Leser spenden 20′000 Franken für Recherche
Die Westschweizer Zeitung «La Cité» entstand vor einem Jahr aus dem Bedürfnis der Leserinnen und Leser nach Medien abseits kommerzieller und politisch-publizistischer Interessen. Das zweimal monatlich erscheinende Blatt wurde als Verein gegründet und positioniert sich als non-profit Forumszeitung. Dieses Profil ist einzigartig im Schweizer Blätterwald – nicht zuletzt auch wegen des erfolgreichen Crowdfundings von Recherchen.
Getragen wird die Zeitung, die mit einer Auflage zwischen 5000 und 10 000 Exemplaren erscheint, von ihrem Publikum. 932 Personen sicherten als Gründungsabonnentinnen und -abonnenten die Startfinanzierung. Die Zeitung komme ohne Kreditfinanzierung aus, und auch die Werbeeinnahmen seien nicht im Budget eingerechnet, sagt Chefredaktor Fabio Lo Verso. Im Juni erhielt «La Cité» zudem Unterstützung von der Basler «Stiftung für Medienvielfalt». Das Geld soll unter anderem dazu verwendet werden, die Bekanntheit der Zeitung zu steigern. Aktuell zählt «La Cité» 1723 Abonnemente und verkauft durchschnittlich 400 Exemplare am Kiosk. Um die Finanzierung langfristig zu sichern, benötige die Zeitung jedoch mindestens 5000 reguläre Abonnentinnen und Abonnenten, präzisiert ihr Chefredaktor.
Inhaltlich praktiziert «La Cité» einen «journalisme augmenté» (erweiterten Journalismus), indem sie Künstlerinnen, Wissenschaftler und Expertinnen zu Wort kommen lässt. Damit möchte die Redaktion nicht bloss Informationen vermitteln, sondern Wissen und Erkenntnis schaffen. In ihren zwei Bünden finden sich ausführliche Hintergrundberichte zu Gesellschaft und Kultur, Fotoreportagen und grossflächige Illustrationen. Aufgrund der kleinen Redaktion veröffentlicht die Zeitung hauptsächlich Gastbeiträge. Dies funktioniere zwar grundsätzlich gut, stelle aber ein Problem dar, wie Lo Verso festhält: Denn die Redaktion sei zu sehr von externen Beiträgen abhängig und habe kaum die Möglichkeit, redaktionelle Entscheide zu treffen. Dies habe zur Folge, dass nationale Politik- sowie Lokalberichterstattung zu kurz komme. Etwas Abhilfe schafft hier die seit Juni bestehende redaktionelle Zusammenarbeit mit der Basler «Tageswoche».
Um die Lokalberichterstattung zu stärken, hat die Redaktion kürzlich zwei investigative Rechercheprojekte vorgeschlagen, die über Crowdfunding finanziert werden sollten. Zur Auswahl standen eine Recherche zu den Milliardenverlusten der Genfer Kantonalbank und eine zur Immobilienlobby in der Romandie. Das Publikum entschied sich für das zweite Projekt und spendete über 20’000 Franken. Auch mit der Schwarmfinanzierung beschreitet «La Cité» Neuland und zeigt, dass neben dem Bedürfnis nach investigativem Journalismus auch die Bereitschaft vorhanden ist, dafür etwas zu bezahlen.
Mit diesen Finanzierungsmodellen definiert «La Cité» das Verhältnis zur Leserschaft neu. Durch die partizipative Finanzierung erhält das Blatt eine besondere Legitimität – «von unten», wie Chefredaktor Fabio Lo Verso sagt –, die sich am tatsächlichen öffentlichen Interesse orientiert und die es einzulösen gilt. Damit steht «La Cité» nicht nur praktisch im Dienste der Öffentlichkeit, sondern könnte auch in der Diskussion über die Finanzierung des Pressewesens als Wegweiserin für alternative, zukünftige Modelle dienen.