von Fabian Baumann

Die Stunde der Experten

Wenn bei einem komplexen Thema Klärung vonnöten ist, wenn es darum geht, eine als undurchsichtig und mysteriös empfundene Gegenseite zu verstehen, dann schlägt die Stunde der Experten. So auch im Ukraine-Konflikt, der von Anfang an auch ein Medienkrieg war. Medien in Ost und West befragen gerne Sachverständige, welche die jeweilige Sicht auf die Krise bestätigen. Überraschende Stimmen vernimmt man selten.

Vor einem Monat hat die groteske Geschichte um einen falschen deutschen Professor in den russischen Staatsmedien für Schlagzeilen gesorgt. Seit 2007 zitierte die russische Presseagentur ITAR-TASS regelmässig einen gewissen Lorenz Haag, angeblich «Vertreter des Föderation für Russlands Raumfahrt in Europa, den USA und Kanada» sowie «Leiter der deutschen Agentur für globale Kommunikation»  – zwei Organisationen, über die sich kaum weitere Informationen finden. Recherchen deutscher Medien zeigten: Haag scheint zwar zu existieren, ein Professor ist er aber kaum. Bei ITAR-TASS hatte er dagegen einen klaren Auftrag: Er war die Stimme des russlandfreundlichen Deutschlands. So erklärte er etwa im Mai, in Deutschland würde die Position Russlands im Krim-Konflikt sehr wohl verstanden und äusserte sein Mitgefühl für die Ukrainer mit «genetisch ererbter russischer Muttersprache».

Wie der «Spiegel» in der Folge aufdeckte, zitierten wichtige russische Medien im Verlauf der letzten Monate auch andere höchst zweifelhafte «Experten» aus Deutschland: etwa einen angeblichen «Berater der deutschen Regierung», der Angela Merkel des Hochverrats bezichtigt oder den ansonsten völlig unbekannten Politologen «Kert Maier». Letzterer ist vermutlich eine reine Erfindung russischer Propagandisten. Doch wenn er auch einen Extremfall darstellt – die sorgfältige Auswahl deutscher «Experten» ist ein bewährtes Mittel der staatlichen und regierungsfreundlichen russischen Medien. Für deutsche, ja allgemein für «westliche» Experten in den russischen Regierungsmedien gibt es vor allem ein Auswahlkriterium: Eine russlandfreundliche Einstellung.

Ein typisches Beispiel hierfür liefert ein Beitrag, der am 2. November auf dem staatlichen Fernsehsender «Pervyj Kanal» lief. Die knapp zehnminütige Sequenz sollte wohl zeigen, dass die russische Position in den westlichen Medien immer grössere Unterstützung findet. In allen europäischen Ländern, so suggeriert «Pervyj Kanal», formiert sich eine pro-russische Öffentlichkeit. Zitiert wird zunächst ein Artikel des italienischen Historikers Massimo de Leonardis, der Russlands Interessen verteidigt, danach ein Beitrag in der ZDF-Fernsehsendung «Die Anstalt», welcher die Amerikahörigkeit deutscher Medien kritisiert, dann das Buch des ehemaligen FAZ-Redaktors Udo Ulfkotte, der heute sagt, deutsche Journalisten würden für antirussische Artikel vom Geheimdienst beauftragt und bezahlt.

Als nächstes erscheint ein weiterer Lieblingsexperte der regierungstreuen russischen Presse: der frühere CDU-Abgeordnete Willy Wimmer. Wimmer wird auf Grund seiner antiamerikanischen Haltung in Russland immer wieder zitiert. So etwa in einem Interview mit der staatlichen Nachrichtenagentur RIA Novosti, in dem er die amerikanische Regierung imperialistischer Tendenzen beschuldigt: die Amerikaner seien verantwortlich für die Präsenz von Rechtsradikalen in der Ukraine und im restlichen Europa und sogar für die Tötung russischer Journalisten in der Ukraine.

Im Beitrag von «Pervyj Kanal» beklagt Wimmer, der als «einer der Doyens der deutschen Politik» vorgestellt wird, die «Verteufelung» des russischen Präsidenten. Wimmers ehemaliger Vorgesetzter Helmut Kohl, so erklärt die Stimme aus dem Off, habe seinerzeit den Kanzlerposten verloren, weil er sich der amerikanischen Jugoslawien-Politik entgegenstellte. Danach erklärt der britische «Euroskeptiker» John Laughland, die USA hätten alles getan, um amerikakritische Politiker wie Chirac, Schröder und Berlusconi (sic!) aus der europäischen Politik zu entfernen. Und zum Schluss darf der amerikanische Politologe Andrew Kuchins noch auf die Ineffizienz der wirtschaftlichen Sanktionen gegen Russland hinweisen.

Die Stossrichtung solcher Beiträge ist klar: dem russischen Zuschauer soll vermittelt werden, dass Russlands aussenpolitische Konflikte lediglich das Resultat amerikanischer Intrigen sind. Hinter allen Problemen stecken die USA, während in den europäischen Ländern immer mehr aufrechte Intellektuelle und Politiker zum Schluss kommen, dass Russland auf der richtigen Seite steht. Dafür braucht «Pervyj Kanal» keine Experten zu erfinden: Man wählt seine Korrespondenten in Westeuropa und den USA einfach aus den russlandfreundlichen Kreisen aus, die sich in den vergangenen Monaten regelmässig zu Wort melden. Kein Wort jedoch davon, dass in beinahe allen europäischen Ländern die Regierungen die Sanktionen vorbehaltlos unterstützen, dass fast alle westlichen Osteuropa-Historiker sehr Putin-kritisch eingestellt sind, dass viele der Putin-Unterstützer politische und akademische Aussenseiter sind.

Aber wie sieht es mit der Selektion russischer Experten in deutschsprachigen Medien aus? Bei uns verfügen die Medien über eine erheblich grössere redaktionelle Freiheit als in Russland. Man könnte also erwarten, dass die Meinungsvielfalt unter den hier zitierten russischen Experten grösser ist als umgekehrt. Dies ist aber nur teilweise der Fall: Hierzulande werden zwar keine Expertenfiguren erfunden, aber Putins Verteidiger kommen nur selten zu Wort. Beliebt bei westlichen Medien sind insbesondere Intellektuelle und Oppositionelle. Über deren Rolle und Verankerung in Gesellschaft und Politik erfährt man nur selten etwas.

Mit Regelmässigkeit drucken die deutschen und Schweizer Medien Artikel von und Interviews mit oppositionellen Schriftstellern: Dazu gehören etwa Ljudmila Ulizkaja, Wladimir Sorokin oder der in Zürich lebende Michail Schischkin. Dass in den westlichen Medien auch das andere, liberale und weltoffene Russland zu Wort kommt, ist richtig und wichtig – gerade weil diese mutigen Intellektuellen in den russischen Staatsmedien entweder verschwiegen oder als Volksverräter denunziert werden.

Aber es ist nun mal auch so, dass die liberalen Intellektuellen nur eine kleine Elite innerhalb der Bevölkerung vertreten, die sich zudem fast ausschliesslich auf Moskau, Petersburg und die Emigration beschränkt. Nationalistische Schriftsteller wie Sachar Prilepin, so befremdlich ihre Aussagen für uns liberale Westeuropäer auch klingen mögen, sind letztlich repräsentativer für die russische Gesellschaft. Wer nur Schischkin liest, erhält ein Zerrbild von der russischen Öffentlichkeit.

Eine zweite Gruppe russischer Experten, die in den deutschsprachigen Medien zu Wort kommen, sind Politologen, welche die Pläne des Kremls erklären sollen. Ihr derzeit wohl meistzitierter Vertreter ist Fjodor Lukjanow. Der Politologe und Chefredakteur der Zeitschrift «Russia in Global Affairs» hat sich eine führende Position erarbeitet, wenn es darum geht, Putins Willen zu interpretieren. Er tut das jeweils sachlich und mit viel Verständnis für Russlands Präsidenten, hält sich aber mit eigenen Meinungen zurück. Auch in Russland gilt Lukjanow als wichtige Stimme, die dem Kreml zwar nahesteht, sich aber dennoch eine gewisse Unabhängigkeit bewahrt hat.

Ein weiterer russischer Politologe, der in der deutschsprachigen Presse immer wieder zu Wort kommt, ist Stanislaw Belkowskij. Anders als Lukjanow gilt Belkowskij als Liberaler; er kritisierte die Annektierung der Krim und kündigte sogar an, sich um die ukrainische Staatsbürgerschaft bewerben zu wollen. Belkowskij ist auch Verfasser eines kritischen und offenbar äusserst spekulativen Buchs über Wladimir Putin.

Lukjanows und Belkowskijs Analysen sind nicht uninteressant. Aber selbst wenn man noch die zwei, drei weiteren Politologen zählt, die ab und zu befragt werden, wäre es wünschenswert, in den deutschsprachigen Zeitungen ein breiteres Spektrum russischer Meinungen zu lesen. Kaum zitiert wird beispielsweise der Historiker Alexej Miller, Verfasser eines Standardwerks über die ukrainische Nationalbewegung und zweifellos einer der kompetentesten russischen Kommentatoren zum Thema – aber eben auch jemand, der die amerikanische Politik kritisch betrachtet und gewisse Sympathien für Putin hegt.

Wenn die Putin-freundliche Seite – so fragwürdig viele ihrer Argumente auch sind – gar nicht zu Wort kommt, dann ist dies Wasser auf die Mühlen jener, die sowieso eine antirussische Verschwörung der «Mainstream-Medien» wittern und Propaganda-Organe wie Russia Today und RT Deutsch als vermeintlich verlässlichere Informationsquelle vorziehen. Ein positives Gegenbeispiel ist hier sicherlich das lange «Spiegel»-Interview mit dem einflussreichen russischen Ultranationalisten Alexander Dugin. Darin diskreditiert sich der bärtige Ideologe zwar gleich selber mit seinen teilweise komplett absurden Aussagen, etwa wenn er sagt, Putins Kritiker seien allesamt «psychisch krank». Doch immerhin kann niemand behaupten, Dugins Ideen würden dem deutschen Publikum verschwiegen.

Zusammenfassend lässt sich also sagen: Die Expertenauswahl der deutschsprachigen Medien ist lange nicht so einseitig und manipulativ wie jene der russischen Staatspresse, aber auch hier wäre mehr Ausgewogenheit möglich. Man wird bisweilen den Verdacht nicht los, dass es auch bei uns vor allem darum geht, sich die eigene Perspektive auf den Konflikt von einem Experten bestätigen zu lassen.Was aber auf beiden Seiten auffällt: wie selten Experten aus der Ukraine selbst zu Wort kommen. In der gesamten Behandlung des Ukraine-Konflikts wiederholen sich Denkmuster aus dem Kalten Krieg. Die Ukraine wird von vielen Journalisten als Manövriermasse zwischen den Blöcken betrachtet, der politische Wille der UkrainerInnen wird implizit als irrelevant abgetan. War dieses Denken noch in den Siebzigerjahren gegenüber Polen, der Tschechoslowakei und Ungarn üblich, so wurde im Verlauf der samtenen Revolutionen die volle Unabhängigkeit der zentraleuropäischen Staaten anerkannt, was dann später auch ihren (freiwilligen) EU-Beitritt ermöglichte.

Es wäre wohl an der Zeit, im Ukraine-Konflikt vermehrt auf ukrainische – west- wie ostukrainische! – Schriftstellerinnen, Historiker, Politologinnen zu hören. Denn wie beispielsweise Ulrich Schmids Gespräch mit den Historikern Jaroslaw Hryzak und Georgij Kasjanow oder auch Juri Andruchowytschs Essays zeigen, sind sie oft zu differenzierten Betrachtungen fähig, welche die russisch-westliche Dichotomie überwinden. Der Ukraine-Konflikt hat schliesslich als innenpolitischer Konflikt begonnen und muss, sollten die Kriegshandlungen im Donezker Becken einmal beendet werden, auch als innenpolitischer Konflikt gelöst werden.

Leserbeiträge

kdm 03. Dezember 2014, 13:23

„Hierzulande werden zwar keine Expertenfiguren erfunden“
In Deutschland schon; das Bildblog berichtete öfters über diverse „Experten“, die für alles und jedes Experten sein wollen und die von den Gazetten und den TV-Leuten nur allzu gerne befragt werden … weil sie genau die Antworten bekommen, die sie möchten.

Holperbald 03. Dezember 2014, 19:27

Wenn die Putin-freundliche Seite – so fragwürdig viele ihrer Argumente auch sind – gar nicht zu Wort kommt, dann ist dies Wasser auf die Mühlen jener, die sowieso eine antirussische Verschwörung der «Mainstream-Medien» wittern und Propaganda-Organe wie Russia Today und RT Deutsch als vermeintlich verlässlichere Informationsquelle vorziehen.

Die Passage ist kennzeichnend für den ganzen Artikel.

Putin-Freund – das klingt, wie früher „Juden-Freund“.

Ich will jetzt nicht Godwins Law bemühen; aber einseitiger gehts kaum.

Gleichzeitig werden die Argumente schon von vorneherein als „fragwürdig“ abgekanzelt, aber man solle sich den Quatsch quasi der Guten Form halber anhören, um das demokratische Procedere mitzumachen – freilich, ohne sich – Gott bewahre – Die Argumentation zu eigen zu machen… Sie kleiner Jud,- äääh-Putin-Freund.

Und dann die Implikation hinterhergeschoben: „Mainstream-Medien“ ist eine spinnerte Erfindung von Verschwörungsdeppen.

Also was derart überhebliches… Ich geh mal grad k**en!

oberlehrer 04. Dezember 2014, 11:36

Es gibt keine Mainstream-Medien? Die sind eine Erfindung? Das sollen die Anführungszeichen doch wohl bedeuten. Und systemrelevante Medien gibt es dann sicher auch nicht, obwohl ARD, ZDF, SZ, ZEIT, etc. sich als solche verstehen und entsprechend dieser systemtragenden Funktion Ansprüche auf Staatsgelder anregen. Wenn der Autor sich objektiv geben will, dann sollte er sich nicht einen solchen Faux-pas leisten. 😉

Frage am Rande: Werden solche Schulaufsätze von der medienwoche bezahlt?