«Verlage haben in zehn Jahren keine Zukunft mehr»
Die MEDIENWOCHE präsentiert in monatlicher Folge den Podcast «Journalismus Y». Zur Premiere sprachen Angelo Zehr und Luca Ghiselli mit Hansi Voigt. Der Gründer und ehemalige Geschäftsführer und Chefredaktor von Watson äussert sich zu den fundamentalen Verwerfungen in der Medienwelt, «Project R», das er ideell stark unterstützt und seiner Vergangenheit bei Watson.
Wer sich das Gespräch in voller Länge anhören möchte, findet hier die ungeschnittene Rohfassung. Nachfolgend die Kernaussagen aus dem Gespräch mit Hansi Voigt:
Medienwoche: Hansi, sag, bei Project R – inwiefern bist du da mit von der Partie?
Hansi Voigt: Gar nicht. Nur im Geiste. Das ist Constantin Seibts und Christof Mosers Projekt. Ich geh davon aus, dass ein Crowdfunding stattfinden wird und unglaublich viel Rückenwind und Geld zusammen kommt. Das könnte eine Initialzündung sein für die ganze Branche. Ich habe mit den beiden geredet, aber ich selbst arbeite an etwas anderem.
Aha?
Aber ich verstehe die beiden gut. Was will man in einem Konzern, der sechs Millionen an den CEO und 27 Millionen an die Familie bezahlt und gleichzeitig die Redaktionskosten um zwölf Prozent kürzt. Da fragt man sich: Bin ich noch in einem zukunftsgerichteten Bereich unterwegs, oder geht hier bald das Licht aus?
Du schreibst in deiner Twitter-Bio «Im Herzen immer noch bei Watson» – vermisst du es?
Natürlich, ich vermisse die Leute sehr. Aber man muss verstehen, zuvor war ich bei 20 Minuten online. Wir waren ökonomisch sehr erfolgreich, doch dann sagte man mir irgendwann, unser Portal sei «zu hoch und zu anspruchsvoll positioniert». Der Tages-Anzeiger könne seine Paywall nicht durchsetzen. Aber ich kann doch nicht meinen Leuten sagen: «Schreibt dümmeres Zeug». Daraufhin gründete ich Watson.
Wieso wolltest du dort eigentlich unbedingt Geschäftsführer und Chefredaktor in Personalunion sein?
Ach, da gibt es viele Gründe. Ein grosses Problem im Medienbereich ist letztendlich die Trägheit im ökonomischen Denken vieler Journalistenkollegen. Etwas überspitzt formuliert: «Lasst mich in Frieden, ich schreib hier einen Artikel und möchte nicht gestört werden.» Journalisten haben unglaublich lange am Publikum vorbei geschrieben und plötzlich konnte man das messen. Ich sage nicht, man muss nur billigen Trash schreiben, der ankommt, aber das Problem ist: Wenn der Wandel ansteht muss die Bereitschaft von Innen kommen. Es sind nie die Buchhalter oder Manager, die die nötige Innovation und Kreativität besitzen. Es sind die Inhaltsleute – die Journalisten oder die Ingenieure. Ein Beispiel: Wir haben uns bei Watson auf Native Advertisement eingelassen und ich glaube, wir haben ein gutes System dafür gefunden. Aber es ist ein wahnsinnig schmaler Grat zwischen Glaubwürdigkeit und völligem Absturz. Und ich bin überzeugt, dass nur die Inhaltsleute diesen Balanceakt beherrschen. Manager haben einen zu grossen Druck aus den Sales-Abteilung und das endet dann in irgendwelchen Publireportagen, die niemand liest.
Wieso wollte sich Watson immer aus Werbung allein finanzieren?
Ich wäre der Idee gar nicht so abgeneigt gewesen, dass User einzelne Inhalte bezahlen können. Du kannst aber kein Fundraising betreiben, wenn du gleichzeitig zu 90 Prozent einem Multimillionär gehörst. Und die Werbung bringt eben schon Geld – Watson erreicht demnächst den Break-Even.
Was ist eigentlich die Währung, wenn’s um Online-Werbung geht?
TKP. 1000 Klicks sind 40.- Fr. Und das ist eine doofe Währung! Denn ein Klick auf ein Slide in einer Diashow hat in dieser Logik gleich viel Wert wie ein Artikel von Philipp Löpfe, der zwei Tage lang ein Buch gelesen und einen Tag lang darüber geschrieben hat. Man wird total für Trash belohnt. Wir haben uns darauf aber eingelassen. Mit dem Ziel, durch den Trash die Löpfes zu quersubventionieren. Ich glaube die nächste grosse Geschichte wird die «Apple Pay» Geschichte sein, also Micropayments. Konkret: Für jeden Inhalt, den ich auf dem Smartphone sehe, kann ich ganz einfach ein paar Rappen oder einen Franken bezahlen. Freiwillig, ohne Aufwand. Wir haben da eh unsere Kreditkarte hinterlegt und wenn’s mit einer einzigen Tippbewegung geht, ist es auch einfach und schnell genug, um zu funktionieren.
Das funktioniert vielleicht für Constantin Seibt, aber was ist mit einem Pro-Contra-Artikel zum neuen St.Galler Marktplatz?
Das ist ein Problem, einverstanden. Meinungsstücke werden bevorzugt. Aber das andere ist: Die Produktionskosten sind heute so tief wie noch nie. Ich glaube auch, dass es neue Werkzeuge braucht. Zum Beispiel Labels, zu denen sich Journalisten zusammenschliessen können. Man nimmt zum Beispiel 20 Journalisten und bezahlt ihnen 100’000. Fr. im Jahr. Das Startkapital kommt von einer Stiftung oder so. Alles was man über das Micropayment-System einnimmt, wird gleichmässig an alle verteilt.
Diese Revolution von den Kleinen, von Unten – was passiert da mit den Verlagshäusern, wenn die guten Leute gehen?
Verlage haben in 10 Jahren keine Zukunft mehr. Wie Taxi-Zentralen, weil Uber sie ablösen wird. Gut, ich möchte das nicht so pauschal für alle sagen. Aber da war dieser Politico-Artikel, der über eine Studie schreibt, die besagt, man hätte vielleicht nicht Print-Content gratis ins Internet stellen sollen. Es war vom ersten Tag an ein gigantischer Fehler! Ich hätte mir nie meine Print-Marken-Exklusivität verbaut, indem ich den Scheiss gratis wegschmeisse. Das Problem ist, dass Online-Marken nicht gleich funktionieren wie Print-Marken. Das ist ein komplett anderes Geschäft.
Aber du warst doch bei 20 Minuten, dem Inbegriff der Gratiskultur und dann bei Watson – ebenfalls gratis.
Ja, aber ich habe nie bezahlten Inhalt gratis zur Verfügung gestellt. 20 Minuten online hatte bis 2013 nichts mit Print zu tun. Wir haben uns komplett selbst finanziert. Wenn du einfach Print-Geschichten online stellst – wie der Tagesanzeiger – dann vermurkst du dir das eigene Zukunftsgeschäft, weil die Exklusivität flöten geht. Etwas idiotischeres gibt es nicht. Und heute kommt: «Vielleicht haben wir einen Fehler gemacht.» So Sachen machen mich sprachlos. Keiner hat es geschafft, zu abstrahieren und zu sagen: «Wir bauen eine neue Marke auf. Online gibt’s andere Regeln. Wir brauchen die Freiheit einer neuen Marke.»
Wie war das eigentlich mit deinem eigenen Projekt. Das klang schon recht konkret. Um was geht es da?
Ich möchte gerne den Inhaltsleuten die Tools zur Verfügung stellen, die es ihnen ermöglichen, zu einer Marke zu werden, zu publizieren und damit auch ganz direkt Geld zu verdienen. Labels können die Leute dann selber gründen. Vielleicht würde ich auch eines gründen, um zu zeigen: «Schaut, so funktioniert’s.»
Und da geht man dann hin? Von sich aus? Oder braucht man dafür dann die sozialen Medien?
Ja schon, aber was halt schwierig ist bei Facebook: Man versucht da ein geschlossenes System, ein Silo, zu errichten, woraus es kein Entkommen gibt. Facebook und Co. versuchen den Link zu killen, den Urgedanken des Internets. Es werden immer weniger Seiten direkt angesteuert. Man sollte den Link wiederbeleben. Zum Beispiel in einer Zusammenstellung: «Das wird heute diskutiert und das sind die drei Leute, die darüber etwas geschrieben haben.» Es wird wichtig sein, soziale Medien zu nutzen.
Das Gespräch wurde am 20. Oktober im Zentrum Karl der Grosse in Zürich aufgezeichnet.