Medien der Migranten: Professionelle Newsplattform vs. mobiles Informationsbüro
Kosovaren, Albaner und Eritreer kommen in den Schweizer Medien entweder als Täter oder Opfer vor. Die Newsplattform Albinfo und der Eritreische Medienbund arbeiten gegen diese Stereotypen an. Damit leisten sie einen Beitrag zur Integration und Vernetzung ihrer Diaspora-Communitys – bis die Vielfalt der Schweiz aber auch in den Medien abgebildet wird, ist es noch ein langer Weg.
Der 34-jährige Eritreer Okbaab Tesfamariam sitzt im Studio der SRF-Sendung «Arena/Reporter». Er hat im Publikum Platz genommen und ist gut vorbereitet: Er hat vorgängig intensive Gespräche geführt, viel telefoniert und sich mit Whatsapp-Chats schlau gemacht. Insgesamt drei Arbeitstage lang haben sich er und sein Unterstützerteam für diesen Auftritt vorbereitet.
«Wir können uns vielleicht gar nicht so recht vorstellen, wie es Leuten in anderen Umständen geht, die vielleicht auch übers Mittelmeer gekommen sind», erklärt Moderator Jonas Projer nach etwa der Hälfte der Sendung und fragt Ko-Moderatorin Christa Rigozzi: «Ich glaube niemand im klimatisierten Studio kann es sich vorstellen. Können Sie es sich vorstellen?» Rigozzi antwortet: «Ich weiss es persönlich nicht, aber im Publikum ist jemand, der es weiss.» Rigozzi hält Tesfamariam das Mikrofon hin. «Es ist schrecklich», beginnt dieser, wechselt aber schnell von der persönlichen auf die politische Ebene und richtet sich an den ebenfalls anwesenden SP-Nationalrat Cédric Wermuth: «Es ist gut, dass Sie das ansprechen, Nur weil man in der Schweiz geboren ist, darf man nach Eritrea reisen und Gold aus Zwangsarbeit kaufen.» Rigozzi unterbricht: «Das ist natürlich ein wichtiges Thema. Aber was mich interessiert, damit die Leute hier verstehen: Was bedeutet so eine Reise? Wieso muss man Flüchtlingen helfen? Wieso sind sie in die Schweiz gekommen?» «Wegen der Diktatur, weil es uns zuhause schlecht geht. Es gibt Freiheit für Waffen, für Geld, für Ressourcen – aber es gibt keine Freiheit für Menschen.» Ein bisschen mehr als zwei Minuten lang befragt Rigozzi Tesfemariam. Im Zentrum der Sendung stand ein Dokumentarfilm über Schweizer, die «Grenzerfahrungen» gemacht haben. Die Hauptdiskutanten waren Nationalräte und NGO-Vertreter.
«Sie wollten ein Opfer und das haben wir ihnen nicht gegeben.» Okbaab Tesfamariam, Eritreischer Medienbund
Einige Wochen später sagt Christian Fischer vom Eritreischen Medienbund Schweiz: «Ich weiss nicht, wie du das siehst, aber aus meiner Perspektive ist das ein Erfolg.» Tesfamariam, der in der Sendung gesprochen hat, ergänzt: «Sie wollten ein Opfer und das haben wir ihnen nicht gegeben.» Tesfamariam ist seit 2008 in der Schweiz, arbeitet als Logistiker, berät NGOs und eine Schulpflege und engagiert sich eben als Sprecher des Medienbunds.
Der Eritreische Medienbund ist ein Freiwilligenprojekt, das 2015 in St. Gallen gegründet wurde. Im Medienbund engagieren sich Eritreer und Schweizer. Kommt eine Medienanfrage, wird per Whatsapp-Chat herumgefragt, welche der momentan drei eritreischen MediensprecherInnen Stellung bezieht. Dann beginnt die Vorbereitung: Was ist der Gesprächsrahmen? Welche Risiken bestehen? Welche Botschaft will man vermitteln? Daraus erarbeiten sie ein Argumentarium. Die Schweizerinnen und Schweizer im Medienbund wissen, wie die Abläufe und der Umgang in der Schweiz allgemein und in den Medien im Besonderen funktionieren. Das ist ihr Beitrag. Die Inhalte bestimmen die Eritreer. «Wenn die Debatte konstruktiv sein soll, muss man die Betroffenen einbeziehen und sie als Experten ernst nehmen», sagt Tesfamariam.
Ein Auftritt bei «Tele Züri» kam zustande, weil ein Sprecher des Eritreischen Medienbundes bei der Redaktion intervenierte.
Der Medienbund hat schon zahlreiche Schweizer Medien bei Recherchen unterstützt – von WOZ bis «Rundschau». Sprecher des Medienbunds traten schon im «Echo der Zeit», bei «10 vor 10», in der «Arena», im «Club» oder bei «Tele Züri» auf. Teilweise auf Anfrage hin, teilweise aus proaktivem Engagement: Ein Auftritt bei «Tele Züri» kam zustande, weil ein Sprecher des Medienbundes bei der Redaktion intervenierte, nachdem Toni Locher, Eritreischer Honorarkonsul, im TalkTäglich gesprochen hatte. Der Gynäkologe Locher engagiert sich für Entwicklungszusammenarbeit mit Eritrea, streitet aber die Menschenrechtsverletzungen in dem Land ab, das im Pressefreiheitsindex von «Reporter ohne Grenzen» seit Jahren auf den letzten Plätzen rangiert.
Wenn eine Stimme für das Regime vorkomme, soll auch die Gegenperspektive zu Wort kommen. Die Diaspora der Eritreer in der Schweiz ist tief gespalten: Eine ältere Generation, die während dem 30-jährigen Unabhängigkeitskrieg geflohen ist, feiert Feste, die von der eritreischen Regierung organisiert werden. Diejenigen, die seit den 1990er-Jahren in die Schweiz gekommen sind, stehen der Regierung kritisch gegenüber. Obwohl der Medienbund die jüngere Generation der Diaspora-Eritreern vertritt, soll der zivilgesellschaftliche Fokus ihres Medienaktivismus im Sinne aller Eritreer in der Schweiz wirken: klar machen, dass Eritreer nicht nur Opfer sind, eine Stimme erlangen, Stereotypen brechen, die Schweizer Öffentlichkeit informieren. Der Public Relations-Aktivismus des Medienbunds will nicht nur die Perspektive der Schweizer auf Eritreer verändern, sondern auch das Selbstbild der eritreischen Diaspora in der Schweiz. «Auch wir Eritreer nehmen die Negativbotschaften in den Medien wahr. Wenn man immer nur hört, die Eritreer können nichts und schaden, dann glaubt man das irgendwann. Wir holen uns Selbstbewusstsein zurück», erzählt Tesfamariam.
Anders als der Eritreische Medienbund ist Albinfo ein professionelles Unternehmen.
Der Schweizer Politologe und Journalist Bashkim Iseni trat schon vor zehn Jahren in Politsendungen von RTS als Vertreter der albanischsprachigen Gemeinschaft in der Schweiz auf. Ihn wollte niemand in die Opferrolle drängen, denn Iseni wurde als Experte geladen. Vor acht Jahren gründete er mit Albinfo eine Newsplattform für albanischsprachige Menschen in der Schweiz. «Lajm i fundit nga diaspora online» (Übersetzung: «Die neusten Nachrichten aus der Diaspora online.») steht auf dem Coverfoto von Albinfo. Laut Iseni erreicht die Plattform momentan 30’000 bis 40’000 LeserInnen pro Tag; 120’000 haben auf Facebook «Gefällt mir» geklickt. Das Angebot ist dreisprachig, Deutsch, Französisch und Albanisch. Zumindest an der Resonanz der Publikumsmedien gemessen, wird Albinfo in der Romandie stärker wahrgenommen als in der Deutschschweiz. Iseni schreibt als Gastautor Blogbeiträge für «Le Temps» und «24 heures». Anders als der Eritreische Medienbund ist Albinfo ein professionelles Unternehmen. Fünf Journalisten und drei Übersetzer arbeiten in Lausanne und Zürich; ergänzt von 15 freien Mitarbeitenden.
Chefredaktor Iseni grenzt den Journalismus von Albinfo scharf gegen politischen Aktivismus ab: «Albinfo ist um neutrale Berichterstattung bemüht. Unsere Aufgabe ist ein öffentlicher Dienst. Etwa mit einigen Gewerkschaften, die von uns eine linke Positionierung erwarteten, hat das auch schon zu Problemen geführt.» Journalismus als öffentlicher Dienst heisst für Albinfo Bestreben um Integration der rund 250’000 Menschen kosovarischer und albanischer Herkunft in der Schweiz und Berichterstattung im Sinne der wirtschaftlichen Entwicklung ihrer Herkunftsländern.
«Keiner der grossen Detailhändler will bei uns Werbung schalten,» erzählt Iseni. Er führt das auf Vorurteile gegenüber Kosovaren zurück.
Albinfo ist nicht gewinnorientiert und wird vom Staatssekretariat für Migration, der Eidgenössischen Migrationskommission und von der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit Deza unterstützt, trotzdem ist die Gratisplattform auf Inserate angewiesen, was aber nicht nur einfach ist. «Keiner der grossen Detailhändler will bei uns Werbung schalten,» erzählt Iseni. Er führt das auf Vorurteile gegenüber Kosovaren zurück. Iseni gibt deswegen bei der Suche nach zusätzlichen Mitteln aber nicht auf.
Albinfo und Eritreischer Medienbund eint ein entscheidender Punkt: Beide vertreten eine zahlenmässig grosse Diaspora-Community in der Schweiz, über die seit Jahren – wenn nicht Jahrzehnten – mit negativer Schlagseite in den Schweizer Medien berichtet wird. «Wir wollen jungen Menschen mit albanischer Herkunft zeigen, dass die Schweiz auch ihr Land ist. Es ist absurd, dass im Nationalrat und den Chefredaktionen grosser Zeitungen niemand mit einem Balkan-Hintergrund sitzt, wenn man bedenkt wie gross die Diaspora in diesem Land ist», sagt Iseni. Diese Perspektiven öffnen will Albinfo einerseits durch vorbildhafte Professionalität, andererseits durch aktive Themensetzung. Aktuell porträtiert die Videorubrik «Erfolgsgeschichten» Menschen mit albanisch-schweizerischen Hintergrund, die in ihrem Bereich Herausragendes leisten, etwa eine Designerin, die mit ihren gehäkelten Kleidern bereits den «Swiss Design Award» gewonnen hat oder ein Bauer, der nach 25 Jahren in der Schweiz nach Kosovo zurückgekehrt ist und dort nach Schweizer Standards Biolandwirtschaft betreibt. Geschichten, die man sonst nirgends lesen kann.
«Migrantengruppen sind in den Schweizer Medien – ausser als Problem dargestellt – kaum Thema und solche Angebote sind für die Vernetzung innerhalb einer Gruppe und die Integration in unsere Gesellschaft wichtig.» Heinz Bonfadelli, Medienwissenschaftler
Heinz Bonfadelli, emeritierter Publizistikprofessor an der Universität Zürich, war 2013 an der Evaluation von Albinfo beteiligt. Neben vielen positiven Punkten ergab ihre Befragung, dass nur wenige albanische Frauen und Junge erreicht werden. Dies mag auch am Themenfokus liegen. So finden sich auf der Plattform auch heute kaum Beiträge zu damals oft nachgefragten Servicethemen im Bereich Alltag, etwa über die Kindererziehung oder das Schweizer Schulsystem. Grundsätzlich beurteile die Kommunikationswissenschaft solche Angebote aber positiv. «Migrantengruppen sind in den Schweizer Medien – ausser als Problem dargestellt – kaum Thema und solche Angebote sind für die Vernetzung innerhalb einer Gruppe und die Integration in unsere Gesellschaft wichtig», sagt Bonfadelli. Entscheidend seien aber Transparenz hinsichtlich Betreiber und Finanzierung. Die ist für Bonfadelli sowohl beim Eritreischen Medienbund als auch bei Albinfo gegeben.
Der neutrale Anspruch an die Berichterstattung ändert nichts daran, dass die Existenz einer Plattform wie Albinfo politische Bedeutung hat. Sowohl für die migrantische Community als auch für Schweizerinnen und Schweizer bietet Albinfo Journalismus aus einer Perspektive, die sonst kaum vertreten ist.
Der Eritreische Medienbund ist ein mobiles und effizientes Informationsbüro, das sich politisch positioniert. Albinfo ist eine Newsplattform, die eine Perspektive zeigen will, die sonst fehlt. Die Beweggründe gleichen sich. Beide Projekte kämpfen mit beschränkten Mitteln darum, migrantische Stimmen einer Community in die Schweizer Öffentlichkeit zu tragen. Ohne diese Perspektiven hinkt die Medienöffentlichkeit der Schweizer Realität hinterher.
Es bleibt zu wünschen, dass das Engagement von Leuten wie Iseni und Tesfemariam auch zu grösserer Vielfalt in Schweizer Redaktionen und Chefredaktionen führt. Damit das klappt, müssen sich die Diaspora-Projekte aber über die einzelnen Communities hinaus vernetzen. Wie so ein übergreifendes Netzwerk zur starken Lobby werden kann, zeigt in Deutschland etwa der Verein Neue Medienmacher. In der Schweiz ist in diesem Herbst INES, das Institut Neue Schweiz, erstmals an die Öffentlichkeit getreten. INES ist ein Thinktank, der für eine vielfältige, postmigrantische Schweiz eintritt. Zu INES gehört auch eine Mediengruppe, die auf Vielfalt in Redaktionen hinarbeiten will. Der Eritreische Medienbund ist bereits bei einer von INES organisierten Podiumsdiskussionen aufgetreten; Iseni hatte Mitte November noch nichts von INES gehört. Den Röstigraben gilt es ebenfalls zu überwinden.