Was Watson anders macht als die Konkurrenz
Früher als gemeinhin erwartet, legte gestern Abend Watson.ch los. Das neue Newsportal unterscheidet sich bereits auf den ersten Blick von der Konkurrenz. Vor allem die grosszügige Bebilderung der Beiträge sticht ins Auge. Auch in anderen Bereichen scheint Watson die Nase vorn zu haben. Ein erster Eindruck am Tag nach dem Start.
1. Der Launch
Ein gelungener Überraschungscoup. Niemand hatte mit dem Launch an einem Mittwochabend im Januar gerechnet. Zwar kursierten Gerüchte, dass Watson am 22. Januar eine Kooperation mit einem prominenten Partner bekanntgegeben würde. Was auch tatsächlich der Fall war. Watson spannt mit Spiegel Online zusammen. Als Starttermin galt aber offiziell weiterhin irgendwann im Frühjahr 2014. Die Nebelpetarden und Juxmeldungen im Vorfeld verfehlten ihre Wirkung nicht. Man wusste schlicht nicht, was da kommen würde. Umso grösser war die Überraschung, als gestern Abend nach 21 Uhr Watson loslegte.
Prognose: Die unkonventionelle Öffentlichkeitsarbeit geht weiter.
2. Die Bilder
Mehr Bilder als Bild.de, kurz, Watson ist mehr «Bild» als Bild.de. Watson geht mit der Bildlastigkeit zurück zu den Wurzeln des Boulevard im letzten Jahrhundert. Der Erfolg von «Bild» in den 1950er-Jahren beruhte nicht zuletzt darauf, den textlastigen Zeitungen optisch etwas entgegenzusetzen. Neben Watson wirkt selbst das Boulevard-Portal 20min.ch wie eine Bleiwüste.
Prognose: Bilder werden auch anderswo grösser.
3. Die Texte
Am Tag eins nach dem Launch ein Urteil zur Textqualität abzugeben, ist zu früh. Hier besteht das grösste Entwicklungspotenzial. Klar ist: Der Knüller zum Start fehlte. Keine Geschichte bietet sich zwingend zum Zitieren an. Der vermeintliche Primeur zu Patrick Liotard-Vogt gestern Nachmittag, der den Launch hätte befeuern können, brachte die Handelszeitung schon vorher. Das muss aber nichts Schlechtes bedeuten. Im Gegenteil: Das Augenmerk liegt nun auf dem gesamten Angebot und konzentriert sich nicht nur auf den Primeur. Für die Zukunft gibt vor allem das Personal Anlass zur Hoffnung: Watson konnte der Konkurrenz viele gute Journalisten abwerben. Wenn die ihre bisherige Qualität halten, wird Watson zu reden geben.
Prognose: Wer gute Texte will, muss gute Schreiber einstellen. Der Wettbewerb um sie wird härter werden.
4. Die Aktualität
Wer sich auf einen Blick über die Newslage in der Schweiz und der Welt informieren will, wird von Watson vorerst nur schlecht bedient. Zwar gibt es eine Rubrik «News kompakt», dort finden sich aber einigermassen unstrukturiert und ohne Gewichtung Agenturmeldungen. Der Newsbereich ist noch eine Baustelle, was auch die teils fehlende Bebilderung zeigt.
Prognose: Watson wird «langsamer» unterwegs sein als die Konkurrenz und dafür mehr Gewicht auf die Präsentation legen.
5. Die Werbung
Fügt sich gut ein in die Inhalte, und trotzdem ist die Abgrenzung zu den redaktionellen Inhalten gewährleistet. Das ist aber kein Grund, die Werbung nicht als solche zu kennzeichnen, wie das auf Watson noch vorkommt. Der Presserat empfiehlt: «Soweit es nicht schon aus der Gestaltung erkennbar ist, sind sie explizit als ‹Anzeigen›, ‹Werbung›, ‹Werbereportagen›, ‹Werbespots› oder durch andere dem Publikum geläufige Begriffe zu deklarieren».
Prognose: Die Mobilwerbung erhält den längst fälligen Schub, wenn auch fraglich bleibt, ob Watson davon existenzsichernd profitieren kann.
6. Die Kommentarkultur
Die für einen Neuling bereits reichlich vorhanden Kommentarstränge erinnern mehr an gepflegte Facebook-Diskussionen und weniger an Newsnet-Kommentarschlachten. Auch wenn die aktuelle Situation auf Newsportalen einen anderen Eindruck hinterlässt: Vernünftige Diskussionen sind auch online möglich. Die statistischen Informationen im Nutzerprofil machen auf einen ersten Blick einen hilfreichen Eindruck und machen neugierig. Auf den zweiten Blick begreift man, dass es dabei auch um die Überwachung des Profils geht. Schnell freigeschaltet werden zukünftig wohl Profile mit gutem «Kommentarkarma», kritisch begutachtet hingegen Profile mit schlechtem Karma.
Prognose: Die Nutzerprofil-Architektur wird zu einem entscheidenden Faktor bei allen Newsportalen.
7. Die Benachrichtigungen
Wer einen Kommentar schreiben oder auf eine Umfrage antworten will, muss ein Nutzerprofil eröffnen. Über Folgeereignisse der eigenen Aktivitäten wird man im Bereich «mein watson» benachrichtigt. Wer schon mal Teil eines Sozialen Netzwerks war, weiss wie schwer es ist, persönliche Benachrichtigungen zu ignorieren. Meist gibt es keinen Grund, Benachrichtigungen unverzüglich zu lesen, doch viele Nutzer tun das, und klicken jede sofort an. Das führt zu einer Verlängerung der Nutzungszeit, und genau das hat sich Watson von Facebook und anderen abgeschaut.
Prognose: Das wird die Konkurrenz auch einführen.
8. Die Formate
Was auffällt: es gibt kein Standardformat. Jede Geschichte kommt dank der multimedialen Aufbereitung eigenständig daher. Trotz viel grafischer Spielerei, bleibt aber der Text nicht auf der Strecke. Dazu kommen innovative Formate: etwa der «Flipper», eine kurze Zusammenfassung eines externen Artikels auf der Rückseite eines Bildanreissers mit Link zum Originaltext. Die veredelten Agenturmeldungen, ergänzt mit Quellen und Social-Media-Inhalten. Oder der Newsticker, der ästhetisch und inhaltliche neue Massstäbe setzt.
Prognose: Nach einer Phase des Ausprobierens etablieren sich ein paar Standardformate.
9. Die Navigation
Das Fehlen einer klassischen Ressortstruktur ist zwar gewöhnungsbedürftig. Da watson.ch aber primär auf die mobile Nutzung abzielt, spielt das nur eine untergeordnete Rolle. Bei watson.ch gilt: Scroll dir den Daumen wund! Watson hat die längste Webseite; länger als Blick und länger als 20 Minuten. Auf dem Smartphone zählt das noch viel mehr als auf dem Desktop. Erst wer unten an der Seite angekommen ist, wechselt App oder Angebot. Je mehr man dem Leser zum Scrollen bietet, desto länger bleibt er.
Prognose: Die Zukunft ist nach unten offen und heisst «Open End».
10. Der Gesamteindruck
Watson ist die eigenständigste und modernste Art, wie Online-News in der Schweiz derzeit präsentiert werden. Man merkt, dass das neue Portal nicht auf eine Zeitungsmarke und die strategischen Überlegungen eines Grossverlags Rücksicht nehmen muss.
Prognose: Watson kann es mit jedem aufnehmen.
Oliver Brunner 24. Januar 2014, 15:59
…Watson konnte der Konkurrenz viele gute Journalisten abwerben… ernsthaft? 20min Belegschaft + P. Loepfe, Thiriet und S. Meier sehr TA-Boulevar lastig. Ich habe da meine Zweifel. Die auch in der Beta-Ausgabe (keine einzige unikate Meldung und bescheidener Schreibstil) bestätigt wurde. Ich verstehe den Hype nicht. Ich liebe strukturierte, nicht zuspitzende Medien. Da bin ich bei Watson wohl falsch.
Frank Hofmann 24. Januar 2014, 17:14
Frau Meier war doch die Frauenbeauftragte beim Tagi, mit dem Ziel, die Frauenquote zu erhöhen. War wohl zu anstrengend und ist jetzt offensichtlich kein Thema mehr. Da dürften sich ein paar Exkolleginnen auf die Lippen beissen.
RM 24. Januar 2014, 17:15
Völlig falsche Eloge. Watson macht vor allem eines anders als ein halbwegs seriöses Info-Portal: Null Überblick.
irgendeiner 24. Januar 2014, 18:35
Ist die Medienwoche irgendwie mit Watson.ch verbandelt?
Bloss wegen übergrossen Bildern so zu loben scheint mir nicht angemessen.
Nick Lüthi 24. Januar 2014, 18:38
Nein. Und es sind ja nicht nur die grossen Bilder, die wir loben. Nach dem Lead steht auch noch was im Artikel.
irgendeiner 27. Januar 2014, 21:45
@Nick Lüthi, 24. Januar 2014, 18:38
Thx. Ich habe entgegen Ihrer Vermutung mehr als nur den Lead gelesen.
UswUsf. Welches Lob (abgesehen von der Überraschung) habe ich übersehen?
Nick Lüthi 27. Januar 2014, 22:17
Kommentarkultur, Formate, Navigation wird alles lobend erwähnt. Aber das allein macht noch keine Nummer 3. Zu den Inhalten will ich mich noch nicht äussern. Aber die sind letztlich entscheidend, vor allem die werberischen Inhalte, aka Native Advertising.
Bernard Maissen 24. Januar 2014, 19:05
Zu „Die Aktualität“: Was ist gegen Agenturmeldungen zu sagen? Nachrichtenagenturen, eben News-Agencies, liefern genau das, was man zuerst unter Aktualität sucht, nämlich rasche News, und zwar aus aller Welt, in allen Ressorts, rund um die Uhr. Wieso soll das Watson-Team das auch noch selber machen, wenn es Nachrichtenagenturen zuverlässig, kompetent und rasch machen? Watson konzentriert sich darauf, Dinge zu machen, die sie besser können als andere und die sie von anderen unterscheiden. Erste und rasche News gehören nicht dazu. So was kann man günstig einkaufen. Wer im Medienmarkt bestehen will, muss heute die Arbeitsteilung beherrschen.
Nick Lüthi 24. Januar 2014, 19:24
Natürlich habe ich nichts gegen Agenturmeldungen, lieber Bernard. Es geht hier um die Präsentation in der Rubrik «News kompakt», die ich bisher nicht besonders attraktiv finde – ganz im Gegensatz zu jenen Agenturmeldungen, die im Hauptstrom veredelt und angereichert präsentiert werden.
Matthias Giger 25. Januar 2014, 05:44
Ich würde mich dem Votum von Oliber Brunner anschliessen. Um journalistisch was zu reissen, reicht eine gute Schreibe noch nicht. Recherche ist mindestens so wichtig. Die andere Frage ist natürlich, ob online mit derlei Eigenleistungen Geld zu machen ist. Die Theorie sagt dazu: eher nicht, obwohl es wünschenswert wäre. Lange Texte funktionieren am Bildschirm nicht wirklich und hinter einen Gemischtwarenladen aus Boulevard und versuchtem Qualitätsjournalismus setze ich ein Fragezeichen.
Michael Perini 27. Januar 2014, 23:15
watson könnte vor allem eins machen:
Allen „Grossen“ auf den Wecker gehen. Z.b. im Moment brandaktuell über HBO-Serien schwafeln. Mit Betonung auf Schwafeln, so beiläufig tun, als ob das alle könnten.
– nervt Swisscom et al. und das SRF
Obskure Blogs anreissen, die eine gute Erklärung für etwas haben. Auf Englisch, Französisch, Spanisch, Farsi, Arabisch, was der Redaktor halt gerade kann und dann direkt auf den Artikel verlinken. Das tut noch niemand. Damit könnten die ihren Boulevard-Kreis orbital nennen.
– nervt die Zeitungen und den Mainstream, weil sie diffundieren. seite3 ist so ein Ding, wo man immer wieder schräges Zeug findet.
Stimmt. Seite3 und watson gleichen sich also sehr stark, finden Sie nicht?