Journalismus als Antwort auf Propaganda?
Mit einem massiven Ausbau ihrer Auslandaktivitäten strebt die britische BBC nach verstärkter globaler Soft power. Für den Konfliktforscher und langjährigen MI6-Topkader Nigel Inkster zeichnet es die BBC gerade aus, dass sie die Regierung regelmässig verärgert. Mit dieser Unabhängigkeit könne sie auch international punkten. Journalismusforscher Abdullahi Abubakar sieht den Ruf der BBC hingegen ramponiert, insbesondere in der islamischen Welt.
So knausrig die britische Regierung bei der Finanzierung des heimischen Programms der öffentlich-rechtlichen BBC ist, so grosszügig gibt sie sich, wenn es um Investitionen in den Auslandsrundfunk derselben BBC geht. Ende 2015 versprach sie dem World Service jedes Jahr zusätzliche 85 Millionen Pfund, um seine Programme rund um den Globus auszubauen. Ein Jahr später, im November 2016, gab der Sender bekannt, wie er das Geld einsetzen wird: Die BBC wird in Zukunft in 40 Sprachen senden; das sind zwölf neue Angebote. Es ist die grösste Expansion des World Service seit den 1940er-Jahren, und sie soll es der BBC ermöglichen, bis 2020 ein weltweites Publikum von einer halben Milliarde Menschen zu erreichen.
Die neuen Programme richten sich an Sprachgruppen in Westafrika (Yoruba, Igbo und westafrikanisches Pidgin), Ostafrika (Afaan Oromoo, Amharisch und Tigrinya), Indien (Gujarati, Marathi, Telugu und Panjabi) und Korea (Koreanisch). Im bestehenden Angebot wird BBC Arabic zusätzliche Regionalprogramme senden und die Nachrichtenbulletins auf Russisch sollen länger werden.
Die Expansion des Auslandsrundfunks steht in engem Zusammenhang mit der Destabilisierung in vielen Weltregionen, die in den vergangenen Jahren zu beobachten war. Laut Abdullahi Abubakar, Lektor am Department for Journalism der City University in London, war vor allem der Aufstieg des Islamischen Staats für die britische Regierung ein Schock, der eine Antwort erforderte. Abubakar sagt der MEDIENWOCHE: «Nach den Anschlägen von Paris sah sich die Regierung gezwungen, die Finanzierung der BBC zu überdenken.» Kurz darauf gab sie die Geldspritze für den World Service bekannt.
Die strategische Bedeutung des Auslandsrundfunks steht für die britische Regierung ausser Frage: Im Defence and Security Review, der im November 2015 veröffentliche wurde, zehn Tage nach den Terroranschlägen in Paris, wird der BBC World Service explizit als ein Instrument der soft power genannt, das die «Werte und Interessen» Grossbritanniens auf der Welt fördern soll. Fran Unsworth, Vorsitzende des World Service, meinte gegenüber der Financial Times: «Wenn sich soft power auf die Art und Weise bezieht, in der westliche Werte, Fairness, Rechtstaatlichkeit artikuliert werden, dann ist der World Service ein Ausdruck dieser Werte.» Allerdings betont sie die Unabhängigkeit des Rundfunks vom britischen Aussenministerium: «Wir sind nicht dazu da, die Ziele der britischen Aussenpolitik zu unterstützen.»
Tatsächlich ist die Ausübung der «weichen Macht» sehr subtil, sagt Abubakar. Er selbst arbeitete mehrere Jahre lang beim World Service in Nigeria und ist mit der Arbeitsweise des Auslandssenders bestens vertraut. «Es ist keine offene Propaganda. Vielmehr lässt die BBC Grossbritannien in einem guten Licht erscheinen, weil sie als eine unabhängige und unparteiische Nachrichtenquelle gilt.» Wenn die Medien nicht offensichtlich zu Propagandazwecken benutzt werden, könne diese Funktion weit effektiver ausgeübt werden – andernfalls werden sie vom Publikum durchschaut. In Nigeria etwa, wo Abubakar Feldforschung betrieben hat, geniesst die BBC den Ruf als vertrauenswürdigste Nachrichtenorganisation der Welt. «Die Fähigkeit der BBC als ein Instrument der soft power beruht also auf der Wahrnehmung [der Unabhängigkeit] seitens des internationalen Publikums.»
Darin unterscheide sich der World Service auch von anderen staatlichen oder öffentlich-rechtlichen Fernsehsendern wie RT (Russland), China Central Television (CCTV, China), Press TV (Iran) oder auch Voice of America (USA). Laut Abubakar werden diese Sender als viel offener propagandistisch empfunden, wenn es um die Aussenpolitik ihrer jeweiligen Staaten geht – RT beispielsweise wird von vielen Medien schlicht als «Putins Sender» herabgetan.
Ein kritischer Blick auf die Berichterstattung der BBC offenbart jedoch ein komplexeres Bild. In Krisensituationen schlägt sich die Organisation sich immer wieder auf die Seite der Regierung und misst deren Interpretation der Ereignisse erhebliches Gewicht bei. Im Vorfeld und während des zweiten Irakkriegs etwa räumte das öffentlich-rechtliche Fernsehen der Regierung jede Menge Platz und Prominenz ein, während die Stimmen der Kriegsgegner viel weniger zur Sprache kamen. Laut einer Studie der Cardiff University stützte sich die BBC viel stärker auf Quellen aus dem britischen Militärestablishment als ITV, Channel 4 und Sky. Greg Dyke, von 2000 bis 2003 Generaldirektor der BBC, schreibt in seinen Memoiren, dass er sich damals unermüdlich dafür einsetzte, die Position der Regierung fair wiederzugeben. Angestellten der Organisation war es sogar verboten, sich an Anti-Kriegs-Demos zu beteiligen. Tom Mills, Autor einer Doktorarbeit und eines Buches über die BBC, sieht darin keine Abweichung von der üblichen Unabhängigkeit der «Beeb», sondern die traditionelle Unterwürfigkeit gegenüber dem Establishment, die die BBC seit ihren Anfängen in den 1920er-Jahren an den Tag legt. Die Geschichte der Organisation sei eine der «Konformität gegenüber der Agenda der Elite». Diese Konformität sei im ersten Irakkrieg genauso zu beobachten gewesen wie während des Falkland-Kriegs 1982 oder in der Suezkrise von 1956.
Abubakar räumt ein, dass die Reputation der BBC in den vergangenen Jahren gelitten habe, gerade in der muslimischen Welt: Die Tatsache, dass sich Grossbritannien an den Interventionen in Afghanistan und im Irak beteiligte, hat sich auch auf die Wahrnehmung der BBC ausgewirkt: «In vielen muslimischen Ländern gilt sie seither als viel propagandistischer als zuvor. Es hat ihren Ruf geschädigt.»
Nigel Inkster hingegen, Experte beim regierungsnahen Think-Tank International Institute for Strategic Studies (IISS), hält die Charakterisierung der BBC als ein devoter Agent des britischen Aussenministeriums für völlig übertrieben. Er stützt sich dabei auch auf seine eigene Erfahrung: Bis 2006 war er beim Secret Intelligence Service angestellt, besser bekannt unter dem Namen MI6, wo er zuletzt als Assistant Chief and Director of Operations and Intelligence arbeitete. Gegenüber der MEDIENWOCHE sagt er: «Jeder, der denkt, dass die BBC ein unterwürfiger Vertreter der britischen Aussenpolitik ist, sollte sich einmal anschauen, wie britische Politiker auf die Berichterstattung des Senders reagieren: Sie fühlen sich oft als die Opfer dieser Berichterstattung.» Das zeige zumindest, dass die Organisation bestrebt ist, in ihren Bulletins eine gewisse Balance zu finden. «Die BBC versucht, auch die andere Seite zu beleuchten, und sie berichten oft auf eine Weise, die der britischen Regierung nicht besonders gefällig ist. In meiner Zeit als Regierungsvertreter habe ich angesichts der BBC-Berichterstattung zuweilen regelrechte Wutanfälle erlitten», sagt Inkster.
Konkrete Beispiele will er nicht nennen, aber er sagt vage, dass gewisse Berichte über die Snowden-Leaks, den Afghanistan-Krieg oder den Kampf gegen Al-Qaida die Realität nicht angemessen wiedergegeben hätten. «Demgegenüber glaube ich nicht, dass Präsident Putin angesichts der RT-Berichterstattung Wutanfälle bekommt.»
Dennoch hat Inkster das Gefühl, dass ein Auslandsrundfunk wie die BBC der britischen Diplomatie insgesamt hilft. «Für Grossbritannien muss es kein Nachteil sein, wenn die BBC Geschichten verbreitet, die auf den ersten Blick die Position der Regierung zu unterminieren scheinen. Vielmehr zeigt das gerade, dass Grossbritannien über genügend Selbstbewusstsein verfügt und sich damit abfindet, dass die Medien in ihrer Berichterstattung unparteiisch sind.»
Wie sich der jüngste Ausbau des BBC World Service auswirken wird, ist kaum abzuschätzen. «Diese Dinge sind notorisch schwer zu messen», meint Inkster. «Auf lange Frist werden extremistische Ideologien in Westafrika entweder mehr oder weniger Verbreitung finden, und möglicherweise wird der World Service hier eine Rolle spielen. Aber es wird auch andere Faktoren geben, und hier klar zu unterscheiden, ist fast unmöglich.» Dazu kommt, dass die Medienlandschaft in den vergangenen Jahren viel komplexer geworden ist: Das Aufkommen von zahlreichen Online-Newsplattformen und sozialen Medien, über die Nachrichten verbreitet und konsumiert werden, hat es für traditionelle Medien schwieriger gemacht, ihrer Stimme Geltung zu verschaffen – besonders wenn einige Medien gezielt Desinformation verbreiten. Journalismusforscher Abdullahi Abubakar betont aber auch, dass das Radio in vielen ländlichen Regionen in ärmeren Ländern weiterhin eine grössere Bedeutung spielt als das Internet – und hier werden die neuen Kurzwellen-Nachrichten der BBC einen Unterschied machen können.
Die soft power der Medien wird in Zukunft an Bedeutung gewinnen, nicht zuletzt wegen der sich verändernden internationalen Machtkonstellation. Während die Zeit des Kalten Kriegs vom Gegensatz zwischen Kommunismus und Kapitalismus geprägt war, gestaltet sich das ideologische Terrain heute weit komplizierter. «Wir sehen eine Reihe von aufstrebenden Mächten, die sich für ein anderes internationales System einsetzen, und zwar eines, in dem sie und ihre Ansichten besser repräsentiert sind», sagt Inkster – etwa in Bezug auf die Zusammensetzung Uno-Sicherheitsrats, der heute noch immer dominiert ist von den Gewinnermächten des Zweiten Weltkriegs. Der ideologische Machtkampf wird in zunehmendem Mass über die Informationsvermittlung ausgetragen – China beispielsweise hat in den vergangenen Jahren viel Geld in den Ausbau ihres staatlichen Rundfunks CCTV investiert. «In den Industriestaaten waren sie nicht besonders erfolgreich, aber in Entwicklungsländern – etwa im subsaharischen Afrika oder in Ostasien – erhält die Stimme Chinas mehr Aufmerksamkeit», sagt Inkster. Dazu investieren chinesische Unternehmen in die Filmindustrie in Hollywood – auch dies eine subtile Form der Einflussnahme.
Laut Inkster leben wir zunehmend in einer Welt, in der sich die mächtigeren Staaten in einem konstanten Wettstreit befinden, der auf verschiedenen Ebenen ausgetragen wird. «Die Ausübung der soft power ist ein zentrales Instrument, um das Schlachtfeld zu beeinflussen.» Das bedeute unter anderem, dass Staaten versuchen, «ihren Informationsraum zu schützen», sodass ihre eigene Bevölkerung keinen Zugriff auf rivalisierende Narrative hat, die die staatliche Darstellung der Ereignisse unterminieren könnte. Eine solche Einflussnahme ist laut Inkster in Staaten wie Russland ausgeprägter als in Grossbritannien.
Die Ausübung weicher Macht stellt also einen Endpunkt auf einem Spektrum von Aktivitäten dar, das von ideologischem Kampf bis zu kriegerischen Handlungen reicht. «Ob sich dies in der Praxis als eine bessere Alternative zu tatsächlichen Konflikten herausstellt, werden wir noch lange nicht wissen», meint Inkster.