Emojis im Journalismus: Wir sind soooo fresh und lustig!
Auf Social Media garnieren einige Schweizer Medien ihre Meldungen mit Emojis. Eine journalistische Bankrotterklärung, findet unser Autor.
Auf einmal waren sie da. Die 😂, die 😭 und die😱. Und ich so: 🤦. Sah ich wirklich richtig? Versahen Schweizer Medien ihre Facebook-Posts wirklich mit Emojis? Ja, tatsächlich. Ich wollte kurz abwarten, vielleicht mochte sich ja jemand anderes darüber aufregen. Aber nichts geschah. Darum hier und jetzt, die längst fällige Empörung.
Liebe Schweizer Medien, die ihr auf euren Social Media Accounts Emojis benutzt – allen voran «Blick», «20 Minuten» und «Watson» –, was habt ihr euch bloss dabei gedacht? Damit habt ihr voll in die 💩 gegriffen und das Ansehen der hiesigen Medienlandschaft, um das momentan ja alles andere als rosig bestellt ist, noch weiter unterhöhlt.
Bevor ich mich weiter darüber auslasse, möchte ich die Chose veranschaulichen, mit einer Stichprobe vom 8. November 2017:
«Blick»
«🇨🇭 Katharina Stäheli hat ihr Baby Dylan getötet und sitzt im Gefängnis in Spanien. Dank einer aussergerichtlichen Einigung könnte sie bald wieder hier sein – ihr Vater Othmar ist erleichtert.»
«💸 🐶 Die Gemeinde Vallorbe hat zu Unrecht 225 Franken Hundesteuern für drei Vierbeiner verlangt!»
«💔😢 Das macht die Pärchen der Region traurig.
Liebende beschweren sich auf Facebook: Solothurn trennt Liebesschlösser durch.»
«20 Minuten»
«Handy am Steuer – 14 Monate bedingt»: Der verurteilte Autofahrer hatte einen tödlichen Unfall verursacht. 😠 »
«🇨🇭 Roger Federer gewinnt in einem Exhibition-Match gegen Andy Murray. Dabei überzeugt der Baselbieter auch mit seinem Outfit 🤣»
«Taifun Damrey sorgt derzeit für Tod und Zerstörung in Vietnam 😰🇻🇳»
«Watson»
«Heilige Bimbam 😱.
‚Eine Schande fürs Hockey!’ Adler Mannheim dreht kurz vor Schluss komplett durch»
«Da ist jemand ausgerastet. Aber so richtig. 👊
Flieger der Qatar Arways muss unplanmässig landen – weil Affäre eines Ehemannes auffliegt.»
«Das könnte sehr gefährlich werden… 🤔
Saudi-Arabien geht voll in die Offensive – und legt sich mit einem mächtigen Gegner an.»
Ist das wirklich euer Ernst? Good und funny news mit einem Smiley versehen und schlechte Nachrichten mit Tränchen? Offenbar ja. «Watson ist stets bestrebt, sämtliche Ausdrucksformen, die das WorldWideWeb kennt, in den formalen Rahmen seiner Berichterstattung einfliessen zu lassen», schreibt Chefredaktor Maurice Thiriet dazu. Ziel: «Weiterentwicklung von Watson und seiner Nachrichtenvermittlung.» Dazu gehören auch Emojis, die man konsequent dort anwende, «wo sie inhaltlich auf den Titel einer Meldung oder Geschichte passen, wie die Faust auf das Aug». Also quasi: 👊👁 – für alle, die es noch nicht verstanden haben sollten.
Bei Tamedia heisst es auf Anfrage, die Nutzung über Facebook finde in einem persönlicheren Umfeld statt. Die Redaktion und das Social-Media-Team von «20 Minuten» sei hier noch näher bei den Nutzern und kenne «die besonders aktiven Follower sowie ihre Ansichten genauso wie die Themen, die ihnen wichtig sind». Im Gegensatz zur sonst neutralen Berichterstattung wolle man hier darum mit Emoji Emotionen ausdrücken.
Es ist klar, ihr wollt noch näher zu den – vorwiegend jungen – Lesern, die über Facebook und Co. (anstatt über eure Apps und Websites) zu euren News gelangen. Stichwort: Leserbindung. Verständlich. Aber zu welchem Preis? Was ihr da betreibt, ist eine Verdiscountisierung der Information, eine Trivialisierung der Nachrichten.
Ihr bevormundet die Leser. Als wären wir nicht mehr fähig, Ereignisse einzuordnen oder lustige von tragischen Meldungen zu unterscheiden. Und als wäre in Zeiten, in der die Abschaffung der SRG ein realistisches Szenario ist, nicht vielmehr die Förderung statt der Abbau von Medienkompetenz gefragt.
Ihr biedert euch an. ✋aufs ❤: Erfüllen Emojis irgendeine journalistische Funktion? Eben. Sie sollen wohl «hip» und «fresh» wirken – was in etwa so gut funktioniert, wie wenn ich diese Wörter bemühe. Ihr seid bereits bei der Auswahl der Inhalte schon ausreichend populär. Da müsst ihr euch nicht auch noch auf der formalen Ebene anpassen. Was soll denn als Nächstes kommen? News als Musical.ly-Snippets? Oder die Artikel mit Web-Akronymen wie LOL, WTF und ROFL spicken? Das wäre nämlich auch total «fly».
Ihr verharmlost die Nachrichten und macht sie (und letzten Endes euch) lächerlich. Einen tödlichen Unfall mit einem 😢 oder eine Vermisstmeldung mit einem zu versehen, kommt nicht nur einer krassen Simplifizierung der Ereignisse gleich, sondern auch einer Verhöhnung der Opfer und Angehörigen. Zur Erinnerung: Das sind Jux-Piktogramme, für die private Kommunikation gedacht; ihr hingegen seid Massenmedien und einer gewissen Seriosität verpflichtet.
Ihr verliert eure Objektivität. Emotionen haben in einem Teaser für einen objektiven Bericht nichts verloren. Wir, die Leser, brauchen keine Emotionsstimulanzien. Nachdem wir gelesen haben, worum es geht und dies verstanden und eingeordnet haben, reagieren wir ganz von selbst mit Enttäuschung, Bestürzung oder Freude. Eine emotionale Haltung gegenüber einer Nachricht erwartet niemand von euch, mehr noch: es ist zu viel.
Ihr bringt den Journalismus noch mehr in Verruf als er es eh schon ist. Denn was ihr tut, färbt auch auf andere Publikationen ab, die keine Smileys verwenden. Den Medien geht so noch mehr Glaubwürdigkeit flöten. Eltern, die mit ihren Kindern beste Freunde sein wollen, sind keine Autoritäten. Medien waren mal so etwas wie Autoritäten.
Ich kann nachvollziehen, was ihr euch überlegt habt: News sollen sexy werden und greifbarer für die Jüngeren. Natürlich kann man Geschichten in Emojis erzählen. Der «Guardian», ein seriöses Medium mit astreinem Ruf hat das schon vor Jahren in einem Artikel vorgemacht. Ein kleines, lustiges und einmaliges Experiment, mehr nicht. Auch der «Guardian» wird sich bewusst gewesen sein, dass jung und alt auf Emojis ansprechen, er liess sich aber nicht dazu verleiten, dies auszuschlachten. Glaubwürdigkeit geht seriösen Medien eben noch über Klicks generierenden Klamauk.
Es gibt ein witziges Buch, in dem Film-Plots in Piktogrammen dargestellt sind. Auch Kochrezepte lassen sich so abbilden. Eure Aufgabe, liebe Medien, ist das jedoch nicht. Den Raubmord beim Juwelier verpackt ihr ja auch nicht als Quizz (nein, bitte macht es nicht!). Falls ihr es doch als eure Aufgabe erachtet, weil ihr denkt, ihr müsstet mit der Zeit gehen und euch der Sprache der Jungen angleichen, dann bleibt mit den Emojis doch bitte bei den Unterhaltungsthemen. Dazu sind die kleinen Dinger nämlich gedacht – zur reinen Unterhaltung.
Marc Ronner 25. November 2017, 14:59
Warum lasst Ihr uns diese Freude nicht? Das Leben ist ernst genug!
Robert Weingart 25. November 2017, 15:21
@Marc Ronner: Den Artikel überhaupt gelesen? Es geht auch darum, dass diese Zeichen auch dort eingesetzt werden, wo es aus Pietätsgründen deplatziert ist. Aber eben, wenn man „Freude“ über Anstand stellt, dann ist es halt eine Niveaufrage.