von Marco Schneiter

Zahlensalat (III): Von faulen Kindern und faulen Journalisten

Schweizer Kinder sind im internationalen Vergleich faul. Das behaupten einige Zeitungen mit Berufung auf die Stiftung «Gesundheitsförderung Schweiz». Ein paar Klicks durch die Studien und ein klärendes Telefonat zeigen: faul waren vor allem die Medienschaffenden.

«Schweizer Kinder sind bewegungsfaul», titelten etwa die Luzerner Zeitung und das St. Galler Tagblatt. Der «Blick» und andere Titel stiessen ins selbe Horn und bezogen sich dabei auf eine Verlautbarung von «Gesundheitsförderung Schweiz». Die nationale Stiftung rühmt sich auf der Website, gleich drei Studien zum Thema ausgewertet zu haben. Die Erkenntnisse: Kinder von bewegungsfaulen Eltern haben weniger Bewegung, Mädchen bewegen sich weniger als Jungs, ausländische Kinder in der Schweiz bewegen sich weniger als Schweizer Kinder und: Kinder im Ausland bewegen sich mehr.

Das muss kein Widerspruch sein. Es ist möglich, dass nur faule Kinder in die Schweiz einwandern. Aber etwas verdächtig ist der Befund schon. Nach ein paar Klicks durch die von «Gesundheitsförderung Schweiz» zitierten Studien herrscht schnell Klarheit: Nur eine der drei Untersuchungen vergleicht wirklich das Bewegungsverhalten von Kindern und Jugendlichen in verschiedenen Ländern. Und es kommt noch schlimmer: Die sogenannte HBSC-Studie (Health Behaviour in School-aged Children) misst nicht das Bewegungsverhalten von Jugendlichen, sondern verteilt lediglich Fragebogen in Klassen in ganz Europa. Dabei dreht sich nur gerade eine Frage um das Thema Bewegung, wie Marina Delgrande einräumt. Delgrande ist Projektleiterin bei «Sucht Schweiz», welche die Studie in der Schweiz durchführt und auswertet.

Nun sind Befragungen nicht per se schlecht. Oftmals basiert scheinbar harte Statistik auf Befragungen. Bestes Beispiel ist das Bruttoinlandsprodukt. Doch was ist von einer Jugendlichen zu erwarten, die sich mit der folgenden Frage konfrontiert sieht: «Hast du die letzten sieben Tage mindestens täglich eine Stunde Bewegung gehabt?» Schauen wir uns die Überlegungen von Jana an, eine fiktive Teilnehmerin an der Umfrage: «Hmmm. Ich muss zu Fuss zur Schule, das ist sehr anstrengend. Und am Wochenende ging ich in den Europapark. Das war genug Sport für eine ganze Woche. Und der Lehrer Hildbrand da vorne findet Sport eh ganz super, schliesslich ist er Orientierungsläufer. Kreuzen wir einmal das Maximum an.»

Jana zeigt ein typisches Verhalten, das viele Befragungsresultate verzerrt: Sie will der Studienleiterin oder dessen Gehilfen (hier Lehrer Hildbrand) gefallen und wird entsprechend antworten – auch wenn ihr Anonymität zugesichert wird. Die befragte Person antwortet der sozialen Norm entsprechend.

Nun unterscheiden sich soziale Normen von Kultur zu Kultur. Kinder verschiedener Länder sehen sich somit bei gewissen Fragen unterschiedlichen sozialen Erwartungen ausgesetzt. Im Vergleich zu Schweizer Jugendlichen schauen junge Albaner mehr fern, haben aber trotzdem deutlich mehr Bewegung – laut eigenen Angaben. Schweizer Kinder hingegen haben einen tieferen Bodymassindex und rauchen fast nicht – laut eigenen Angaben. Aber vielleicht fühlen sie sich bei der Raucherfrage grösserem sozialen Druck ausgesetzt und die albanischen Jugendlichen bei der Sportfrage. Wir wissen es nicht. Klar ist nur, dass der international Vergleich basierend auf einer einzigen Frage nicht seriös sein kann.

«Wir sind äusserst vorsichtig, wenn es um die länderübergreifende Vergleiche geht», betont denn auch Marina Delgrande von «Sucht Schweiz» im Gespräch. Sie würden keine internationalen Vergleiche ziehen. Darüber hinaus weise man im detaillierten Studienbericht mehrmals auf die Problematik von solchen Befragungen hin.

Die Stiftung «Gesundheitsförderung Schweiz» kannte da weniger Skrupel. Sie verschickte eine Medienmitteilung, in der just der internationale Vergleich im Titel hervorgehoben wurde. «Wir hatten das Ziel, die Kantone für das Thema zu sensibilisieren», erklärt Franziska Widmer, Projektleiterin bei der Gesundheitsförderung. Einige Journalisten übernahmen die Mitteilung mehr oder weniger und diffamierten die Schweizer Jugend im Titel als Bewegungsmuffel – fauler Journalismus.