Die Mär von den linken Medien
In letzter Zeit ist es wieder in Mode gekommen, eine vermutete Linkslastigkeit der Schweizer Medien zu problematisieren. Als «Beleg» für die Tendenz wird die politische Einstellung der Journalisten angeführt. Das greift zu kurz. Ein Blick auf den Wandel der Medieninhalte zeigt vielmehr eine Bewegung nach rechts.
Nach über 40 Jahren Debatte um die Linkslastigkeit der Medien sollten wir darüber nachdenken, ob unsere Medien politisch nicht eher rechtslastig sind. Zwar gibt es nachvollziehbare Gründe, an der altgewohnten Vorstellung «linker» Medien verhaftet zu bleiben: Eine Befragung von Journalisten im Rahmen einer Diplomarbeit an der Fachhochschule Winterthur kam zum Ergebnis, dass etwas mehr als ein Drittel der Deutschschweizer Journalisten sich von der SP am besten repräsentiert fühlen (vgl. auch hier). Beim «Hauptverdächtigen» SRG finden sich dafür auch mindestens ein prominentes Beispiele: Moderator Matthias Aebischer wurde vor rund einem Monat als Vertreter der SP in den Nationalrat gewählt.
Trotzdem: Weder die erwähnte Studie noch Einzelbeispiele genügen als Belege für eine «linke» politische Tendenz der Medien. Zur erwähnten Journalistenbefragung sind zum einen methodische Einwände vorzubringen: Die Rücklaufquote war bei einigen Medien äusserst gering. Zum andern lässt sich von einer persönlichen politischen Orientierung nicht direkt auf die journalistische Arbeitstätigkeit schliessen. Wenig stichhaltig ist auch der Verweis auf die politische Gesinnung einzelner Persönlichkeiten: Problemlos findet sich zu jedem «linken» Medienschaffenden ein «rechtes» Gegenbeispiel, auch bei der SRG: So wurde dme ehemaligen «Arena»-Moderator Reto Brennwald wird eine Sympathie für die SVP nachgesagt. Nicht zuletzt fuhr der Blick als die meistgelesene Zeitung der 1980er-Jahre unter ihrem kürzlich verstorbenen Chefredaktor Peter Uebersax politisch einen Rechtskurs (siehe die Nachrufe von Jürg Frischknecht und Roger Köppel).
Eine Diskussion der politischen Tendenz von Medien hat aber in erster Linie die veröffentlichten Medieninhalte zu berücksichtigen. Eine etwas ältere, von Vontobel 2005 am IPMZ (Uni Zürich) durchgeführt Inhaltsanalyse der Wahl- und Abstimmungsempfehlungen bei Aargauer Zeitung, NZZ, Tages-Anzeiger kommt zum Schluss, dass diese Zeitungen mit Ausnahme des Tages-Anzeigers eine Rechtstendenz aufweisen, indem die politischen Positionen der bürgerlichen Parteien mehr empfohlen werden, als jene der Linken. Dieser Befund wurde vom Publizistikwissenschaftler Roger Blum bestätigt, der beim «Bund», «Basler Zeitung» und «Blick» seit 2007 eine Verschiebung von Linksliberal zu Mitte-Rechts feststellt.
Hinweise auf politische Tendenzen liefert auch die Medienforschung, die im Auftrag des Bakom durchgeführt wird. Eine Inhaltsanalyse von regionalen Tageszeitungen (im Rahmen des Postulats Fehr zur Pressevielfalt) kommt zum Schluss, dass drei Fünftel aller Artikel eine politisch neutrale Grundstimmung aufweisen (SwissGis-Bericht). Die Studien zu den SRG-Programmen aus dem Jahr 2010 machen deutlich, dass Parteien als Handelnde jedoch selten erwähnt werden. Falls dies geschieht, dann finden in der deutschen Sprachregion SVP und FDP, im Tessin die CVP am häufigsten Erwähnung. Lediglich in der französischen Sprachregion wird die politische Linke am häufigsten erwähnt. Bei den Privatradios zeigt sich keine klare Tendenz: Einige Sender räumen der Linken etwas mehr Gewicht ein (z. B. Capital FM, Canal 3 (f)), andere der Rechten (BE1). Allerdings sind diese Befunde mit Vorsicht zu interpretieren, da aus der Erwähnung bestimmter politischer Parteien nicht direkt auf die politische Tendenz eines Mediums geschlossen werden kann. Allerdings können Erwähnungen von Parteien und Parolen helfen, eine Partei und ihre Themen überhaupt in die öffentliche Diskussion zu bringen; egal ob die Erwähnung negativ oder positiv ist.
Trotz aller Vorsicht, die bei der Interpretation angebracht ist, lassen sich die vorliegenden Ergebnisse gesamthaft als politische Rechtstendenz der Medien interpretieren. Besonders die Analyse der Wahl- und Abstimmungsempfehlungen führt uns zu einem weiteren Grund für eine mögliche politische Tendenz der Medien: Ihren publizistischen und unternehmerischen Zielsetzungen und Traditionen. Die meisten regionalen Forumszeitungen sind aus bürgerlichen Gesinnungszeitungen hervorgegangen, welche das Pressesterben der 1970er- bis 1990er-Jahren am längsten überlebten (gemäss Publizistikwissenschaftler Roger Blum). Die Entwicklungsgeschichte der Zeitungen mag im normalen Tagesgeschäft heutzutage kaum mehr eine Rolle zu spielen; bei der Besetzung der Chefredaktoren und Redaktionsleitern, die oft für die Kommentare zuständig sind, jedoch schon.
Zum anderen gibt es Hinweise, dass sich einzelne Zeitungen wieder stärker in Richtung politisch-weltanschaulicher Gesinnungszeitungen entwickeln – die wichtigsten davon in Richtung rechts. Ein Beispiel ist die NZZ: Ihr neuer Verwaltungsratspräsident Konrad Hummler möchte die Zeitung wieder stärker auf einen wirtschaftsliberalen Kurs trimmen. Seine «Regeln im journalistischen Alltag» lauten u.a., «im Zweifel für das Individuum und gegen das Kollektiv» oder «Im Zweifel für das Vertrauen in die Märkte und gegen obrigkeitliche Eingriffe infolge angeblichen Marktversagens.» Rechtsbürgerliche Kreise haben auch von der neuen Möglichkeit Gebrauch gemacht, ohne Konzession Fernsehen auszustrahlen. Beispiele dafür sind «Blocher-TV», «CC Talk» oder die «Schweizerzeit».
Das unerwartet schwache Abschneiden der SVP bei den diesjährigen Wahlen zeigen jedoch, dass solche medialen Aktivitäten keine grosse Wirkung auf das Wahlverhalten der Bürgerinnen und Bürger entwickeln. Für Kommunikationswissenschaftler ist dies nicht weiter erstaunlich: In zahlreichen Studien wurde nachgewiesen, dass solche Medien- und Wahlkampagnen vor allem beim prozentual geringen Anteil der «Unentschlossenen» eine Einstellungsänderung bewirken können. Emotionalisierungsstrategien können dabei unterstützend wirken. Sie greifen allerdings auch nur bei politischen Fragen am Besten, die für relativ unwichtig gehalten werden (Niedrigkostensituation). Eine Veränderung fundamentaler Wertvorstellungen lösen solche Strategien wenn überhaupt erst sehr langfristig aus.
Ist damit unsere Diskussion über links- oder rechtsunterwanderte Medien obsolet? Ich meine nein! Die medienpolitische Entwicklung zeigt, dass die Diskussion um die Linksunterwanderung der Medien in den 1970er-Jahren durchaus Wirkung entfalteten – und dies auf positive Art und Weise. Die Debatte führte zu einem Nachdenken über die Aufgaben des Journalismus für die Gesellschaft, zur Entwicklung von professionellen Berufsnormen (Rechte und Pflichten der Journalistinnen und Journalisten) und zur Gründung des Presserats und der Unabhängigen Beschwerdeinstanz (UBI). War es zur Zeit der Gesinnungspresse durchaus üblich, dass ein Bundeshauskorrespondent gleichzeitig als Nationalrat tätig war, wird ein solches Doppelmandat nun für grundsätzlich problematisch gehalten (Richtlinie 2.4 des Presserats). Peter Kellers Doppelmandat als Weltwoche-Redakteur und neuer Nidwaldner SVP-Nationalrat ist unter diesem Blickwinkel als kritisch zu sehen.
Eine Debatte um die Rechtslastigkeit der Medien könnte deshalb die Chance bieten, grundsätzlich über die Aufgaben und Strukturen des Journalismus in der Gesellschaft nachzudenken. Sollen wir zurück ins Zeitalter der Gesinnungsmedien? Falls ja: Wie kann sichergestellt werden, dass alle politischen Interessen Zugang zu Medien haben? Falls nein: Wie lässt sich professioneller, unabhängiger Journalismus finanzieren? Was sollen in Zukunft seine gesellschaftlichen Leistungen sein?
Ronnie Grob 06. Dezember 2011, 13:20
Reto Brennwald wird eine Sympathie für die SVP nachgesagt? Der „Blick“ war unter Peter Uebersax mal rechts? Und die NZZ hat einen Verwaltungsratspräsident, der eine Vorliebe für einen rechtsbürgerlichen Kurs hat? Nun ja.
Ich finde es ganz interessant, zu beobachten, welche Themen in die Medien kommen, wenn mal etwas Flaute ist bei den Ereignissen, zum Beispiel bei der ARD-Tagesschau.
Und dann gibt es auch noch die persönliche Erfahrung im Umgang mit Journalisten und Journalistinnen. Ich habe bisher nur sehr wenige kennengelernt, die explizit von sich behaupten, nicht grün oder nicht links zu sein – auch in diesem Beitrag scheint man händeringend nach Beispielen zu suchen. Als Journalist und Blogger, der sich selbst dazu bekennt, für mehr Freiheit und Eigenverantwortung und für weniger Staat und Gesetze zu sein, kann ich nur sagen, dass ich mich unter Journalisten oft recht einsam fühle mit dieser Haltung, gerade in Deutschland. Oder täusche ich mich da?
Ob sich die Haltung von Journalisten auf ihre Arbeit auswirkt, ist, wenn auch anzunehmen, nach wie vor eher unklar und wohl auch kaum zu beweisen. Die angesprochene Studie von Thomas Schlittler deckt sich auf jeden Fall mit meinen Eindrücken – auch wenn der Rücklauf auf die Umfrage natürlich nicht zufriedenstellend ist.
Einig gehe ich auf jeden Fall damit, dass Debatten über solche Fragen positive Auswirkungen haben. „Nachdenken über die Aufgaben des Journalismus für die Gesellschaft“ ist immer wieder wichtig. Und ganz abseits der Linksrechts-Frage kann man nicht oft genug fragen, ob der Journalismus wirklich breite Bevölkerungsschichten repräsentiert – oder doch nur eine kleine, privilegierte Klasse mit überdurchschnittlicher Bildung.
Otto Hildebrandt 06. Dezember 2011, 14:43
Könnte es nicht sein, daß die gesellschaftspolitische Aufgabe des Journalimsmus in der professionellen Berichterstattung für die zahlende Kundschaft besteht? Das diese Aufgabe viele Journalisten nicht begeistert und sie lieber Meinungs- und Kampagnejournalismus betreiben, ist allgemein bekannt. Und das Massenmedien der Demokratisierung der Gesellschaft folgend, einen immanenten Linkstrend der Öffentlichkeit induzieren, auch. Folgt man nun ihrer Diagnose, gibt es eine wachsende Kluft zwischen der mehrheitlich linksgrünen Journalsitenzunft und dem zunehmenden Rechtstrend bei den von ihnen produzierten Inhalten (also neutralen Informationen und Rücksichtnahme auf die Meinungen der Mediennutzer). Das ist doch ein gute Zeichen.Warum soll das sofort wieder durch eine gesellschaftspolitische Relevanzdebatte abgeblockt werden? Der Journalismus ist doch schon heute so verknöchert, daß jede Frischluftzufuhr nur begrüßt werden kann. Dafür sollten sie sich einsetzen. Die Wissenschaft ist doch der einzige Ort, der – zumindest theoretisch – eine solche Sichtweise möglich macht.
Christoph Landolt 06. Dezember 2011, 15:12
Ich fasse zusammen:
Journalisten sind nicht links.
Umfragen zur Gesinnung von Journalisten, die solches ergeben haben, zählen nämlich nicht, da zu wenige geantwortet haben und man daraus nicht auf den Output schliessen darf.
„Ein Blick auf den Wandel der Medieninhalte zeigt vielmehr eine Bewegung nach rechts.“, denn
– 60 Prozent aller Beiträge sind neutral (was ist eigentlich mit den anderen 40?)
– Die NZZ kehrt zu ihren Wurzeln zurück, hin und wieder findet man eine Wahlempfehlung, die nicht der SP-Position entspricht.
– SVP und FDP werden häufiger erwähnt, was ihnen hilft.
Nun muss also eine Debatte über rechtslastige Medien her, weil die Debatte über linkslastige Journalisten zu kurz greift. Da bin ich doch grad froh, dass ich mein Phil.I.-Studium früh genug beendet habe.
Peter 06. Dezember 2011, 15:50
lieber ronnie grob
wie steht es eigentlich mit der analyse der politischen ausrichtung der baz vor und nach somm aus?
Ronnie Grob 06. Dezember 2011, 18:18
Mit dieser Idee habe ich mich bis jetzt nicht eingehender befasst.
Peter 07. Dezember 2011, 13:01
nicht mehr, muss man sagen, hier hats dich schon interessiert:
https://medienwoche.ch/2011/06/06/ein-heilsamer-schock
wie wärs mit einem nachzug, ein paar monate später? und vielleicht wird diesmal neben dem sport- und dem kulturteil auch der politische teil einbezogen (auch wenn dieses vorgehen die these gefährden könnte).
Patrik Müller 06. Dezember 2011, 16:05
Der Titel dieses Blogs kommt mir irgendwie bekannt vor… Nehme an, es ist Zufall. Mein Kommentar erschien am 23. Oktober, am Tag der Parlamentswahlen.
http://www.sonntagonline.ch/blog/414/
Nick Lüthi 06. Dezember 2011, 17:35
In der Tat Zufall. Wäre ich mir der an Übereinstimmung grenzenden Änhlichkeit bewusst gewesen, ich hätte den Titel so nicht gesetzt. Und in Klammer (das ist kein Blog, sondern ein Medienmagazin und ein einzelner Beitrag ist auch kein Blog, sondern ein Artikel.)