Die sieben Todsünden der Nachrichtenportale
Nachrichtenportale machen ihren Lesern das Leben oft unnötig schwer. Doch hinter vielen unverständlichen Eigenarten steht ein grosser Druck der Werbeindustrie, dem die Nachrichtenportale gehorsam nachgeben. Hier die sieben nervigsten Ausprägungen des aktuell existierenden Online-Journalismus:
- Klau von Inhalten
- Klick-Irrsinn
- Fehlende Links, vage Quellenangaben
- Sinnlose Links auf eigene Storys
- «Qualitätsjournalismus»
- Falsche Versprechen
- Mehr statt weniger
Die Zeitungsverleger fühlen sich von Google beklaut, weil Google und andere Aggregatoren Ausschnitte ihrer veröffentlichten Texte in Zitatlänge automatisiert anzeigen. Und fordern deswegen ein Leistungsschutzrecht für Presseverleger. Dabei ist es umgekehrt: Nachrichtenportale von Zeitungsverlegern klauen Inhalte aus dem zum Google-Konzern gehörenden Videoportal YouTube. Und zwar nicht nur ab und an mal, sondern recht regelmässig. Ein paar Beispiele von Schweizer Nachrichtenportalen in der Bildergalerie rechts.
Newsnet bietet ein Fremdvideo als eigenes an, gibt «Quelle: Youtube/Aatma Studio» an, verlinkt Quelle nicht.
Blick.ch bietet ein Fremdvideo als eigenes an, blendet im Video «Quelle: Youtube.com/EpicTVadventure» ein, verlinkt Quelle nicht.
20min.ch bietet ein Fremdvideo als eigenes an, gibt «Quelle: YoutTube/DPTVisor» an, verlinkt Quelle.
Korrekt wäre es, die Videos mit dem von YouTube angebotenen Embed-Code einzubinden, so besteht ein Link zur Originalquelle, die Seitenabrufe werden mitgezählt, je nach dem kann ein Videoanbieter so Geld verdienen mit YouTube. Doch einige Nachrichtenportale laden solche Videos im eigenen Player hoch und geben sie so de facto als Eigene aus. So verunmöglichen sie die Monetarisierung des Urhebers, vergrössern aber den eigenen Traffic und verkaufen damit auch noch Werbung.
Kennen Sie das?
Ein Nachrichtenportal will von Ihnen wissen, ob Sie einen Artikel gerne verteilt auf 16 Seiten / 8 Seiten / 3 Seiten lesen möchten oder doch lieber nur auf einer Seite.
Bild: Screenshot sueddeutsche.de
Bild: Screenshot zeit.de
Bild: Screenshot cicero.de
Die Antwort fällt sicher nicht leicht. Schliesslich haben wir uns ja durch den jahrzehntelangen Gebrauch von Printmedien so an das Blättern gewöhnt, dass wir fast nicht mehr ohne können.
Die richtige Antwort lautet: Die Verlagshäuser verkaufen den Werbetreibenden Seitenaufrufe, und jeder Klick treibt diese Zahl in die Höhe. Deshalb werden auch Bilder eher in Galerien angezeigt als untereinander oder nebeneinander. Aus Usability-Sicht sind in Einzelteile aufgespaltete Seiten einfach nur Unsinn.
Fehlende Links, vage Quellenangaben
Mit Links und Hyperlinks können Quellen, die im Internet verfügbar sind, verlinkt werden. So wird dem Leser transparent, woher ein Zitat kommt, worauf sich ein Satz bezieht, was genau in der Originalquelle steht. Mit einem Klick auf den Link macht er sich ein Bild – und kommt wieder zurück, um weiter zu lesen. Aus journalistischer Sicht ist die Verlinkung von Quellen im Netz nicht ein Soll, sondern ein Muss. Auch allgemeine Quellenangaben wie «Quelle: YouTube» oder «Quelle: Twitter» sind ungenügend. Wäre ein Online-Fischhändler, der seinen Kunden «Fische» mit «Herkunft: Meer» verkaufen will, erfolgreich? Wohl eher nicht.
Was für viele Blogger selbstverständlich ist, machen Online-Portale oftmals einfach nicht: Weil sie Printinhalte online nicht anders aufbereiten, weil sie technisch dazu nicht in der Lage sind, weil sie solche Fragen für Details halten oder weil sie befürchten, dass Leser plötzlich merken, dass es im Internet mehr gibt als das eigene Angebot (als hätten sie das nicht schon längst gemerkt).
Im Internet-Manifest heisst es dazu:
Links sind Verbindungen. Wir kennen uns durch Links. Wer sie nicht nutzt, schließt sich aus dem gesellschaftlichen Diskurs aus. Das gilt auch für die Online-Auftritte klassischer Medienhäuser. (…) Referenzen durch Verlinkungen und Zitate – auch und gerade ohne Absprache oder gar Entlohnung des Urhebers – ermöglichen überhaupt erst die Kultur des vernetzten Gesellschaftsdiskurses und sind unbedingt schützenswert.
Sinnlose Links auf eigene Storys
Statt Links zu setzen, wenn es Sinn macht, verlinken sich viele Nachrichtenhäuser selbst, und das exzessiv mit Hyperlinks auf Storys aus dem eigenen Angebot. Der Leser soll im eigenen Universum herumirren und so möglichst viele Seitenaufrufe generieren. Nichts gegen Eigenverlinkungen, wenn es Sinn macht, aber oft macht es überhaupt keinen Sinn.
Die «Welt» beispielsweise verlinkt eigene «Themen» im Text so, dass es schmerzt. Im Text «Wolf unter Schafen» geht es um ein nicht aufgeführtes Theaterstück von Maxim Biller. Der Begriff «Deutschland» wird mit einem Flugzeug-Symbol ergänzt und führt zur Seite welt.de/themen/deutschland-reisen/, was mit dem Text «Die besten Tipps zu Urlaub in Deutschland finden Sie in unserem Themenspecial» angekündigt wird:
Bild: Screenshot welt.de
Noch schlimmer dann einige Absätze weiter die Verlinkung von «Mini» mit «Neuheiten, Fahrberichte und Tests zu Mini finden Sie in unserem Themenspecial», was zur Seite welt.de/themen/mini führt.
Bild: Screenshot welt.de
Da wünscht man sich eigentlich nur noch, die Bezahlmauer von Welt.de würde einen vor solchem Blödsinn schützen.
Wie es möglich ist, dem Publikum einerseits «Qualitätsjournalismus» anzupreisen und ihm andererseits Hingeschludertes und Falsches zu präsentieren, das hat Newsnetz (heute: Newsnet) in den ausgehenden Nullerjahren besonders eindrücklich gezeigt. Wer sich abheben will, muss nicht Qualitätsjournalismus liefern, sondern Qualität. So sieht das auch das Aushängeschild der Marke «Tages-Anzeiger», Constantin Seibt:
Etwas wirklich Einleuchtendes braucht das Präfix «Qualität» nicht. Es gibt keinen Qualitätssex oder Qualitäts-Rolls-Royce. Der einzige Ort, wo man sonst von Qualität spricht, sind Billigläden.
Im Netz können alle Mist liefern, und alle Qualität. Johannes Boie von der «Süddeutschen Zeitung» hat es kürzlich gut auf den Punkt gebracht:
Die Grenze verläuft nicht zwischen den Millionen Nutzern auf Twitter und den Nachrichtenredaktionen, sie verläuft zwischen sauberer Recherche und Unsinn. Doch nur von professionellen Journalisten kann man letztlich verlangen, alles zu tun, um Unsinn zu vermeiden, egal, ob sie ihrem Job gerade auf Twitter, im TV oder in einer Zeitung nachgehen.
Journalisten machen nicht nur Tippfehler, manchmal schiessen sie auch richtig grosse Böcke. Das ist menschlich, es stellt sich die Frage, wie bemüht man ist, Fehler zu vermeiden und wie man damit umgeht. Eine Marke, die für Print ein Korrektorat beschäftigt, aber online Kraut und Rüben zulässt, macht sich unglaubwürdig.
Ist ein Teaser in jedem Fall eine Todsünde? Sicher nicht. Aber es muss jedem Leser klar sein, dass nicht unbedingt journalistische Gründe dafür verantwortlich sind, dass die eigentlich interessante Nachricht im Vorspann verschwiegen wird.
Problematisch bei der inflationären Verwendung solcherart erzeugten Klickanreize ist erstens die Abstumpfung des Publikums, das irgendwann auf gar nichts mehr klickt. Und zweitens die Nähe des Journalismus zur Werbeindustrie, die mit unverlangten Zuschriften („Öffnen Sie dieses Schreiben sofort, um …“) und Klick-mich-an-Betteleien nach Aufmerksamkeit giert.
Klassischer Teaser. Bild: Screenshot spiegel.de
Das hier ist Punkt 7 einer Liste, und Listen gibt es, weil Leute gerne Listen lesen.
Aber gehören 329 Fotos, die irgendwas mit Sex zu tun haben, wirklich in das Angebot einer Zeitungsmarke?
Es kann jede Tabelle als klickbare Liste anzeigt werden.
Es kann jedes Ereignis in einem Live-Ticker dargestellt werden.
Es kann jede Frage in eine Umfrage gepackt werden.
Es kann jede Frage zu einem spekulativen Artikel werden.
Es kann jede Firma mit dem Börsenkurs verlinkt werden.
Es kann jede Gruppe von Fotos in einer Galerie gezeigt werden.
Es kann jeden Tag gefragt werden, ob man das Portal als Startseite einrichten will.
Doch nicht alles, was gemacht werden kann, muss auch gemacht werden.
Siehe auch «Die vier Tugenden der Öffentlich-rechtlichen» vom 4. September 2013.
Andreas Stricker 03. Mai 2013, 16:03
Dem Artikel ist nichts mehr beizufügen. Alles Sachen darunter, die mich auch schon lange nerven, und alles Gründe, die es mir leicht machen werden, auf selbsternannte „Qualitätsmedien“ zu verzichten, selbst wenn die Paywalls flächendeckend aufgezogen werden sollten.
Am störendsten finde ich das grassierende Verlinken von Youtube-Videos ohne Quellenangabe – am besten noch mit einem vorangehenden 30-sekündigen Werbespot und anschliessendem Logo des eigenen Newsportals. Ich frage mich schon lange, wann Google endlich gegen diese Unsitte vorgeht, und zwar im Interesse seiner Nutzer.
Andreas Stricker 03. Mai 2013, 16:16
Diesen zweiten Abschnitt habe ich wohl etwas zu schnell geschrieben. 🙂
2. Versuch: Am störendsten finde ich das grassierende Übernehmen von Youtube-Videos ohne Verlinkung oder anständige Quellenangabe…
Fred David 03. Mai 2013, 16:44
Stimmt ja, aber deswegen muss man google nicht gleich Samariterdienste anbieten. Die setzen sich mit ihrer Marktmacht noch früh genug alleine und ziemlich rücksichtslos durch.
nik 03. Mai 2013, 23:57
Top.
Peter Lustenberger 06. Mai 2013, 16:12
und der Hoheprister dieser Unsitten, Hansi Voigt, sitzt bereits in den Startlöchern, um ein neues Höllenportal auf die unschuldigen Leser loszulassen. Meine Hoffnung gloriose Selbstüberschätzung und die Nichtbeachtung durch das breite Publikum. Ich glaube, unsere Chancen stehen gut.
Jodok Kobelt 07. Mai 2013, 12:10
Wenn’s recht ist, werde ich diesen Post gerne in meinen Kursen am MAZ, der Schweizer Journalistenschule, immer mal wieder zitieren, resp. verlinken.
Ronnie Grob 07. Mai 2013, 13:44
Aber gerne!
Klaus Jarchow 14. Mai 2013, 09:39
Was ich seid langem sage – in den Verlagshäusern betreiben sie ein ‚Management by Titanic‘. Sie sind es doch, die sich selbst versenken … zu viele pawlow-geschulte Betriebswirtschaftler an Bord, zu wenige Schreiber: „Ach, das war ein Eisberg?“
Hier in Deutschland läuft gerade eine Bettel-Orgie der Verlage: Man möchte doch bitte bitte den Adblocker abschalten, so, als müsste der Leser nicht für das Datenvolumen all dieses hirnschädlichen Blinkyblinkys bezahlen, das dann zusätzlich durch die Leitungen rauschen würde, so, als enthielte manche Werbung nicht auch Trojaner – von den unsäglich kaputtbeworbenen Seiten ganz zu schweigen.