Aus dem Journalismus ausgestiegen. Protokoll einer Entliebung
Vor vier Jahren sinnierte Joel Weibel an dieser Stelle, ob er dem Journalismus den Rücken kehren solle («Aussteigen oder bleiben?»). Er entschied sich fürs Bleiben. Vorerst. Nachdem er schliesslich doch ausgestiegen war, bereute er den Entscheid nicht einen Moment lang. Protokoll einer Entliebung.
Das Kurz-Assessment bei einer Firma im Bereich des öffentlichen Verkehrs war schon vorbei, wir waren am zweiten Teil des Gesprächs und ich spürte körperlich: Nein, das will ich nicht. Ich will nicht Sprecher dieser Firma werden, bei der ich gerade im Vorstellungsgespräch sass. Ich will Journalist bleiben. So dachte ich im Sommer 2013. Es folgten Anstellungen bei den Schweiz-Seiten der «Zeit» und dem Sonntagsblick. Doch danach wusste ich: Das war’s.
Dieses innere Feuer, die Begeisterung für den Journalismus, dieser Phantomschmerz schon nur beim Gedanken an einen anderen Job – alles weg. Es fühlte sich an wie nach einer langen Wanderung, wenn man den schweren Rucksack von den Schultern hievt. Plötzlich fühlte ich mich leicht, spürte neue Energie, vergass wie erschöpft ich gerade noch war. Die Loslösung vom Journalismus war eine Befreiung für mich. Denn als überzeugter, ja gläubiger Journalist habe ich nicht wahrgenommen, nicht wahrnehmen können, was mir im Sommer 2015 plötzlich klar war: Ich hatte mir mit meiner geistigen und körperlichen Hingabe an einen Beruf selbst ein Gefängnis gebaut; das Spektrum der Möglichkeiten auf eine einzige reduziert. Und das in der Multioptionsgesellschaft. So hingeschrieben wirkt es wie katholische Selbstkasteiung. Und tatsächlich befreit man sich ein wenig von einer eingeschworenen Truppe, wenn nicht von einer Religionsgemeinschaft, wenn man plötzlich sagt: Ich bin nicht mehr Journalist.
Dass Insider ihren Job quasi religiös verstehen, zeigt der derzeitige Hype um die «Republik». Dieses Heilsversprechen. Es ist kein Wunder, ist Christof Moser einer der treibenden Kräfte. Schon in der «Schweiz am Sonntag» (selig) schrieb er einst über Seitenwechsler wie mich: «Manche von ihnen mag ich persönlich, aber beruflich halte ich sie für das, was sie sind: Verräter.» Ein starkes, ein biblisches Wort. Verräter!
Dabei sind es nicht die ehemaligen Journalisten, die Seitenwechsler, die den Journalismus verraten. Es sind die Journalisten selber und genauso die Verlage, die sich selbst verraten. Aber vor allem sind es die Journalisten, welche die ökonomische Logik ihrer Herren längst verinnerlicht haben und deswegen darauf verzichten, Journalismus zu machen. Dieser Nicht-Journalismus macht heute den grössten Teil der Publizistik aus. Die «Sonntagszeitung» ist über weite Strecken so langweilig wie einst die Sonntagspredigt von Pfarrer Sorgenfrei, der mich konfirmiert hatte. Auch mein Leibblatt, «Der Bund», hat enorm abgegeben. Die Redaktion und das Blatt sind ausgedünnt. Eine Zeit lang quollen die Spalten schier über vor Kolumnen. Das ist immerhin korrigiert. Hier hat Sparen auch sein Gutes.
Die Online-Medien übertreffen sich täglich mit ihren Nicht-Geschichten. Und mit ihrem Nicht-Journalismus. Sätze wie «bis zum jetzigen Zeitpunkt hat XY noch keine Stellung bezogen» sind mittlerweile Standard. Früher wartete man mit der Publikation eines schweren Vorwurfs, wenn man nicht innerhalb von zwei Stunden eine Antwort bekam. Heute schreibt man einen Disclaimer, um sich juristisch abzusichern. Solchen Quatsch möchte ich nicht mitverantworten. Ich würde mich schämen, langweilen und wäre intellektuell unterfordert. Da bin ich lieber ein «Verräter». Ich weiss nicht, wie man sich als Verräter fühlen müsste, aber eine gewisse Beklemmung, ein Sich-selbst-Hinterfragen, ob man wirklich richtig entschieden hat, das müsste doch wenigstens im Ansatz vorhanden sein. Doch davon spüre ich nichts. Auch kein Triumphgefühl. Es ist mehr das Gefühl, mir selbst einen Gefallen getan zu haben.
Aber woher kommt das? Wie konnte ich mich erst in den Beruf Journalismus verlieben und mich dann wieder so konsequent von ihm entlieben?
Meine Liebe zum Journalismus begann im Sommer 2008 auf der Redaktion des «Bund» in Bern. Die Redaktion warf mich ins kalte Wasser. «Geh dorthin und schreib dann einen Bericht darüber», hiess es schon schnell mal. Ich liebte es, einen Job zu haben, bei dem ich die meiste Zeit unbeobachtet von einem Chef etwas recherchieren, einer Frage nachgehen oder einfach nur einen Event besuchen konnte. Dazu gehörte das Zeitung lesen zum Beruf, was eines meiner liebsten Hobbys ist. Am nächsten Tag stand der eigene Name in der Zeitung. Ein gewisser Stolz stellte sich da unweigerlich ein.
Auch das Redaktionsleben mochte ich sehr bald. Der kleine Praktikant durfte an der Sitzung seine Meinung sagen. Auf einer Redaktion zu arbeiten, hatte für mich immer etwas vom Maibummel mit der Schule, so richtig Arbeit war das nicht. Es machte ja Spass. Einen besseren Job konnte ich mir zum damaligen Zeitpunkt nicht vorstellen. Ich kniete mich rein, leistete viele Wochenende-Einsätze, versuchte mich im Kolumnen-Schreiben, verfasste Reportagen, Berichte und Hintergrundstücke. Die Redaktion half mir stets, mich zu verbessern, traute mir etwas zu und gab mir mehr Aufträge. Ich war glücklich.
Bald unterstützte ich den Biel-Korrespondenten des «Bund» und schrieb viel über die zweitgrösste Stadt im Kanton. Das weckte die Aufmerksamkeit von Catherine Duttweiler, damals Chefredaktorin des Bieler Tagblatts. Sie rief mich an, und im Juni 2009 begann ich als redaktioneller Mitarbeiter, später wurde ich Redaktor.
Ich erinnere mich noch genau, in welche Zeit der Wechsel fiel: Tamedia entliess massenweise Redaktionspersonal bei seinen Zeitungen, man sprach vom Mai-Massaker. Etliche Kolleginnen verloren ihren Job auf der Redaktion beim «Bund». Bald darauf verliessen auch Redaktoren die Zeitung, die nicht gefeuert worden waren. Es herrschte schlechte Stimmung, aber ich war glücklich, schliesslich hatte ich einen neuen Job. Als ich an der Redaktionssitzung meinen Wechsel nach Biel bekannt gab, kam eine Journalistin auf mich zu und gratulierte mir: «Das freut mich, dass wenigstens einer gute Nachrichten hat, in dieser Zeit». Ungefähr so hat sie es gesagt, obwohl es ihr selbst mies ging. Das war gross.
Doch bald schon machte ich auch andere Erfahrungen. Beim Bieler Tagblatt fand ein schleichender Abbau statt, gute Kolleginnen und Kollegen wechselten zur Kantonsverwaltung, nach Berlin oder sonst wohin. Die anfängliche Stimmung einer verschworenen Jungjournalisten-Truppe im Angriffsmodus wich den Tuscheleien, Mauscheleien und der Missgunst bis hin zum offenen Streit. Und das Blatt wurde immer schlechter dabei.
Mein eigener Abgang war ein regelrechter Rausschmiss. Ich hatte den neuen Chefredaktor in einem Mail heftig, aber nicht unflätig, kritisiert. Das war am 24. Dezember 2012 – Heiligabend. Der Chefredaktor schickte mir die fristlose Kündigung per Mail. Erst später fiel ihm ein, dass das so wohl nicht geht. Darum wurde ich im Januar regulär entlassen, kriegte insgesamt fünf Monatslöhne, weil ich in der Kündigungsfrist noch Zivilschutz leisten musste.
Dieses Vorgehen meines Chefs war die Bestätigung meines Eindruckes, dass er für den Job ungeeignet war, was ich ihm damals vorgeworfen hatte. Ich erinnere mich noch gut an seine Kolumne, die er «Chefsache» nannte. Sie war mir peinlich. Jedes einzelne Wort. Die Kolumne war als wöchentlicher Kommentar gedacht. Aber dem Text fehlte eine Meinung. Manchmal war nicht einmal erkennbar, wovon der Kommentar handelte. Lokalpolitiker sprachen mich darauf an und fragten entsetzt, was mit der Zeitung los sei. Es war ein Graus. Ich habe mich geschämt, für diese Zeitung zu arbeiten.
Es war sicher arrogant, als junger Schnösel einem Ü-50er so zu kommen. Aber ich war zutiefst überzeugt, dass ich richtig lag. Entsprechend stolz war ich auf meinen Rausschmiss. Für mich war es der Beweis meiner Kompromisslosigkeit. Es war, das sehe ich nun im Nachhinein, der Höhepunkt meiner journalistischen Laufbahn. Danach ging es nur noch bergab.
Bei den Schweiz-Seiten der «Zeit» hatte ich von Mai 2014 bis Mai 2015 einen Einjahresvertrag. 5500 Franken brutto, zwölf Monatslöhne. Beim Bieler Tagblatt habe ich seinerzeit 6500 mal dreizehn verdient, die Arbeitgeberbeiträge für die Pensionskasse nicht einberechnet. Es war ein mieser Lohn bei der «Zeit». Aber hey: DIE fucking ZEIT! Geiler gehts nicht!
Eine Illusion, ein Luftschloss. «Die Zeit» ist eine Wohlfühloase für urbane links-grüne Intellektuelle. Ich habe längst aufgehört, sie zu lesen. Spätestens als ich erfuhr, dass die meisten in der Chefredaktion stramme Katholiken sind, begann ich meinen Arbeitgeber zu hinterfragen. Dennoch klammerte ich mich an den Job und weinte, als mir Redaktionsleiter Matthias Daum nach knapp einem Jahr eröffnete, dass er meinen Vertrag nicht verlängern werde.
Gescheitert bin ich bei der «Zeit» an mir selber. Ich hätte, um die Anforderungen zu erfüllen, sieben Tage die Woche an den Job denken müssen. An den Werktagen hätte es wohl 12-Stunden-Schichten gebraucht. Matthias Daum ist ein Workaholic, das war mir schnell klar und er verlangt das auch von seinen Angestellten. Nur war ich dazu nicht bereit. Es gibt auch ein Leben ausserhalb des Journalismus.
Das ist es, was Christof Moser, Matthias Daum und viele andere im Journalismus nicht begreifen wollen: Auch wenn es sexy sein mag, dass der eigene Name Tag für Tag oder Woche für Woche in der Zeitung steht – davon kann man sich nichts kaufen. Journalismus gehört anständig entlöhnt, die Arbeitszeiten sollten vernünftig sein, Sondereinsätze kompensiert werden können. Denn Journalisten auf dem Zahnfleisch sind nicht bessere Journalisten. Aber auf jeden Fall unglücklichere. Und – man wagt es kaum zu schreiben – es gibt noch tausend andere Jobs ausserhalb des Journalismus. Nur Journalisten denken, sie seien die Grössten und hätten den besten Job der Welt und wer das nicht glaube, sei ein Verräter.
Wer die gegenwärtige Schwäche des Journalismus den bösen Verrätern anhängt, macht es sich zu einfach. Dabei sind die Probleme auch hausgemacht. Zudem fehlt es an Mut. So erinnere ich mich, wie mich einmal ein vorgesetztes Redaktionsmitglied bei einer Detailhandels-Geschichte fragte: «Geht es um Coop oder Migros?» Ich war irritiert, konnte aber verneinen. Antwort: «Ah, dann ist gut.» Merke: gegen die zwei grössten im Detailhandel sollte man nicht zu viel recherchieren. Das ist abhängiger Journalismus.
Die Erfahrungen bei meiner letzten Station als Reporter beim Sonntagsblick, konnten mein bis dahin gewonnenes Bild vom Journalismus auch nicht mehr korrigieren. Nur eine weitere Episode, die zu meiner «Entjournalisierung» beitrug: Ich hatte einen Text zur Durchsetzungsinitiative recherchiert und dafür mit Praktikern gesprochen. Das Fazit war simpel: Egal, wie viele Durchsetzungsinitiativen die SVP macht, die Ausschaffungen scheitern an der Praxis, nicht am Gesetz in der Schweiz. Ich hatte im Artikel also gezeigt, dass die SVP-Initiative an der Realität zerschellen wird. Der veröffentlichte Artikel vermittelte ein komplett anderes Bild. Der Newsroom hatte eingegriffen. Mein kritisches Fazit als Ergebnis der Recherche war wegredigiert. Der Artikel erweckte nun den Eindruck, dass die SVP die Behörden zu Recht unter Druck setzt. Darüber stand mein Name. Ein Kollege fragte mich daraufhin grinsend: «Arbeitest du jetzt für die SVP?» Ich fands nicht so lustig. Ich war nun kein Journalist mehr, sondern Rohtext-Lieferant für die Chefredaktion. Eigentlich hätte ich da von selbst gehen müssen. Als die Initiative abgelehnt worden war, feierte der Sonntagsblick dann die Sieger. Haltung sieht anders aus.
Später wurde ich gefeuert, weil ich zu wenig Texte geliefert haben soll. Gleichentags hörte ich, dass namhafte Journalisten beim Sonntagsblick über meinen Rausschmiss entsetzt waren. Aber auch davon kann man sich nichts kaufen. Gefreut hat es mich trotzdem.
Noch beim Zusammenpacken meiner Kartonschachtel beim Sonntagsblick sagte mir jemand: «Weisst du, du hast zu viel recherchiert.»
Zu viel recherchiert.
Das verdient eine eigene Zeile.
Diesmal habe ich nicht geweint. Ich habe nur noch ungläubig gelacht. Ich ging zum RAV und suchte nach offenen Stellen auf der anderen Seite und ich fand einen Job bei der Eidgenössischen Steuerverwaltung. Geregelte Arbeitszeiten, vernünftiger Lohn, angenehmes Arbeitsklima, keine Pendelei mehr, ein paar Kilos abgenommen – es ist ein Job, der mir gut tut. Ich bin heute zufriedener, entspannter, esse gesünder, trenne Arbeits- und Privatleben viel konsequenter. Und vor allem: Mein Job ist nicht mehr meine Religion. Er ist einfach mein Job.
Stefan 08. Juli 2017, 07:20
Lieber Joel
Das tönt verdammt verbittert und das ist auch gut so.
Bei MyTree.TV suchen wir immer wieder kritische Journalisten.
Gerne biete ich Dir die Stelle als Chefredakteur an, wenn Du diese selber durch Crowdfunding finanzierst. Dadurch könntest Du Deine Vision des wahren Journalismus umsetzen.
Du befindest Dich möglicherweise schon auf dem Weg ins Boreout… Lass es nicht soweit kommen.
Keep it green and have a treetastic day
Stefan
http://www.MyTree.TV
marc 07. August 2017, 21:31
..und ich biete dir den posten als CEO eines verlages an, wenn du dir deinen lohn durch spenden selber zusammenbetteln kannst.. hauptsache, ich muss nix zahlen und du arbeitest gratis. selten so gelacht. myfree.tivi, schöne neue welt, was.