von Journalismus Y

«Seit meiner Zeit bei der NZZ bin ich Paywall-geschädigt»

Seit bald drei Jahren gibt es die Kurationsplattform «Scope» (vormals «Niuws»): Wir wollten vom Gründer und Geschäftsführer Peter Hogenkamp wissen, wie das Geschäft läuft und was er aus seiner Zeit als Leiter Digitale Medien bei der NZZ-Mediengruppe in sein Startup mitnehmen konnte.

MEDIENWOCHE:

Seit zwei Jahren machst du Scope – eine Kuratierplattform, die früher einmal Niuws hiess. Was bietet ihr dort genau an?

Peter Hogenkamp:

Wir haben ein Netzwerk von Expertinnen und Experten – mittlerweile 75 Leute, die in ihrem Fachbereich jeden Tag sagen: Das sind die besten 3-5 Artikel zum Thema – von Apple bis Zukunft der Arbeit. Das hilft jenen, sich zu orientieren, die sich auf einem Thema noch nicht so gut auskennen. Und dass sie nicht mehr Niuws heisst, liegt daran, dass das ein scheiss Name war. Wir wissen ja alle, warum man solche Namen nimmt: Weil man eine Domain braucht, die man sich leisten kann. Am Ende merkt man, dass solche «Tippfehler-Namen» nicht umsetzbar sind, deshalb nun das Rebranding zu Scope. Leider gehörte scope.com ebenfalls schon einer Firma aus dem Silicon Valley, deshalb haben wir nun thescope.com.

MEDIENWOCHE:

Ich selbst habe Niuws beim Start heruntergeladen, installiert und dann recht schnell vergessen, weil ich mich dann doch auf meinen Facebook-Algorithmus verlassen habe.

Peter Hogenkamp:

Da bist du nicht der einzige. Aber wir haben immer noch viele Fans, die uns sagen, sie nutzen die Plattform täglich. Aber es gibt in der Tat viele, die treffe ich und sehe schon anhand ihres Gesichtsausdrucks, dass sie denken: «Ah ja, der Hogenkamp, der hatte doch diese App. Warum nutze ich die eigentlich nicht mehr?» Und ich merke: Sie haben sie effektiv vergessen. Man weiss, die meisten Leute haben 150 Apps auf ihrem Handy installiert, aber nutzen nur ca. 5 davon täglich. In diesen Medienkonsum reinzukommen, ist unglaublich schwer. Da fällt es uns einfacher, die Leute per Website oder E-Mail zu erreichen.

MEDIENWOCHE:

Was ist die Motivation für Kuratierende, bei euch mitzumachen?

Peter Hogenkamp:

Man denkt im ersten Moment vielleicht, das Stärken der eigenen «Ich-Marke» stände für die Kuratierenden im Vordergrund. So wie bei eurem Podcast vielleicht auch, dass ihr euch positionieren könnt, dass Leute euch kennenlernen und wissen, dass ihr euch mit Journalismus auskennt. Ich merke aber auch, dass die Leute mit einer intrinsischen Motivation zu uns kommen, weil sie merken: Wenn ich mich verpflichte, etwas zu kuratieren, bleibe ich an dem Thema dran. Dabei hilft ihnen ja unsere Software. Und wie bei allem, das wir versuchen regelmässig zu machen, zum Beispiel Sport oder Zähneputzen, hilft es, wenn man sich extern verpflichtet.

MEDIENWOCHE:

Wie viele Themen hat bei euch ein durchschnittlicher User abonniert?

Peter Hogenkamp:

Fünf Boxen, wie wir diese Abos nennen, folgt ein User bei uns im Schnitt.

MEDIENWOCHE:

Und wie hat sich Scope seit dem Start entwickelt?

Peter Hogenkamp:

Gut, aber nicht gut genug. Es wächst nicht von selbst, aber wir sind jetzt bei etwas über 20’000 Usern. Das ist für die Deutschschweiz ganz ok, aber keine Zahl, die man monetarisieren kann. Deshalb lizenzieren wir unser Angebot auch für Firmen.

MEDIENWOCHE:

Das heisst, als Firma darf man dann auch eine Box bespielen?

Peter Hogenkamp:

Nicht nur das, als Firma kann man vor allem unsere Software nutzen. Das ist unsere Haupteinnahmequelle. Wir lizenzieren das Tool, mit der man besonders einfach Content Curation Marketing betreiben kann. Anstatt alles selber zu schreiben, können Firmen spannende Links auf ihre Website oder in ihren Newsletter spielen.

MEDIENWOCHE:

Euer Produkt ist also ein Tool, das es besonders einfach macht, kuratierte Inhalte zusammenzustellen.

Peter Hogenkamp:

Genau: Discovery, Curation, Distribution. So nennen wir die drei Schritte, die unsere Software beinhaltet. Also man entdeckt neue Inhalte, die im Web sind, kriegt sie auf der persönlichen «Konsole» angezeigt und kann dort die drei wichtigsten Artikel küren, kommentieren und auf allen Kanälen verschicken.

MEDIENWOCHE:

Habt ihr euch auch schon überlegt, die User zur Kasse zu bitten?

Peter Hogenkamp:

Seit meiner Zeit bei der NZZ bin ich Paywall-geschädigt. Ich habe die Illusion verloren, dass viele User bereit sind, zu zahlen. Selbst bei sehr optimistischen 1-5 Prozent der User: Das rechnet sich nicht. Zumindest nicht bei unseren kleinen Userbasis. Bei der NZZ habe ich eine Paywall eingeführt auf einem Angebot, das es seit 15 Jahren gab, gratis war und eine Million User hatte im Monat. Und nichtsdestotrotz sind diverse Leute abgesprungen, die vorher täglich auf nzz.ch vorbeischauten.

MEDIENWOCHE:

Warum hast du dir eigentlich genau die Kuration als Geschäftsmodell ausgesucht?

Peter Hogenkamp:

Das waren 20 Prozent Absicht und 80 Prozent Zufall. Ich hatte in ein Startup investiert, das eine App machte – Kuration auf algorithmischer Basis. Das war noch in einer Zeit, in der man sich gute Apps empfohlen hat. Heute sind wir ja alle froh, wenn wir keine Apps herunterladen müssen.

MEDIENWOCHE:

Aber du glaubst immer noch an dieses Modell – auch im Zeitalter von Machine Learning und hoch entwickelten Algorithmen.

Peter Hogenkamp:

Ja, ich glaube im Moment ist es keine Frage, dass Menschen besser News kuratieren können als Maschinen. Heute. Stand 2017. Jetzt ist die Frage, was ist 2027 und da muss ich sagen: Das ist mir egal. So weit voraus denke ich nicht. Mein Horizont sind 3-5 Jahre. Und heute gilt: Facebook kann das nicht, was wir machen. Sie könnten es vielleicht, wenn sie es denn versuchten, aber Facebook hat einen inhärenten «Boulevardisierungsmechanismus». Auf Vorträgen zeige ich gerne ein Foto von meinem Ex-Kollegen. Ganz netter Typ, den hab ich aber seit Jahren nicht mehr gesehen. Doch der kriegt jetzt sein zweites Baby und dafür erhält er natürlich 120 Likes auf Facebook. Und deshalb denkt Facebook, das sei wahnsinnig wichtig für mich. Ist es aber nicht. Natürlich freu ich mich, ich klick ja auch bei jedem Babyfoto auf «Gefällt mir» aber für mich gibt’s definitiv viel wichtigeres. Facebook versagt völlig bei Branchennews. Natürlich wird immer mehr Arbeit automatisiert, aber ich zitiere in diesem Zusammenhang gerne Amara’s Law, das sagt: «Wir tendieren dazu, die Auswirkungen von neuen Technologien kurzfristig zu überschätzen, aber langfristig zu unterschätzen.» Heute reden wir von Machine Learning und dass wir morgen von Maschinen ersetzt werden, aber das wird eben nicht morgen sein, sondern vielleicht in 10 bis 20 Jahren.

MEDIENWOCHE:

Kann man also sagen, E-Mail ist für euch fast der wichtigste Kanal?

Peter Hogenkamp:

E-Mail und App sind bei uns im Moment gleichauf, aber wachsen tun wir in der Tat bei E-Mail. Und da haben wir regelmässig Öffnungsraten von 30 Prozent. Das schaffst du mit keiner App!

MEDIENWOCHE:

Hättest du vor 10 Jahren erwartet, dass du 2017 ein Geschäft betreibst, das so stark auf diesem alten Prinzip des E-Mails basiert?

Peter Hogenkamp:

Nein tatsächlich nicht, aber da sind wir wieder bei Amara’s Law: E-Mail wird sterben, die Frage ist nur, wann. Und da kann ich überhaupt keine Prognose abgeben. E-Mail ist natürlich ein grauenhafter Kanal insbesondere weil es uns die Inbox so vollmüllt. Was ich mir echt wünsche, wäre ein Tool, das genau nach meinen Kriterien meine Inbox aufräumt: Alle alten Newsletter löschen, alte Meeting-Benachrichtigungen archivieren etc. Oder wenn ich eine E-Mail verschicke kann ich es nach einer Minute nicht mehr ändern. Zusammengefasst: E-Mail ist eine Katastrophe, aber es ist immer noch das Beste, was wir haben als Push-Kanal, der nicht wahnsinnig aufdringlich ist.

MEDIENWOCHE:

Wo siehst du Scope in drei Jahren?

Peter Hogenkamp:

Wir sind selber noch nicht ganz sicher. Es gibt zwei Varianten: Entweder versuchen wir die Reichweite unserer Business-to-Customer Plattform zu steigern, über die wir die ganze Zeit gesprochen haben oder wir versuchen mit unserer Software im Business-to-Business Bereich abzuheben. Und wir haben entschieden, erstmal beides zu versuchen. Ziel meines persönlichen Wirtschaftens ist, dass ich in fünf Jahren auf dem Sofa liegen und Netflix schauen kann. Dazu komme ich im Moment viel zu wenig. Wer weiss, vielleicht kommt dereinst eine andere Firma, die findet, Scope passt gut in ihr Portfolio.

MEDIENWOCHE:

Du setzt dich schon sehr lange mit digitalen Medien auseinander. Was denkst du: Wie geht es mit Medienhäusern wie z.B. dem St.Galler Tagblatt weiter?

Peter Hogenkamp:

Ich setze mich in der Tat schon lange damit auseinander und ich muss sagen: Ich hab keine Ahnung. Eine Hypothese, die ich habe, ist, dass es viele kleine gibt, die hyperlokal unterwegs sind. Insbesondere in der Schweiz, in der direkten Demokratie, braucht es hochwertigen Journalismus. Langfristig bin ich aber immer optimistisch. Es könnte sein, dass es eine Saure-Gurken-Zeit gibt, in der wir medientechnisch unterversorgt sind, aber irgendjemand wird dann kommen und sagen: Wir füllen jetzt diese Lücke.