Wie mir Native Advertising den Journalismus vergraulte
Native Advertising unterläuft den Journalismus als Ganzes. Jedes Ringen um journalistische Ausgewogenheit oder kritische Berichterstattung wird hinfällig, wenn käufliche Artikel nicht hinterfragt oder gar zum idealen Finanzierungsmodell erkoren werden.
Mein Medienjahr begann mit der Lektüre einer Fanfare für Native Ads im «Journalist», der Zeitschrift des Deutschen Journalistenverbands. 2016 gehe es nicht mehr darum, schreibt der Chefredaktor im Editorial, ob man Native Ads befürworte, sondern allein um deren Machart. Als Argumente für Native Ads nennt Matthias Daniel die Namen prestigeträchtiger Zeitungen, die auf solcherlei Werbung setzen: Die anderen machen es, also müssen wir auch. Doch die Aufzählung von Guardian, Washington Post und New York Times ersetzt keine Argumentation.
Die zugehörige Titelstory im «Journalist»: «Bereit für Native Ads, wenn Sie diesen Text gelesen haben, wissen sie es», ist eine Art Frequently Asked Questions zu Native Ads, gepackt in ein längliches Listicle. Der Artikel setzt dort an, wo das Editorial aufgehört hat: Mit der Aufzählung weiterer Medien, die Native Ads publizieren. Punkt 1 setzt sich mit der Kennzeichnung auseinander:
«Anzeige drüber schreiben? Sponsored Post? Powered by? Oder doch lieber auf Deutsch in Kooperation mit? Der Pressekodex hilft hier nicht weiter. (…)»
Bei Punkt 2 geht es um die zu verwendende Schriftart. Bei Punkt 3 geht es dann um den Inhalt: Momentan seien viele deutsche Native Ads blosse Werbung im Artikeldesign, aber die Zukunft werde zeigen, wie subtil Werbung als Inhalt versteckt werden könne. Oder im Zitat:
«(…)Werbung als Content verpackt oder interessante Geschichten? Content-Marketing-Experten plädieren dafür, die Inhalte so redaktionell wie möglich aussehen zu lassen. Nicht um den Leser zu täuschen, sondern um die Glaubwürdigkeit nicht zu verspielen. Warum? User erwarten redaktionelle Texte und Inhalte im Newsstream – und keine werblichen. (…)»
Und Weiter:
«Dabei müssen Native Ads nicht zwangsläufig unterhaltend sein – obwohl derzeit die mit Gifs unterlegten Top-10-irgendwas-Texte überwiegen. Die Debatte um die Inhalte von Native Ads wird hierzulande wohl weiter an Fahrt gewinnen, wenn es nachrichtlicher zugeht. Oder anders gesagt: Wenn Spiegel Online seine erste Native Ad veröffentlicht. Wie journalistisch so etwas aussehen kann, zeigte die New York Times schon 2014 mit einem Multimedia-Special über Frauen in Gefängnissen – ein Paid Post von Netflix, wo zur selben Zeit die Serie Black Orange [Orange Is the New Black, Anm. d. Red.] anlief.»
Mit «interessanten Geschichten» ist es leider so eine Sache, denn heute sind die Leute, die «interessante Geschichten» erzählen, sogenannte «Kreative» und sogenannte Kreative sind Werber, die – wohl branchenbedingt – besonders gut mit Euphemismen umgehen können.
Marken wollen Medien kontrollieren
Während meiner Tätigkeit als Redaktor bei VICE hatte ich auch Native Ads redigiert und gefühlte anderthalb selbst geschrieben. Ich mag niemanden dafür verurteilen, weil er solche Sachen tut oder verantwortet – alle brauchen einen Job, alle müssen essen. Ich mag auch niemanden dafür verurteilen, dass er Native Ads in einem Medium einführt. Aber ich bin überzeugt davon, dass sich der Journalismus in eine absonderliche Welt des «anything goes» begibt, wenn man aktiv für Native Ads eintritt oder ihnen das Terrain ebnet. Auch eine Unterscheidung zwischen dummen Klick-Listicles und recherchierten Geschichten als Native Ads macht keinen Sinn. Strukturell geht es immer ums gleiche: Marken wollen die Kontrolle über redaktionelle Inhalte erlangen. Native Ads sind dabei nur die jüngste Spielform, die auch darum aufblühen konnte, weil die ökonomische Logik die redaktionelle längst dominiert.
Selbstzensur nach Druck der Werbekunden
So auch in dieser «interessanten Geschichte», die beileibe kein Einzelfall ist und unter Basler Journalisten erzählt wird: Eine Basler Zeitung habe vor ein paar Jahren einen fixfertigen Artikel eingestampft, der von einem Nagerkopf in einem Nussprodukt eines Grossverteilers berichtete. Der Artikel konnte nicht erscheinen, weil der Grossverteiler ein gewichtiger Anzeigenkunde besagter Zeitung war und man sich in der Redaktion einer Basler Zeitung vor der Reaktion des Grossverteilers fürchtete. Anhand der Geschichte mit dem Nagerkopf im Nussprodukt wurde mir etwas Naivität genommen. Ich lernte: Ein Journalist ist immer auch Broker von Interessen – er ist kein freier, frei schwebender Schreiber.
Was Native Ads schlimmer macht als normale Anzeigen
Was Native Ads aber fragwürdiger macht als die «Erzählung vom Nagerkopf im Nussprodukt» und alle anderen von Verlagen verhinderten Recherchen, ist die Tatsache, dass sie aktiv einem Auftraggeber Zugang zum redaktionellen Teil verschaffen. Man mag entgegenhalten, dass die Deklaration des Auftraggebers für Transparenz sorge. Ungeachtet dessen schafft die Abhängigkeit von Anzeigenkunden immer eine redaktionelle Grauzone. Auch Native Ads ändern an dieser Abhängigkeit nichts. Sie hieven die journalistische Arbeit quasi ins Dunkelgraue. Was Native Ads dem Leser im Subtext vermitteln: «Hey, unser Journalismus ist käuflich! Wir probieren es gar nicht mehr. Wir haben aufgegeben.» Texte, ob jetzt «interessante Geschichten» oder Sachberichte, üben eine Wirkung aus. Es ist doch nicht möglich, in der Debatte zu ignorieren, dass mit Native Ads der Kern der Medien käuflich wird. Unabhängigkeit wird nur noch simuliert und darum in ihr Gegenteil pervertiert.
Die Titelstory im «Journalist» weist mit einem Beispiel aus der Huffington Post darauf hin, dass der Auftraggeber eines Native Ads gar nicht im Fliesstext erwähnt werden müsse. Aber wenn der Verfasser eines Native Ads als kritischer Journalist ernst genommen werden möchte, müsste er den Auftraggeber nicht nur unerwähnt lassen, sondern gar gegen ihn anschreiben. Das wäre eine Chance, die Werbung zu unterlaufen und den Eingriff eines Auftraggebers auszumerzen. Das tut er aber nur darum nicht, weil Native Ads oft vom Auftraggeber abgenommen werden müssen – wenn nicht sogar dessen Marketingabteilungen die Endredaktion übernehmen.
Nicht ein Problem des einzelnen Journalisten
Auch beim «Journalist» sieht man eine mögliche Gefährdung der Unabhängigkeit, aber auf einer irrelevanten und unrealistischen Einzelfallebene: «Was ist, wenn Redakteur X für Marke Y Native Ads schreibt – und nun Marke Y in einem redaktionellen Text kritisch anfassen muss? Es ist wissenschaftlich nachgewiesen, dass Journalisten sich desto stärker an den Interessen der Werbewirtschaft orientieren, je größer die Medienorganisation von den Werbeeinnahmen abhängig ist.» For fuck’s sake: Als ob es die alleinige Entscheidung des einzelnen Journalisten wäre, wem er mit kritischem Bewusstsein begegnet.
Wenn sich Medienschaffende idealistisch in der Verpflichtung sehen, ihrem Publikum eine ausgewogene Sicht der Dinge zu liefern, müssten sie sich darüber empören, dass man sich in die ausgewogene Berichterstattung einkaufen kann. Dass sich Medienmarken daran nicht stören, entspricht der Marktlogik. Dass es so viele Journalisten gibt, die das hinnehmen und dass das Magazin des Deutschen Journalisten-Verbands – eine «Kombination aus Gewerkschaft und Berufsverband» – offensiv für Native Ads eintritt, schockiert aber. Die Tatsache, dass Popkultur-Granden wie der amerikanische Satiriker John Oliver Native Ads brandmarken, South Park dem Thema ganze Folgen widmet, aber unter Journalisten kein Gegenkonzept besteht, ist ernüchternd.
Native Ads als Gütesiegel für den Werbekunden
Es fehlt Empörung, Haltung, Öffentlichkeit gegen die Akzeptanz und die Idealisierung von Native Ads. Mir ist es schleierhaft, wie man diese Entwicklung hinnehmen oder begrüssen kann, in einer Zeit, in der Medien einer kritischen bis paranoiden Leserschaft ausgesetzt sind. Wenn die «Lügenpresse»-Vorwürfe mehrheitlich unbegründet sind, so ist die Kritik am Ausverkauf der redaktionellen Unabhängigkeit mittels Native Ads mehr als berechtigt.
Die Verstrickungen von Native Ads sind sowohl auf Medien- als auch von Auftraggeberseite tiefgreifend: Ein Unternehmen, eine Marke, verbindet sich mit einem Medium, das für seine Werbebotschaft das passende redaktionelle Umfeld und das richtige Zielpublikum bietet. Je glaubwürdiger die Medienmarke, desto attraktiver das Werbeumfeld. Ein Unternehmen kauft mit jeder Native Ad ein Gütesiegel, mit dem es nicht nur viele Menschen über die Leserschaft des betreffenden Mediums erreicht, sondern das es auch selbst auf den unternehmenseigenen Kanälen auswerten kann. Native Ads können lustig sein, sie können sogar relevant sein, aber sie bleiben Werbung. Native Ads verbinden Marken mit Spass, schaffen (positive) Emotionalisierung. Und bei aller Lebensfreude: Dabei zerstören sie kritisches Bewusstsein und kritische Reputation. Diskussionen darüber, ob Online-Medien ohne Native Ads überleben können, haben was von Merkel’scher Alternativlosigkeit. Und Sachzwänge oder Alternativlosigkeit ersticken Energie, sind deprimierend. Besonders dort, wo Passion und Idealismus wichtig wären – wie eigentlich im Journalismus.
philipp meier 06. Januar 2016, 20:58
ich schreibe grad an einem listicle (vielen journis stehen bereits jetzt die haare zu berge;) über meine ersten zwei jahren in «den medien». das ist quasi ein teaser; denn punkt 19 von 23 lautet:
19. Ein Hoch auf Native Ads
Es gibt nicht nur viele Journis, die sich gegen die offensive Verbreitung ihrer Storys wehren (siehe Clickbait), sondern auch solche (oft die selben;), die sich gegen neue Formen der Finanzierung ihrer Arbeit wehren. Dabei entsteht (wohl unbewusst bewusst;) der Eindruck, dass bisher alles «sauber» verlief. Dabei war die Einflussnahme auf Journalismus seit jeher vorhanden; ob durch Kirchen, Parteien oder andere mächtige und finanzkräftige Player. Heute werden Journis tagtäglich absichtsvoll Hinweise, Studien und Storys «gesteckt». Da sind Heerscharen von Lobbyisten, PR- und Marketing-Fachleute aktiv. Und nun soll gerade die transparenteste Form einer solchen «Kooperation» der Verrat am journalistischen Ethos sein?! Come on! Das ist nicht nur peinlich, sondern ein geschickter Schachzug, um vom eigentlichen Problem abzulenken: Die diffuse und gänzlich intransparente Einflussnahme von NGOs, Firmen, Verbänden und Institutionen. DAS ist nämlich einer der wichtigsten Gründe für das schwindende Vertrauen in die Massenmedien.
Des Weiteren ist die Native Ad nicht nur ein (finanzieller) Gewinn für den Verlag (gerade in einer Zeit, in der die Adblocker massentauglich werden), sondern auch ein (inhaltlicher) Gewinn für die User, denn sie kriegen anstelle von nervender Banner- und Popup-Werbung Storys und Informationen, die sie (im besten Fall derart) interessieren (dass sie sie gerne liken und teilen).
Benjamin von Wyl 07. Januar 2016, 02:44
Lieber Philipp, Es ist ja nicht so, dass ich nicht ausweise, dass auch ohne Native Advertising Einfluss auf den Journalismus eine Realität ist. Aber wenn ich deine Argumentation lese sehe ich da eine fulminante Nebelpetarde vor mir, genau an dem Punkt an dem du überschwenkst vom bisherigen Einfluss zu den Vorteilen von Native Ads, denn: Auch Native Ad-Kunden willst du nicht verärgern. Auch Native Ad-Kunden willst du nicht vor den Kopf stossen. Auch Native Ad-Kunden haben Eigeninteressen. Zwar gibt es natürlich auch Native Ads, die nicht aus der Wirtschaft kommen, bspw. die Kampagnen der Integrationsfachstelle des Kanton Zürich, aber es ist ganz logisch, dass Native Ads vor allem von grossen Unternehmen gebucht werden können und damit ist es eine Veränderung der Gewichtung von Interessenabwägung, die dem Journalismus immer inhärent ist. Eine Gewichtungsverlagerung, die ich ablehne.
Auf den ganzen Kalauer mit Popups und Bannern will ich nicht eingehen, denn Popups und Banner sind logischerweise was Unangenehmes und Lästiges, aber Popups und Banner stellen keinen Paradigmenwechsel dar, übertreten keinerlei rote Linien. Natürlich sind sie unangenehm, aber sie haben gar keine Position in der Wertedebatte, die mir eigentlich wichtig wär.
Peter Jebsen 07. Januar 2016, 10:31
Ich habe den Artikel in der Facebook-Gruppe des DJV-Bundesfachausschusses Online-Journalismus folgendermaßen kommentiert:
Benjamin, kannst du dir auch im Journalismus Stiftungsmodell vorstellen?