«Die Vierte Gewalt» ist erst ein Anfang
Dieter Fahrers «Die Vierte Gewalt» ist ein bewegendes Portrait der Schweizer Journalistinnen und Journalisten im Strudel des Medienwandels. Doch kann der Film-Essay mehr als bloss berühren?
Wenig überraschend sind im Fall eines Schweizer Dokumentarfilms über Schweizer Medien alle ganz okay zufrieden (man kennt sich) und hören und sehen zuerst, was sie hören und sehen wollen (da bin ich keine Ausnahme, auch wenn ich’s versuchen werde, versprochen!). Die Engagiertesten, Guy Krneta und Michael Sennhausera>, hätten sich immerhin ein Interview mit Tamedia-Chef Supino, gewünscht. Jean-Martin Büttner, der bei der Tamedia arbeitet, findet den Film hauptsächlich schön gemacht. Kaspar Surber lobt in der WOZ, dass er ganz sozial den JournalistInnen da «unten» eine Stimme und viele Fragen ohne Antworten gibt und Simone Meier von «Watson» verwandelt die Filmbesprechung kurzerhand in ein Native Ad in eigener Sache. Keine Angst, obschon unser aller Geld gerade die Welt verbrennt, seid ihr bei uns am richtigen Ort. Bleibt bitte so lange wie möglich, wir sind locker und da drüben gäb’s auch noch ein lustiges Video! Ich will ja zuletzt eine Spassbremse sein. Das Problem ist bloss, dass Simone Meier – die auch kritisch über Filme schreiben kann – so tut, als würde sie den Regisseur Dieter Fahrer nicht verstehen. «Watson» bringt ihn ganz sicher nicht zum Lachen.
Die beiden «Bund»-Redaktoren verstehen, dass auch sie Teil des Problems sind und auch dazu beitragen, dass es «falsch läuft.»
«Die Vierte Gewalt» ist ein sehr schweizerischer Film: Im Handwerk souverän, in der Perspektive persönlich, in Botschaft und Ambition zurückhaltend. Neben die Portraits von JournalistInnen stellt Fahrer die Begleitung seiner Eltern vom Auszug aus der Wohnung, wo sie 50 Jahre wohnten. Keine Trauer, aber doch Wehmut und vor allem Unbegreiflichkeit vermittelt er auch mit seinem Portrait des Medienwandels. Obschon der Abbau beim «Bund» ambivalent erscheint – Chefredaktor Patrick Feuz sieht Chancen in einer konsequenten Ausrichtung auf Hintergründe und Analyse und scheint sich dezidiert von schnellen, visuellen Online-Medien abgrenzen zu wollen – so berühren die «inneren Zwiste», welche Produktionschef Jürg Sohm und Lokalredaktor Marc Lettau austragen. Die beiden verstehen, dass auch sie Teil des Problems sind und auch dazu beitragen, dass es, wie Lettau sagt, «falsch läuft.»
Und das tut es trotz der ganzen Zurückhaltung doch auch für Fahrer, dessen eigene Arbeit an den leidenschaftlich neugierigen Marc Lettau erinnert. Kein Wunder sieht er sich bei der Zeitung aufgehoben, weil sie ordnet. Wenn er sie gelesen habe, brauche er tagsüber keine Breaking News mehr, sagt er im Film. Auf «Watson» faszinieren ihn in erster Linie die stoischen Livestreams, die einen Alltag zeigen, der «unter den News liegt». Ansonsten kann er dem Neuen, das nun bei «Watson» eben die Zeitung ablösen soll, nicht viel abgewinnen. Was ihn hätte ansprechen können, politische Analysen zur Innen- und Weltpolitik, ignoriert Fahrer einfach.
Fahrer versteht genau, dass er bei «Watson» als User «ge-used» wird; dass seine Aufmerksamkeit erregt werden soll, damit sie an Werbekunden weiterverkauft werden kann.
Bei aller Ehrlichkeit, bei allen Freiheiten, welche auch engagierte Arbeit ermöglichen: Für Fahrer ist Journalismus hier zuerst mal alles, was geklickt wird. Hier zählt der Verkauf mehr als der Verstand. «Picdumps» und bildhafte Sprache, die «inezieh» soll, Traffic, pushen. Fahrer versteht genau, dass er hier als User «ge-used» wird; dass seine Aufmerksamkeit erregt werden soll, damit sie an Werbekunden weiterverkauft werden kann. Ich versuche wirklich dagegen anzukämpfen (auch ich kenne und schätze da ein paar Menschen; «Watson» hat uns mit «Coup» geholfen) aber es deprimiert mich irgendwie, wie sie im Film diesen hohlen Kern mit viel Lächeln, Selbstironie und lapidarem Ist-halt-so-weil-ist-halt-so-Pragmatismus zu übertünchen versuchen. Oder wie Fahrer es vorsichtig, explizit nicht auf «Watson» bezogen, sondern den Klick-Bonus bei Tamedia, sagt: «Hurti chli Trump – u nähr ab id Ferie.»
Fahrers Nähe zu den JournalistInnen fördert aber auch bei «Watson» viel Ehrlichkeit und Leidenschaft zutage. Problematischer (und das zeigt auch die Reaktion des «Bund» auf den Film) ist eher die Parallelisierung des Auszugs seiner Eltern mit dem Medienwandel, welche Betroffenheit schaffen soll und das auch tut. Bloss: Sie zeigt da einen unabwendbaren biologischen Prozess, dort aber einen wirtschaftlichen, sozialen Vorgang, der nicht zwingend so ablaufen muss. Der technologische Wandel ist keine Naturgewalt, Zeitungen sterben nicht einfach so. Ihre Entwicklung ist immer auch Ergebnis einer bestimmten Geschäftspolitik. Hier gibt es keine Naturgesetze. Mit der Begleitung der Republik, die irgendwie das Beste aus «Bund» und «Watson» kombinieren will, macht Fahrer zwar noch etwas Hoffnung. Doch leider wartet er nicht auf das Produkt. So wirkt der Film – obschon kunstvoll und treffend – zum Schluss hauptsächlich verstörend.
Dieter Fahrer fragt nicht deutlich, inwiefern der Wandel von der textlastigen Zeitung hin zu den bewegten Bildern eine Machtverschiebung von den KonsumentInnen zu den ProduzentInnen darstellt.
Das ist gemäss Fahrer beabsichtigt. Er will Nähe, Brüchigkeit, Ehrlichkeit. Aber anders als «Bund»-Redaktor Marc Lettau will er mit seinen Fragen nicht verstehen, sondern berühren. Er will zuerst fragen, was der Wandel mit den Menschen macht, wie aufrichtig die Journalistinnen und Journalisten damit umgehen. Ihn interessiert kaum, wer ihn weshalb antreibt. Er fragt nicht deutlich, inwiefern der Wandel von der textlastigen Zeitung hin zu den bewegten Bildern eine Machtverschiebung von den KonsumentInnen (wie selbstbestimmt seine Eltern bei der langsamen Zeitungslektüre wirken) zu den ProduzentInnen darstellt. Er fragt gar nicht, weshalb die Jungen angeblich keine Zeitungen mehr lesen. Geht diese wegen zu langer Analysen wirklich zu wenig «einfach rein», wie die ehemalige «Watson»-Journalistin Rafaela Roth behauptet? Sind sie halt einfach jung und unbekümmert? Oder fehlt den Jungen an den selbsternannten Qualitätsmedien nicht vielleicht doch auch etwas das journalistische Feuer, welches die Sparmassnahmen seit Jahren zu ersticken drohen (dieser Blick von Marc Lettau, nachdem im Sitzungszimmer versehentlich das Licht ausgegangen ist!)? Fahrer sagt, er habe ein Interview mit Tamedia-Chef Supino gefilmt, aber keine brauchbaren Antworten erhalten. Dass er den Fokus auf Supinos Angestellte legte, deutet darauf hin, dass er sich eher als Filmer denn als Journalist versteht (wogegen nichts einzuwenden ist). Es zeigt auch, dass er dem Riesenthema bescheiden Respekt zollen will. Fahrer will bloss einen Anfang machen. Ich wünschte mir denn auch nicht, dieser unbedingt sehenswerte Dokumentarfilm wäre ein anderer Film geworden. Aber ich wünschte mir eine journalistischere Fortsetzung, die weitergräbt, auch wenn sie sich dafür dem Primat des Bildes vielleicht etwas entziehen müsste. Fahrer fragte sich im Film: Bin ich zu alt, um mitzukommen? Ich frage mich: Bin ich zu jung, um verstört zu bleiben?
Dieter Fahrer 20. Februar 2018, 16:54
Als Dokfilmer kann man sich für das, was der Film auslöst, nichts besseres wünschen: eine intensive Debatte, Kritik, Würdigung und viele Ideen, was für einen Film man zu diesem grossen Thema auch noch hätte machen können. Ich kann da nur ermutigen: DO IT !
Peter Inderbitzin 21. Februar 2018, 13:27
Weils im Text nicht verlinkt ist: Die kritische Reaktion des «Bund»: «Schlechte Presse».