Ehrlicher «Plan B» entlarvt die «No Billag»-Fasnacht
Inzwischen geben es sogar die Initianten von «No Billag» selber zu: Allein aus dem Markt lässt sich in der Schweiz kein Service-public-Angebot in Radio und Fernsehen finanzieren. Das «No Billag»-Komitee hat am Donnerstag in Zürich einen eigenen Plan B für die SRG vorgestellt.
«Die SRG in einem gebührenfreien Umfeld» heisst der Plan, den Alain Schwald im Auftrag des Initiativkomitees ausgearbeitet hat. Er soll einige mögliche Varianten einer solchen marktwirtschaftlich arbeitenden SRG aufzeigen. Wie zuvor schon der Gewerbeverband gehen auch sie von einem ganzen Bündel neuer Einnahmequellen aus.
Völlig aus der Luft gegriffen, ja geradezu absurd sind die in der Rechnung aufgeführten Beiträge von Bund und Kantonen. Das müssen wir uns auf der Zunge zergehen lassen: Die Initianten wollen beweisen, dass die SRG auch nach Annahme einer Initiative überlebt, welche Bundessubventionen verbietet – und führen in der «Beweisrechnung» Beiträge von Bund und Kantonen von insgesamt bis zu 220 Mio. Fr. auf! Das ist nun wirklich selbst aus Sicht der Initianten den Beelzebub mit dem Teufel ausgetrieben. Während Gebühren weitgehend ausserhalb politischer Einflussnahme verteilt werden, unterliegen «Beiträge» (sprich: Subventionen) von Bund und Kantonen der parlamentarischen Einflussnahme.
Dazu kommt: Die Kantone haben bereits klar gemacht, dass sie bei einer Annahme der «No Billag»-Initiative nicht einspringen können. In der Stellungnahme der Konferenz der Kantonsregierungen schreiben die Kantone, sie könnten «aus rechtlichen, politischen und finanziellen Gründen» keine Beiträge an die SRG leisten. «Die Gesetzgebung über Radio und Fernsehen ist eine Bundeskompetenz.» Daran werde auch die Initiative nichts ändern. «Zudem würden allfällige kantonale Subventionen der Stossrichtung der Initiative diametral entgegenlaufen.» Die 25 bis 40 Millionen Franken, welche die Initianten seitens der Kantone in ihrem Plan einrechnen, fallen also flach.
Mit lockerer Hand schreiben die Initianten von einer Art Branchenlösung mit Telekom- und Kabelnetzbetreibern.
Der «No Billag»-Plan sieht zudem vor, dass künftig ein kostenpflichtiges Abonnement lösen muss, wer einen SRG-Fernsehsender schauen will. Die Initianten stellen sich vor, dass die verschiedenen Telekom- und Kabelnetzbetreiber in der Schweiz sich in einer Art Branchenlösung finden und künftig Geld kassieren für die SRG-Sender. Die Kunden hätten dabei die Möglichkeit, die Sender der SRG abzuwählen.
Mit lockerer Hand schreiben die Initianten von einer Art Branchenlösung mit Telekom- und Kabelnetzbetreibern, nennen dann aber nur Swisscom, Sunrise und UPC. Bloss: In der Schweiz gibt es über 200 Kabelfernsehnetze. Die im Verband für Kommunikationsnetze Suissedigital zusammengeschlossenen Anbieter sind stolz darauf, dass sie rund 2,5 Millionen Haushalte freien Zugang zu unverschlüsseltem, digitalem Kabelfernsehen geben. Die Abonnenten haben im Grundanschluss Zugriff auf weit über 100 Programme.
Die Kabelnetzanbieter werden kaum gratis und franko bei ihren Abonnenten Gebühren für die SRG eintreiben.
Für das Eintreiben von Abogebühren bräuchte es zunächst eine technische Lösung für die 200 verschiedenen Kabelnetze. Eine solche Lösung gibt es heute nicht. Selbst wenn es eine gäbe: Die Kabelnetzanbieter werden kaum gratis und franko bei ihren Abonnenten Gebühren für die SRG eintreiben. Das setzt neben technischen Einrichtungen auch Marketing, Kommunikation und Support voraus – erfahrungsgemäss dürfte das die Hälfte der Gebühren wegfressen. Also kommt entweder nur die Hälfte des Geldes bei der SRG an – oder die Gebühren sind doppelt so hoch. Das würde heissen: Es würde für die Konsumenten etwa gleich teuer wie bei der Radio- und Fernsehgebühr (ab 2019) – bloss bei wesentlich schlechterer Leistung.
Dazu kommt: Die in der Variante 1 ausgewiesenen Einnahmen von 208 Mio. Fr. entsprechen zwischen 1,2 und 2,2 Mio. bezahlten Abonnements. Es ist nicht klar, wie die «No Billag»-Leute auf so hohe Abo-Zahlen kommen. Eine so hohe Abo-Durchdringung für ein (bei einem auf einen Drittel geschrumpften Budget) garantiert bescheideneren Programm als heute, scheint sehr gewagt. Kurz: Die Abolösung würde dazu führen, dass die Programme des Schweizer Fernsehens von deutlich weniger Schweizern empfangbar wären. Denn wir dürfen nicht vergessen: die eigentliche Konkurrenz für Schweizer Fernsehsender sind die grossen TV-Konzerne im Ausland. Und die bleiben gratis verfügbar – und werden sich beeilen ihre Schweizer Fenster so auszubauen, dass die Schweizer das kostenpflichtige Schweizer Fernsehen links liegen lassen.
Was bekämen denn die Abonnenten für ihr Geld zu sehen? In verschiedenen Varianten malen sich die Initianten aus, wie das SRG-Angebot aussehen könnte. Eine erste sieht vor, dass pro Landesteil zwei Sender zur Verfügung stehen. Das Basisabo für 8 Franken im Monat bietet SRF 1, RTS 1 und RSI 1, das erweiterte Abo für 14 Franken im Monat bietet zusätzlich die zweiten Senderketten. Für 168 Franken im Jahr kann ein Kunde also in den drei Landessprachen zwei Senderketten sehen. Die Initianten gehen davon aus, dass die SRG auf diese Weise 208 Mio. Fr. im Jahr einnehmen könnte.
Die Steigerung der Werbeeinnahmen beurteilen sogar die Initianten als eher unrealistisch.
In Variante 2 erzielt die SRG 50% weniger Umsatz mit Werbung, dafür kosten die Sender mehr (10 Fr. und 8 Fr. im Monat bzw. 216 Fr. im Jahr). In Variante 3 sind die ersten Senderketten gratis, dafür schalten sie mehr Werbung. Die Steigerung der Werbeeinnahmen beurteilen sogar die Initianten als eher unrealistisch. Eine vierte Variante sieht eine Art Info-Sender mit Wiederholungen vor, der frei zugänglich ist, dazu kommt in der Deutschschweiz das Angebot von Variante 1. RTS2 und RSI2 werden in dieser Variante eingestellt und durch ein Webangebot ersetzt, das durch Werbung und Pay-per-View finanziert ist.
Das SRG-Modell der «No Billag»-Initianten sieht neben Abo-Beiträgen also auch Werbeeinnahmen vor. Konkret rechnen die Initianten mit 137 Mio. Fr. pro Jahr im Fernsehen (heute 230 Mio. Fr.), 59.5 Mio. Franken im Radio und 27 Mio. Fr. online. Ist das realistisch? Rechnen wir nach. Heute können rund 3,5 Millionen Haushalte in der Schweiz die SRG-Programme empfangen. Selbst nach den optimistischen Zahlen von «No Billag» würde diese Zahl wegen der Abo-Gebühren auf etwa einen Drittel schrumpfen. Trotzdem geht «No Billag» davon aus, dass die SRG weiterhin Werbung für 137 Mio. Fr. verkauft. Das bedeutet: Obwohl nur noch 30 Prozent der Schweizer SRG-Sender empfangen können, rechnen die «No Billag»-Leute mit gegenüber heute 60 Prozent der Werbeeinnahmen. Das geht nicht auf.
Die SRG würde im Werbemarkt zur Konkurrenz für die Privatradios. Was die SRG an Werbeeinnahmen gewinnt, dürfte bei den Privaten wegfallen.
Darüber hinaus rechnen die «No Billag»-Leute mit Werbeeinnahmen im Radio und Online. Heute darf die SRG weder im Radio noch im Internet Werbung verkaufen. Das bedeutet: Die SRG würde im Werbemarkt zur Konkurrenz für die Privatradios. Was die SRG an Werbeeinnahmen gewinnt, dürfte (in etwa) bei den Privaten wegfallen. Der ganze Radiowerbemarkt in der Schweiz ist aber heute nur 147 Mio. Franken schwer – wenn 40 Prozent davon plötzlich an die SRG gehen, würde das wohl für eine ganze Reihe von Privatradios das Aus bedeuten. Matthias Hagemann, Besitzer von Radio «Basilisk» etwa, ein Radio, das keine Gebührengelder erhält und sich nur über Werbung finanziert, erklärte, ein Eintritt der SRG-Radios in den Werbemarkt wäre für ihn ein «grosses Problem». Zumal die meisten Radiostationen auch den Wegfall von Radiogebühren verkraften müssten. Eine Annahme der «No Billag»-Initiative würde also zum grossen Radiosterben in der Schweiz führen. Online stünde die SRG in Konkurrenz zu den Verlagen – etwas, was die Schweizer Verleger bisher mit Händen und Füssen zu vermeiden versuchten.
Im Konzeptpapier würdigen die «No Billag»-Leute das Radio übrigens nur mit einem einzigen (und erst noch grammatikalisch falschen) Satz: Beim Radio-Bereich sieht das Konzept in erster Linie Werbung als Haupteinnahmequelle vor. Was heisst da in erster Linie? Es bleibt nur Radiowerbung. Knapp 60 Mio. Fr. würden dem Radio in allen Landesteilen noch zur Verfügung stehen. Heute hat das Radio der SRG in der Schweiz 478.6 Mio. Fr. zur Verfügung. Fast das Achtfache. Das bedeutet: SRG-Radios würden zum Dudelfunk.
Der sogenannte Plan der «No Billag»-Initianten schafft Klarheit für alle: Bei einer Annahme der Initiative gibt es keine SRG mehr, wie wir sie heute kennen. Möglich, dass eine Rumpforganisation weiterbestehen könnte, ganz sicher muss das Publikum sich von Qualitätsjournalismus à la «Echo der Zeit», «Tagesschau» oder «10vor10» verabschieden. Sport wäre nicht mehr frei zugänglich und Kultur würde nicht mehr stattfinden.
Das scheinen die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger gemerkt zu haben: Am Freitag wurde die erste Umfrage von Gfs Bern veröffentlicht und sie zeigt einen deutlichen Nein-Trend. 60 Prozent der Stimmberechtigten lehnen die Vorlage ab, 38 Prozent sind dafür. Obwohl die Abstimmung erst in sechs Wochen stattfindet, haben bereits 74 Prozent der Befragten ihre Meinungen bereits gemacht. Nur gerade zwei Prozent der Teilnahmewilligen sind noch unentschieden. Im Befürworter-Lager wird die SRG als zu gross empfunden. Sie solle sparen und Leistungen reduzieren. Die Gegner befürchten laut Befragung, dass die Qualität des Schweizer Mediensystems nachlassen und finanzkräftige Investoren an politischem Einfluss gewinnen werden.
Eine frühere Version des Artikels hat Matthias Zehnder auf seinem Blog veröffentlicht.
Christoph J. Walther 29. Januar 2018, 23:47
Richtig ist: Bei den als Bundesbeiträgen aufgeführten Beträgen im Plan B der Initianten handelt es sich um Gelder aufgrund bestehender Bundesaufgaben wie Filmförderung (BV Art. 71), Sprachenförderung (BV Art 70) und Beziehungen zu Auslandschweizern (BV Art. 40)
Richtig ist: Die allermeisten der über 200 Kabelnetze sind Partner der UPC. Ihnen gehört die Infrastruktur (Kabel, Verteiler etc.). Die Dienstleistungen (TV-Signale, Internet, Telefonie etc.) beziehen sie von UPC.
Richtig ist: Die Verteilung von Bezahlangeboten ist längst gelöst: Seit Urzeiten gibt es Teleclub als Zusatzangebot (Pay-TV) und seit dem Herbst 2016 bietet UPC auf ihrer Horizon-Settop-Box z.B. auch Netflix an. Und das ohne Aufpreis. Benutzer loggen sich mit ihrem Account ein. Das Geld fliesst also direkt zum Programmhersteller. Es ist anzunehmen, dass UPC pro so vermitteltem Kunden eine minime Kommission erhält.
Alex Schneider 06. Februar 2018, 18:15
Die Argumentation des NoBillag Komitees passt mir auch nicht. Ich will eine starke, aber schlankere und ethisch verantwortungsvollere SRG mit weniger Gebühren- und Werbeeinnahmen. Wenn die SRG im Vorfeld angekündigt hätte, in Zukunft auf die Hälfte der Krimi-, Gewalt- und Zynikerfilme zu verzichten und Satiriker aus allen politischen Lagern zum Zuge kommen zu lassen, hätten wir jetzt diese unsägliche Abstimmungsdiskussion nicht. Aber die SRG und die damit verbandelten PolitikerInnen bewegen sich nicht und werden sich auch bei einem NEIN nach dem 4. März nicht bewegen lassen. Es braucht jetzt einen neuen Verfassungsartikel „Medien“, der eine abgespeckte SRG und das Überleben von privaten Qualitätsmedien konkret ermöglicht.