«Die Pointe ist wie eine Festung, die man einnehmen muss»
Der Cartoonist zeichnet das Bild, der Leser textet die Zeile: Im letzten Dezember führte der Tages-Anzeiger die sogenannte Schaadzeile ein. Seitdem hat Haus-Karikaturist Felix Schaad elf Zeichnungen gefertigt und der Leserschaft die Möglichkeit geboten, selbst kreativ zu sein. Ein gelungenes Experiment mit Publikumspartizipation?
MEDIENWOCHE: Woher kam Idee zur Schaadzeile?
Felix Schaad: Das war Kulturredaktor Philippe Zweifel. Vorbild ist der «New Yorker», in dem seit Jahren Leser Legenden zu Karikaturen suchen; mittlerweile hat es sich zur Kult-Seite entwickelt. Und Zweifel dachte sich wohl: Das können wir auch.
Und wie fandest du als Zeichner die Idee?
Sehr gut. Mich haben von Anfang an die vielen Möglichkeiten gereizt: Was kann ich machen? Wie muss ich das aufgleisen? Und was kommt dann von den Lesern zurück?
Was einen natürlich interessiert: Hast du beim Zeichnen bereits eine Pointe im Kopf?
Das wollen komischerweise alle wissen. Die Antwort ist: Nein. Das ist Teil der Versuchsanordnung und macht die Arbeit für mich erstaunlich anspruchsvoll. Es ist enorm schwierig, etwas Absurdes zu zeichnen, das den Pointensucher nicht von Vornherein einschränkt oder auf eine naheliegende Fährte führt. Meine Vorlage soll lustvoll sein, wie ein Cartoon, aber dennoch unfertig und soll mit mehreren Angriffsflächen einladen. Zuerst habe ich unterschätzt, wie komplex das ist, habe viele Skizzen gemacht, war unzufrieden.
Für den Leser ist es ja auch nicht ganz einfach.
Tatsächlich nicht. Er muss quasi einen Doppelwitz erzählen, der meine Karikatur erklärt, die Story dahinter erzählt, aber auch noch eine Stufe weitergeht. Viele Leser sagen mir, dass sie die Zeichnungen ja bereits ohne Legende lustig finden. Da noch einen draufsetzen und am Ende muss die Pointe auch noch mehrheitsfähig sein – keine leichte Übung.
Wie gross ist die Resonanz?
Auf die erste Karikatur haben wir gegen 1500 Einsendungen bekommen. Mittlerweile haben sie sich bei 600 bis 800 pro Karikatur eingependelt. Natürlich gibt es einige Doppelungen, Pointen, die fast identisch sind oder vor allem das Bild umschreiben. Aber erfreulicherweise sind praktisch alle Einsendungen brauchbar.
Und wer setzt die Short List zusammen?
Philippe Zweifel macht eine Vorauswahl, ich komme erst danach ins Spiel. Und zuletzt entscheidet ja der Leser: Die 20 Lösungen, die er zur Auswahl hat, sollen eine möglichst schöne Bandbreite abdecken.
Bist du zufrieden mit den Einsendungen? Sind es gebührende Zeilen für deine Zeichnungen?
Durchaus. Am lustigsten finde ich es, wenn die Pointe und meine Karikatur auf den ersten Blick gar nicht miteinander zusammenhängen. Bei der Karikatur mit dem grossen Ei etwa (siehe Bild rechts), schrieb einer: «Vergiss den Handy-Stick nicht».
Wie kann man einen weiteren Haken schlagen?
Nehmen wir als Beispiel die Karikatur, in der sich ein Hündeler und ein Taucher begegnen (siehe rechts). Nun kann man sich fragen: Wer ist falsch? Ist der Hündeler im Wasser oder der Taucher auf dem Trockenen? Oder man fragt sich: Sind beide falsch? Oder eben man geht noch weiter und fragt: Spielt es überhaupt eine Rolle, dass möglicherweise einer von beiden falsch ist?
Auch ich habe mich auch schon an einer Pointe versucht, musste aber kläglich aufgeben.
Die meisten, die auf eine Lösung kommen, reagieren vermutlich schnell und assoziativ. Sie sehen das Bild und haben einen Einfall dazu. Und weil viele mitmachen, ergibt das einige Treffer. Je länger man aber über einer Pointe hirnt, desto höher schraubt man die Ansprüche und desto zögerlicher kommt die Lösung. Wenn der geniale Einfall einfach nicht kommen will, knorzt man ewig daran herum.
Das ist bei deiner täglichen Arbeit als Karikaturist ja sicher ähnlich.
Klar. Es ist ein Hauptproblem des kreativen Prozesses. Man darf deswegen die Ziele nicht immer noch höher stecken. Wenn ich eine Karikatur zeichne, ist mein Primärziel darum eine schlüssige Lösung. Eine Pointe, die jeder versteht, die funktioniert. Vielleicht ist sie erst halb-lustig, aber immerhin solide. Das ist mein Ankerpunkt: Jetzt habe ich schon mal was. Nun kann ich gesichert und frei weiterdenken.
Die Schaadzeile ist insofern auch eine Demonstration: Sie zeigt, wie schwierig dein Job ist.
So vergleichbar ist das nicht. Bei mir läuft alles miteinander, ich suche nicht getrennt nach einem Motiv und nach Text. Die Arbeit, die der Leser bei der Schaadzeile erledigen muss, kenne ich so gar nicht.
Gibt es Tricks für eine kreative Zeile?
Verlassen Sie den sicheren Pfad, schaffen Sie eine neue Realität! Wenn gar nichts geht, einem nichts mehr einfällt, hilft Kaffee trinken. Im kreativen Prozess sind Pausen enorm wichtig. Die Sache ruhen lassen, mit anderen quatschen. Das bringt etwas Abstand. Manchmal muss man sich dann auch eingestehen «so geht’s nicht», das Schiff verlassen und von einer anderen Seite kommen. Die Pointe ist manchmal wie eine Festung: Du musst die Schwachstelle finden und durch irgendeine Ritze – zum Beispiel ein Wort – reinkommen.
Deckt sich dein Verständnis einer Pointe mit demjenigen der Redaktion?
Ich biete der Redaktion meistens mehrere Varianten an. Womöglich ist eine brillante Lösung dabei, die eloquent ist oder den Sachverhalt optimal auf den Punkt bringt. Habe ich aber auch noch eine Lösung in petto, die einfach nur lustig ist, wird garantiert diese gedruckt.
Bist du konstant lustig?
Nein. Auch bei mir kommt es häufig vor, dass ich in meinen Augen nur mediokre Vorschläge habe. Diese Selbstzweifel gehören dazu. Dann bin ich froh, wenn das andere nicht so sehen. Oder setze mich abermals daran und denke mir eine neue Variante aus. Es ist wie beim Hochsprung: Manchmal kommst du drüber, manchmal nicht.
Zeitungskarikaturen sind oftmals höchst politisch. Ist die Schaadzeile absichtlich unpolitisch?
Unpolitisch ist sie ja nicht. Ich habe etwa eine Karikatur mit den SVP-Schäfchen gemacht, das schwarze im Bett mit dem weissen. Ich möchte eine politische Assoziation keinesfalls ausschliessen. Aber die Leser sollen auch mit etwas arbeiten können, das sie kennen.
Felix Schaad (55) ist Karikaturist und Comic-Zeichner. Seit 1999 ist er beim Tagi angestellt und kreiert sechs Sujets pro Woche sowie den täglichen Eva-Comic-Strip auf der Bellevue-Seite. Er wohnt mit Frau und zwei Töchtern in Winterthur.