleich seine «Inbox», den Briefkasten. Ein Mann, der keine Zeit verliert.

Leserbeiträge

Ugugu 23. Juni 2011, 10:55

Lack Bobby, hast du wirklich alle Sendungen geguckt? Dafür müsste man mich an einen Stuhl knebeln und dazu zwei scharfe Rottweiler aufstellen.

Ronnie Grob 23. Juni 2011, 11:14

Nein, natürlich nicht, das wären ja 197 x 20 Minuten. Aber ich finde die Gespräche spannender, als ich beim Start des Formats vermutet hätte, und gucke darum öfters mal zu. Interessant ist es auch, die Wechselwirkungen der Themen mit der «Weltwoche» zu beobachten.

Thom Nagy 23. Juni 2011, 11:39

Gibt es eigentlich Informationen zu den Zuschauerzahlen?

Ronnie Grob 23. Juni 2011, 11:52

Auf Kewego, wo die Tele-Blocher-Videos hochgeladen werden, sind «Views» einsehbar. Wie akkurat die sind, weiss ich allerdings nicht. Gemäss diesen Zahlen wird eine durchschnittliche Folge etwa 5000 bis 10.000 mal angesehen.

Edith Hollenstein 23. Juni 2011, 15:34

Offenbar ist die Sendung vor allem bei Auslandschweizern sehr beliebt. Kann man herausfinden woher die Zugriffe kommen?

Ronnie Grob 23. Juni 2011, 16:13

Kewego verfügt sicher über diese Informationen, vielleicht sind sie auch für die betreffenden Videoeigner einsehbar.

Peter Pan 23. Juni 2011, 18:00

Wow, das war ein ziemlich interessanter, neutral und gut geschriebener Artikel!

saile klein 24. Juni 2011, 01:31

ist auch schon lange her, als noch coole leute saab fuhren…

Moritz Adler 29. Juni 2011, 18:13

Sorry Ronny, ich mag Dich und bin ein Fanboy. Aber das ist ziemliche Hofberichterstattung:

Kaum hat das Auto gehalten, schon kommt der ehemalige Bauernknecht mit seinem einzigartig dynamisch-schlurfenden Gang aus seiner Residenz und begrüsst die Gäste. Für einen Milliardär doch eher bescheiden, so der erste Gedanke.

Blocher ist aber weder Rüpel noch Raubein – er zeichnet sich im Gegenteil als neugieriger, aufmerksamer, fast schon fürsorglicher Gastgeber aus, der sich auch nicht zu schade ist, seinen Gästen Milch einzuschenken, Kissen zu organisieren, Läckerli anzubieten, Ackeret auf einen offenen Schuhbändel hinzuweisen oder das beim Pool vergessene Telefon selbst zu holen, wo er es deponiert hat, weil er auf Anhieb den Knopf zum Stummschalten nicht gefunden hat.

Wir verlassen das Grundstück, Blocher winkt. Und leert auch schon gleich seine «Inbox», den Briefkasten. Ein Mann, der keine Zeit verliert.

Ein bisschen viel Bunte, ein bisschen wenig Substanz für meinen Geschmack. Aber vielleicht war das alles auch etwas zu überwältigend.

Ronnie Grob 30. Juni 2011, 07:27

@Moritz Adler: Nun, ich bin unvoreingenommen hin und habe aufgeschrieben, was ich gesehen habe. Was hat Dir denn an Substanz im Artikel gefehlt?

Vladimir Sibirien 02. Juli 2011, 11:43

Also ich fands einen guten Artikel. Es ist letztlich wie bei einem Gregor Gysi – eine interessante Persönlichkeit, die – meiner Meinung nach – die falschen Positionen vertritt. Insofern darf man auch als nicht-SVP-Sympatisant einen solchen Event durchaus auch positiv beschreiben. Das hat auch etwas mit Streitkultur zu tun und wie man mit Andersdenkenden umgeht. Nur weil es SVP ist muss das Anwesen ja nicht hässlich, der Kameramann unfähig und Herr Blocher ein Rüpel sein.
Daher: Daumen hoch.