von Ronnie Grob

«Ohne Rücksicht auf Verluste»

Ein Blick in das Archiv zeigt, wie Tom Kummer jene narrte, die seine Texte druckten und als Journalismus verkaufen liessen. Charles Bronson sprach über seinen Garten, Bruce Willis über die Hirschjagd und Joaquin Phoenix über sich liebende Hunde.

Das Vorwort der im Juli 1997 im Deutschen Taschenbuch Verlag (dtv) erschienenen Interviewsammlung «Gibt es etwas Stärkeres als Verführung, Miss Stone?» beginnt Ulf Poschardt, heute in der Chefredaktion der «Welt», mit dem Satz «Einsames Denken ist armes Denken» – er erwähnt darin Platon und zitiert einen Text von Ludwig Feuerbach aus dem Jahr 1843. Ein aus heutiger Sicht wunderbares Stück, aus dem wir nur die allerbesten Passagen zitieren möchten:

Wer mit Stars spricht, trifft meist auf Menschen, die Tausende von Interviews gegeben haben. Er hat es mit Leuten zu tun, für die Informations- vermittlung Routine geworden ist und die sich, ebenso wie die Journalisten, mit ihrer Rolle abgefunden haben. Diese Menschen sind erst einmal überrascht, wenn sie einem Gesprächspartner und nicht einem Fragensteller gegenübersitzen. Sie sind überrascht und herausgefordert zugleich. Wer die Herausforderung annimmt – so zeigen es die nachfolgenden Texte – wird reich belohnt: Er sieht, wie seine Welt in Bewegung gerät und rotiert; er denkt beim Sprechen, spricht beim Denken, muss zuhören und reagieren, muss antworten und fragen zugleich. Ein Star, der mit Tom Kummer spricht, lernt. Und wie man sieht, hat das vielen Spass gemacht. Von Pamela Anderson bis Johnny Lydon, von Sharon Stone bis Quentin Tarantino.
Für den Leser wie für die Redaktionen, die Tom Kummer beliefert, sind die Ergebnisse gewöhnungsbedürftig. Zu sehr hat sich bei ihnen die Routine aus traditionellen Interviews als nicht hinterfragte Erwartung eingeschlichen. (…)

Wer die penible Art der Vorbereitung kennt, die sich Tom Kummer vor jedem Interview abnötigt, weiss, dass solche Dialoge harte Arbeit sind. Sie beginnt mit der gewissenhaften Anhäufung von Wissen, steigert sich zu höchster Konzentration während des Interviews und endet schliesslich mit dem stilistischen Feilen beim Abschreiben der Bänder. (…)

Kummer hat sich entschieden, im Rahmen des klassischen Journalismus seine Autorenschaft einzubringen und ihr Spass und Intelligenz zu injizieren. Ohne Rücksicht auf Verluste – und, wie dieses Buch beweist, mit Erfolg.

Was von Tom Kummer ist echt und was nicht? So genau weiss man das bis heute nicht, es gibt kein Gerichtsverfahren, das Klarheit geschaffen hätte. Die Vergehen der Beteiligten sind nicht klar umrissen, sie ziehen es vor, über die genauen Details zu schweigen. Dem Film «Bad Boy Kummer» von Miklós Gimes stand nur Kummer selbst zur Verfügung, und auch der zieht es bis heute vor, in den entscheidenden Fragen eine ausweichende Haltung einzunehmen.

Neben Reportagen aus Oklahoma, Mürren und Mexiko (zwei verschiedene), Interviewverwertungen und anderen Texten, oft über 20’000 Zeichen) druckte «Das Magazin» Tom-Kummer-Interviews mit …

  • Sean Penn (04.05.1996)
  • Johnny Rotten (John Lydon, 22.06.1996)
  • John McEnroe (06.07.1996)
  • Dennis Rodman (09.11.1996)
  • Quentin Tarantino (15.03.1997)
  • Johnny Depp (26.04.1997)
  • David Hockney (28.06.1997)
  • Charles Bronson (06.09.1997)

Der damalige «Magazin»-Chefredaktor hiess René Bortolani. Von Oktober 1997 bis zum Juli 2001 übernahm Roger Köppel die Verantwortung:

  • Mike Judge (22.11.1997)
  • Tommy Hilfiger (29.11.1997)
  • Demi Moore (21.02.1998)
  • Fredi M. Murer (07.03.1998)
  • Pam Grier (11.04.1998)
  • Rodney King (30.05.1998)
  • Joaquin Phoenix (06.06.1998)
  • David Duchovny (08.08.1998)
  • Rod Martin (Kurzinterview, 21.11.1998)
  • Mariko Mori (21.11.1998)
  • Joe Coleman (12.12.1998)
  • Bruce Willis (16.01.1999)
  • Julia Hill, genannt Butterfly (13.02.1999)
  • Charlize Theron (13.03.1999)

«Jung und gefrässig», ein Stück über die Agenten in Hollywood, vom 24. April 1999, 24314 Zeichen, war die letzte Publikation. Danach blieb das Magazin ein Jahr lang Kummer-frei, bevor Roger Köppel am 27. Mai 2000 sein Editorial der «Causa Kummer» widmete:

«Das Magazin» hat sich im Frühjahr 1999 fristlos von Tom Kummer getrennt, nachdem in einer nicht publizierten Reportage gravierende Unzulänglichkeiten zu Tage getreten waren. Beweise für gefälschte Interviews, die Kummer in diversen deutschen Magazinen, aber auch in Buchform bei dtv publiziert hatte, lagen damals keine vor. Diese Situation hat sich durch den Bericht in «Focus» und die offenbar verbrieften Aussagen der Hollywoodagenten nun geändert. Wir haben bisher vergeblich versucht, Tom Kummer für eine Stellungnahme in dieser Sache zu erreichen. Wir werden aber unsere Leserschaft über den Fortgang der Ermittlungen auf dem Laufenden halten. Schon jetzt möchte ich mich im Namen des «Magazins» für die unwissentliche Verbreitung von gefälschten Beiträgen bei allen Leserinnen und Lesern entschuldigen. Auch wir haben uns von einem begnadeten Märchenerzähler verführen lassen.

Märchen, die von Elitejournalisten redigiert und gedruckt wurden. Hier ein paar Auszüge aus den im «Magazin» des Tages-Anzeigers erschienenen Interviews:

Welche Sempervivum mögen Sie am besten?
Jupiterbart, diese mittelgrossen, auffälligen Rosetten von dunkler, schwarz-purpurner Farbe. Ihre äusseren Blätter haben eine grünliche Spitze. Sie sind glatt, lang und dünn und sehr spitzig. Ich bin richtig vernarrt in sie. Die silbrigen Randwimpern kontrastieren gut zur Blattfarbe.

Charles Bronson, erschienen am 6. September 1997

Ihre Stimme gilt als sexy, weil sie leicht verkommen wirkt.
Mein Vater hat zu mir einmal gesagt: Du sprichst wie ein Typ und starrst wie eine Nymphomanin, so gehst du mir nicht aus dem Haus. Ich bin trotzdem gegangen.

Demi Moore, erschienen am 21. Februar 1998

Was sind das für Frauen, die mit Ihnen heute in Kontakt kommen möchten?
Das kann ich Ihnen ziemlich genau erklären, weil mir immer wieder die gleiche Scheisse passiert. Ich sitze irgendwo in einem Lokal. Frauen setzen sich zu mir und wollen meine Geschichte hören. Sie flirten mit mir, aber ich begreife das nicht gleich. Plötzlich rufe ich meine Frau zu Hause an, sage ihr, dass es später wird und dass sie nicht auf mich warten soll. Und plötzlich – ganz ehrlich – finde ich mich mit so einer Frau im Bett. Das habe ich aber gar nicht vorgehabt. Alles läuft dann wie am Schnürchen ab. Die Frauen sind stolz darauf, mit Rodney King ins Bett zu gehen. Erst viel zu spät wird mir klar, dass ich so eine Frau ziemlich hart gevögelt habe. Zweimal, dreimal. Aber warum? Weil ich einfach kein freier Mensch mehr bin. Weil man mich fertigmachen will.

Rodney King, erschienen am 30. Mai 1998

Glaubst du, wenn Hunde es miteinander treiben, dann lieben sie sich auch?
Also, sie haben bestimmt keine Bedenken gegen oralen Sex, wenn du mich fragst. Ich bin sogar ganz sicher, dass sie sich lieben. Besonders im Sonnenlicht, im goldenen Sonnenlicht von Kalifornien, da ficken Hunde nicht einfach so. Hunde sind göttlich, GOD … DOG – Gott rückwärts buchstabiert. Meine Güte, jetzt reden wir schon fast wie Tiere.

Joaquin Phoenix, erschienen am 6. Juni 1998

Sie liegen also neben Ihrer Frau. Und wenn Sie merken, dass Thea nicht einschlafen kann. Was dann?
Wenn ich spüre, dass sie sich mit bösen Gedanken quält, dann massiere ich ihre Stirn, bis sie einschläft. Wenn sie immer noch unruhig bleibt, was ganz selten geschieht, dann versuche ich, sie zu erotisieren. Lehnt sie ab, dann weiss ich, dass ihr niemand helfen kann. Dann lasse ich sie einfach in Ruhe. Es hat dann keinen Sinn, ihr irgendwelche Ratschläge zu erteilen. Es ist dann viel besser, ganz ruhig auf meiner Seite wegzutauchen.

David Duchovny, erschienen am 8. August 1998

Ich würde ganz gerne wissen, wie Ihr Alltag ohne Demi aussieht?
Ich war gerade auf Hirschjagd in den Bergen. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen.
Waren Sie erfolgreich?
Ich bin über einen toten Biber gestolpert. Das war alles.

Bruce Willis, erschienen am 16. Januar 1999

Butterfly, wie pflegst du deinen Körper?
Manchmal reibe ich meine Haut mit abgefallener Rinde ein. Oder auch mit dem Kot eines Bussards, der sein Nest weiter oben eingerichtet hat. Eigentlich pflege ich mich innerlich, nicht äusserlich. Vielleicht ist das mein Geheimnis.

Julia Butterfly Hill, erschienen am 13. Februar 1999

Hat Geld deine Karriere beeinflusst?
Indirekt ja. Nach zwei Wochen in Hollywood wurde mir ein Check aus New York nachgeschickt, Geld, das ich mir bei einem Modeljob verdient hatte, 1200 Dollar. Der Kassier bei der First Interstate auf dem Sunset Boulevard verweigerte mir die Auszahlung, weil der Check aus New York kam. Da bin ich geplatzt. Ich habe diesen verdammten Kassier angeschrien, wie ich noch nie jemanden angeschrien habe. Endlich hatte ich ein Gesicht gefunden, in das ich meine ganze Frustration hineinbrüllen konnte. Am liebsten hätte ich ihn zu Brei geschlagen, dabei fiel ich fast um, weil ich hochhackige Schuhe trug und ein enges Kleid. Ich trat mit den Füssen gegen die Schaltertür. Der Kassier hatte längst die Polizei gerufen. Und ich sagte ihm, wenn das verdammte Sicherheitsglas nicht zwischen uns wäre, dann würde ich ihm die Worte mit der Faust ins Maul schlagen. Ich sass wie ein Haufen Elend am Boden.

Charlize Theron, erschienen am 13. März 1999

Aus heutiger Sicht liest sich das recht lustig, doch Bortolani, Köppel und Poschardt haben diese Interviews über viele Monate hinweg gedruckt und, natürlich, als Wahrheit verkauft. Wo waren die Zweifel dieser Herren, die der anderen Redaktoren, die der Leser? Warum wurde Kummer nie verklagt? Es ist eine Kaffeefahrtweisheit, aber ohne Leute, die sich täuschen lassen, können sich Täuscher nicht entfalten.

Ich möchte nicht sagen, dass mir so etwas nie passieren könnte. Aber wenn sich Chefredaktoren so täuschen lassen können (oder doch wollen?), was für Quatsch wird wohl aktuell so gedruckt, gesendet, gebloggt?

Siehe dazu auch: Tom Kummer – Eine Lesung in Berlin

Leserbeiträge

Rainer Kuhn 11. Juli 2013, 12:44

Kummer ist ein Künstler. Verlage, Redaktionen und Journalisten, die die „fehlende Wahrheitsgehalt“ in seinen Interviews beklagten mögen doch mal über ihre eigenen Texte gehen. Die Empörung war und ist geheuchelt und peinlich. Abgesehen davon liegen in den „Schein-Interviews“ von Kummer wahrscheinlich mehr Wahrheit als in den von PR-Agenturen und Pressesprechern aufgegleisten, abgewickelten und autorisierten Interviews mit öffentlichen Personen.

Fred David 11. Juli 2013, 19:12

Sorry, das ist absurd: Von A bis Z erfundene Interviews bleiben von A bis Z erfundene Interviews. Dass Redaktionen darauf reinfielen, mag ja noch angehen, aber selbstverständlich fühle ich mich als Leser belogen und betrogen. Sowas nehm ich doch nicht einfach als „Kunst“ hin. Und als Phantom-„Interviewpartner“ würde ich mich erst recht als Idiot vorgeführt fühlen.

edi 11. Juli 2013, 23:05

Herr David, ich würde jetzt mal behaupten, in den Kummer Interviews steckt garantiert mehr Wahrhaftigkeit und wahrscheinlich auch mehr Wahrheit als in den üblichen „Promo-Interviews“, in denen schlecht vorbereitete Journalisten uninteressierten Künstlern im 10min Takt stereotype Fragen stellen dürfen.

Hier ist doch nur eine Branche todbeleidigt, weil sie mit der eigenen Gier und Naivität hereingelegt worden ist (vorausgesetzt mal, dass die Verantwortlichen wirklich nichts wussten oder nicht Misstrauisch wurden.) Die Journaille ist ganz einfach frustriert, weil sie sich selber von der Unterhaltungsindustrie instrumentalisieren lässt

Frank Hofmann 12. Juli 2013, 10:00

Kann mich Fred David nur anschliessen. Wer solche Methoden rechtfertigt oder dem Mann sogar applaudiert, verachtet den Leser. Klarer Fall von No-Future-Journalismus.

Tabea.F 19. Februar 2016, 02:44

Der Mann ist ganz einfach so verrückt, das es schon wieder genial ist! So jemand muss seine Kreativität doch irgendwie kanalisieren können… Und Kummer macht das mit seinen absurden Texten auf so eine wunderbare Weise, dass mir mein Mund vor lauter Lachen und Schmunzeln schon ganz weh tut!