von Journalismus Y

Was ich als Journalist im Silicon Valley gelernt habe

Patrick Züst (21) arbeitete als Silicon-Valley-Korrespondent der AZ Medien in San Francisco. Nach einem Jahr ist er nun zurückgekehrt. Wir wollten von ihm wissen, wie man sich als Journalist durch diese Tech-Bubble bewegt und warum er seinen Auslandsaufenthalt früher als geplant beendet.

JOURNALISMUS Y:

Du bist noch recht jung. Wie kam es, dass man genau dich dahin geschickt hat?

Patrick Züst:

Ich würde natürlich gerne sagen wegen viel Talent und Durchhaltewillen, aber ich glaube ich war einfach zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Ich schreibe schon sehr lange. Meine ersten Artikel habe ich mit 15 oder 16 veröffentlicht, habe natürlich wie alle anderen auch mit Turnabenden und Jodlerkonzert, tatsächlich sogar mit dem oft zitierten Kaninchenzüchter-Verein begonnen.
Ich konnte mich aber hocharbeiten, habe Mentoren gefunden, die mich gefördert haben, meine Texte gegengelesen haben. Dadurch konnte ich dann auch über politische und wirtschaftliche Themen schreiben, während ich noch an der Kantonsschule war. Vor zwei Jahren stand ich vor der Entscheidung: Möchte ich ganz auf Journalismus setzen oder mich meiner zweiten Leidenschaft, dem Digitalen widmen.
Eigentlich hatte ich mich schon für Letztes entschieden, ich war bereits an der ETH für ein Informatikstudium eingeschrieben als mich Patrick Müller, damaliger Chefredaktor der Schweiz am Sonntag, und Christian Dorer, ehemaliger Chef der Aargauer Zeitung, gefragt haben, ob ich nicht Lust hätte, als Korrespondent nach San Francisco zu gehen.
Also einerseits war wohl mein journalistisches Handwerk und Feuer, andererseits das technologische Verständnis und meine Flexibilität, die mich in diese Position brachten.

JOURNALISMUS Y:

Ein Jahr ist eine relativ kurze Zeit. War das von Anfang an befristet?

Patrick Züst:

Nein gar nicht, ich hätte durchaus noch länger bleiben dürfen. Es war meine eigene Entscheidung. Grundsätzlich war es eine grandiose Zeit. Ich fand den Job superspannend und hätte ihn problemlos noch jahrelang mit viel Freude machen können.
Was mir aber bewusst wurde, und ich glaube das ist ein sehr typischer Silicon-Valley-Effekt, dass ich längerfristig nicht an der Seitenlinie dieser Tech-Industrie sein möchte, sondern selbst darin involviert. Typisch nach dem Motto, das unterdessen zwar etwas verpönt ist, aber immer noch stimmt: «Move fast and break things». Wenigstens das erste habe ich mit meiner frühzeitigen Rückkehr nun berücksichtigt.

JOURNALISMUS Y:

Heisst das, im Herzen bist du eher Techie als Journalist?

Patrick Züst:

Das würde ich so nicht sagen, nein. Ich habe es sehr genossen, dass ich ein Jahr lang diese Leidenschaften habe miteinander verbinden können. Ich bin passionierter Journalist, aber was mir längerfristig gefehlt hat, war die Tiefe. Wenn du für eine Tageszeitung arbeitest und pro Artikel nur einen oder zwei Tage investieren kannst, dann reicht dies meist nicht aus. Ich musste oft sehr oberflächlich bleiben.

Mein Glück war es, dass ich noch sehr jung war im Vergleich zu vielen anderen europäischen Journalisten.

JOURNALISMUS Y:

Wie bist du überhaupt an Infos in diesen Kosmos des Silicon Valley?

Patrick Züst:

Ein gutes Netzwerk ist tatsächlich das A und O. Das ist glücklicherweise im Silicon Valley fast einfacher als anderswo. Alle sind es sich gewohnt, ihr Beziehungsnetz gut zu pflegen und einander weiterzuhelfen.
Mein Glück war es, dass ich noch sehr jung war im Vergleich zu vielen anderen europäischen Journalisten. In meiner 7er-Wohngemeinschaft wohnte ich zusammen mit zwei Startup-Gründern, die beide schon auf der Top 30 unter 30 Liste waren, einem Assistenten eines Tech-CEOs und mit einem Mitarbeiter der wichtigsten Investoren-Firma in San Francisco. Durch diese Freundschaften stand deren Netzwerk rasch auch mir zur Verfügung.

JOURNALISMUS Y:

Wie war ein Tagesablauf für dich in San Francisco?

Patrick Züst:

Sehr unterschiedlich. Ich war 60 Prozent angestellt und hatte einen Arbeitsplatz bei Swissnex, einer Organisation, die versucht die Schweiz mit verschiedenen Regionen der Welt – unter anderem mit dem Silicon Valley – zu verknüpfen und in San Francisco einen Co-Working-Space anbietet.
Für mich war das grossartig, weil jeder Schweizer, der irgendetwas mit der Tech- oder Startup-Szene zu tun hatte, kam früher oder später da vorbei. Dadurch hatte ich ohne viel Zutun einen konstanten Strom an spannenden Leuten zur Verfügung, weil ich der einzige Journalist dort war.
Ich habe aber auch versucht, so oft wie möglich rauszugehen und mit Leuten zu reden. Es gibt jede Woche Konferenzen, Vorträge und «Demo-Days», wo sich Startups präsentieren. Ich bin an möglichst viele davon gegangen, um ein Gefühl für diese Szene zu bekommen und mich zu vernetzen. Dazu kam das Schreiben, das ich meist in die Nacht verlegte, weil ich dann gleichzeitig mit meinen Kollegen in der Schweiz arbeiten konnte.

JOURNALISMUS Y:

Hattest du Vorgaben, was deinen Output angeht?

Patrick Züst:

Das nicht, aber es war klar, dass ich nicht nur alle zwei Wochen einen Text abliefern würde, das wollte ich selbst auch nicht. Am Ende waren etwas zwei Geschichten pro Woche, davon viele Doppelseiten und ausführliche Interviews. Die drei Arbeitstage pro Woche habe ich vor allem ins Schreiben investiert und die restlichen vier Tage in Themenfindung, Recherche, Netzwerkpflege.

JOURNALISMUS Y:

Du hast auch über die beiden grossen Riesen Google und Facebook, die den Journalismus zurzeit sehr prägen berichtet. Dieses «break things», gilt das für sie auch für den Journalismus?

Patrick Züst:

2017 war insofern ein sehr spannendes Jahr, weil auch in Amerika erstmals eine breite Debatte über die negativen Folgen der Machtkonzentration bei Google und Facebook geführt wurde. Bisher konnten die beiden mit dem Argumentation der Innovation stets viel Freiraum und Goodwill für sich beanspruchen. In Europa hat man diesen Riesen noch eher auf die Finger geschaut und das kommt nun auch in den USA an.

JOURNALISMUS Y:

Ob im Silicon Valley oder im Aargau: Das Thema Nähe muss sehr heikel sein. Wie konntest du kritisch über Firmen schreiben, wenn du gleichzeitig auf deren Bereitschaft, mit dir zu reden, angewiesen warst?

Patrick Züst:

Das ist im Silicon Valley eine brandaktuelle Frage. Viele Redaktionen setzen sich exklusiv mit Tech-Themen auseinander und sind noch viel mehr als ich auf diese guten Kontakte angewiesen.

«Das Resultat ist aus meiner Sicht ein ziemlich unethischer Journalismus der im Silicon Valley praktiziert wird.»

Da heisst es zum Beispiel: «Wenn ihr fünf positive Beiträge über Facebook schreibt, kriegt ihr dafür ein Interview mit jener Führungsperson, aber wir geben dann vor, um was es darin geht und möchten es gegenlesen und den Titel definieren.»
Das wissen alle, das ist ein offenes Geheimnis. Und es gibt unterdessen auch Gegenbewegungen. Viele haben die New York Times, die Washington Post oder das Wall Street Journal abonniert, aber auch kleinere Player mit viel Insider-Wissen wie der Blog Stratechery von Ben Thomson oder The Information, die den Bullshit, von dem es sehr viel gibt im Silicon Valley, zu durchleuchten.
Das war auch für mich herausfordernd. Als Journalist gerät man zwangsläufig in diese PR-Maschinerie. Da gab es beispielsweise eine Konferenz, zu der hat man mich eingeladen, in ein unglaublich luxuriöses Hotel einquartiert, gut verpflegt. Als ich trotzdem sehr kritisch über das Unternehmen berichtet habe, hat man mich kontaktiert, ob ich noch etwas Positiveres berichten werden. Als ich verneinte, machte man mir klar, dass man nicht länger mit mir zusammenarbeiten wolle. Ich kann so etwas verkraften, aber andere nicht.

JOURNALISMUS Y:

Diese Firmen lassen also deine Texte in der Schweizer Zeitung?

Patrick Züst:

Ja, das waren meist Firmen mit PR-Büros in Europa, viele in Deutschland, die Wege haben, das nachzuverfolgen und zu übersetzen.

JOURNALISMUS Y:

Über San Francisco hört man, dass sie die höchsten Mieten aber auch die grössten Obdachlosenzahlen hätten. Wie war das für dich, aus dem wohlbehüteten Aargau dorthin zu ziehen?

Patrick Züst:

Tatsächlich, ich bin direkt aus einem SVP-Dorf ins Castro-Viertel gezogen, das als extrem buntes, liberales Viertel gilt, wo man auch mal Leute nackt auf der Strasse herumlaufen sieht. Dort bezahlte ich für mein schlichtes WG-Zimmer 1500 Franken. Ein absolutes Schnäppchen.
Die Tech-Industrie ist hierfür ein Katalysator weil sie viele Gutverdienende anzieht. Dass jetzt viele junge Tech-Insider mit Krypto-Währungen Millionäre geworden sind, heizt das Ganze zusätzlich an. Am Anfang findet man es noch sehr cool, sich in diesen Kreisen zu bewegen, wo sich alle für die gleichen Themen interessieren. Aber man muss es auch sehr kritisch hinterfragen, wenn eine Stadt nur noch aus einer so homogenen Gruppe besteht.

JOURNALISMUS Y:

Also auch da: «Move fast, break things» ohne Rücksicht auf jene, die nicht mithalten können bei diesem Tempo?

Patrick Züst:

Das hat in der Tat etwas. Man trifft zwar viele, denen es darum geht, einen Beitrag in der Welt zu leisten – einen «Impact» zu haben. Aber so wie man das in San Francisco beobachtet, ist dieser «Impact» nicht nur positiv, sondern auch sehr negativ. Viele junge Gründer machen sich darüber gar keine Gedanken. Es findet aber im Moment auch ein Umdenken statt – dass die Technik allein vielleicht doch nicht die Lösung für alles ist.

JOURNALISMUS Y:

Warum ist es aus deiner Sicht wichtig, aus einem Ort wie dem Silicon Valley zu berichten?

Patrick Züst:

Das Silicon Valley ist nach wie vor der wichtigste Ort, wenn es um technologische Veränderungen im High-Tech-Sektor geht. Und diese technologischen Entwicklungen prägen unseren Alltag im Moment mehr als alles andere. Wenn man verstehen will, was auf uns zukommt, muss man da sein, mit diesen Leuten reden und verstehen, was da abgeht. Und es braucht dringend Journalisten, die kritisch und unabhängig von dieser PR-Industrie arbeiten können.
Ich vergleiche die Arbeit immer mit der eines Investors. Investoren und Gründer treiben das Silicon Valley an. Investoren erhalten pro Tag dutzende Nachrichten von Gründern, die ihre Firma hochjubeln. Der Investor muss das durchschauen und prüfen, was dahintersteckt.
«Es ist immer revolutionär, es ist immer innovativ, es wird immer die Welt verändern. Diese Wörter sind in jedem E-Mail eines Startups.»
Der Investor und eben auch der Journalist müssen die Spreu von den Weizen unterscheiden lernen. Das ist viel Arbeit aber wichtig, wenn man will, dass der Bullshit im Silicon Valley nicht die Überhand gewinnt.

JOURNALISMUS Y:

Du hast gesagt, du steigst als Journalist wieder aus, um selbst Akteur zu werden in der Branche. Wie sehen deine Pläne aus?

Patrick Züst:

Ich bin noch bis Ende Januar als Journalist unterwegs, um das Schweizer Silicon-Valley anzuschauen. Danach werde ich versuchen, mich tiefer in die Materie einzuarbeiten. Klassisch macht man das mit einem Studium, aber ich komme gerade aus einer Region, in der Universitäten extrem verpönt sind. Jeder im Silicon Valley sagt, man solle auf keinen Fall studieren. Alles was man da lernen könne, könne man sich schneller zuhause übers Internet beibringen.
Ganz davon überzeugt bin ich noch nicht, aber da das Studium erst im September losgehen würde, werde ich bis dahin versuchen, mich selbständig in die Materie einzuarbeiten und schaue dann im Sommer, wo ich stehe. Ich habe einige hochkarätige Mentoren im Silicon Valley finden können, die mich dabei betreuen.
Vielleicht finde ich dann ja auch, dass das ein riesiger Fehler war und möchte zurück in den Journalismus. Das soll man ja auch nie ausschliessen im Vorhinein.